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Anmerkung zu:BGH 6. Zivilsenat, Urteil vom 24.01.2023 - VI ZR 1234/20
Autor:Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther, RA und FA für Versicherungsrecht
Erscheinungsdatum:23.03.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 1 eKFV, § 1 StVG, § 8 StVG, § 18 StVG, § 7 StVG, § 254 BGB
Fundstelle:jurisPR-VersR 3/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Schimikowski, RA
Zitiervorschlag:Günther, jurisPR-VersR 3/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Keine Kfz-Halterhaftung für Explosion einer ausgebauten Batterie während des Aufladens



Leitsatz

Zur Reichweite der Haftung des Halters eines Elektrorollers nach § 7 Abs. 1 StVG, wenn dessen ausgebaute Batterie während des Aufladens explodiert.



Orientierungssatz zur Anmerkung

Gerät die Batterie eines Elektrorollers nach ihrem Ausbau in Brand, ist der dabei entstehende Schaden an den Rechtsgütern Dritter mangels nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit einer Betriebseinrichtung i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG nicht „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden.



A.
Problemstellung
Für die Kfz-Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist maßgeblich, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verletzt bzw. beschädigt worden ist. Die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals beschäftigt die Gerichte immer wieder, erst recht aufgrund einer recht deutlichen Ausweitung des Betriebsbegriffes durch den BGH in seinem Grundsatzurteil vom 21.01.2014 (VI ZR 253/13 - RuS 2014, 194). Der technische Fortschritt – hier konkret die Mobilität mit Elektrorollern, die über einen herausnehmbaren Akku verfügen – wirft dabei stets neue Haftungsfragen auf.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der klagende Gebäudeversicherer nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch.
Ein Versicherungsnehmer der Beklagten brachte seinen Elektroroller (laut Angabe im Urteil „Kleinkraftrad Freeliner Lyric A720“) zur Inspektion in Werkstatträume, die bei der Klägerin versichert waren. Dort entnahm ein Mitarbeiter der Werkstatt die Batterie des Elektrorollers und begann sie aufzuladen. Als der Mitarbeiter bemerkte, dass sich die Batterie stark erhitzte, trennte er sie vom Stromnetz und legte sie zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt. Kurz darauf explodierte die Batterie und setzte das Gebäude in Brand.
Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos. Die Batterie sei, so der BGH, nicht i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG bei dem Betrieb des Elektrorollers explodiert.
Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG sei, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verletzt bzw. beschädigt worden ist. Dieses Haftungsmerkmal sei entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG sei der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Ein Schaden sei demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit) geprägt worden ist. Erforderlich sei aber stets, dass es sich bei dem Schaden um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, das heißt, die Schadensfolge müsse in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr komme es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht.
Vorliegend sei nicht festgestellt, dass die Erhitzung und die nachfolgende Explosion der Batterie in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG standen. Denn zu diesem Zeitpunkt sei die Batterie bereits aus dem Elektroroller ausgebaut gewesen und habe zu diesem keine Verbindung mehr gehabt. Bei dieser Sachlage bestehe kein Unterschied zu der Situation, in der eine zuvor nicht im Elektroroller befindliche Batterie dort eingebaut werden soll und zu diesem Zweck vorher aufgeladen wird. In diesen Fällen sei die Batterie nicht mehr bzw. noch nicht Teil der Betriebseinrichtung.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Mit seinem Grundsatzurteil vom 21.01.2014 (VI ZR 253/13) hatte der BGH den Betriebsbegriff des § 7 StVG stark ausgeweitet. Dort lag der Fall zugrunde, dass ein in einer privaten Tiefgarage abgestelltes Kfz infolge eines technischen Defekts durch eine Selbstentzündung in Brand geriet und das daneben geparkte Kraftfahrtzeug beschädigte. Für die Halterhaftung war es nach Auffassung des BGH gleichgültig, ob der Brand vor, während oder nach einer Fahrt eintritt. Entscheidend sei vielmehr, dass der Schaden als spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren angesehen werden kann, für die die Haftungsnorm des § 7 Abs. 1 StVG geschaffen wurde. Ausreichend ist, „dass der Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kfz steht“ (BGH, Urt. v. 21.01.2014 - VI ZR 253/13). Der BGH bejahte dies auch bei der Selbstentzündung des Kraftfahrtzeugs rund 30 Stunden nach Abstellen des Kfz in einer Tiefgarage eines Mehrfamilienhauses. Mit diesem Urteil des BGH im Jahre 2014 erfolgte eine deutliche Ausweitung der Gefährdungshaftung des § 7 StVG für Fälle, wo die Transport- und Fortbewegungsfunktion nicht mehr betroffen ist und auch ein Zusammenhang mit dem laufenden oder kurz zuvor abgestellten Motor nicht brandursächlich gewesen sein kann. Darüber hinaus ist es nach dieser Rechtsprechung des BGH nicht mehr relevant, ob sich ein Kfz außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums befand und ebenso ist es unerheblich, ob das Fahrzeug noch betriebsbereit war.
Der BGH hat diese Rechtsprechung aus dem Jahr 2014 nachfolgend trotz Kritik aus der Literatur (Burmann/Jahnke, DAR 2016, 313; Burmann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl., § 7 StVG Rn. 9; Herbers, NZV 2014, 208; Lemcke, RuS 2014, 195; Lemcke, RuS 2016, 152; Schwab, DAR 2014, 197; Pieroth/Schmitz-Justen, NZV 2020, 293) bestätigt, so z.B. BGH, Urt. v. 26.03.2019 - VI ZR 236/18 - VersR 2019, 897; BGH, Urt. v. 20.10.2020 - VI ZR 374/19 - RuS 2020, 721 und BGH, Urt. v. 20.10.2020 - VI ZR 319/18 - VersR 2021, 597. Bestätigt wird diese Rechtsprechung des BGH schließlich auch durch die des EuGH (Urt. v. 20.06.2019 - C-100/18).
II. Weitere Rechtsprechungsbeispiele einer bejahten Haftung gemäß § 7 StVG in Folge der o.g. BGH-Rechtsprechung:
Explosion der Fahrzeugbatterie (OLG Dresden, Beschl. v. 19.07.2021 - 4 W 475/21 - VersR 2021, 1370);
aufgrund Kurzschlusses des zwecks Reparatur in einer Werkstatt abgestellten Kfz kommt es zum Brand (OLG Dresden, Urt. v. 03.09.2019 - 6 U 609/19);
kein Nachweis des Fahrzeughalters eines von außen kommenden Ereignisses an der Brandentstehung (OLG Celle, Urt. v. 12.05.2021 - 14 U 189/20);
Brand durch einen Defekt im Bereich des Motorraums oder des Führerhauses eines LKW (OLG Hamm, Urt. v. 22.03.2019 - 9 U 93/17, mit Anm. Wenker, jurisPR-VerkR 14/2019 Anm. 1);
Anschluss eines Batterieladegeräts und eines Diagnosegeräts in Form eines Laptops an das Fahrzeug durch den Werkstattinhaber, um Arbeiten an der Software durchzuführen, Betätigung der Zündung, Starten des Computerprogramms und Verlassen der Werkstatt (OLG Köln, Urt. v. 06.04.2017 - 3 U 111/15 - RuS 2018, 320);
Brandausbruch durch ein in einer Scheune seit mehreren Tagen abgestelltes Quad (OLG Karlsruhe).
Demgegenüber sind Rechtsprechungsbeispiele, die eine Haftung verneinen, rar gesät. Zum Teil handelt es sich um Sonderkonstellationen (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.12.2019 - 14 U 108/19; OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.12.2018 - 7 U 67/18 - VersR 2019, 216), zum anderen um Entscheidungen, die zwar versuchen, sich formal an die Vorgabe des BGH zu halten, gleichwohl dies wegen geäußerter oder ungeäußerter Bedenken an diesem in der Tat sehr weiten – und nach Auffassung des Verfassers auch zu weiten – Begriffs des Betriebsgefahr nicht tun (so LG Köln, Urt. v. 05.10.2017 - 2 O 372/16 und OLG Köln, Beschl. v. 21.08.2018 - I-18 U 148/17 als Berufungsinstanz, aber aufgehoben vom BGH, Beschl. v. 15.10.2019 - VI ZR 377/18 - VersR 2020, 441; vgl. auch OLG Dresden, Urt. v. 03.09.2019 - 6 U 609/19, ebenfalls vom BGH aufgehoben, BGH, Urt. v. 20.10.2020 - VI ZR 374/19 - RuS 2020, 721; vgl. schließlich entgegen BGH: LG Heidelberg, Urt. v. 15.07.2016 - 5 O 75/16 - RuS 2016, 481).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Das aktuelle Urteil des BGH belegt, wie schwer auf Grundlage der Rechtsprechung des BGH die Abgrenzung im Rahmen des § 7 StVG sein kann:
Ist die Batterie wie im Falle des besprochenen Urteils aus dem Fahrzeug ausgebaut worden, um sie lediglich aufzuladen, fehlt es am Betriebsbegriff, wäre die Aufladung der im Fahrzeug noch befindlichen Batterie erfolgt, hätte der BGH wohl eine Haftung bejaht (ausführlich hierzu Günther, Der Regress des Sachversicherers, 7. Aufl., Karlsruhe 2023, S. 337 f.). Aufgrund der sprunghaften Zunahme der Elektromobilität werden die Fälle von Brandschäden, die von Akkus u.a. ausgehen, massiv zunehmen.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
I. Der im Urteil verwandte Begriff des „Elektrorollers“ darf nicht falsch verstanden werden. Es ging nicht um einen „Tret-Elektroroller“, also einen eScooter, sondern (wenn man die vom BGH mitgeteilte Marke und Typ recherchiert), um einen dreirädrigen Roller, der wohl eher von älteren Menschen benutzt wird, und für eine Geschwindigkeit bis 45 km/h zugelassen ist. Bei einem eScooter findet demgegenüber de lega lata § 7 StVG keine Anwendung. Denn eScooter sind Elektrokleinstfahrzeuge gemäß § 1 Abs. 1 eKFV mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 20 km/h (die noch weitere Merkmale aufweisen wie z.B. Gewicht von max. 55 kg). Sie sind auch Kraftfahrzeuge i.S.d. § 1 Abs. 2 StVG, so dass das Straßenverkehrsgesetz, das Pflichtversicherungsgesetz und auch das VVG gelten. Gleichwohl gilt die Halterhaftung des § 7 Abs. 1 StVG ausdrücklich nicht für eScooter, so § 8 Nr. 1 StVG („Die Vorschriften des § 7 gelten nicht, 1. wenn der Unfall durch ein Kraftfahrzeug verursacht wurde, das auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20 Kilometer in der Stunde fahren kann, es sei denn, es handelt sich um ein Kraftfahrzeug mit autonomer Fahrfunktion i.S.d. § 1d Absatz 1 und 2, das sich im autonomen Betrieb befindet.“). Daher greift dort die Haftung nur bei Fahrlässigkeit ein (§ 18 Abs. 1 Satz 2 StVG). Für diese gab es hier keine Anhaltspunkte. Allerdings wird zunehmend eine Erweiterung des § 7 StVG auch für eScooter u.a. gefordert (überzeugend hierzu Looschelders, VersR 2022, 1469).
II. Hätte der BGH einen Anspruch im vorliegenden Falle hingegen bejaht, wäre die Frage eines Mitverschuldens nach § 254 BGB zu stellen gewesen. Denn gerade bei Ladungsvorgängen von Akkus sind hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen (vgl. z.B. zum Fall des Erwerbs eines gebrauchten Spielzeughelikopters, wo eine Fahrlässigkeit bejaht wurde, wenn der verbaute Lithium-Ionen-Akku trotz möglicher und dem Käufer ggf. unbekannter Vorschäden in einer brennbaren Umgebung aufgeladen wird und es zu einem Brand kommt, OLG Bamberg, Beschl. v. 12.06.2019 - 1 U 34/19 - RuS 2019, 641). Hier ist sicher auffällig, dass der Werkstattmitarbeiter nach der Feststellung der so starken Erhitzung der Batterie lediglich die Stromzufuhr unterbrach, aber die Batterie nicht außerhalb des Gebäudes verbrachte (wobei hier unbekannt ist, ob dies vorliegend ohne Eigen- oder Fremdgefährdung möglich gewesen wäre).
III. Bei explodierenden Akkus können auch Produkthaftungsansprüche gegen den Akkuhersteller in Betracht kommen (vgl. hierzu Gernert/Schucht, InTer 2020, 118).



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