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Anmerkung zu:BVerwG 11. Senat, Beschluss vom 18.12.2023 - 11 VR 2/23 (11 A 20/23)
Autor:Sophia Hieber, RA'in
Erscheinungsdatum:14.03.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 43a EnWG 2005, § 34 BBauG, § 35 BBauG, Art 13 GG, § 20 BMG, § 3 BauNVO
Fundstelle:jurisPR-UmwR 3/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Ferdinand Kuchler, RA
Dr. Martin Spieler, RA
Zitiervorschlag:Hieber, jurisPR-UmwR 3/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Begriff des Wohngebäudes im Sinne der raumordnungsrechtlichen Abstandsregelungen für Höchstspannungsfreileitungen im Außenbereich



Orientierungssätze

1. Eine auf den Zweck der Saisonarbeit in einem Betrieb bezogene vorübergehende Unterkunft (Wohnmodul) dient nicht dem Wohnen im Sinne des Planungsrechts.
2. Der von der raumordnungsrechtlichen Abstandsregelung bezweckte Schutz richtet sich gegen Beeinträchtigungen des Wohnumfelds, das heißt vor allem gegen visuellen Belastungen durch Freileitungen.



A.
Problemstellung
Die Frage, was unter einem Wohngebäude zu verstehen ist, ist unterschiedlich zu beantworten; die Antwort hängt davon ab, welche gesetzliche Regelung maßgeblich ist. Der Wohnungsbegriff nach Art. 13 Abs. 1 GG ist weit. Danach ist jeder nicht allgemein zugängliche feststehende, fahrende oder schwimmende Raum, der – auch nur vorübergehend – zur Stätte des Aufenthalts oder Wirkens von Menschen gemacht wird, eine Wohnung (Papier in: Dürig/Herzog/Scholz/Papier, GG, Art. 13 Rn. 10; zum weiten Wohnungsbegriff grundlegend BVerfG, Beschl. v. 13.10.1971 - 1 BvR 280/66). Dagegen ist der Begriff des Wohnens im Bauplanungsrecht durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet (grundlegend BVerwG, Beschl. v. 25.03.1996 - 4 B 302/95 Rn. 12) und somit enger als der des Art. 13 Abs. 1 GG. Welcher Wohnungsbegriff gilt, wenn raumordnungsrechtliche Regelungswerke von Wohngebäuden sprechen?
Mit dieser Frage hat sich das BVerwG in seinem hier besprochenen Beschluss vom 18.12.2023 auseinandergesetzt und den Begriff des Wohngebäudes im Sinne des Grundsatzes der Raumordnung aus Abschnitt 4.2 Ziffer 07 Satz 13 Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen in der Fassung vom 26.09.2017 (Nds. GVBl, S. 378) – LROP NI 2017 – definiert.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Der Antragsteller hat Eilrechtsschutz gegen die Planfeststellung für die Errichtung und den Betrieb einer 380-kV-Leitung in Niedersachsen, die den Abschnitt 3 des als Nr. 6 in den Bedarfsplan zum Bundesbedarfsplangesetz (BBPIG) aufgenommenen Vorhabens Conneforde – Landkreis Cloppenburg – Merzen/Neukirchen bildet, begehrt. Der Antragsteller führt einen Obst- und Gemüseanbaubetrieb. Sein Grundstückseigentum wird für einen Maststandort und einen Teil des Schutzstreifens sowie als Arbeitsfläche in Anspruch genommen. Zum Betrieb des Antragstellers gehören 40 Wohnmodule für bis zu 150 Saisonarbeiter, die weniger als 200 m von der planfestgestellten Trasse aufgestellt sind. Der Antragsteller hat geltend gemacht, der Planfeststellungsbeschluss sei bezüglich der Auswahl der kleinräumigen Varianten in dem ihn betreffenden Bereich abwägungsfehlerhaft.
II. Das BVerwG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage als unbegründet abgelehnt. Das Vollzugsinteresse, dem nach der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit gemäß § 43a Abs. 1 Satz 1 EnWG erhebliches Gewicht zukomme, überwiege das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Die vorgetragenen Gründe würden nicht aufzeigen, dass die Klage voraussichtlich Erfolg haben werde. Die gegen die Abwägungsentscheidung über die Wahl der Trassenvariante vorgebrachten Gründe würden nicht durchgreifen.
Insbesondere habe der Planfeststellungsbeschluss die zum Betrieb des Antragstellers gehörenden Wohnmodule für Saisonarbeiter zu Recht nicht als „Wohngebäude oder vergleichbar sensible Nutzungen im Außenbereich“ im Sinne der Abstandsvorschriften des Landes-Raumordnungsplanes Niedersachsen berücksichtigt. Abschnitt 4.2 Ziffer 07 Satz 13 LROP NI 2017, auf den sich der Planfeststellungsbeschluss stütze und der inhaltlich dem Abschnitt 4.2.2 Ziffer 06 Satz 6 der am 17.09.2022 in Kraft getretenen, vom Planfeststellungsbeschluss im Übrigen zutreffend zugrunde gelegten Neufassung (Nds. GVBl, S. 521) – LROP NI 2022 – entspreche, enthalte den in der Abwägung zu berücksichtigenden Grundsatz der Raumordnung, nach dem Trassen für neu zu errichtende Höchstspannungsfreileitungen so geplant werden sollen, dass ein Abstand von 200 m zu Wohngebäuden oder vergleichbar sensiblen Nutzungen im Außenbereich (§ 35 BauGB) eingehalten werde. Wohngebäude seien Gebäude, deren Hauptnutzung das Wohnen ist (vgl. Abschnitt 4.2.2 Ziffer 06 Satz 1 LROP NI 2022). Das BVerwG legt dar, dass der raumordnungsrechtliche Wohnungsbegriff – wie auch die Bezugnahme auf die bauplanungsrechtlichen Gebietskategorien in Abschnitt 4.2.2 Ziffer 06 Satz 1 Buchst. b LROP NI 2022 (Abschnitt 4.2.2 Ziffer 07 Satz 13, Satz 6 LROP NI 2017) zeige – an den bauplanungsrechtlichen Begriff des Wohnens anknüpfe. Der Begriff unterscheide sich von dem weiten Wohnungsbegriff des Art. 13 Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.06.2023 - 1 C 10/22 Rn. 10 f.) und des Melderechts (vgl. § 20 BMG). Wohnen im planungsrechtlichen Sinne sei durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet. Maßgeblich seien das Nutzungskonzept und seine grundsätzliche Verwirklichung (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.10.2017 - 4 C 5/16 Rn. 17 m.w.N.). Erforderlich sei eine Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.03.1996 - 4 B 302/95 Rn. 12 f.). Herangezogen werden könnten Kriterien wie z.B. die Aufenthaltsdauer (BVerwG, Urt. v. 18.10.2017 - 4 C 5/16 Rn. 17), die Gestaltung und Struktur der Räumlichkeiten, das Vorhandensein privater Rückzugsmöglichkeiten (VGH München, Beschl. v. 16.02.2015 - 1 B 13.648 Rn. 26) sowie das Vorhandensein von Aufenthaltsräumen, Sanitäranlagen und Kochgelegenheiten (BVerwG, Beschl. v. 07.09.1984 - 4 N 3/84; BVerwG, Urt. v. 29.04.1992 - 4 C 43/89) einschließlich einer Kochversorgung (BVerwG, Beschl. v. 23.12.1981 - 4 B 196/81).
Danach verneint das BVerwG bei den vom Antragsteller aufgestellten Wohnmodulen das Wohnen im Sinne des Planungsrechts. Die Module würden keine auf Dauer angelegte eigene Häuslichkeit bezwecken. Der Antragsteller stelle seinen Arbeitskräften vielmehr eine auf den Zweck der Saisonarbeit in seinem Betrieb bezogene vorübergehende Unterkunft bereit. Das zeige schon die überschaubare Aufenthaltsdauer der Arbeitskräfte, die ausweislich der Aufstellung der Containerbelegung für das Jahr 2022 ein bis drei Monate betragen habe. Der lediglich vorübergehende, auf den Zweck der Saisonarbeit begrenzte Zweck der Unterbringung spiegle sich auch in der einfachen Ausstattung und Struktur der jeweils – abgesehen vom Eingangsbereich – aus nur einem Raum bestehenden Module (6 m x 3 m Grundfläche) wider, die keine eigene Häuslichkeit ermöglichen würden. Es würden sich in einem Modul Schlafgelegenheiten für zwei bis drei Personen befinden. Ein Sanitärbereich sei nicht vorhanden, auch keine ausreichende Kochgelegenheit. Insbesondere gebe es keinen Wasseranschluss. Hinzu komme, dass die Module zwar häufig, aber keinesfalls ausschließlich zur selben Zeit von Verwandten oder freundschaftlich verbundenen Personen genutzt würden. Auch dies deute darauf hin, dass sich die private Lebensgestaltung der Arbeitskräfte für die begrenzte Dauer des Ernteeinsatzes dem betrieblichen Zweck ihrer Unterbringung unterordne.
Auch verneint das BVerwG die Pflicht zur Berücksichtigung der Wohnmodule als vergleichbar schutzwürdige Nutzung. Als Beispiele nenne Abschnitt 4.2.2 Ziffer 06 Satz 3 LROP NI 2022 (bzw. Abschnitt 4.2 Ziffer 07 Satz 7 LROP NI 2017) allgemeinbildende Schulen, Kindertagesstätten, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Der von der raumordnungsrechtlichen Abstandsregelung bezweckte Schutz richte sich gegen Beeinträchtigungen des Wohnumfelds, das heißt vor allem gegen visuelle Beeinträchtigungen durch Freileitungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.11.2022 - 4 A 15/20 Rn. 22). Da der Zweck der Module für die Saisonarbeiter sich in der Bereitstellung einer Unterkunft für die vorübergehende Saisonarbeit in seinem Betrieb erschöpfe, besitze das visuelle Umfeld der Container keine vergleichbar hohe Bedeutung wie für die beispielhaft genannten Einrichtungen.
Zudem spreche für das BVerwG Überwiegendes dafür, dass der maßgebliche Grundsatz der Raumordnung nur für solche Gebäude gelte, die als dauerhafte Bauwerke auf unbestimmte Zeit errichtet werden. Höchstspannungsleitungen hätten eine technische Lebensdauer von etwa 80 Jahren (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.02.2023 - 4 A 2/22 Rn. 23). Daher liege es jedenfalls sehr nahe, dass Vorgaben der Raumordnung nur das Wohnumfeld solcher Gebäude schützen sollten, die vergleichbar dauerhaft errichtet seien. Daran fehle es bei den Wohnmodulen, da sie über kein Fundament verfügten, sondern lediglich durch Steckverbindungen mit der Pflasterung fixiert seien. Je nach Arbeitsanfall könnten sie erweitert oder rückgebaut werden. Solchermaßen leicht auf- und abzubauende Unterbringungen dürften keine Wohngebäude im Sinne der Abstandsvorschriften des LROP NI sein, selbst wenn gewisse Zu- und Ableitungen zu den Modulen fest verlegt seien.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Viele raumordnungsrechtliche Regelungswerke sehen Abstandsregelungen für Höchstspannungsfreileitungen in Bezug auf Wohngebäude vor, neben dem Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen z.B. auch das Landesentwicklungsprogramm Bayern in Ziffer 6.1.2 der Anlage der Verordnung über das Landesentwicklungsprogramm Bayern (LEP) sowie der Landesentwicklungsplan Nordrhein-Westfalen in Ziffer 8.2-4 LEP NRW. In Abschnitt 4.2.2 Ziffer 06 Satz 1 LROP NI 2022 ist das Wohngebäude als „Gebäude, deren Hauptnutzung das Wohnen ist“ definiert. Eine solche Definition enthalten das Landesentwicklungsprogramm Bayern und der Landesentwicklungsplan Nordrhein-Westfalen dagegen nicht. Allerdings lässt auch die Definition des LROP NI 2022 einen gewissen Auslegungsspielraum zu.
Der Beschluss des BVerwG schafft hierzu Klarheit. Soweit ersichtlich, hat sich das BVerwG zuvor noch nie zu dem Begriff des Wohngebäudes im Sinne von raumordnungsrechtlichen Abstandsregelungen geäußert. In seinem hier besprochenen Beschluss vom 18.12.2023 setzt sich das BVerwG nun intensiv mit dem Begriff des Wohngebäudes im raumordnungsrechtlichen Kontext auseinander und spricht sogar von dem „raumordnungsrechtlichen Wohnungsbegriff“. Es ist nicht überraschend, dass das BVerwG den raumordnungsrechtlichen Wohnungsbegriff an den bauplanungsrechtlichen Begriff des Wohnens anknüpft. Denn diese Anknüpfung ist vor dem Hintergrund, dass sowohl das Bauplanungs- als auch das Raumordnungsrecht Bestandteile des Rechts der räumlichen Gesamtplanung sind (Kümper in: Kment, ROG, 1. Aufl. 2019, Einleitung Rn. 11), naheliegend. Die Anknüpfung an den bauplanungsrechtlichen Begriff des Wohnens ist in den Abstandsregelungen der raumordnungsrechtlichen Regelwerke auch bereits angelegt; so nehmen die Abstandsregelungen auf den bauplanungsrechtlichen Innen- (§ 34 BauGB) und teils auch Außenbereich (§ 35 BauGB) und auch auf die bauplanungsrechtlichen Gebietskategorien Bezug. Diese Bezugnahme auf bauplanungsrechtliche Begriffe verbietet es, für die Auslegung des Begriffs des Wohngebäudes einen weiteren Begriff des Wohnens, wie z.B. den weiten Wohnungsbegriffs des Art. 13 Abs. 1 GG und auch des Melderechts (§ 20 BMG), heranzuziehen.
Der bauplanungsrechtliche Wohnungsbegriff ist von einer langjährigen Rechtsprechung geprägt (BVerwG, Beschl. v. 25.03.1996 - 4 B 302/95 Rn. 12; zuletzt auch BVerwG, Urt. v. 18.10.2017 - 4 CN 6/17 Rn. 14). Danach sind für Wohnen im bauplanungsrechtlichen Sinne die Merkmale einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises und die Freiwilligkeit des Aufenthalts maßgeblich, jedoch sind stets auch die Umstände des Einzelfalls zu würdigen (BVerwG, Beschl. v. 25.03.1996 - 4 B 302/95 Rn. 12 f.). Das BVerwG hat sich auch bei der Einordnung der Wohnmodule für Saisonarbeiter mit diesen Merkmalen des Wohnens im bauplanungsrechtlichen Sinne auseinandergesetzt und das Vorliegen eines Wohngebäudes nachvollziehbar verneint. Insbesondere ist eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit bei den Wohnmodulen nicht gegeben. Diese Beurteilung des BVerwG und auch die, dass die Wohnmodule keine eigene Häuslichkeit ermöglichen, entsprechen auch der obergerichtlichen Rechtsprechung. So hat der VGH Kassel bei einer räumlich beengten Unterbringung von Fernfahrern eines Unternehmens in einem Gebäude mit einer Gemeinschaftsküche, einem Aufenthaltsraum und Gemeinschaftsbädern in Mehrbettzimmern, deren Belegung einem ständigen Wechsel unterzogen ist, eine Wohnnutzung verneint (VGH Kassel, Beschl. v. 01.07.2019 - 4 B 866/19, Amtl. Leitsatz 1). Auch das OVG Lüneburg hat entschieden, dass es sich bei einer einfach ausgestatteten und räumlich beengten Unterkunft für Monteure mit Ein- und Mehrbettzimmern sowie Gemeinschaftsbädern und -küchen ohne sonstige Aufenthaltsräume nicht um eine Wohnnutzung handle (OVG Lüneburg, Beschl. v. 11.05.2015 - 1 ME 31/15 Rn. 20).
II. Die Verneinung der Frage, ob die Wohnmodule eine „vergleichbare sensible Nutzung“ i.S.v. Abschnitt 4.2.2 Ziffer 06 Satz 5 LROP NI 2022 (bzw. Abschnitt 4.2 Ziffer 07 Satz 7 LROP NI 2017) darstellen, begründet das BVerwG mit dem von der raumordnungsrechtlichen Abstandsregelung bezweckten Schutz vor Beeinträchtigungen des Wohnumfelds. Aus dem LROP NI und dessen Begründung ergibt sich, dass die Abstandregelungen den Schutz der Wohnumfeldqualität bezwecken (vgl. Abschnitt 4.2.2 Ziffer 06 Satz 3 LROP NI 2022) und insbesondere visuelle Belastungen verringert werden sollen (Begründung der Verordnung zur Änderung der Verordnung über das Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachen vom 07.09.2022, Teil B, Abschnitt 4.2.2 Ziffer 06 Satz 1, S. 99). Auch nach der Rechtsprechung des BVerwG sollen Abstandsregelungen zur Minimierung der optisch bedrängenden Wirkung von Höchstspannungsfreileitungen generalisierend beitragen (BVerwG, Urt. v. 10.11.2022 - 4 A 15/20 Rn. 25), was nun das BVerwG nochmals bestätigt hat.
III. Wenngleich nach dem BVerwG der raumordnungsrechtliche Wohnungsbegriff an den bauplanungsrechtlichen Begriff des Wohnens anknüpft, wird eine weitere Anforderung an das Wohngebäude im Sinne der raumordnungsrechtlichen Abstandsregelungen vom BVerwG formuliert. Das BVerwG hat entschieden, dass „Überwiegendes dafür [spricht], dass der maßgebliche Grundsatz der Raumordnung nur für solche Gebäude gilt, die als dauerhafte Bauwerke auf unbestimmte Zeit errichtet werden“, und dies bei einer Dauer, die mit der technischen Lebensdauer von Höchstspannungsfreileitungen (etwa 80 Jahre) vergleichbar ist, der Fall ist. Diese Anforderung geht über die Anforderungen an ein Wohngebäude im bauplanungsrechtlichen Sinne hinaus. Zwar ist für den Begriff des Wohnens im bauplanungsrechtlichen Sinne auch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit erforderlich (vgl.o.). Allerdings fordert das Bauplanungsrecht keine Lebensdauer eines Wohngebäudes von etwa 80 Jahren. Die Kommentierungen zum bauplanungsrechtlichen Wohngebäude, i.S.d. § 3 BauNVO, verweisen für die Auslegung des Begriffs „Gebäude“ auf die bauordnungsrechtliche Legaldefinition (z.B. Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 3 BauNVO Rn. 35). So sind Gebäude nach § 2 Abs. 2 der Musterbauordnung (MBO) „selbstständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tiere oder Sachen zu dienen“. Zur Lebensdauer eines Gebäudes findet sich keine Äußerung. Die Entscheidung des BVerwG ergibt jedoch – auch vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Abstandsregelungen – im Raumordnungsrecht Sinn. Anderenfalls könnte mit einem nicht auf Dauer errichteten Gebäude ein bestimmter Trassenverlauf einer Höchstspannungsfreileitung gezielt verhindert werden.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung ist für die Auslegung jedes raumordnungsrechtlichen Regelungswerks relevant, in dem vergleichbare Abstandsregeln, die an den Begriff des Wohngebäudes anknüpfen, vorgegeben werden (so auch Emmenegger, jurisPR-BVerwG 3/2024 Anm. 1). Planfeststellungsbehörden, Projektmanager, Landesplanungsbehörden und alle Beteiligten eines Raumverträglichkeits- oder Planfeststellungsverfahrens haben nun eine konkrete Antwort auf die Frage, was vom raumordnungsrechtlichen Wohnungsbegriff umfasst ist, und können – gestützt auf die Entscheidung des BVerwG – auf den bauplanungsrechtlichen Wohnbegriff zurückgreifen. Mit der Einordnung des BVerwG, dass Wohnmodule für Saisonarbeiter nicht unter den Begriff des Wohngebäudes fallen, wird diese Entscheidung auch von Bedeutung bei vergleichbaren Unterbringungen sein.



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