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Anmerkung zu:BGH 4. Zivilsenat, Urteil vom 18.01.2023 - IV ZR 465/21
Autor:Dr. Florian Dallwig, RA und Notar, FA für Versicherungsrecht
Erscheinungsdatum:23.02.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 6 VVG, § 280 BGB, § 241 BGB, § 311 BGB, § 307 BGB, § 15 IfSG, § 305c BGB, § 313 BGB, § 242 BGB, § 6 IfSG, § 7 IfSG
Fundstelle:jurisPR-VersR 2/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Schimikowski, RA
Zitiervorschlag:Dallwig, jurisPR-VersR 2/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Versicherungsschutz in Betriebsschließungsversicherung für coronabedingte Betriebsschließungen ohne „Katalog“ in AVB



Leitsätze

1. Die Regelung in der Klausel Ziff. 3.4 BBSG 19 („Bedingungen für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe“), wonach meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger sind, ist unklar i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB. Sie kann den durchschnittlichen Versicherungsnehmer jedenfalls auch zu dem Verständnis führen, dass der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls maßgeblich ist.
2. Nach den Regelungen in Ziff. 3.1, 3.4 BBSG 19 setzt der Eintritt des Versicherungsfalls die namentliche Nennung der Krankheit oder des Krankheitserregers in den §§ 6 und 7 IfSG im Zeitpunkt der Betriebsschließung voraus. Eine Erweiterung der Meldepflicht für in diesen Regelungen nicht namentlich genannte Krankheiten und Krankheitserreger durch eine auf der Grundlage von § 15 Abs. 1 IfSG erlassene Rechtsverordnung genügt nicht.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung des IV. Zivilsenats stellt das zweite höchstrichterliche Urteil zu Betriebsschließungsversicherungen dar. Erstmals hat der Senat mit BGH, Urt. v. 26.01.2022 - IV ZR 144/21 zum Deckungsumfang solcher Versicherungen Stellung bezogen, insbesondere geklärt, dass in dem jener Entscheidung zugrunde liegenden Bedingungswerk, den ZBSV 08, die dort katalogartig aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger abschließend seien und keinen Raum für eine dynamische Verweisung auf die zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls jeweils im Infektionsschutzgesetz (IfSG) genannten Krankheiten und Krankheitserreger ließen.
In der Folgezeit hat der Senat zu inhaltlich im Wesentlichen vergleichbaren Bedingungen durch Hinweisbeschlüsse vom 18.05.2022 und vom 22.06.2022 weiter gehenden höchstrichterlichen Klärungsbedarf verneint. Dabei hat der Senat auch ausgesprochen, dass einen Versicherer vor Ausbruch der Pandemie mangels erkennbaren Beratungsanlasses keine Beratungspflicht i.S.v. § 6 Abs. 1 und Abs. 4 VVG im Hinblick auf mögliche Deckungslücken getroffen habe (BGH, Beschl. v. 22.06.2022 - IV ZR 488/21) und jedenfalls in einem konkret beurteilten Einzelfall weder die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Quasi-Deckung (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB) noch aus einer möglicherweise auch nach der VVG-Reform noch fortbestehenden gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung vorlagen (BGH, Beschl. v. 21.09.2022 - IV ZR 63/22). Klargestellt hat der Senat zudem, dass eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage eines versicherten Betriebs durch die Schließung von Betrieben Dritter mangels unmittelbar auf den versicherten Betrieb bezogenen Handelns der zuständigen Behörde keinesfalls vom Versicherungsschutz umfasst ist (BGH, Beschl. v. 21.09.2022 - IV ZR 305/21).
Das Urteil vom 18.01.2023 setzt sich mit einem grundlegend anderen Bedingungswerk, den BBSG 19, auseinander. Dort hatte der Versicherer zugesagt, Entschädigung zu leisten,
„[…] wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (…) den versicherten Betrieb (…) zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise schließt […].
3.4 Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG.“
Das zu beurteilende Bedingungswerk warf insbesondere die Frage auf, ob die Verweisung in Ziffer 3.4. auf die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger sich auf den Rechtszustand bei Vertragsschluss (statischer Verweis) oder bei Eintritt des Versicherungsfalls (dynamischer Verweis) bezog sowie, ob ein etwaiger dynamischer Verweis auch weitere, in einer auf § 15 IfSG gestützten Rechtsverordnung namentlich genannte Krankheiten und Krankheitserreger erfasst.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der BGH bejaht Deckungsschutz für auf behördlichen Anordnungen beruhende Betriebsschließungen wegen Krankheiten oder Krankheitserregern, die im Zeitpunkt der behördlichen Maßnahme mit Namen unmittelbar in den §§ 6, 7 IfSG genannt sind und geht damit von einem dynamischen Verweis aus. Vom Deckungsschutz umfasst sind damit coronabedingte Betriebsschließungen, die nach Aufnahme des Virus mit Wirkung ab dem 23.05.2020 unmittelbar in den §§ 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. t und 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 44a IfSG angeordnet wurden.
Aufgrund dessen hatte der BGH auch Veranlassung klarzustellen, dass der Erlass einer Rechtsverordnung ebenso wie einer Allgemeinverfügung als vom Wortlaut erfasstes, versichertes Handeln einer Behörde anzusehen ist, ohne dass es eines konkret-individuellen Verwaltungsakts bedarf. Insofern sei auch unerheblich, ob die jeweilige behördliche Maßnahme rechtmäßig ist.
Von einem dynamischen Verweis auf die zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls maßgebliche Fassung der §§ 6, 7 IfSG sei in Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB auszugehen. Denn nach Ansicht des Senats verbleiben auch nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden nicht behebbare Zweifel, ob der Versicherer sich auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder bei Eintritt des Versicherungsfalls habe beziehen wollen. Daher sei die für den VN günstigere Auslegung zugrunde zu legen. Der Verweis beziehe sich indes nur auf Krankheiten oder Krankheitserreger, die unmittelbar im IfSG als Gesetz im formellen Sinne genannt seien. Nicht erfasst würden daher Krankheiten oder Krankheitserreger, die nur über die Öffnungsklauseln in den §§ 6 Abs. 1 Nr. 5 und 7 Abs. 2 IfSG ein behördliches Handeln ermöglichen oder durch Verordnung i.S.v. § 15 Abs. 1 IfSG zum Kreis meldepflichtiger Krankheiten erhoben werden. Diese Gestaltung sei auch nicht intransparent.
Der sich so ergebende Vertragsinhalt sei nicht unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB einer Korrektur zu unterziehen. Denn das auf Übernahme einer bestimmten Gefahr gerichtete Leistungsversprechen des Versicherers betreffe den eigentlichen Vertragsinhalt und komme daher als außerhalb dieses Inhalts liegende bloße Grundlage für den Vertrag von vornherein nicht in Betracht.
Deckungsschutz könne schließlich nicht daraus hergeleitet werden, dass der Versicherer auf einer internen Internetseite erklärt habe, die verordnungsbedingte Ausweitung meldepflichtiger Krankheiten auf das Coronavirus führe zur Einbeziehung coronabedingter Schließungen in den Versicherungsschutz.


C.
Kontext der Entscheidung
1. Der BGH folgt mit überzeugender Begründung der in Rspr. und Literatur ganz herrschenden Auffassung, dass die Form des behördlichen Handelns für den Deckungsschutz unerheblich ist. Denn bereits der Bedingungswortlaut bietet weder einen Anhaltspunkt für eine Verengung auf individuell-konkrete Regelungen in Form eines Verwaltungsakts noch gar für die Notwendigkeit einer Maßnahme des Gesundheitsamts. Nach dem erkennbaren Sinn und Zweck ist entscheidend, dass der Versicherungsnehmer sich nicht aus freien Stücken zur Schließung seines Betriebs entscheidet, sondern eine hoheitliche Maßnahme ihn zur Schließung zwingt. Die gegenteilige Ansicht des OLG Schleswig, Urt. v. 10.05.2021 - 16 U 25/21 Rn. 23, die im Anschluss an Günther/Piontek (RuS 2020, 242, 244 f.) maßgeblich an die vom Senat bereits mit Urteil vom 26.01.2022 abgelehnte Auffassung anknüpfte, das Bedingungswerk erfasse ohnehin nur sog. intrinsische Gefahren, findet im Bedingungswortlaut keine Stütze.
2. Nach dem Bedingungswortlaut besteht Deckungsschutz auch unabhängig von der Rechtmäßigkeit der zur Schließung führenden behördlichen Maßnahme. Die konkret beurteilten Bedingungen setzen nämlich eine Deckungspflicht dem Grunde nach auch bei rechtswidrigen Maßnahmen gerade dadurch voraus, dass der nur in diesem Fall in Betracht kommende öffentlich-rechtliche Schadensersatz auf die Versicherungsleistungen anzurechnen ist. Nach Ansicht des BGH wäre es für den Versicherungsnehmer auch nicht zumutbar, in einem ggf. langwierigen Verwaltungsrechtsstreit die Rechtmäßigkeit klären zu lassen. Hinzu kommt, dass nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen die Feststellung der Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme nicht Ziel einer Klage sein kann. Der Versicherungsnehmer kann aber nicht gehalten sein, sich auch gegen voraussichtlich als rechtmäßig erweisende behördliche Maßnahmen auf seine Kosten mit geringen Erfolgsaussichten gerichtlich zur Wehr zu setzen, nur um inzident eine Feststellung der Rechtmäßigkeit zu erreichen. Überdies ist im Bedingungswerk auch nichts dafür ersichtlich, dass der Versicherer die Klärung der Rechtmäßigkeit in einem Deckungsprozess und damit systemfremd durch die Zivilgerichtsbarkeit hätte vorsehen wollen.
3. Zentrale Rechtsfrage des beurteilten Bedingungswerks war indes, ob die Verweisung in Ziffer 3.4. auf die im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger sich auf den Rechtszustand bei Vertragsschluss oder bei Eintritt des Versicherungsfalls bezog. Die obergerichtliche Rechtsprechung hatte überwiegend, teils ohne Rückgriff auf die Unklarheitenregel i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB (KG, Urt. v. 05.07.2022 - 6 U 84/21 Rn. 57; OLG Stuttgart, Urt. v. 09.12.2021 - 7 U 164/21 Rn. 31; OLG Bamberg, Urt. v. 28.10.2021 - 1 U 65/21 Rn. 39), teils unter Rückgriff darauf (OLG Celle Urt. v. 18.11.2021 - 8 U 123/21 Rn. 46) einen dynamischen Verweis bejaht, war vereinzelt aber auch von einem statischen Verweis ausgegangen (vgl. OLG Koblenz Urt. v. 09.02.2022 - 10 U 905/21; offengelassen von OLG Rostock, Urt. v. 14.12.2021 - 4 U 37/21 Rn. 49). Der BGH nimmt an, dass die Auslegung insoweit zu keinem eindeutigen Ergebnis führe. Während für einen dynamischen Verweis maßgeblich der dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbare Sinn und Zweck der Versicherung spreche, Ertragsausfälle infolge behördlicher Maßnahmen zu versichern, die freilich auf die zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls maßgeblichen Rechtsvorschriften gestützt werden, spreche dagegen, dass der Versicherer nur die durch namentlich, also mit Namen in den §§ 6, 7 IfSG genannten (vgl. bereits BGH, Urt. v. 26.01.2022 - IV ZR 144/21 Rn. 20) Krankheiten oder Krankheitserreger verursachte Betriebsschließungen habe versichern wollen. Da beide Auslegungsergebnisse vertretbar seien, sei in Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB von einer dynamischen Verweisung als für den Versicherungsnehmer günstigerer Rechtsfolge auszugehen.
Nach dem eindeutigen Wortlaut der Klausel und nach dem für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren Sinnzusammenhang folge aber ohne weiteres aus dem Bedingungswerk, dass nur für die zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls mit Namen in den §§ 6, 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger Deckungsschutz bestehe. Insoweit scheide auch eine Intransparenz i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB aus.
Zutreffend betont der BGH, dass die Formulierung „namentlich“ auch in diesem Bedingungswerk nicht adverbial i.S.v. „insbesondere“ zu verstehen sei, sondern adjektivisch i.S.v. „mit Namen genannt“, da schon nach der Stellung des Wortes im Satz ein anderes Verständnis nicht ernsthaft in Betracht kommt. Es genüge daher nicht, dass das Coronavirus erst über eine Rechtsverordnung i.S.v. § 15 IfSG zu einer meldepflichtigen Krankheit erhoben worden sei (a.A. KG, Urt. v. 05.07.2022 - 6 U 84/21 Rn. 61; Armbrüster in: Prölss/Martin, AVB BS 2002, Rn. 8) oder dass das Coronavirus von einer der Generalklauseln in den §§ 6 Abs. 1 Nr. 5, 7 Abs. 2 IfSG erfasst sein könne (insoweit abl. auch KG, Urt. v. 05.07.2022 - 6 U 84/21 Rn. 60; Armbrüster, ZIP 2022, 397, 403). Nach dem Bedingungswortlaut habe der Versicherer nur für die mit Namen gerade im formellen Gesetz genannten Krankheiten und Krankheitserreger Deckungsschutz bieten wollen.
Wie schon in seinem ersten Urteil zur Betriebsschließungsversicherung (BGH, Urt. v. 26.01.2022 - IV ZR 144/21 Rn. 21 a.E.), argumentiert der BGH auch hier neben dem Wortlaut mit den sich aus der Prämienkalkulation ergebenden, dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer aus Sicht des Senats erkennbaren Grenzen der Bereitschaft des Versicherers zur Risikotragung. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne erkennen, dass es eine „eigenverantwortliche Entscheidung“ und das „Anliegen“ des Versicherers gewesen sei, im Interesse einer risikoadäquaten Kalkulation Deckung nur für diejenigen Krankheiten und Erreger zu bieten, die mit Namen gerade in dem formellen Gesetz genannt sind. Die Prämienkalkulation des Versicherers ist aber ein interner, dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer unbekannter Umstand, der auch sonst für die Auslegung von AVB keine Rolle spielt (vgl. Armbrüster, ZIP 2022, 397, 401). Das Abstellen auf die Prämienkalkulation führt hier sogar zu einer in sich widersprüchlichen Argumentation: Denn der vom BGH zuvor – wenn auch nur in Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB – bejahte dynamische Verweis auf die §§ 6, 7 IfSG schließt eine für den Versicherer eindeutige Kalkulationsgrundlage im Hinblick auf das übernommene Risiko gerade aus. Im Gegenteil ist notwendige Folge einer dynamischen Verweisung, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unklar bleibt, welche Krankheiten oder Krankheitserreger künftig einen Versicherungsfall auslösen können. Es macht im Hinblick auf das übernommene Risiko für den Versicherer im Grundsatz aber keinen Unterschied, ob die Ungewissheit sich nun daraus ergibt, dass der Verordnungs- oder der Parlamentsgesetzgeber den Kreis maßgeblicher Krankheiten oder Krankheitserreger nachträglich erweitert. Dies war auch dem BGH bewusst, der deshalb schlussfolgert, der Versicherer habe lediglich „kurzfristige“ Erweiterungen des Katalogs von Krankheiten oder Krankheitserregern nicht unter Deckung nehmen wollen. Dann aber läge der in den AVB zum Ausdruck gebrachte Wille des Versicherers darin, zwar grundsätzlich unbekannte Risiken unter Deckung zu nehmen, gerade aber den längeren Zeitraum eines formellen Gesetzgebungsverfahrens zur Neubewertung der übernommenen Risken zu nutzen und bestehende Verträge zur Vermeidung einer Ausweitung des Risikos ggf. zu kündigen. Für ein solches Interesse bieten die Bedingungen aber keinen konkreten Anhaltspunkt. Im Gegenteil sind gerade in dem hier nur betroffenen, gewerblichen Bereich längere Vertragslaufzeiten üblich, die einer kurzfristigen Kündigung durch den Versicherer jedenfalls entgegenstehen.
Das Ergebnis, dass der Versicherer Deckung nur für die im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls mit Namen in den §§ 6, 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger verspreche, überzeugt aber unabhängig davon schon aufgrund des klaren Wortlauts (a.A.: Armbrüster, ZIP 2022, 397, 403). Zwar stellt die Erweiterung des Katalogs meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger durch Rechtsverordnung i.S.v. § 15 IfSG im Verhältnis zum formellen Gesetz nur eine andere Regelungstechnik dar (KG, Urt. v. 05.07.2022 - 6 U 84/21 Rn. 61; Armbrüster in: Prölss/Martin, AVB BS 2002 Rn. 8; Armbrüster, ZIP 2022, 397, 403; Fortmann, ZfV 2020, 300, 302); allerdings ist es – worauf es für den Deckungsumfang allein ankommt – richtigerweise schon sprachlich ausgeschlossen, dort genannte Krankheiten und Krankheitserreger als mit Namen in den §§ 6, 7 IfSG genannt anzusehen.
Weil aber – wie dargelegt – in der Bezugnahme auf die in den §§ 6, 7 IfSG mit Namen genannten Krankheiten und Krankheitserreger zumindest ein im Klauselwortlaut angelegtes, bedeutendes Argument gegen einen dynamischen Verweis liegt, überzeugt es, hier erst über die Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB) einen dynamischen Verweis anzunehmen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der IV. Zivilsenat mit der Bejahung einer Unklarheit i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB tendenziell zurückhaltend ist und diese in der Vergangenheit nur ganz vereinzelt als einschlägig angesehen hat (vgl. BGH, Urt. v. 14.06.2017 - IV ZR 161/16 betr. Reiserücktrittskostenvers.; BGH, Urt. v. 24.05.2006 - IV ZR 203/03 und v. 09.07.2003 - IV ZR 74/02 betr. Gliedertaxe in der Unfallvers.; BGH, Urt. v. 05.07.1995 - IV ZR 133/94 betr. Industriehaftpflichtvers.).
4. Mit überzeugender Begründung nimmt der BGH an, dass eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) nicht in Betracht komme, da das Risiko von Betriebsschließungen aufgrund des IfSG gerade den Vertragsinhalt und damit nicht lediglich dessen Grundlage betreffe. Ohnehin entspricht es ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass derjenige, der vertraglich ein bestimmtes Risiko übernimmt, sich im Hinblick auf Umstände, die die Verwirklichung eben dieses Risikos betreffen, nicht auf eine Störung der Geschäftsgrundlage berufen kann (vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2022 - XII ZR 75/21 Rn. 35; BGH, Urt. v. 23.10.2019 - XII ZR 125/18 Rn. 37). Die Definition eines bestimmten Risikos, dessen planvolle vertragliche Übernahme sowie die Kalkulation einer dafür adäquaten Prämie sind originäre Aufgaben des Versicherers und fallen daher nach der vertraglichen Risikozuweisung eines Versicherungsvertrags allein in dessen Risikobereich. Es obliegt dabei dem Versicherer, sich durch die Vertragsgestaltung, namentlich durch geeignete Ausschlussklauseln wie den Risikoausschluss für Krieg, Erdbeben oder auch Pandemien vor Kumulrisiken zu schützen.
5. Der BGH misst dem Umstand keine entscheidende Bedeutung zu, dass der Versicherer auf einer internen Internetseite selbst erklärt hat, die Ausdehnung meldepflichtiger Krankheiten im Verordnungswege habe zu einem entsprechenden Versicherungsschutz geführt. Zwar könne nach st. Rspr. auch bei der gebotenen objektiven Auslegung von AVB ein im Einzelfall abweichendes, individuelles und gemeinsames Verständnis der Vertragsparteien maßgeblich sein; dafür komme es jedoch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Erst im Nachhinein erkennbar gewordene Umstände oder Vorstellungen seien hingegen nicht relevant. Der BGH hätte insoweit durchaus noch der Frage nachgehen können, ob die allein herangezogenen Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre unter dem Gesichtspunkt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) einer Korrektur bedurften. Denn wenn der Versicherer zunächst selbst seinem Bedingungswerk eine bestimmte, dem Versicherungsnehmer günstige Bedeutung beimisst, diese im Nachhinein jedoch wieder in Abrede stellt, handelt er erkennbar widersprüchlich. So hat der BGH für eine Fallgestaltung außerhalb des Versicherungsrechts entschieden, dass sich ein Verwender von AGB, der eine Klausel selbst zunächst in einem bestimmten Sinne auslegt und sich später darauf beruft, diese sei richtigerweise anders auszulegen, treuwidrig in Widerspruch zum eigenen Verhalten setzt (vgl. BGH, Urt. v. 16.09.1993 - VII ZR 206/92; zu den Einzelheiten vgl. ausführlich Schreier, RuS 2022, 130 f.). Ein zugunsten des Versicherungsnehmers streitendes widersprüchliches Verhalten des Versicherungsnehmers scheitert hier allerdings jedenfalls daran, dass es sich im konkret beurteilten Sachverhalt nur um interne Äußerungen handelte, die deshalb von vornherein nicht geeignet waren, Vertrauen zu erwecken.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Mit dem Urteil hat der BGH den Deckungsumfang eines weiteren Bedingungswerks der Betriebsschließungsversicherung geklärt, zugunsten von Versicherungsnehmern Deckungsschutz für Schließungen nach Aufnahme von Covid in den §§ 6, 7 IfSG bejaht und damit weitere Klarheit für die Regulierung coronabedingter Schließungsschäden geschaffen. Eine abschließende Klärung sämtlicher in der Praxis verwendeter Bedingungswerke ist damit aber noch nicht verbunden. Mit dem Urteil steht zugleich die teilweise Versicherbarkeit solcher Schäden auch außerhalb von Bedingungswerken mit eindeutig dynamischem Verweis fest. Wie sich dies auf eine mögliche Haftung von Versicherungsmaklern auswirkt, bleibt abzuwarten.



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