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Anmerkung zu:OLG Frankfurt 11. Zivilsenat, Beschluss vom 17.11.2022 - 11 SV 39/22
Autor:Dr. Sebastian Zeyns, RA
Erscheinungsdatum:07.03.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 38 ZPO, § 603 ZPO, § 605a ZPO, § 30 ZPO, § 145 ZPO, § 39 ZPO, § 36 ZPO, § 33 ZPO, EUV 1215/2012
Fundstelle:jurisPR-PrivBauR 3/2023 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Bernd Siebert, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Zeyns, jurisPR-PrivBauR 3/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Zuständigkeit: Drittwiderklage gegen die Vertragserfüllungsbürgin



Leitsatz

§ 33 ZPO ist auf den streitgenössischen Drittwiderbeklagten entsprechend anwendbar, wenn eine enge tatsächliche und rechtliche Verzahnung des Rechtsgrunds der Klage und der streitgenössischen Drittwiderklage bestehen. In diesem Fall kann keine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgen.



Orientierungssatz zur Anmerkung

Das Gericht, das im Wege der Widerklage über einen Mängelbeseitigungsanspruch entscheidet, ist auch für die Drittwiderklage gegen die Vertragserfüllungsbürgin zuständig.



A.
Problemstellung
Die vorliegende Entscheidung beschäftigt sich mit einer im Baurecht typischen Prozesssituation: Der Auftraggeber sieht sich regelmäßig dem Problem gegenüber, dass (oft verjährungshemmend) sowohl gegen den Auftragnehmer als auch gegen die Vertragserfüllungsbürgin gerichtlich vorgegangen werden soll. Dabei ist es in aller Regel erstrebenswert, gegen beide in einem gemeinsamen Rechtsstreit vorzugehen, um sich widersprechende Entscheidungen zu vermeiden und Kosten zu sparen. Hat der Auftragnehmer bereits eine Vergütungsklage anhängig gemacht, stellt sich die Frage für den Auftraggeber im Rahmen der Wider- und Drittwiderklage gemäß § 33 ZPO (analog).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall verklagte die Auftragnehmerin die Auftraggeberin vor dem LG Frankfurt auf Werklohn. Hiergegen wendete die Auftraggeberin insbesondere Mängel ein und machte ihre Mängelbeseitigungskosten widerklagend geltend. Nach dem Generalunternehmervertrag war die Auftragnehmerin zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft verpflichtet. Diese Bürgschaft war gestellt, weshalb die Auftraggeberin auch gegen die Bürgin vorging, die gegen ihre Leistungspflicht u.a. ebenfalls einwendete, dass Mängel nicht vorlägen.
Für die Widerklage gegen die Auftragnehmerin war das LG Frankfurt gemäß § 38 ZPO zuständig, da die Parteien in dem Generalunternehmervertrag die ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung nach Frankfurt getroffen hatten. Die Bürgin war hingegen nicht Vertragspartei des Generalunternehmervertrages, so dass die Gerichtsstandsvereinbarung gegen die Bürgin nicht galt. Mit der Begründung, dass die Bürgin keinen allgemeinen oder besonderen Gerichtsstand in Frankfurt hatte, stellte die Auftraggeberin einen Antrag gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, dass das OLG Frankfurt als zunächst höheres Gericht den Gerichtsstand gegen die Auftragnehmerin und gegen die Bürgin bestimmen soll.
Das OLG Frankfurt hat diesen Antrag zurückgewiesen, weil ein besonderer Gerichtsstand in entsprechender Anwendung des § 33 ZPO bestehe.
Zur Begründung hat das OLG Frankfurt ausgeführt, dass eine Drittwiderklage dann zulässig sei, wenn eine enge tatsächliche und rechtliche Verzahnung des Rechtsgrundes der Klage und der streitgenössischen Drittwiderklage vorliegt. Dies sei auch in der vorliegenden Konstellation zu bejahen. Im Rahmen der Klage müsse über die Mangelfreiheit entschieden werden und auch im Rahmen der Drittwiderklage müsse entschieden werden, ob der Einwand der Bürgin, dass Mängelfreiheit bestehe und der Sicherungsfall nicht eingetreten sei, berechtigt sei.
Zur dogmatischen Begründung führt das Gericht aus, dass sonst der Sinn und Zweck des § 33 ZPO, der in der Prozessökonomie und in der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen liege, nicht hinreichend beachtet würde, da der Weg über eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beispielsweise dann nicht möglich sei, wenn ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand des Widerbeklagten und Drittwiderbeklagten zwar besteht, dieser jedoch nicht dort liegt, wo die Klage anhängig ist.
Weiter begründet das Gericht, dass der Weg über eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO keine echte Bestimmung des Gerichts darstelle, weil die einzige Möglichkeit ohnehin darin liege, das Gericht der Klage als Gerichtsstand zu bestimmen. Das Gericht habe schließlich keine Disposition über das bereits anhängige Klageverfahren und könne mithin als Gerichtsstand für die Wider- und Drittwiderklage allein den Gerichtsstand des Klageverfahrens sinnvoll bestimmen.
Schließich argumentiert das Gericht, dass es der Vertragserfüllungsbürgin zumutbar sei, dass sie an dem Ort der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung des Generalunternehmervertrages verklagt werde, weil ihre Bürgschaftsverbindlichkeit akzessorisch sei.


C.
Kontext der Entscheidung
Nach einhelliger Meinung sind sich widersprechende Gerichtsentscheidungen zu vermeiden; solche Entscheidungen beeinträchtigen den Rechtsfrieden und es entsteht erhebliche Rechtsunsicherheit. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie ist allgemein anerkannt. Soweit möglich, sollen daher einheitliche Sachverhalte bei einem Gericht gebündelt werden, um zu vermeiden, dass dieselben Fragen mehrfach kostenintensiv zu klären sind.
Gleichwohl sieht das deutsche Prozessrecht einen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs nur in absoluten Ausnahmefällen vor (Wechsel- oder Scheckprozess, §§ 603 Abs. 2, 605a ZPO, Gerichtsstand bei Beförderung, § 30 Abs. 1 Sätze 2, 3 ZPO), was rechtspolitisch bereits lange kritisiert wird (Bsp. Roth in: Staudinger, 23. Aufl. 2014, § 36 Rn. 22). In Fällen mit Auslandsberührung besteht hingegen ein Gerichtsstand des Sachzusammenhangs in Art. 8 Abs. 1 EuGVVO, der im Übrigen auch die örtliche Zuständigkeit regelt. Außerhalb dieser Sonderfälle besteht kein solcher Gerichtsstand des Sachzusammenhangs. Stattdessen ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ein Antrag bei dem zunächst höheren Gericht auf Bestimmung der Zuständigkeit zu stellen. Diese Möglichkeit besteht zudem nur, wenn kein (allgemeiner oder besonderer) Gerichtsstand gegeben ist, an dem die Streitgenossen gemeinsam verklagt werden können.
Das OLG Frankfurt hat diesem Umstand, dass kein Gerichtsstand des Sachzusammenhangs besteht, in der Konstellation der Widerklage Abhilfe geschaffen und sich damit gegen die ausdrücklich anderslautende Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 28.02.1991 - I ARZ 711/90) gewendet. Dabei hatte sich der BGH in seiner Rechtsprechung bereits ausdrücklich und unter Aufgabe einer bisherigen BGH-Rechtsprechung damit befasst, dass auch über § 33 ZPO keine Umgehung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO möglich ist.
Der Auftraggeber kann nach der vorliegenden Entscheidung die Vertragserfüllungsbürgin und den hauptschuldenden Auftragnehmer gemeinsam verklagen, wenn dies durch eine (Dritt-)Widerklage erfolgt. Diese Entscheidung ist vor dem Hintergrund der oben dargestellten Prozessgrundsätze zwar nachvollziehbar. Der Weg über § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erscheint umständlich und in der Konstellation der Widerklage selten überraschend, da die Klage bereits anhängig ist, so dass das Gericht im Rahmen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO in der Regel das Gericht des anhängigen Rechtsstreits bestimmen wird. Mit der Argumentation des OLG Frankfurt, dass keine Entscheidungsalternative neben dem Klagegericht bestehe, hatte sich der BGH (Beschl. v. 28.02.1991 - I ARZ 711/90) jedoch bereits befasst und den Aspekt mit der Begründung verworfen, dass die Gesetzeslage den Weg vorschreibt und die Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch in vielen anderen Fällen lediglich darauf lautet, dem Antrag zu entsprechen oder diesen abzulehnen.
Die Argumentation des OLG Frankfurt überzeugt aber auch deshalb nicht, weil diese die Bindung von Klage und Widerklage überschätzt. Bereits in § 145 Abs. 2 ZPO ist die Trennung von Klage und Widerklage gesetzlich normiert. Es sind zahlreiche Konstellationen denkbar, in denen nicht dasselbe Gericht über Klage und Widerklage entscheiden kann, vgl. § 33 Abs. 2 ZPO. Das zunächst höhere Gericht ist daher in der Bestimmung des zuständigen Gerichts nicht dadurch determiniert, dass die Klage bereits anhängig ist.
Weitere Zweifel an der Entscheidung entstehen durch den folgenden Vergleich: Wenn der Auftraggeber in dem vorliegenden Fall zuerst seine Mängelbeseitigungskosten eingeklagt hätte und auch die Bürgin hätte mitverklagen wollen, dann stünde ihm allein der Weg über § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO offen. Klage und Widerklage sind selbstständige Prozessrechtsverhältnisse; diese sind selbstständig zu bewerten, wobei grundsätzlich dieselben Maßstäbe gelten. Dann kann es jedoch nicht überzeugen, dass es im Klagewege nur unter den Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO möglich ist, den Auftragnehmer neben der Bürgin zu verklagen, während diese Voraussetzungen nicht gelten, wenn der Auftraggeber beide im Wege der (Dritt-)Widerklage verklagt.
Anzumerken ist überdies, dass das Regel-Ausnahme-Verhältnis der Analogie vom OLG Frankfurt in sein Gegenteil verkehrt wird. Die Analogie setzt zunächst eine Regelungslücke voraus. Eine solche Regelungslücke besteht betreffend die örtliche Zuständigkeit auch für eine streitgenössische Drittwiderklage nicht, da der Weg über § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eröffnet ist. Die Argumentation, dass der Weg über § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO versperrt sei, weil § 33 ZPO analog angewandt werden könnte, erscheint daher allein ergebnisorientiert. Vielmehr ist andersherum auf § 33 ZPO für die örtliche Zuständigkeit erst dann zurückzugreifen, wenn eine anderweitige örtliche Zuständigkeit nicht besteht (Patzina in: MünchKomm ZPO, 6. Auflage 2020, § 33 Rn. 19). Über § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO könnte die örtliche Zuständigkeit hingegen begründet werden.
Das OLG Frankfurt stützt sich in seiner Argumentation auf die Beschlüsse des BGH vom 30.09.2010 (Xa ARZ 208 und Xa ARZ 129/10). In diesen Entscheidungen wurden Fälle der isolierten Drittwiderklage entschieden; der Weg über § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO war in diesen Fällen also, anders als im vorliegenden Fall, von vornherein nicht möglich.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis kann die Entscheidung eine Vereinfachung bedeuten. Aus vorgenannten Gründen bestehen gleichwohl erhebliche Zweifel an der Entscheidung des OLG Frankfurt. Zur Begründung der Zuständigkeit für eine streitgenössische Drittwiderklage gegen die Bürgin kann zwar der Versuch unternommen werden, auf § 33 ZPO analog zu verweisen. Wenn die Zuständigkeit betreffend die Drittwiderklage jedoch gerügt wird und deshalb auch keine Zuständigkeit gemäß § 39 ZPO begründet wird, dürfte es gleichwohl dem sichersten Weg entsprechen, einen Antrag gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu stellen, insbesondere weil der BGH auch noch in jüngerer Vergangenheit davon ausging, dass dieser Weg zutreffend ist (BGH, Beschl. v. 30.09.2010 - Xa ARZ 191/10 - BGHZ 187, 112 Rn. 8).
Fraglich bleibt, ob diese Entscheidung auch auf andere Konstellationen übertragen werden kann. Beispielsweise wenn der Auftraggeber auf Mängelbeseitigungskosten klagt und der Auftragnehmer die Mangelfreiheit einwendet und widerklagend seine Vergütung geltend macht und zudem drittwiderklagend gegen den Bürgen einer §-650f-BGB-Bürgschaft vorgehen möchte. Es ist davon auszugehen, dass die Entscheidung des OLG Frankfurt auch auf diesem Fall übertragbar ist und deshalb § 33 ZPO im Rechtsstreit gegen die §-650f-BGB-Bürgin analog anzuwenden ist.



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