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Anmerkung zu:BFH 5. Senat, Urteil vom 24.08.2023 - V R 49/20
Autor:Robert Prätzler, StB
Erscheinungsdatum:12.02.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 15 UStG 1980, § 126 FGO, § 14c UStG 1980, § 176 AO 1977, § 4 UStG 1980, § 9 UStG 1980, § 24 UStG 1980, § 10 UStG 1980, § 15a UStG 1980, EGRL 112/2006
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 6/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Prätzler, jurisPR-SteuerR 6/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

BFH zur umsatzsteuerlichen Nebenleistung bei Vermietung und zum Vertrauensschutz nach § 176 AO



Leitsatz

§ 176 Abs. 2 AO gewährt keinen Änderungsschutz, wenn der BFH eine dort bezeichnete Verwaltungsvorschrift erst nach dem Erlass des angefochtenen Änderungsbescheids als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet.



A.
Problemstellung
Der BFH hat sich abermals zur Änderung seiner Rechtsprechung im Hinblick auf die umsatzsteuerliche Beurteilung der Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen (§ 4 Nr. 12 Satz 2 UStG) in Reaktion auf eine Entscheidung des EuGH v. 04.05.2023 (C-516/21 - UR 2023, 441 = MwStR 2023, 507 „Finanzamt X“, Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 29/2023 Anm. 4) geäußert. Das im Folgenden vorgestellte Urteil geht weiterhin auf Fragen der Mindestbemessungsgrundlage und des Vertrauensschutzes ein.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger, eine natürliche Person, hatte seit Juli 2012 einen vorher von ihm geführten land- und forstwirtschaftlichen Betrieb an eine GbR verpachtet, an der er zu 70% beteiligt war. Die GbR versteuerte ihre Umsätze nach § 24 Abs. 1 UStG (Durchschnittssätze). Auf seinem Grundstück errichtete der Kläger einen Boxenlaufstall für Milchvieh. Er teilte dem Finanzamt mit, auf die Steuerbefreiung für die Vermietung nach § 4 Nr. 12 UStG i.V.m. § 9 UStG zu verzichten und machte mit der Umsatzsteuerjahreserklärung 2013 den Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) aus den Kosten geltend. Ab März 2014 verpachtete der Kläger den Boxenlaufstall steuerpflichtig an die GbR für eine Jahrespacht von netto 45.000 Euro. Die Verpachtung schloss sämtliches Inventar, z.B. Melkroboter, und das Gebäude ein. Die insgesamt entstandenen Kosten für das Pachtobjekt betrugen ca. 680.000 Euro. In den Umsatzsteuerjahreserklärungen 2014 und 2015 wurden entsprechende steuerpflichtige Umsätze und Vorsteuerbeträge erklärt.
Bei einer Außenprüfung für die Jahre 2012-2015 vertrat das Finanzamt, auf die Verpachtung sei die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG anzuwenden. Somit erhöhte es die Bemessungsgrundlage für die Verpachtung. Ein Einspruchsverfahren gegen die geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen blieb ohne Erfolg.
Im finanzgerichtlichen Verfahren erreichte der Kläger die Nichtanwendung der Mindestbemessungsgrundlage. Das vereinbarte Entgelt sei marktüblich gewesen. Weiterhin sei die Verpachtung für das Streitjahr 2014 nach § 176 Abs. 2 AO als steuerpflichtig zu behandeln. Ab 2015 sei die Vermietung dagegen umsatzsteuerfrei (FG Hannover, Urt. v. 26.11.2020 - 11 K 12/20 - EFG 2021, 975).Der BFH erklärte die Revision für begründet und verwies mangels Spruchreife zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Zwar habe das FG zutreffend entschieden, dass nach der Rechtsprechung des BFH ein Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 2 UStG für nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfreie Umsätze nicht möglich ist, wenn der Pächter seine Umsätze nach § 24 Abs. 1 UStG versteuert (BFH, Urt. v 01.03.2018 - V R 35/17 - BStBl II 2020, 749; Anm. Eversloh, jurisPR-SteuerR 33/2018 Anm. 6). Das FG habe aber unzutreffend für das Streitjahr 2014 den § 176 Abs. 2 AO angewendet. Der angefochtene Änderungsbescheid vom 28.03.2018 sei bereits vor der Veröffentlichung des zitierten Urteils auf der Internetseite des BFH (16.05.2018) ergangen.
Daher müsse geprüft werden, ob und in welchem Umfang die Leistung des Klägers nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfrei sind. Die Vorschrift befreie die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken von der Umsatzsteuer. Der BFH habe bereits entschieden, dass die Überlassung von Inventar eine Nebenleistung zu dieser steuerfreien Verpachtung sein könne (BFH, Urt. v. 11.11.2015 - V R 37/14 - BStBl II 2017, 1259; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 14/2016 Anm. 4).
Gleiches gelte für die Mitverpachtung von Betriebsvorrichtungen. An der älteren Rechtsprechung, der zufolge sich aus § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG ein Aufteilungsgebot ergebe, so dass sie steuerpflichtig sei (BFH, Urt. v. 28.05.1998 - V R 19/96 - BStBl II 2010, 307 = BFH/NV BFH/R 1998, 1445), könne nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urt. v. 04.05.2023 - C-516/21 - UR 2023, 441 = MwStR 2023, 507 „Finanzamt X“) nicht mehr festgehalten werden. Der Senat habe sich der EuGH-Rechtsprechung bereits angeschlossen (BFH, Beschl. v. 17.08.2023 - V R 7/23 (V R 22/20) - BFH/NV 2023, 1386; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 43/2023 Anm. 5).
Es sei denkbar, dass der vorliegende Pachtvertrag insgesamt zu einer steuerfreien Leistung führe. Dafür spreche, dass der monatliche Pachtzins in einen Betrag für „Boxenlaufstall, Gebäude“ und einen weiteren Betrag für „Einrichtungen“ aufgeteilt werde. Mangels hinreichender Feststellungen des FG sei dem Senat aber im Revisionsverfahren eine Entscheidung zu dieser durch das FG nicht erörterten Frage versagt.
Ergänzend weist der BFH ohne Bindungswirkung (§ 126 Abs. 5 FGO) darauf hin, dass bei einer einheitlichen steuerfreien Leistung die Frage der Mindestbemessungsgrundlage nicht mehr relevant sei. Allerdings müsse das FG dann prüfen, ob ggf. fehlerhafte Rechnungen nach § 14c UStG vorliegen.
Falls dagegen die Überlassung des Inventars und der Betriebsvorrichtungen als Hauptleistung anzusehen sei, was insgesamt zu einer Steuerpflicht führe, müsse die Mindestbemessungsgrundlage näher geprüft werden. Für diese liege die erforderliche Ermächtigung nach Art. 27 der Sechsten Richtlinie vor. Ergänzend seien die Art. 80 und 72 MwStSystRL heranzuziehen. In diesem Fall spreche das Erfordernis der Leistungserbringung im selben Mitgliedstaat gegen die Sichtweise des Finanzamts, dass nur Vergleichsleistungen aus derselben Gemeinde heranziehen wollte und für die Sichtweise des FG, das Vergleichsregionen mit betrachten wollte.
Sollte schließlich keine einheitliche Leistung anzunehmen sein, müsse die Mindestbemessungsgrundlage bezogen auf die dann steuerpflichtige Überlassung von Inventar oder Betriebsvorrichtungen geprüft werden.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung betrifft eine Reihe durchaus unterschiedlicher Themenkomplexe.
Gerade der Vertrauensschutz nach § 176 AO ist immer wieder relevant. Geboten erscheint der Hinweis auf ein aktuelles, zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil des BFH (Urt. v. 06.07.2023 - V R 5/21 - BFH/NV 2023, 1380; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 48/2023 Anm. 1). In der zitierten Entscheidung stellte der BFH klar, dass der Vertrauensschutz bereits in Bezug auf eine Umsatzsteuer-Voranmeldungsfestsetzung und nicht erst auf die Umsatzsteuer-Jahresfestsetzung zu gewähren ist. Dies wurde in der Vergangenheit teilweise anders gesehen.
Der Verzicht auf die Steuerbefreiung bei Vermietungsumsätzen nach § 4 Nr. 12 UStG wurde in Deutschland bereits vor über 20 Jahren deutlich eingeschränkt, indem § 9 Abs. 2 UStG eine Nutzung der vermieteten Sache für den Vorsteuerabzug nicht ausschließende Umsätze verlangt. Hintergrund der Gesetzesänderung war im Wesentlichen die Bekämpfung bestimmter Steuergestaltungen (Zwischenvermietung), die als unerwünscht empfunden wurden. Leider können sich hieraus erhebliche Nachteile für Immobiliensachverhalte ergeben.
Die Entscheidung des BFH aus dem Jahr 2018, dass ein nicht zum Vorsteuerabzug berechtigter Leistungsempfänger auch dann vorliegt, wenn dieser seine Umsätze nach § 24 UStG nach sogenannten Durchschnittssätzen versteuert, ist grundsätzlich angesichts des Gesetzeswortlauts folgerichtig. Allerdings ergaben sich hieraus für Vermietungen in der Landwirtschaft teilweise erhebliche wirtschaftliche Nachteile.
Die Mindestbemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 4 und 5 UStG) greift insbesondere bei Leistungen an nahestehende Personen einschließlich des Personals. Sie soll dazu dienen, einen unversteuerten Letztverbrauch zu verhindern, der andernfalls ermöglicht würde, indem Leistungen gezielt über ein Unternehmen bezogen und verbilligt weitergeleitet werden. Die Mindestbemessungsgrundlage ist grundsätzlich anzuwenden, wenn die Bemessungsgrundlage für einen entgeltlichen Ausgangsumsatz an einen der genannten Leistungsempfänger unter dem Einkaufspreis bzw. den entstandenen Kosten für den Umsatz liegt. Abweichend hiervon findet sie keine Anwendung, wenn das Entgelt zwar niedriger, jedoch marktüblich ist (BFH, Urt. v. 19.06.2011 - XI R 8/09 - BFH/NV 2011, 2184; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 50/2011 Anm. 6 m.w.N., Abschn. 10.7 Abs. 1 Satz 5 UStAE).
Der BFH kam im Jahr 2014 ausgehend von einer EuGH-Entscheidung (EuGH, Urt. v. 26.04.2012 - C-621/10 und C-129/11 - UR 2012, 435 „Balkan and Sea Properties“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 34/2012 Anm. 6) zu einer weiteren Einschränkung der Anwendung: Die Mindestbemessungsgrundlage sei nicht anzuwenden, wenn der Leistungsempfänger im Hinblick auf den Leistungsbezug zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist – aber nur unter der weiteren Bedingung, dass der Leistungsbezug nicht einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG unterfällt (BFH, Urt. v. 05.06.2014 - XI R 44/12 - BStBl II 2016, 187; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 40/2014 Anm. 6). Die Finanzverwaltung hat dies übernommen (Abschn. 10.7 Abs. 6 UStAE).
Dies bedeutet, dass die Mindestbemessungsgrundlage bei laufenden Aufwendungen wie z.B. Vermietung oder Verpachtung und vollem Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers nicht angewendet wird, sehr wohl aber bei Lieferungen von Gegenständen. Die Unterscheidung wirkt künstlich und muss nicht richtig sein. Leider hatte der BFH keine Gelegenheit mehr, sich zur Anwendung auf andere Sachverhalte zu äußern.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung betrifft einen besonders gelagerten Sachverhalt. Die Ausführungen des BFH sind im Kern nicht neu. Der BFH bekräftigt insbesondere, dass die Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen umsatzsteuerfrei sein kann.
Allerdings scheint er es weiterhin für denkbar zu halten, je nach den Umständen des Einzelfalls nicht etwa die Vermietung des Grundstücks, sondern die Vermietung der Betriebsvorrichtungen als Hauptleistung zu betrachten. Dies erinnert an eine recht eigenartige Entscheidung zur Behandlung der Vermietung einer Kombination aus Fahrzeugabstellflächen und Grundstücksflächen, auf denen Verkaufscontainer oder -buden aufgestellt wurden, als einheitliche steuerfreie Vermietung eines Grundstücks (BFH, Urt. v. 29.03.2017 - XI R 20/15 - BFH/NV 2017, 1195 = UR 2017, 669; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 40/2017 Anm. 6).
Im Interesse der Rechtssicherheit wäre es wünschenswert, wenn die Finanzverwaltung zeitnah Stellung zur Anwendung der Rechtsprechung zur steuerfreien Mitverpachtung von Betriebsvorrichtungen nehmen könnte.



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