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Anmerkung zu:BFH 1. Senat, Urteil vom 07.06.2023 - I R 50/19
Autor:Dr. Alexander Zapf, RiFG
Erscheinungsdatum:20.11.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 8 KStG 1977, § 20 EStG, § 2 KStG 1977, § 31 KStG 1977, § 32 KStG 1977, § 43b EStG, § 8 GewStG, § 9 GewStG, § 39 AO 1977, § 161 BGB, § 323 BGB, § 8b KStG 1977, 12008E063, EGV 118/97
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 47/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Zapf, jurisPR-SteuerR 47/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Berechnung der Beteiligungsschwelle für Streubesitzdividenden



Leitsatz

Der Begriff „Beteiligung“ bei der Berechnung der Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG für sogenannte Streubesitzdividenden (10%) nimmt auf die allgemeinen Grundsätze der steuerrechtlichen Zurechnung von Wirtschaftsgütern (§ 39 AO) Bezug. Entscheidend ist somit das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen.



A.
Problemstellung
In dem Verfahren ging es maßgeblich um die streitige Frage, ob es für die Beurteilung, ob eine Kapitalgesellschaft i.S.v. § 8b Abs. 4 KStG zu mehr als 10% an einer anderen Kapitalgesellschaft beteiligt ist, auf das zivilrechtliche Eigentum oder die wirtschaftliche Zurechnung ankommt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, eine GmbH, war mit 9,898% an der Y-AG beteiligt. Hauptaktionär der Y-AG war mit 85,1% X. Die Stückaktien waren als Namensaktien nur mit Zustimmung der Y-AG übertragbar. Am 16.12.2013 schloss die Klägerin mit X einen Kauf- und Übertragungsvertrag über eine bestimmte Anzahl nicht verbriefter Stückaktien. Nach dem Erwerb der Stückaktien sollte die Klägerin mit 10,00425% an der Y-AG beteiligt sein. Unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Zahlung des Kaufpreises (Fälligkeit am 16.12.2013) trat X sämtliche Mitgliedschaftsrechte aus den verkauften Aktien an die Klägerin ab. Der auf die Aktien entfallene Gewinn des laufenden Geschäftsjahres und etwaige noch nicht verteilte Gewinne früherer Geschäftsjahre sollten allein der Klägerin zustehen. Die Y-AG stimmte der Übertragung der Aktien bereits am 19.12.2013 zu. Aufgrund einer zunächst fehlgeschlagenen Überweisung erfolgte die Kaufpreiszahlung an X erst nach dem 01.01.2014.
Im Streitjahr 2014 bezog die Klägerin von der Y-AG Dividenden für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis 31.12.2012 sowie für den Zeitraum vom 01.01.2013 bis 31.12.2013. In der für das Streitjahr eingereichten Körperschaftsteuererklärung erklärte sie insoweit steuerfreie Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 KStG und nicht abziehbare Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 5 KStG i.H.v. 5% der Dividenden.
Das Finanzamt lehnte eine Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG ab und berücksichtigte die Dividenden in voller Höhe bei der Ermittlung des Einkommens der Klägerin. Die Klägerin habe zu Beginn des Jahres 2014 noch nicht die nach § 8b Abs. 4 KStG erforderliche Beteiligungsschwelle von 10% erreicht.
Die nach erfolglosem Einspruch eingelegte Klage hatte Erfolg. Die Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 KStG sei, so das FG, bereits zu Beginn des Streitjahres erreicht, da die Klägerin zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht zivilrechtliche, aber wirtschaftliche Eigentümerin der am 16.12.2013 erworbenen Anteile geworden sei.
Der BFH hat die vom FA hiergegen eingelegte Revision als unbegründet zurückgewiesen und die Sichtweise des FG bestätigt. Entgegen der Auffassung des FA komme es für die Ermittlung der Höhe der Beteiligung nicht allein auf das zivilrechtliche Eigentum an. Vielmehr sei die steuerrechtliche Zurechnung der Kapitalanteile nach § 39 AO maßgebend. Dies folge, so der BFH, daraus, dass sich § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG auf die Bezüge i.S.d. des § 8b Abs. 1 KStG beziehe und es daher auch bei der Beteiligungsschwelle i.S.d. § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG nur um diejenigen Anteile gehen könne, die zu Bezügen i.S.d. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG führen könnten. Für die im Streitfall maßgeblichen Einkünfte aus Dividenden i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG setze dies nach der Maßgabe des § 20 Abs. 5 EStG eine Zurechnung der Anteile nach § 39 AO voraus. Auf der Grundlage des § 39 AO seien der Klägerin die mit Vertrag vom 16.12.2003 erworbenen Anteile schon vor dem 01.01.2014 zuzurechnen, obschon sie zu diesem Zeitpunkt aufgrund der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung noch kein zivilrechtliches Eigentum an den Anteilen erworben habe. Die Würdigung des FG, dass der Klägerin nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die wirtschaftliche Dispositionsbefugnis über die Aktien zugestanden habe, sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bleiben Bezüge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. In diesem Fall gelten 5% dieser Bezüge als nicht abziehbare Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 5 Satz 1 KStG). Unter die begünstigten Bezüge fallen insbesondere offene und – unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Sätze 2 ff. KStG – grundsätzlich auch verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG).
II. Die Steuerbefreiung gilt sowohl für unbeschränkt als auch für beschränkt steuerpflichtige Körperschaften, d.h. insbesondere auch für ausländische Mutterkapitalgesellschaften, die Gewinnausschüttungen einer inländischen (Tochter-)Kapitalgesellschaft beziehen (§ 2 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b oder Nr. 5 Buchst. a EStG). Ursprünglich erfolgte die Steuerbefreiung unabhängig von der Höhe der Beteiligung. Ein Problem stellte insoweit allerdings die unterschiedliche Behandlung unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtiger (EU-/EWR-)Mutterkapitalgesellschaften im Hinblick auf die Kapitalertragsteuer dar. Während die einbehaltene Kapitalertragsteuer bei unbeschränkt steuerpflichtigen Mutterkapitalgesellschaften unabhängig von der Beteiligungshöhe keine Abgeltungswirkung entfaltete (§ 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 43 Abs. 5 Satz 2 EStG) und im Rahmen der Veranlagung in voller Höhe angerechnet werden konnte (§ 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 EStG), kam es bei Beteiligungen ausländischer Mutterkapitalgesellschaften an inländischen Tochterkapitalgesellschaften mit einer Beteiligungsquote von weniger als 10% (sog. Streubesitzbeteiligung) bei Ausschüttungen gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG, § 43b EStG zur definitiven Belastung mit Kapitalertragsteuer, wenn die Bezüge nicht einer inländischen Betriebsstätte zuflossen. Diese unterschiedliche Behandlung qualifizierte der EuGH als Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV (ehemals Art. 56 EGV; vgl. EuGH, Urt. v. 20.10.2011 - C-284/09 - DStR 2011, 2038 = FR 2011, 1112 „Kommission/Deutschland“). Der deutsche Gesetzgeber reagierte hierauf mit dem Gesetz v. 21.03.2013 zur Umsetzung des EuGH-Urt. v. 20.10.2011 (C-284/09). Für Altfälle (Dividendenbezug vor dem 28.02.2013; vgl. hierzu Werning in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 32 KStG Rn. 26) hat der Gesetzgeber in § 32 Abs. 5 EStG übergangsweise ein Erstattungsverfahren für von EU-/EWR-Mutterkapitalgesellschaften bezogene Streubesitzdividenden geschaffen. Für Dividenden, die nach dem 28.02.2013 zufließen, hat der Gesetzgeber – den auch heute noch maßgeblichen – § 8b Abs. 4 KStG geschaffen.
III. Nach § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG gilt die Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 1 KStG – und zwar unterschiedslos für inländische und ausländische Mutterkapitalgesellschaften – dann nicht, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahrs unmittelbar weniger als 10% des Grund- oder Stammkapitals betragen hat. In diesem Fall sind die Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG in voller Höhe steuerpflichtig. Durch Einführung des § 8b Abs. 4 KStG hat der Gesetzgeber die vormals bestehende Steuerbegünstigung für inländische Mutterkapitalgesellschaften abgeschafft. Nunmehr werden ausländische und inländische Körperschaften im Hinblick auf Streubesitzdividenden unterschiedslos gleich („schlecht“) behandelt (vgl. aber zu weiterhin bestehenden Unterschieden Rengers in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 8b KStG Rn. 182). Soweit § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG hinsichtlich des Erreichens der 10%-Beteiligungsschwelle auf die Beteiligung am Grund- oder Stammkapital abstellt, folgt hieraus zunächst, dass inkongruente Gewinn- oder Stimmrechtsverteilungen nicht entscheidend sind. Abgesehen davon war bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt, ob ausschließlich das zivilrechtliche Eigentum an der Beteiligung maßgeblich ist oder vielmehr die steuerliche Zurechnung nach § 39 AO und damit ggf. auch das wirtschaftliche Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO). Auch die Finanzverwaltung hat sich hierzu bislang nicht geäußert. Mit der vorliegenden Entscheidung hat der BFH die Sichtweise der Vorinstanz sowie die im steuerrechtlichen Schrifttum einhellig vertretene Auffassung (vgl. nur Herlinghaus in: Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl. 2023, § 8b Rn. 438; Pung in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 8b KStG Rn. 281) bestätigt und die wirtschaftliche Zurechnung als maßgeblich erachtet.
IV. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation grenzt der BFH ausdrücklich von der der Entscheidung des FG Köln v. 09.06.2016 (10 K 1128/15 - EFG 2016, 1542) zugrunde liegenden Sachverhaltskonstellation ab. Dort ging es um die Frage, ob eine (rückwirkende) Zurechnung von Anteilen, die infolge einer Kapitalerhöhung zeitlich erst nach dem für § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG maßgeblichen Stichtag rechtlich entstanden waren, möglich ist. Das FG Köln hatte insoweit entscheidend auf die zivilrechtliche Rechtslage und damit auf die Eintragung im Handelsregister abgestellt. Dies dürfte zutreffend sein, da das bloße Übernahmerecht auf die neuen Anteile (Bezugsrecht) dem Inhaber dieses Rechts noch keine der Beteiligung am Stammkapital wirtschaftlich vergleichbare Stellung einräumt.
V. Zu beachten ist, dass sich § 8b Abs. 4 KStG lediglich auf Bezüge nach § 8b Abs. 1 KStG bezieht und nicht auf Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen nach § 8b Abs. 2 KStG. Damit bleiben auch Gewinne aus der Veräußerung von Streubesitzbeteiligungen weiterhin von der Besteuerung ausgenommen. § 8b Abs. 4 KStG spielt auch für die Gewerbesteuer eine Rolle. Gemäß § 8 Nr. 5 GewStG sind u.a. die nach § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz bleibenden Beteiligungserträge hinzuzurechnen, soweit sie nicht die Voraussetzungen des § 9 Nr. 2a oder 7 GewStG (insbesondere Mindestbeteiligung von 15%) erfüllen. Eine Hinzurechnung unterbleibt unabhängig von § 9 Nr. 2a oder 7 GewStG, wenn die Beteiligungserträge bereits aufgrund von § 8b Abs. 4 KStG bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen sind. Im Ergebnis führt lediglich eine Streubesitzbeteiligung zwischen 10% und 15% zu einer gewerbesteuerlichen Hinzurechnung.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Auch wenn die vorliegende Entscheidung zur Berechnung der Beteiligungsschwelle nach wirtschaftlichen Kriterien nicht überraschend kommt, trägt sie doch zur weiteren Rechtssicherheit in der Anwendung von § 8b Abs. 4 KStG bei.
Ist damit geklärt, dass es für die Berechnung der 10%-Beteiligungsschwelle entscheidend auf das wirtschaftliche Eigentum i.S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO ankommt, stellt sich in der Praxis aber die Frage, unter welchen Bedingungen im Einzelfall wirtschaftliches Eigentum übergeht. Stehen – wie vorliegend – nicht verbriefte Anteile an Kapitalgesellschaftsanteilen (etwa nicht verbriefte Aktien oder GmbH-Geschäftsanteile) in Rede, kommt es darauf an, ob der Erwerber bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und ob die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrecht) sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind (st.Rspr., vgl. etwa BFH, Urt. v. 20.07.2010 - IX R 38/09 - BFH/NV 2011, 41; vgl. zu verbrieften Anteilen BFH, Urt. v. 15.12.1999 - I R 29/97 - BStBl II 2000, 527). Ob die wirtschaftliche Dispositionsbefugnis nach vorstehend genannten Kriterien übergegangen ist, ist in jedem Einzelfall nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse zu prüfen. Einzelne Strukturelemente sind nicht allein ausschlaggebend. In der vorliegenden Konstellation war entscheidend, dass die Klägerin nach Maßgabe des § 161 Abs. 1 BGB bereits ein Anwartschaftsrecht erworben hatte und bei nicht verbrieften, vinkulierten Namensaktien grundsätzlich kein gutgläubiger Erwerb nach § 161 Abs. 3 BGB in Betracht kommt. Zudem hätte X trotz Ausbleibens der Kaufpreiszahlung nicht ohne Setzung einer Nachfrist vom Vertrag zurücktreten können (§ 323 Abs. 1 BGB). Dem fehlenden Übergang der mit den Aktien verbundenen Verwaltungsrechte (insbesondere der Stimmrechte) kam hingegen keine entscheidende Bedeutung zu. In vergleichbaren Sachverhaltskonstellationen verbleiben aber stets gewisse Unsicherheiten.
Mit der vorliegenden Entscheidung sind aber längst nicht alle Problembereiche des § 8b Abs. 4 KStG geklärt. Unklarheiten bestehen etwa beim unterjährigen Beteiligungserwerb i.S.d. § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG. Nach § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG gilt der (unterjährige) Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10% als zu Beginn des Kalenderjahrs erfolgt. Insoweit ist umstritten, ob die Regelung nur den Erwerb von Beteiligungspaketen von mindestens 10% erfasst (sog. Blockerwerb) oder ob die Regelung auch anwendbar ist, wenn vor Beginn eines Kalenderjahrs bereits eine (Zwerg-)Beteiligung bestand und ein Hinzuerwerb im laufenden Kalenderjahr zur Überschreitung der 10%-Beteiligungsschwelle führt. Die Finanzverwaltung vertritt hierzu eine restriktive Auffassung und sieht lediglich Blockerwerbe von § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG erfasst. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu bleibt abzuwarten.



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