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Anmerkung zu:BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 07.06.2023 - VII ZR 594/21
Autor:Prof. Dr. Reinhold Thode, RiBGH a.D.
Erscheinungsdatum:07.11.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 690 ZPO, § 634 BGB, § 280 BGB, § 204 BGB, § 322 ZPO
Fundstelle:jurisPR-PrivBauR 11/2023 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Bernd Siebert, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Verjährungshemmung durch Mahnbescheid: Hinreichende Individualisierung des Anspruchs; Nachholung der Individualisierung



Leitsätze

1. Die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren hemmt die Verjährung nur, wenn der Schuldner aufgrund der Bezeichnung des Anspruchs im Mahnbescheid erkennen kann, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleitet (Bestätigung von BGH, Urt. v. 14.07.2022 - VII ZR 255/21).
2. Die im Mahnbescheid nicht hinreichende Individualisierung des Anspruchs kann nachgeholt werden. Die Nachholung der Individualisierung hemmt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zwar nicht rückwirkend, aber ab dem Zeitpunkt ihrer Vornahme (Bestätigung von BGH, Urt. v. 14.07.2022 - VII ZR 255/21).
3. Für die nachträgliche Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren ist ebenso wie für die Individualisierung im Mahnbescheid ausschließlich auf den Erkenntnishorizont des Schuldners abzustellen. Dementsprechend ist es ohne Bedeutung, ob die Individualisierung des Anspruchs durch an das Gericht gerichteten Schriftsatz oder außerhalb des Gerichtsverfahrens erfolgt (Bestätigung von BGH, Urt. v. 14.07.2022 - VII ZR 255/21).



A.
Problemstellung
Die Frage, welchen Anforderungen die Individualisierung eines in einem Mahnbescheid geltend gemachten Anspruchs genügen muss, damit der Mahnbescheid die Verjährung des Anspruchs hemmt, war Gegenstand mehrerer Entscheidungen des BGH (vgl. die in den Leitsätzen genannte Entscheidung BGH, Urt. v. 14.07.2022 - VII ZR 255/21 m. Anm. Schwenker, jurisPR-PrivBauR 12/2022 Anm. 2; m. Anm. Thode, jurisPR-BGHZivilR 24/2022 Anm. 4; weitere Nachw. bei Voit in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 690 Rn. 6-7a sowie bei Dörndorfer in: BeckOK ZPO, 49. Ed. Stand: 01.07.2023, § 690 Rn. 5-7).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen mangelhafter Ingenieurleistungen auf Schadensersatz in Anspruch.
Sie beauftragte den Beklagten mit Ingenieurleistungen für das Bauvorhaben „Abwasseranlage K., BA 16, Bauumfangsänderung“. Der Beklagte erstellte insbesondere die Ausschreibungsunterlagen, auf deren Grundlage zunächst die V. GmbH (im Folgenden: V.) den Auftrag für Entwässerungs- und Kanalarbeiten sowie zur Schaffung eines Regenüberlaufbeckens erhielt. Nachdem die V. die Arbeiten eingestellt hatte, beauftragte die Klägerin die H. F. GmbH. Nach Abschluss des Bauvorhabens stellte der Beklagte der Klägerin am 10.08.2009 seine Schlussrechnung, welche diese am 29.12.2009 bezahlte.
In der Folgezeit nahm die Klägerin die V. wegen entstandener Mehrkosten (37.088,26 Euro) gerichtlich erfolglos in Anspruch. Nach ihrem Vortrag musste sie deshalb der V. Prozesskosten i.H.v. 8.438,90 Euro erstatten und entstanden ihr eigene Prozesskosten i.H.v. 21.470,86 Euro. Sie ist der Auffassung, dass der Beklagte für die entstandenen Mehrkosten und die vorgetragenen Prozesskosten aufkommen müsse, weil er die Ausschreibung der von der V. zu erbringenden Leistungen fehlerhaft formuliert habe.
Auf Antrag der Klägerin vom 20.08.2014 hat das Amtsgericht C. – Mahngericht – am 22.08.2014 einen Mahnbescheid erlassen. In dem Mahnbescheid ist der geltend gemachte Anspruch antragsgemäß wie folgt bezeichnet: „Anspruch aus Ingenieurvertrag vom 08.05.2007 66.998,02 Euro“. Weiter heißt es: „Der Antragsteller hat erklärt, dass der Anspruch von einer Gegenleistung abhänge, diese aber erbracht sei.“
Der Mahnbescheid ist dem Beklagten am 27.08.2014 zugestellt worden. Am 29.08.2014 haben die anwaltlichen Vertreter der Klägerin dem Beklagten ihren Schriftsatz vom 21.08.2014 zugestellt. In diesem wird der Beklagte unter Darlegung des Sachverhalts zur Zahlung von 66.998,02 Euro bis zum 19.08.2014 aufgefordert. Darüber hinaus heißt es dort: „Ein Mahnbescheid über die Gesamtsumme von 66.998,02 Euro zzgl. Zinsen wird Ihnen demnächst vom Amtsgericht C., Zentralem Mahngericht in B., zugehen. Mit diesem Mahnbescheid werden die hier beschriebenen Ansprüche geltend gemacht.“
Der Beklagte hat gegen den Mahnbescheid unter dem 10.09.2014 Widerspruch erhoben. Die Klägerin hat ihren Anspruch mit Schriftsatz vom 11.02.2020 begründet, nachdem der Haftpflichtversicherer des Beklagten erstmals mit Schreiben vom 22.07.2015 und letztmals bis zum 12.02.2020 auf die Einrede der Verjährung verzichtete, soweit eine Verjährung nicht bereits eingetreten sei. Der Beklagte hat sich gegen den Anspruch unter anderem mit der Einrede der Verjährung verteidigt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da der Anspruch der Klägerin verjährt sei. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht (OLG Bamberg, Beschl. v. 20.05.2021 - 3 U 392/20) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Nach Ziff. 9.4 der Allgemeinen Bestimmungen für Ingenieurleistungen, die Vertragsgegenstand geworden seien, habe die Verjährungsfrist für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch mit der Anweisung der Schlusszahlung (29.12.2009) begonnen, so dass mit Ablauf des 29.12.2014 Verjährung eingetreten sei.
Eine Hemmung der Verjährung durch den Antrag auf Erlass des Mahnbescheids (20.08.2014) sei nicht erfolgt. Durch die höchstrichterliche Rechtsprechung sei geklärt, dass der Mahnantrag und der auf seiner Grundlage ergangene Mahnbescheid den geltend gemachten prozessualen Anspruch nach § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO individualisieren müssten. Fehle es hieran, trete keine Hemmung der Verjährung durch den antragsgemäß erlassenen Mahnbescheid ein. Von einer hinreichenden Individualisierung sei auszugehen, wenn der Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden könne, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein könne und dem Schuldner die Beurteilung ermögliche, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen wolle. Hieran gemessen sei der Anspruch im Mahnbescheid vom 22.08.2014 nicht hinreichend individualisiert.
Die Klägerin beschränke sich in ihrem Mahnbescheidsantrag auf die bloße Angabe des Vertrags. Dieser Vertrag sei durch die Schlussrechnung vom 10.08.2009 abgewickelt gewesen. Die Klägerin habe zudem vor Beantragung des Mahnbescheids nicht zur Zahlung von Schadensersatz aufgefordert. Für den Beklagten sei es deshalb im Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids unklar gewesen, warum er in Anspruch genommen worden sei.
Das Schreiben vom 21.08.2014 ändere an dieser Rechtslage nichts. Denn dieses Schreiben sei dem Beklagten erst nach Zustellung des Mahnbescheids zugegangen und die für die Verjährungshemmung notwendige Individualisierung könne nicht mehr nachgeholt werden.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht geht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz wegen einer mangelhaften Erfüllung des Ingenieurvertrags vom 15.03./08.05.2007 geltend macht, der sich aus den §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB ergeben könnte und in Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien beginnend mit der Schlusszahlung vom 29.12.2009 in fünf Jahren und deshalb mit Ablauf des 29.12.2014 grundsätzlich verjährte.
Rechtsfehlerhaft ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Verjährung des Anspruchs nicht aufgrund der Zustellung des Mahnbescheids am 27.08.2014 i.V.m. dem am 29.08.2014 dem Beklagten zugestellten Schreiben der anwaltlichen Vertreter der Klägerin vom 21.08.2014 gehemmt wurde.
Nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB hemmt die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren die Verjährung. Die Hemmung der Verjährung setzt voraus, dass der im Mahnbescheid bezeichnete Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen unterschieden und abgegrenzt werden kann. Der im Mahnbescheid bezeichnete Anspruch muss deshalb einerseits Grundlage eines Vollstreckungstitels sein können und andererseits dem Schuldner die Beurteilung ermöglichen, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will oder nicht. Damit der Schuldner beurteilen kann, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will oder nicht, muss er im Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids erkennen können, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleitet. Wann dieser Anforderung Genüge getan ist, kann nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden; vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab. Maßgeblich für diese Individualisierung der Forderung im Mahnbescheid ist ausschließlich der Erkenntnishorizont des Schuldners.
Die im Mahnbescheid nicht hinreichende Individualisierung des Anspruchs des Schuldners kann nachgeholt werden. Die Nachholung der Individualisierung hemmt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zwar nicht rückwirkend, aber ab dem Zeitpunkt ihrer Vornahme. War zu diesem Zeitpunkt der mit dem Mahnbescheid geltend gemachte Anspruch noch nicht verjährt, wird mit der Nachholung der Individualisierung während des Mahnverfahrens die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt. Für die nachträgliche Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren ist deshalb ebenso wie für die Individualisierung im Mahnbescheid ausschließlich auf den Erkenntnishorizont des Schuldners abzustellen. Dementsprechend ist es ohne Bedeutung, ob die Individualisierung des Anspruchs durch an das Gericht gerichteten Schriftsatz oder außerhalb des Gerichtsverfahrens erfolgt.
Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht zu Unrecht eine Individualisierung des im Mahnbescheid bezeichneten Anspruchs in unverjährter Zeit verneint. Spätestens mit der Zustellung des Schreibens der anwaltlichen Vertreter der Klägerin vom 21.08.2014 am 29.08.2014 konnte der Beklagte erkennen, woraus die Klägerin den im Mahnbescheid bezeichneten Anspruch herleitete.


C.
Kontext der Entscheidung
Der BGH hat hinsichtlich der Voraussetzungen einer hinreichenden Individualisierung seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, deren Grundsätze Schwenker wie folgt zusammengefasst hat:
„Die Hemmung der Verjährung setzt voraus, dass der im Mahnbescheid bezeichnete Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen unterschieden und abgegrenzt werden kann. Damit der Schuldner beurteilen kann, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will oder nicht, muss er im Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids erkennen können, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleitet. Wann dieser Anforderung genüge getan ist, kann nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden; vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab.“ (Schwenker, jurisPR-PrivBauR 8/2021 Anm. 2, Orientierungssatz zur Anm. BGH, Beschl. v. 17.06.2020 - VII ZR 111/19).
Der BGH bestätigt mit seinem Urteil seine Entscheidung vom 14.07.2022 (BGH, Urt. v. 14.07.2022 - VII ZR 255/21; dazu: Thode, jurisPR-BGHZivilR 24/2022 Anm. 4 und Schwenker, jurisPR-PrivBauR 12/2022 Anm. 2 sowie Elzer, FD-ZVR 2022, 451592).
Die Angaben zu dem geltend gemachten Anspruch müssen geeignet sein, den Umfang der materiellen Rechtskraft (§ 322 ZPO) zu bestimmen (BGH, Urt. v. 23.09.2008 - XI ZR 253/07 - NJW-RR 2009, 544 Rn. 18 m. Anm. Geisler, jurisPR-BGHZivilR 9/2009 Anm. 3; Dörndorfer in: BeckOK ZPO 49. Ed. Stand: 01.07.2023, § 690 Rn. 5). Geltend gemachte Einzelforderungen müssen jeweils gesondert bezeichnet werden. Die Zustellung des Mahnbescheids hemmt die Verjährung nicht, wenn ein Teilbetrag aus mehreren Einzelforderungen geltend gemacht wird, wenn eine genaue Aufschlüsselung der Einzelforderungen unterblieben ist und die Individualisierung erst nach Ablauf der Verjährungsfrist nachgeholt wird (BGH, Urt. v. 21.10.2008 - XI ZR 466/07 - NJW 2009, 56 Rn. 21 m. Anm. Geisler, jurisPR-BGHZivilR 9/2009 Anm. 3; Dörndorfer in: BeckOK ZPO, 49. Ed. Stand: 01.07.2023, § 690 Rn. 5; Voit in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 690 Rn. 6a).
Nimmt der Gläubiger in einem Mahnantrag auf Rechnungen Bezug, die dem Mahngegner weder zugegangen noch dem Mahnbescheid als Anlage beigefügt sind, so sind die angemahnten Ansprüche nicht hinreichend bezeichnet, soweit sich ihre Individualisierung nicht aus anderen Umständen ergibt (BGH, Urt. v. 10.07.2008 - IX ZR 160/07 - NJW 2008, 3498 Rn. 13; Voit in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 690 Rn. 6a).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Risiken, die entstehen können, wenn der Gläubiger zur Verjährungshemmung einen Mahnbescheid beantragt, sind in der Anm. von Thode, jurisPR-BGHZivilR 24/2022 Anm. 4 unter D. dargestellt (so auch Schwenker, jurisPR-PrivBauR 12/2022 Anm. 2 unter D.; beide Anm. betreffen BGH Urt. v. 14.07.2022 - VII ZR 255/21):
Im Hinblick darauf, dass die Einzelfallentscheidungen zu den Voraussetzungen einer hinreichenden Beschreibung des geltend gemachten Anspruchs dogmatisch nicht spezifiziert sind und Fallgruppen zur Konkretisierung der Generalklausel sich nicht entwickelt haben (zu Fallgruppen zur Konkretisierung von Generalklauseln vgl. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 8 Rn. 26 ff.), besteht grundsätzlich keine hinreichende Prognosesicherheit, ob die Angaben zu dem Anspruch von dem jeweiligen Gericht als ausreichend gewertet werden. Hilfreich für den Rechtsanwalt für eine Prognose sind allenfalls Fallkonstellationen, die bereits Gegenstand einer Entscheidung sind. Der weite Beurteilungs- und Wertungsspielraum, der durch die Generalklausel eröffnet wird, begünstigt die Neigung der Instanzgerichte, im Zweifelsfall eine Verjährungshemmung zu verneinen. Das Verfahren, mit dem der BGH sich befassen musste, ist ein anschauliches Beispiel für diesen Befund.



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