Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der BGH hat im konkreten Fall die Prämienanpassung als unwirksam angesehen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen einer Beitragsanpassung nicht erfüllt wurden und die Beitragsanpassungsklausel in den Versicherungsbedingungen nicht wirksam ist. Dabei hat er klargestellt, dass auch in einem Beitragsentlastungstarif die Voraussetzungen des § 203 VVG erfüllt werden müssen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.05.2023 - 1 U 218/22 Rn. 23; OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.01.2023 - 12 U 304/21 Rn. 96 - VersR 2023, 237; OLG Nürnberg, Beschl. v. 21.11.2022 - 8 U 1621/22 Rn. 32; OLG Köln, Urt. v. 11.11.2022 - 20 U 296/21 Rn. 113; Gramse in: BeckOK-VVG, Stand: 01.11.2023, § 203 Rn. 19a; Boetius, RuS 2022, 248, 254; Voit, RuS 2022, 215, 216; a.A. OLG Schleswig, Urt. v. 08.05.2023 - 16 U 179/22 Rn. 133 - VersR 2023, 973). Die im konkreten Fall in den Versicherungsbedingungen enthaltene Sonderregelung ist nach Ansicht des BGH unwirksam, da sie zum Nachteil des Versicherungsnehmers von den gemäß § 208 Satz 1 VVG halbzwingenden Regelungen in § 203 Abs. 2 Sätze 1 und 3 VVG abweicht.
Dabei stellt der BGH zunächst fest, dass der vereinbarte Beitragsentlastungstarif als Krankenversicherung einzuordnen ist, bei der das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers ausgeschlossen ist. Deshalb gilt auch für ihn § 203 Abs. 2 VVG.
Zwar handelt es sich bei dem Beitragsentlastungstarif nicht um einen eigenständigen Tarif in der Krankenversicherung, sondern nur um Regelungen zu den Beitragszahlungen in der Hauptversicherung. Er ist jedoch im Rahmen des Versicherungsvertrages der Parteien ein eigener Tarif im Sinne eines nach Grund und Höhe einheitlichen Leistungsversprechens gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV). Die vom Versicherer übernommene Leistung ist dabei, ab einem festgelegten Lebensalter der versicherten Person die Höhe der Prämie der Hauptversicherung in der Weise zu reduzieren, dass der Beitrag um die Leistung aus dem Beitragsentlastungstarif – dem Entlastungsbetrag – gemindert wird (vgl. Gramse in: BeckOK-VVG, § 203 Rn. 19a.1). Anders als bei anderen Tarifen, die selbst schon eine Beitragsentlastung in ihren Bedingungen vorsehen, kann der Beitragsentlastungstarif in der dem BGH zur Beurteilung vorliegenden Ausgestaltung als Zusatztarif auch zu bestehenden Tarifen abgeschlossen werden, um eine Beitragsminderung im Alter zu vereinbaren (vgl. Gutachten der Unabhängigen Expertenkommission zur Untersuchung der Problematik steigender Beiträge der privat Krankenversicherten im Alter,
BT-Drs. 13/4945, S. 18). Es handelt sich somit um einen eigenständigen Tarif, der zwar neben einer Krankheitskostenversicherung, aber nicht zugleich mit dieser abgeschlossen werden muss, sondern auch nachträglich abgeschlossen und jederzeit unabhängig von der Hauptversicherung isoliert gekündigt werden kann. Zudem ist für diesen Tarif eine gesonderte Prämie zu zahlen, die unabhängig von den anderen Tarifen kalkuliert wird, weshalb Beitragsanpassungen auch nicht zwingend zeitgleich mit Anpassungen in den Haupttarifen erfolgen.
Somit ist der Beitragsentlastungstarif selbst eine Krankenversicherung i.S.d. §§ 192 ff. VVG, auch wenn er nicht gemäß § 192 Abs. 1 VVG die Erstattung von Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlungen als Leistung vorsieht. Der BGH verweist darauf, dass nach § 192 Abs. 1 VVG auch „sonstige vereinbarte Leistungen“ als Bestandteil einer Krankenversicherung vereinbart werden können und Absatz 3 die Möglichkeit der Vereinbarung zusätzlicher Dienstleistungen vorsieht, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Leistungen nach Absatz 1 stehen. Dies zeige, dass der Begriff der Krankenversicherung weit zu verstehen ist und nicht nur die Erstattung von Behandlungskosten als Versicherungsleistung umfasst (vgl. Franz/Frey in: BeckOK-VAG, Stand: 01.12.2023, § 146 Rn. 40). Da der Beitragsentlastungtarif den Aufbau eines Entlastungsbetrages aus den gezahlten Prämien zur späteren Beitragsminderung in anderen Tarifen vorsieht, handelt es sich um eine solche darüberhinausgehende Leistung, die in einem Zusammenhang mit den Kernleistungen der Krankenversicherung in Absatz 1 und Absatz 6 steht.
In dem vereinbarten Beitragsentlastungstarif ist auch das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers ausgeschlossen, auch wenn sich dies nicht – wie das Berufungsgericht angenommen hatte – aus § 206 Abs. 1 VVG ergibt. Diese Vorschrift gilt nur für die substitutive Krankenversicherung, die vorliegt, wenn sie ganz oder teilweise den im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehenen Kranken- oder Pflegeversicherungsschutz ersetzen kann (§ 195 Abs. 1 Satz 1 VVG). Der konkret zu beurteilende Beitragsentlastungstarif ist jedoch ein eigenständiger Tarif, dessen Qualifikation als substitutive Krankenversicherung nicht daraus hergeleitet werden kann, dass neben ihm auch Krankheitskostentarife mit substitutiven Charakter abgeschlossen sind. Bei der vom Beitragsentlastungstarif selbst vorgesehenen Leistung handelt es sich nicht um ein Äquivalent im Kranken- oder Pflegeversicherungsschutz, den das gesetzliche Sozialversicherungssystem vorsieht. Die ordentliche Kündigung durch den Versicherer ist für diesen Beitragsentlastungstarif aber vertraglich ausgeschlossen, wozu der Krankenversicherer aufsichtsrechtlich (§ 147 VAG, § 146 Abs. 1 Nr. 3 VAG) verpflichtet ist, da der Tarif nach Art der Lebensversicherung, d.h. aufgrund biometrischer Rechnungsgrundlagen (vgl.
BT-Drs. 16/3945, S. 113), kalkuliert wird. So wird ausweislich der in den Versicherungsbedingungen enthaltenen Prämienanpassungsklausel der Beitragskalkulation eine Sterbetafel zugrunde gelegt.
Der BGH hat den Ausschluss der Kündigung durch den Versicherer den Versicherungsbedingungen im Wege der Auslegung entnommen. Der durchschnittliche, um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer wird bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs erkennen, dass für diesen Tarif allein Abschnitt J BB-BEA ein ordentliches Kündigungsrecht einräumt. Zwar wird dort zunächst in Satz 1 das Kündigungsrecht ohne Nennung des Kündigenden geregelt, Satz 2 verdeutlicht jedoch, dass die Klausel ausschließlich den Versicherungsnehmer anspricht. Dass kein ordentliches Kündigungsrecht für den Versicherer besteht, wird dem Versicherungsnehmer zudem dadurch bestätigt, dass die Bedingungen auch weitere mögliche Beendigungstatbestände für die Versicherung regeln, ohne dass eine Kündigung durch den Versicherer vorgesehen ist.
Ist somit grundsätzlich der Anwendungsbereich von § 203 Abs. 2 VVG eröffnet, sieht der BGH keine anderen Gründe, warum dessen Anwendung ausgeschlossen sein könnte. Zwar liegen der Kalkulation des Beitragsentlastungstarifes nicht Versicherungsleistungen i.S.d. § 203 Abs. 2 VVG zugrunde, die in dieser Vorschrift als maßgebliche Rechnungsgrundlage neben den Sterbewahrscheinlichkeiten angesprochen werden. Gemäß § 15 Abs. 2 und 3 KVAV sind für den auslösenden Faktor Versicherungsleistungen die Grundkopfschäden maßgebend (vgl. BGH, Urt. v. 16.06.2004 - IV ZR 117/02 Rn. 20 - BGHZ 159, 323, 331, zur Vorgängerregelung in § 14 KalV), dies sind nach § 6 Abs. 1 KVAV die über einen Zeitraum von zwölf Monaten auf einen Versicherten entfallenden durchschnittlichen Versicherungsleistungen. Die in einem Geldbetrag zur Verrechnung auf die Beitragsschuld bestehende Leistung des Versicherers im Beitragsentlastungstarif gehört hierzu nicht (vgl. Boetius, RuS 2022, 248, 254). Dennoch ist nach Ansicht des BGH § 203 Abs. 2 VVG anzuwenden, da bereits die den Schwellenwert überschreitende Veränderung bei nur einer der genannten Rechnungsgrundlagen ausreicht, um eine Prämienüberprüfung auszulösen. So wirkt sich die Sterbewahrscheinlichkeit auf die Leistung im Beitragsentlastungstarif und damit auf die Kalkulation aus, weil die Lebensdauer die Leistungsdauer in diesem Tarif bestimmt (vgl. Boetius, RuS 2022, 248, 254). Nach Ansicht des BGH ergibt sich aus dem Gesetz nicht, dass eine Krankenversicherung beide dort genannten Rechnungsgrundlagen für ihre Kalkulation verwenden müsste.
Da die Beitragsanpassung nach der Beurteilung des BGH im konkreten Fall die Anforderungen des § 203 Abs. 2 VVG nicht erfüllte, kam es auf die Frage an, ob sie sich rechtswirksam auf die in den Versicherungsbedingungen enthaltene Prämienanpassungsklausel stützen kann. Dies hat der BGH verneint, da die Klausel zum Nachteil des Versicherungsnehmers von den in § 203 Abs. 2 VVG i.V.m. § 155 Abs. 4 VAG geregelten Voraussetzungen einer Prämienanpassung abweicht, somit gemäß § 208 Satz 1 VVG unwirksam ist. Dies ergab sich daraus, dass die Klausel als Voraussetzung einer Prämienanpassung die Einführung einer neuen Sterbetafel in der privaten Pflegepflichtversicherung vorsieht, was keinen Bezug zu der in § 203 Abs. 2 Sätze 1 und 3 VVG vorausgesetzten Veränderung der Sterbewahrscheinlichkeit als für die Prämienkalkulation im Beitragsentlastungstarif maßgebliche Rechnungsgrundlage hat. Es wird in der Klausel auch keine Abweichung von mehr als 5% zwischen den tatsächlichen und den kalkulierten Sterbewahrscheinlichkeiten für diesen Tarif gefordert. Selbst wenn man den weiteren Wortlaut, dass die Sterbetafel „auf Grundlage des § 8b Teil 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen in der Pflegepflichtversicherung“ eingeführt werde, so verstehen könnte, dass die Prämienanpassungsvoraussetzungen des § 8b MB/PPV erforderlich sein sollen, wäre dies mit § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht zu vereinbaren. Dieser fordert nämlich eine Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage und verweist ausschließlich auf die Sterbewahrscheinlichkeit, die der Kalkulation in dem anzupassenden Tarif selbst zugrunde liegt. Die Anpassung eines Tarifs ist an den Anpassungsbedarf dieses konkreten Tarifes gekoppelt (vgl. BGH, Urt. v. 16.06.2004 - IV ZR 117/02 Rn. 18 - BGHZ 159, 323, 330, zu § 12b VAG a.F.). Verworfen hat der BGH dabei auch die Argumentation, auch eine Veränderung der Sterbewahrscheinlichkeit in einer anderen Versicherung (der Pflegepflichtversicherung des Versicherungsnehmers) erfülle die Voraussetzungen von § 203 Abs. 2 VVG. Insoweit genügt nicht, dass die Prämienanpassung von irgendeinem auslösenden Faktor abhängig gemacht wird.
Im Ergebnis stellt somit die in der Klausel vorgesehene Ermächtigung zu einer Beitragserhöhung, die nicht durch Entwicklungen in den diesem Tarif zugrunde liegenden Rechnungsgrundlagen sachlich gerechtfertigt ist, einen Nachteil für den Versicherungsnehmer dar, was nach § 208 Satz 1 VVG unzulässig ist. Regelungen, die von halbzwingenden Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweichen, sind nach § 307 BGB unwirksam (vgl. BGH, Urt. v. 22.06.2022 - IV ZR 253/20). An die Stelle der unwirksamen Regelung tritt gemäß § 306 Abs. 2 BGB die gesetzliche Vorschrift des § 203 Abs. 2 Sätze 1 und 3 VVG i.V.m. § 155 Abs. 3 und 4 VAG, deren Voraussetzungen nach den Feststellungen des BGH nicht vorlagen, vom beklagten Versicherer auch nicht behauptet wurden. Insoweit legt § 203 Abs. 2 VVG verbindlich die Voraussetzungen fest, unter denen der Versicherer die Prämie neu festsetzen kann (vgl.
BT-Drs. 16/3945, S. 113).