Verwertung eines Hausgrundstücks bei darlehensweiser und zuschussweiser Bewilligung von BürgergeldLeitsätze 1. Für eine darlehensweise Gewährung von Leistungen reicht es nicht aus, dass dem Hilfesuchenden Vermögen zusteht, wenn nicht absehbar ist, ob er einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Vermögen ziehen kann. Es liegt eine generelle Unverwertbarkeit i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB II vor, wenn ungewiss ist, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintreten wird. 2. Ist ein Grundstück voraussichtlich im Bewilligungszeitraum nicht veräußer- oder belastbar, liegt dauerhafte Unverwertbarkeit vor. Leistungen sind dann als Zuschuss zu erbringen. Der Hinweis auf theoretisch in Betracht kommende Verwertungsvarianten genügt nicht. 3. Auch im Rahmen von § 9 Abs. 4, § 24 Abs. 5 SGB II treffen die Jobcenter Beratungs- und Hinweispflichten. Der Hilfesuchende muss auf das Verwertungserfordernis hingewiesen worden sein, ihm müssen konkrete Verwertungsmöglichkeiten beispielhaft aufgezeigt worden sein und ihm muss für eine nicht mögliche sofortige Verwertung Zeit eingeräumt worden sein. In dieser Zeit sind Leistungen darlehensweise zu erbringen. - A.
Problemstellung Es geht um die zuschussweise Bewilligung von Bürgergeld oder alternativ um dessen darlehensweise Gewährung. Die jeweilige Bewilligung hängt vom zeitnahen Einsatz eines ererbten Miteigentumanteils an einem Grundstück ab.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Antragstellerin beansprucht vorläufige Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zuzüglich Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung. Den Eltern der Antragstellerin gehörte je zur Hälfte ein 1.200 m² großes Grundstück. Sie errichteten ein gemeinschaftliches Testament. Darin verfügten sie für den ersten Erbfall, dass der Erstversterbende die Schwester der Antragstellerin zu 7/10 und die Antragstellerin zu 3/10 als Erben einsetzt, die Mutter erhielt als Überlebende ein lebenslanges Nießbrauchrecht. Nach dem Tod des Erstversterbenden wurde zugunsten des Überlebenden ein Vermächtnis dahin gehend angeordnet, dass der Überlebende den gesamten Nachlass des Erstversterbenden mit Ausnahme des Hausgrundstücks erhalten solle. Testamentsvollstreckerin sollte auf Dauer die Mutter der Antragstellerin sein. Nachdem ihr Vater verstorben war, teilte sie verspätet mit, dass sie im Jahr 2011 geerbt hatte. Auf einen Weiterbewilligungsantrag gewährte der Antragsgegner mit Bescheid vom 18.01.2022 Leistungen für die Monate Februar 2022 bis Januar 2023. Im Juli 2022 bat die Antragstellerin um die „Aufstellung der aufgelaufenen Sozialleistungen für eine erbrechtliche Beratung“. Der Antragsgegner forderte von der Antragstellerin anlassbedingt vergeblich Unterlagen zum Erbfall und zum Grundstück an, fragte nach, ob sich die Antragstellerin um die Verwertung des Miteigentumanteils gekümmert habe und hob die Leistungsbewilligung für die Monate August bis September 2022 im Bescheid vom 27.07.2022 auf. Mit Bescheid vom selben Tage bewilligte er der Antragstellerin aufgrund unklarer Vermögensverhältnisse vorläufig Grundsicherungsleistungen für die Zeit von August bis September 2022 und versagte auf einen Weiterbewilligungsantrag mit Bescheid vom 26.09.2022, gegen den Widerspruch eingelegt wurde, wegen fehlender Mitwirkung weitere Leistungen. Der Antragsgegner wurde mit dem Hinweis, dass sich eine Änderung erst mit dem Tod der Mutter ergeben werde, aufgefordert, die Leistungen unverzüglich wieder aufzunehmen. Im weiteren Verlauf forderte der Antragsgegner u.a. die Vorlage eines Erbscheins an. Die Antragstellerin teilte mit, dass das Grundstück einen Wert von ca. 2 bis 2,5 Mio. Euro habe. Sie bemerkte, dass ihre Mutter und ihre Schwester nicht über die liquiden Mittel verfügten, um ihren Erbanteil zu kaufen. Aufgrund des Nießbrauchs ihrer Mutter seien keine Verwertungsbemühungen unternommen worden. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verfolgte die Antragstellerin ihr Begehren auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuschussweise oder darlehensweise weiter. Das Sozialgericht lehnte den Antrag ab. Es fehle an einem Anordnungsgrund, weil für die Zeit vom 01.10.2022 bis 23.11.2022, also für die Zeit vor Eingang des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, rückwirkend kein Anordnungsgrund bestehe und 2022 die Antragstellerin vorübergehend problemlos in das Haus ihrer Mutter hätte einziehen können. Ein Anordnungsgrund liege nicht vor, weil die vom Gericht und dem Antragsgegner erbetenen Unterlagen nicht beigebracht worden seien. Verwertungsmöglichkeiten seien denkbar. Gegen den Beschluss des Sozialgerichts legte die Antragstellerin Beschwerde ein. Die Mutter der Antragstellerin erklärte im Beschwerdeverfahren, dass sie ihre Tochter auch im Hinblick auf deren Suchtkrankheit nicht aufnehmen könne, weil es in dem Haus keinen abtrennbaren Bereich gebe. Das LSG München hat auf die Beschwerde der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 27.07.2022 bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens angeordnet und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.02.2023 bis zum 31.07.2023 zu zahlen. Das Landessozialgericht differenziert zwischen der Zeit vom 01.10.2022 bis zum 31.01.2023 und ordnet für diesen Zeitraum die Anordnung der aufschiebenden Wirkung an (§ 86b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGG). Es ist der Auffassung, dass der Bescheid vom 27.07.2022 verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist. Es habe an der erforderlichen Anhörung gefehlt, eine Rechtsgrundlage werde nicht genannt, die Voraussetzungen der §§ 45 und 48 SGB X hätten nicht vorgelegen. Damit lebe der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 18.01.2022 wieder auf, so dass der Antragsgegner entsprechende Leistungsbeträge nachzuzahlen habe. Die Klage gegen den Versagungsbescheid vom 26.09.2022 habe gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung und stehe dem Bescheid vom 18.01.2022 und den anderen vorläufigen Bescheiden nicht entgegen. Für die Zeit ab 01.02.2023 lägen die Voraussetzungen einer Regelungsanordnung vor. Es habe kein verwertbares Vermögen vorgelegen. Die Antragstellerin habe weder über das Vermögen verfügen können noch dürfen. Sie verfüge nicht über aktuelle Mittel. Maßgeblich, ob ein Verwertungshindernis wegfalle, sei eine Prognose für den Bewilligungszeitraum. Es beständen Zweifel, ob die Antragstellerin im Bewilligungszeitraum ihren Erbteil verwerten könne. Es hätte seitens des Jobcenters auf das Verwertungserfordernis hingewiesen werden müssen und dem Hilfesuchenden müssten konkrete Verwertungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Nach alledem sei eine darlehensweise Bewilligung nicht infrage gekommen. Die Sache sei eilbedürftig.
- C.
Kontext der Entscheidung In seinem Beschluss unterscheidet das LSG München zwischen dem Zeitraum ab dem 01.02.2023 und dem Zeitraum ab 01.10.2022 bis zum Abschluss des Widerspruchverfahrens und ordnet beiden Leistungszeiträumen unterschiedliche Rechtsbehelfe im Eilverfahren zu. Damit korrigiert er verfahrensrechtlich die Entscheidung des Sozialgerichts schon im Ansatz. Das Sozialgericht ist undifferenziert von einem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ausgegangen. Richtiger Rechtsbehelf für die Zeit ab 01.02.2023 ist eine Regelungsanordnung (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) und für den Zeitraum vom 01.10.2022 bis zum 31.01.2023 die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Bei der Gewährung von Leistungsansprüchen wird es grundsätzlich komplex, wenn wie hier SGB II mit dem Erbrecht zu koordinieren ist. Die Antragstellerin ist Mitglied in einer ungeteilten Erbengemeinschaft mit einem Anteil von 3/10, wie sich im Laufe des Verfahrens herausgestellt hat. Hinterlässt der Erblasser mehrere Erben, so wird der Nachlass gemeinschaftliches Vermögen der Erben (§ 2032 BGB) mit der Folge, dass bis zur Aufhebung der Gemeinschaft den Mitgliedern der Erbengemeinschaft das Erbe gemeinschaftlich zusteht. Eine Auseinandersetzung ist bisher nicht erfolgt, so dass die Antragstellerin über ihren Anteil am Grundstück nicht ohne Zustimmung der anderen Erbin verfügen kann (§ 2040 Abs. 1 BGB). Mit dem Erbfall ist die Testamentsvollstreckung der Mutter wirksam geworden. Eine Abwicklung ist bisher nicht erfolgt. Darin ist kein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten zu sehen. Denn eine Höchstdauer für die Durchführung einer dauerhaften Testamentsvollstreckung ist vom Gesetz nicht vorgeschrieben (vgl. Zimmermann in: MünchKomm BGB, § 2203 Rn. 5). Hilfebedürftig ist, wer – wie hier – nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, seinen Lebensunterhalt nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sicherstellen kann. Nach § 12 Abs. 2 SGB II gehört hierzu auch verwertbares Vermögen. Bei dem Miterbenanteil der Antragstellerin handelt es sich um kein geschütztes Vermögen, weil das Grundstück selbst unbestritten 2 bis 2,5 Mio. Euro wert ist. Inwieweit das Nießbrauchrecht der Mutter den Marktwert beeinträchtigt, ist nicht erheblich, weil der Miteigentumsanteil der Antragstellerin an sich marktgängig bleibt, was der Senat ohne nähere Ausführungen bezweifelt. Zu den einzusetzenden Vermögensgegenständen kann der Miteigentumsanteil der Antragstellerin aus dem Nachlass, über den sie nach § 2033 Abs. 1 BGB verfügen kann, und der Anspruch auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft (§§ 2042 ff BGB) gehören. Die Hilfebedürftigkeit wird fiktional erweitert, weil der Begriff der Verwertbarkeit nach der Rechtsprechung (vgl. z.B. BSG, Urt. v. 27.01.2009 - B 14 AS 42/07 R - ZEV 2009, 403) aus zwei Komponenten, die des Könnens und die des tatsächlichen Ertrags, besteht. Am Vorliegen beider Voraussetzungen hat das LSG München mit Recht Zweifel. Er weist darauf hin, dass die Antragstellerin aktuell nicht über bereite Mittel verfügt, auch weil es noch zu keiner Erbauseinandersetzung gekommen ist. Dem eigentlich autonomen, bisher fehlendem Verhalten der Verwertungsbemühungen durch die Antragstellerin setzt der Senat die bisher vom Jobcenter unterlassenen Beratungs- und Hinweispflichten gegenüber und orientiert sich damit an der nicht ganz unproblematischen Rechtsprechung des BSG (BSG, Urt. v. 24.05.2017 - B 14 AS 16/16 - NZS 2017, 754 mit Anm. Becker). Damit liest das LSG München wie das BSG in den Begriff „verwertbar“ Pflichten des Jobcenters hinein, die sich in der Vorschrift des § 12 SGB II so nicht finden lassen. Die Folge ist, dass Leistungsansprüche zugunsten der Antragstellerin ausgedehnt werden und der Begriff der Verwertung in Form des Könnens eingeschränkt wird (vgl. dazu Becker, NZS 2017, 754). Betrachtet man allerdings den Sachverhalt näher, hätte sich dem Antragsgegner schon aufdrängen müssen, dass Möglichkeiten der Verwertung hätten erörtert werden müssen, nachdem die Antragstellerin sich mit der Bitte an das Jobcenter um „Aufstellung der aufgelaufenen Sozialleistungen für eine erbrechtliche Beratung“ gewandt hatte. Diese Formulierung signalisierte eine Art Hilferuf nach einer Beratung.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Nach alledem ist die zeitliche Komponente der Verwertbarkeit von Vermögen von großer praktischer Bedeutung. Ob der Bewilligungszeitraum von sechs Monaten sinnvoll ist, kann bezweifelt werden, entspricht aber einer gefestigten Rechtsprechung. In dieser Zeit wird es den Jobcentern kaum möglich sein, den skizzierten Beratungspflichten zu genügen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 03.06.2021 - L 25 AS 1720/18). Die Verlagerung der Hinweis- und Beratungspflichten auf das Jobcenter bedeutet in der Praxis, dass diese sorgfältig beachtet werden müssen. Zu diesen Pflichten gehört im Fall eines durch Erbschaft erworbenen Vermögens die Beratung zur „Versilberung“ des Grundstückanteils. Das LSG München gewährt beispielhaft „Hilfestellung“ und nennt die Übertragung des Erbanteils im Wege des Erbschaftskaufs, die Verpfändung des Miterbenanteils sowie die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft. Letzteres zu erzwingen, dürfte schwierig sein, weil zwar auf Auseinandersetzung geklagt werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass die Antragstellerin damit zeitnah über bereite Mittel verfügen wird. Eine Möglichkeit des Jobcenters besteht darin aufzuklären, ob die Antragstellerin wirklich an einer Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft interessiert ist. Anlass für eine derartige Prüfung könnte deswegen bestehen, weil die Antragstellerin bisher mit dem pauschalen Hinweis auf den Nießbrauch ihrer Mutter an dem Grundstück keine Verwertungsbemühungen unternommen hat. Wird ein Auseinandersetzungsanspruch nicht ernstlich geltend gemacht, bestände kein wirkliches Verwertungshindernis (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 06.08.2018 - L 18 AS 1284/18 B ER). Dann bliebe nur die Gewährung von Leistungen in Form eines (dinglich zu sichernden) Darlehens. Das Jobcenter ist in diesem Erbfall, was eine mögliche Refinanzierung der geleisteten Sozialleistungen angeht, in einer schwierigen Situation, was umso mehr Anstrengungen einer „Versilberung“ auch im Zusammenwirken mit den Erben notwendig macht.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Das LSG München musste die Entscheidung des Sozialgerichts korrigieren, weil für den Zeitraum vor der Einleitung des Eilverfahrens (01.10.2022 bis 31.01.2023) keine Regelungsverfügung (§ 86b Abs.2 SGG), sondern statthafter Rechtsbehelf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG) war. Denn die Antragstellerin hatte sich auch gegen den Aufhebungsbescheid vom 27.07.2022 gewandt. Mit seiner Anfechtung und der Anordnung der aufschiebenden Wirkung lebte die bereits bis zum Januar 2023 erfolgte Bewilligung wieder auf. Es ist ein in der Praxis häufig unterlaufender Fehler, dass ein bestandkräftiger Bewilligungsbescheid nicht gemäß § 45 SGB X unter Einhaltung der Formalien zurückgenommen wird und die Leistungen nicht einfach eingestellt werden können. Das LSG München hat den Antragsgegner des Weiteren im Wege der Regelungsanordnung vorläufig verpflichtet, für einen Zeitraum von sechs Monaten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. Damit trägt es dem Gedanken Rechnung, dass im Eilverfahren keine endgültigen Leistungen zu erbringen sind. Vorläufig bedeutet, dass erst im Hauptverfahren endgültig über das Behaltendürfen entschieden wird. Richtig ist auch die zeitabschnittsweise Beschränkung der Leistung.
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