A. Einleitung
Am 01.01.2024 ist das Zweite Änderungsgesetz zur Änderung der Landesbauordnung 2018 Nordrhein-Westfalen in Kraft getreten. Erklärtes Ziel der Gesetzesnovelle war unter anderem die weitere Beschleunigung des Ausbaus von Erneuerbaren Energien. Die nachfolgenden Ausführungen geben einen kurzen Überblick über die entsprechenden Gesetzesänderungen im Hinblick auf den Ausbau von Windenergie an Land sowie solarer Strahlungsenergie und ordnen ein, ob perspektivisch mit dem Erreichen des gesetzten Ziels – des beschleunigten Ausbaus von Erneuerbaren Energien – gerechnet werden kann.
B. Ausbau der Windenergie
Windenergieanlagen (nachfolgend „WEA“) werden durch die Änderungen in Bezug auf einzuhaltende Abstandsflächen privilegiert. Zudem wurde das Baugenehmigungsverfahren in Bezug auf die Errichtung von WEA vereinfacht, indem anstelle eines Vollverfahrens lediglich ein vereinfachtes Verfahren durchgeführt werden muss.
I. Teilweise Streichung von WEA aus dem Anwendungsbereich der BauO NRW
Im neu eingefügten § 1 Abs. 1 Satz 3 BauO wird der Anwendungsbereich der BauO NRW im Hinblick auf WEA unter Beachtung der Richtlinie 2006/42/EG (nachfolgend „Maschinenrichtlinie“) neu gefasst. WEA und Maschinen (beispielsweise Wasserstoff-Elektrolyseure) unterfallen nur noch insoweit den Anforderungen der Bauordnung und den Anordnungsbefugnissen der unteren Bauaufsichtsbehörden, soweit die an sie gestellten Anforderungen nicht bereits durch CE-Kennzeichen und EG-Konformitätserklärung abgedeckt sind.
Dies führt dazu, dass sich das Prüfprogramm der Bauordnungsbehörde jeweils danach richtet, welche Teile der WEA als Gegenstand der Maschinenrichtlinie mit einem CE-Kennzeichen versehen sind und über eine EG-Konformitätserklärung verfügen. Die Gesetzesbegründung differenziert insoweit wie folgt (vgl. LT-Drs. 18/4593, S. 126):
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Wurde nur die Gondel nach der Maschinenrichtlinie in Verkehr gebracht, ist bauaufsichtlich nur noch das Fundament und der Turm zu prüfen.
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Wurden sowohl die Gondel als auch der Turm nach der Maschinenrichtlinie in Verkehr gebracht, ist bauaufsichtlich nur noch das Fundament zu prüfen.
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Wurden Gondel, Turm und Fundament allesamt nach der Maschinenrichtlinie in Verkehr gebracht, erfolgt bezüglich der Bauteile keine Prüfung mehr.
Von den Bauordnungsbehörden können folglich keine weiter gehenden Anforderungen an Bauteile von WEA gefordert werden, die über die Maschinenrichtlinie in Verkehr gebracht wurden. So ist beispielsweise die Forderung von Genehmigungsbehörden, eine Gondel zur Verringerung der Brandgefahr mit Selbstlöschanlagen auszustatten, unzulässig, soweit die Gondel mit einem CE-Kennzeichen versehen ist und über eine EG-Konformitätserklärung verfügt.
Allerdings kann die Bauaufsichtsbehörde immer noch Anforderungen stellen, die außerhalb von Bauteilen der WEA liegen. So kann die Behörde etwa weiterhin fordern, dass einer Ausbreitung eines Brandes auf Flächen außerhalb der Anlage vorgebeugt wird. Wie dies sichergestellt wird, ist der jeweiligen Bauherrin überlassen.
Im Ergebnis dürfen also allgemeine Anforderungen zur Vermeidung von Gefahren gestellt werden; die Umsetzung innerhalb der Maschinenrichtlinien-konformen Bauteile kann die Behörde jedoch nicht mehr im Einzelnen bestimmen. Die Abgrenzung zwischen allgemeinen und konkret bauteilbezogenen Anforderungen ist aber – da der Gesetzgeber weitere Konkretisierungen vermissen lässt – im Einzelnen unklar. Auseinandersetzungen zwischen Behörde und Bauherrin sind in der Folge zu erwarten.
II. Privilegierung im Bereich einzuhaltender Abstandsflächen
WEA lösen Abstandsflächen aus, die aufgrund der Höhe der Windenergieanlagen von erheblichem Ausmaß sein können. Durch die BauO-Novelle werden WEA nunmehr gegenüber anderen Anlagen privilegiert:
Nach § 6 Abs. 1 Satz 4 BauO NRW sind vor WEA Abstandsflächen nur gegenüber Grundstücksgrenzen, Gebäuden mit Aufenthaltsräumen und Anlagen nach § 2 Abs. 9 der Verordnung der Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen freizuhalten. Dies bedeutet konkret, dass WEA vor Gebäuden ohne Aufenthaltsräume, wie beispielsweise Lagerhallen, keine Abstandsflächen mehr einhalten müssen.
Ursprünglich war vorgesehen, die Abstandsflächenpflicht für WEA auch vor Grundstücksgrenzen abzuschaffen. Dieses Vorhaben, dass die Praxis erheblich entlastet hätte, wurde jedoch im Gesetzgebungsverfahren wegen Bedenken in Bezug auf die faktische Beschränkung der Eigentumsposition der Nachbarn nicht umgesetzt.
Anstelle dessen wurde jedoch die Tiefe der nun einzuhaltenden Abstandsfläche gemäß § 6 Abs. 4 Satz 7 BauO NRW auf 30% der „größten Höhe“ festgesetzt; in Gewerbe- und Industriegebieten lediglich auf 20%. Die größte Höhe errechnet sich bei Anlagen mit Horizontalachse aus der Höhe der Rotorachse über der geometrischen Mitte des Mastes zuzüglich des Rotorradius, vgl. § 6 Abs. 4 Sätze 8, 9. Dies führt immerhin zu einer Verringerung von 20-30% der Abstandsfläche im Vergleich zur vormaligen Regelung.
III. Vereinfachung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens
Bis zur Gesetzesänderung galt für die Errichtung von WEA als große Sonderbauten i.S.d. § 50 Abs. 2 Nr. 2 BauO NRW die Anwendung des Vollverfahrens nach § 65 BauO NRW. Mit der Einfügung des § 64 Abs. 2 BauO NRW wird klargestellt, dass das vereinfachte Genehmigungsverfahren ebenfalls auf Sonderbauten anwendbar sein soll, die unter den Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2018/2001 (sog. „RED-II-Richtlinie“) fallen. Der behördliche Prüfungsumfang wird dadurch insgesamt verringert. So sind insbesondere Anforderungen des baulichen Arbeitsschutzes nicht mehr zu prüfen, vgl. § 64 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW. Auch ist die Standsicherheit der Anlage grundsätzlich nicht mehr Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens.
C. Ausbau von Photovoltaikanlagen
Im Gegensatz zu den Erleichterungen für WEA sind die Änderungen für Freiflächen-Photovoltaikanlagen weniger umfangreich und betreffen insbesondere Photovoltaikanlagen auf Gebäuden.
I. Verfahrensfreiheit für Freiflächen-Photovoltaikanlagen
Die einzige nennenswerte Veränderung für Freiflächen-Photovoltaikanlagen ist die Baugenehmigungsfreiheit für Anlagen von bis zu 100 m2, nunmehr geregelt in § 62 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b. Trotz der Einführung der Baugenehmigungsfreiheit ist nach wie vor das Erfordernis einer naturschutzrechtlichen Eingriffsgenehmigung nach § 17 BNatSchG zu beachten. Diese gilt es weiterhin vom Vorhabenträger einzuholen.
II. Abschaffung eines Mindestabstands von Solaranlagen zu Brandwänden
§ 32 Abs. 5 BauO NRW sah in seiner alten Fassung vor, dass u.a. Solaranlagen zur Außenfläche von Brandwänden einen Abstand von 1,25 m bzw. 0,50 m einhalten mussten. Bei schmalen Häusern mit einer geringen Breite führte dies dazu, dass sich die Errichtung von Solaranlagen auf Dächern mangels ausreichender Fläche wirtschaftlich nicht lohnte. Beispielsweise verringerte sich die zulässige Fläche für Solaranlagen bei Häusern mit einer Breite von 6 m auf 3,50 m.
Im Rahmen der Änderung des § 32 Abs. 5 BauO NRW wurde die Einhaltung eines Abstands von Solaranlagen zu Brandwänden vollständig getilgt, um die Investition in Solaranlagen auch auf Dächern von schmalen Gebäuden wirtschaftlicher zu gestalten.
III. Verpflichtung zu Installation und Betrieb von Solaranlagen
Mit dem neu eingefügten § 42a BauO NRW wird eine Pflicht zur Installation und zum Betrieb von Solaranlagen auf geeigneten Dachflächen in NRW festgesetzt.
Die Pflicht zur Installation und zum Betrieb der Solaranlagen gilt nur für Neuerrichtungen bzw. bei vollständiger Dacherneuerung. Dabei tritt die Pflicht zeitlich gestaffelt wie folgt in Kraft:
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Für die Neuerrichtung von Nichtwohngebäuden (also insbesondere gewerbliche Lagerhallen, aber auch Büroflächen) gilt die Pflicht bereits ab dem 01.01.2024.
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Für die Erneuerung der Dachhaut eines Gebäudes im Eigentum einer Gemeinde gilt die Pflicht bereits ab dem 01.07.2024.
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Für die Neuerrichtung von Wohngebäuden wird die Pflicht ab dem 01.01.2025 gelten.
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Schließlich gilt die Pflicht ab dem 01.01.2026 auch bei einer vollständigen Erneuerung der Dachhaut eines Gebäudes.
Die Pflicht zur Installation und zum Betreiben der Solaranlagen gilt nur auf den dafür geeigneten Dachflächen. Darunter sind wohl grundsätzlich alle Dachflächen gemeint, die nicht unter eine Ausnahme des § 42a Abs. 5 BauO NRW fallen, bei denen also eine Installation der Solaranlagen anderen öffentlich-rechtlichen Pflichten (bspw. städtebaulichen Satzungen, Festsetzungen in Bebauungsplänen etc.) widerspricht, bei denen eine Installation im Einzelfall technisch unmöglich ist oder deren Installation wirtschaftlich nicht vertretbar ist. Wirtschaftlich unzumutbar ist eine Installation bspw. auch, wenn dadurch erhebliche steuerliche Nachteile in Bezug auf ihre sonstige Geschäftstätigkeit eintreten, vgl. LT-Drs. 18/4593, S. 143.
§ 42a Abs. 4 BauO NRW sieht weitere Ausnahmen vor, wenn die Gebäude 50 m2 Nutzfläche aufweisen oder nur für einen geringen Zeitraum bestehen.
Von der grundsätzlich bestehenden Pflicht kann im Einzelfall auf Antrag befreit werden, wenn es wegen besonderer Umstände, durch einen unangemessenen Aufwand oder in sonstiger Weise zu einer unbilligen Härte führen würde.
Weitere Konkretisierungen sollen durch eine Rechtsverordnung erfolgen. Eine entsprechende Rechtsverordnung ist bisher noch nicht in Kraft getreten.
IV. Vorschrift zur Errichtung einer Solaranlage bei Neubau eines Parkplatzes
Die ursprünglich in § 8 Abs. 2 BauO NRW verankerte Pflicht, für den Neubau offener Parkplätze mit mehr als 35 Stellplätzen für Nichtwohngebäude Photovoltaikanlagen zu installieren, wurde im Rahmen des zweiten Änderungsgesetzes in geänderter Fassung in den § 48 Abs. 1a Satz 1 BauO NRW übernommen. Die grundsätzliche Pflicht wird dabei von einem großzügigen Ausnahmekatalog flankiert, der die Frage des Verhältnisses von Regel und Ausnahme aufwirft und nicht eindeutig beantwortet.
D. Allgemeine Verfahrensänderungen
Daneben enthält die BauO-Novelle einige Änderungen in Bezug auf allgemeine Verfahrensregeln, die sich ebenfalls auf die Projektierung von Wind- und Solaranlagen auswirken werden.
Als allgemeine Verfahrensänderung wurde zum einen der Zeitpunkt für die Vorlage des Brandschutznachweises vorverlegt, vgl. § 68 Abs. 2 Satz 1 BauO. Vor der Gesetzesänderung war es vonseiten der Bauherrin möglich, den Brandschutznachweis erst nach Erhalt der Baugenehmigung bis zum Baubeginn vorzulegen. Nunmehr hat die Vorlage des Brandschutznachweises vor Erteilung der Baugenehmigung zu erfolgen.
Zum anderen kann auf Antrag der Bauherrschaft für Genehmigungsverfahren von Vorhaben Erneuerbarer Energien die Einrichtung einer gemeinsamen Stelle beantragt werden, die sowohl Genehmigungsbehörde für das bauaufsichtliche Verfahren als auch für alle sonstigen Zulassungsverfahren ist, vgl. § 71 Abs. 5 Nr. 1 BauO. Zudem ist die Bauaufsichtsbehörde nach Eingang der vollständigen Antragsunterlagen verpflichtet, einen Zeitplan für das weitere Verfahren zu erstellen und diesen dem Bauherrn mitzuteilen, § 71 Abs. 5 Nr. 3 BauO. Der Landesgesetzgeber wollte so für die Bauherrschaften eine größermögliche Planungssicherheit einführen und den Erhalt der Genehmigung eher prognostizierbar gestalten.
E. Fazit
Der eindeutige Schwerpunkt der Änderungen der Bauordnung liegt auf der Genehmigung von WEA und von Solaranlagen an Gebäuden. Dort sieht die Gesetzesänderung mit der Verringerung der Abstandsfläche und der Einführung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens für WEA wichtige Erleichterungen vor. Leider hat der Gesetzgeber von der ursprünglich geplanten vollständigen Abschaffung von Abstandsflächen für WEA gegenüber Grundstücksgrenzen Abstand genommen.
Im Übrigen wirft die Gesetzesänderung neue Rechtsfragen, beispielsweise im Hinblick auf den Vorrang der Maschinenrichtlinie sowie der Solaranlagenpflicht für Gebäude auf. Insofern bleibt es abzuwarten, ob das gesetzgeberisch gesetzte Ziel, den Ausbau von Erneuerbaren Energien weiter voranzubringen, sich tatsächlich in einer beschleunigten bzw. vereinfachten Genehmigungspraxis niederschlägt.