juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 1. Zivilsenat, Urteil vom 27.07.2023 - I ZR 144/22
Autor:Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer, Universitätsprofessor, RiOLG Köln
Erscheinungsdatum:19.10.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 3a UWG 2004, § 47 VwGO
Fundstelle:jurisPR-WettbR 10/2023 Anm. 1
Herausgeber:Jörn Feddersen, RiBGH
Zitiervorschlag:Peifer, jurisPR-WettbR 10/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Rechtsverordnungen als Marktverhaltensregelungen („Zweibrücken Fashion Outlet“)



Leitsätze

1. Eine wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht nichtige Rechtsverordnung entfaltet - anders als ein zwar rechtswidriger, aber nicht nichtiger Verwaltungsakt - keine Legitimationswirkung für eine nach dem Lauterkeitsrecht zu beurteilende geschäftliche Handlung.
2. Die Nichtigkeit einer im Ermessen des Normgebers stehenden, ursprünglich rechtmäßigen Rechtsverordnung kann eintreten, wenn der Normgeber die Änderung oder Aufhebung der Rechtsverordnung unterlassen hat, obwohl sein Ermessen zu einem solchen Tätigwerden wegen einer nach Erlass der Rechtsverordnung eingetretenen Veränderung der maßgeblichen Umstände auf Null reduziert ist.



A.
Problemstellung
Der BGH greift tief in die verwaltungsrechtliche Kompetenzstruktur ein. Er dehnt den Anwendungsbereich des Rechtsbruchtatbestandes nach § 3a UWG weit aus, indem er eine unlautere Wettbewerbshandlung auch dann annimmt, wenn eine verhaltenslegitimierende Rechtsverordnung der Landesregierung, die einen Sonntagsverkauf zu Ferienzeiten in Flugplatznähe gestattet, mit höherrangigem Recht kollidiert und der Verordnungsgeber die Rechtsgrundlage nach Herabstufung des Flughafens hätte aufheben müssen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Anbieter von Damenoberbekleidung klagte gegen die Verkäuferin solcher Bekleidung in einem Fashion Outlet Center am früheren Verkehrsflughafen Zweibrücken. Aufgrund einer Durchführungsordnung zum rheinland-pfälzischen Ladenöffnungsgesetz konnte die Beklagte ursprünglich von einer Erlaubnis zum Sonntagsverkauf an besonderen Tagen und zu besonderen Zeiten im Umfeld von Ferienzeiten profitieren. 2014 verlor der Flughafen seinen Status als Verkehrsflughafen, 2018 erhielt er eine Erlaubnis als Sonderlandeplatz sowie für Fracht-, Geschäfts- und Privatreisen. Der Kläger argumentierte, dass damit die erweiterten Verkaufserlaubnisse entfallen seien, weil die Durchführungsverordnung ihren Zweck eingebüßt habe. Daher verstoße der Verkauf an den ursprünglich zugelassenen Sonntagen gegen das grundsätzlich geltende Sonntagsöffnungsverbot, das als Marktverhaltensregelung über § 3a UWG durchgesetzt werden könne. Landgericht und Oberlandesgericht hatten die Klage abgewiesen und darauf hingewiesen, dass die Durchführungsordnung niemals aufgehoben worden sei und daher ihre legitimierende Wirkung auch nicht verloren hätte. Nach Ansicht der Instanzgerichte habe die Beklagte auf die Fortwirkung der Verordnung vertrauen dürfen, weil der Verordnungsgeber diese in Kenntnis der neuen Situation nicht aufgehoben habe.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung betrifft das im Rechtsbruchtatbestand des § 3a UWG aufeinandertreffende Verhältnis zwischen Wettbewerbs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht. Hierzu haben die Wettbewerbsgerichte eine expansive Position entwickelt (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 30.04.2015 - I ZR 13/14 Rn. 31 - BGHZ 205, 195 = GRUR 2015, 1228 „Tagesschau-App“). Zum einen halten sich die Wettbewerbsgerichte für sachlich zuständig, umfassend auch über verwaltungsrechtliche Vorfragen zu entscheiden (BGH, Urt. 27.07.2023 - I ZR 144/22 Rn. 20 „Fashion Outlet“). Lediglich ein das Verhalten konkret gestattender Verwaltungsakt entfaltet eine Legitimationswirkung, an welche sich die Zivilgerichte gebunden fühlen müssen (BGH, Urt. v. 23.06.2005 - I ZR 194/02 Rn. 17 - BGHZ 163, 265 = GRUR 2005, 778 „Atemtest I“). Aus Sicht der Instanzgerichte im vorliegenden Fall gilt dies auch für Rechtsverordnungen. Damit wäre gewährleistet, dass Verordnungen nur im Wege des Normenkontrollverfahrens (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 AGVwGO Rh.-Pfalz) angreifbar, jedenfalls nur im Verwaltungsverfahren durch die Verwaltungsgerichte inzident zu überprüfen sind. In Rheinland-Pfalz ist die Befugnis, gegen Rechtsverordnungen vorzugehen, zudem beschränkt, wenn diese Verordnung – wie hier – von einem Verfassungsorgan (Landesregierung) erlassen wurde (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AG VwGO Rh.-Pfalz i.V.m. Art. 130 LVerf. Rh.-Pfalz). Aus Sicht der Rechtsbetroffenen würde insoweit Klarheit herrschen, dass existierende Normen jedenfalls so lange zu beachten sind, wie sie nicht im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kompetenzordnung angegriffen wurden oder ausnahmsweise offensichtliches Unrecht darstellen (OLG Zweibrücken, Urt. v. 04.08.2022 - 4 U 202/21 - GRUR 2022, 1457, 1459 mit Hinweis auf greifbares Unrecht nach der sog. „Radbruch’schen Formel“, Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht in: ders., Rechtsphilosophie, 8. Aufl. (1973), S. 339-350). Die Instanzgerichte haben hierzu lesenswerte und gründliche Begründungen vorgelegt. Der BGH sieht es allerdings anders. Anders als Verwaltungsakte, die auch wenn sie rechtswidrig sind, zunächst fortbestehen, bis sie aufgehoben sind, verlieren nach Ansicht des BGH Rechtsverordnungen ihre Wirksamkeit, wenn sich die Umstände, die zu ihrem Erlass geführt haben, ändern und sie dadurch unwirksam werden (BGH, Urt. 27.07.2023 - I ZR 144/22 Rn. 18 „Fashion Outlet“). Das soll beim Sonntagsöffnungsverbot insbesondere so sein, wenn der Sachgrund dafür, dass vom grundsätzlichen Verbot abgewichen wird, entfällt. Das kann bei einem herabgestuften ehemaligen Verkehrsflughafen jedenfalls dann der Fall sein, wenn der Bedarf für Reisende nicht besteht und auch eine Privilegierung wegen der Konkurrenz zu anderen Verkehrsknotenpunkten (so die ursprüngliche Rechtfertigung der Durchführungsverordnung) entfällt. Der BGH stellt hier – insoweit im Einklang mit dem Schutzzweck des UWG – klar, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen nur ausnahmsweise durch Markteingriffe (Erlaubnis zugunsten einiger) des Staates beeinträchtigt werden dürfen. Die im Schrifttum nach Erlass der Instanzentscheidungen geäußerte Meinung, die Verordnung könne nur auf dem „politischen Wege“ angegriffen werden (Gräbig, GRUR-Prax 2022, 593), wird damit hinfällig. Das Wettbewerbsrecht hat weiterhin die Nase vorn, auch wenn es um die Korrektur verwaltungsrechtlicher Sachverhalte geht. An dieser Stelle greift der BGH in die verwaltungsrechtliche Kompetenzstruktur empfindlich ein, ein Schritt, den die Instanzgerichte mit guten Argumenten gescheut haben.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für ein durch eine Verordnung begünstigtes Unternehmen wird die Rechtslage damit schwierig. Im konkreten Fall war die Beklagte mietvertraglich zum Betrieb des Ladenlokals auch an den betroffenen Sonntagen verpflichtet. Angesichts der fortwirkenden Verordnung, die ihr das auch gestattete, musste sie also selbst einschätzen, ob die Verordnung noch wirksam war, obgleich der Verordnungsgeber sie – trotz öffentlicher Diskussion des Phänomens – nicht beseitigte. Das Vertrauen in die Wirksamkeit der Verordnung täuschte mithin. Die Untersuchungs- und Prüflast für die Fortführung einer untergesetzlichen Verkaufsgenehmigung liegt damit beim Handelnden.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der Fall wurde in der Sache nicht entschieden, sondern zurückverwiesen. Die Instanzgerichte hatten keine Feststellung zur Klagebefugnis getroffen, auch nicht zur Frage, ob die ursprüngliche Begründung für die Rechtsverordnung – Ermöglichung des Erwerbs von Reisebedarf auch an Privatflughäfen? Schutz von Anbietern an Verkehrsknotenpunkten noch erforderlich? – fortbesteht. An dem Fortbestand beider Zwecke äußert der BGH allerdings zwischen den Zeilen Zweifel. Klar ist nur, dass eine Schadensersatz- und Auskunftshaftung nicht in Betracht kommt. Für beide gilt, dass, wer im Vertrauen auf die Wirksamkeit einer Rechtsverordnung handelt, weder mit Vorsatz noch mit vermeidbarem Verbotsirrtum handelt. Der Unterlassungsanspruch dürfte allerdings als begründet anzusehen sein.



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