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Anmerkung zu:LG Berlin 64. Zivilkammer, Beschluss vom 13.12.2023 - 64 S 210/21
Autor:Fabian Bagusche, LL.M., RA und FA für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
Erscheinungsdatum:10.05.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 556d BGB, § 555b BGB, § 287 ZPO, § 556f BGB
Fundstelle:jurisPR-MietR 9/2024 Anm. 1
Herausgeber:Norbert Eisenschmid, RA
Zitiervorschlag:Bagusche, jurisPR-MietR 9/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Mietpreisbremse in Berlin: Anforderungen an eine umfassende Modernisierung



Leitsätze

1. Beruft der Vermieter sich im Rahmen eines Streits um die Einhaltung der „Mietpreisbremse“ gemäß §§ 556d ff. BGB auf den Ausnahmetatbestand, dass es sich um die erste Vermietung nach umfassender Modernisierung i.S.d. § 556f Satz 2 BGB handele, kann sein Vortrag nicht deswegen als insgesamt unerheblich verworfen werden, weil er den Zustand der Wohnung vor Modernisierung nicht in allen Einzelheiten zu beschreiben vermag und hinreichend detaillierten Vortrag zu den (fiktiven) Instandhaltungsanteilen unterlässt. Es obliegt dann vielmehr dem Mieter, die eingeführten Rechnungen zu prüfen und aufzuzeigen, welche abgerechneten Bauteile oder Einrichtungen schon vor den Baumaßnahmen vorhanden gewesen sein sollen und daher um einen Instandhaltungsabschlag zu kürzen seien. Hat der Mieter keine Kenntnisse vom Zustand der Mietsache vor Durchführung der Arbeiten, darf er zwar nicht ins Blaue hinein fantasieren, kann aber mit Erfahrungssätzen oder Vermutungen arbeiten und wird regelmäßig ohne Verstoß gegen die Wahrheitspflicht behaupten dürfen, eine erneuerte Einrichtung habe vor Beginn der Baumaßnahmen bereits ihre zu erwartende Nutzungsdauer erreicht gehabt. Tritt der Vermieter dem nicht durch substantiierten Vortrag entgegen, wird das Gericht auf dieser Tatbestandsgrundlage zu entscheiden und ggf. nach § 287 Abs. 2 ZPO durch Schätzung zu ermitteln haben, in welcher Höhe (fiktive) Instandhaltungskosten abzusetzen sind, darf aber nicht schlicht davon absehen, sich mit dem Rechenwerk des Vermieters überhaupt zu befassen. (Anschluss/Umsetzung BGH, Urt. v. 11.11.2020 - VIII ZR 369/18 - Grundeigentum 2021, 237 ff.).
2. Die Kosten des erstmaligen Einbaus einer zeitgemäßen Elektroanlage sind insgesamt als Modernisierungskosten zu berücksichtigen, wenn die vor der Modernisierung vorhandene Elektroanlage zwar Bestandsschutz genoss, aber jegliche Veränderung das Erfordernis ihrer vollständigen Erneuerung mit sich gebracht hätte. War die vorhandene Elektroinstallation schlicht nicht instandsetzungsfähig, so spricht dies entscheidend gegen den Ansatz fiktiver Instandsetzungskosten. Der Umstand, dass die Wohnung nach der Rechtsprechung des BGH ohne eine hinreichende Anzahl gleichzeitig belastbarer Steckdosen mangelhaft wäre, stellt den Modernisierungscharakter der Maßnahme nicht in Frage.



A.
Problemstellung
Das LG Berlin hatte sich im Rahmen eines Streits um die Einhaltung der „Mietpreisbremse“ mit der Frage zu befassen, ob ein Ausnahmetatbestand i.S.d. § 556f Satz 2 BGB aufgrund einer umfassenden Modernisierung vorliegt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Mietpartei klagte erstinstanzlich auf Auskunft und Zahlung infolge eines vermeintlichen Verstoßes gegen die Vorschriften der Mietpreisbremse i.S.d. §§ 556d ff. BGB. Ohne Erfolg berief sich der beklagte Vermieter erstinstanzlich auf den Ausnahmetatbestand i.S.d. § 556f Satz 2 BGB und vertrat die Auffassung, aufgrund einer umfassenden Modernisierung unterliege das streitbefangene Mietverhältnis nicht den Vorschiften der §§ 556d ff. BGB.
Das erstinstanzliche Gericht folgte der Auffassung jedoch nicht und verurteilte den beklagten Vermieter antragsgemäß. Hiergegen legte der Vermieter unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Sachvortrags form- und fristgerecht Berufung ein.
Mit Erfolg! Das LG Berlin hat die angefochtene Entscheidung vollumfänglich aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Nach Auffassung des Landgerichts waren die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes i.S.d. § 556f Satz 2 BGB erfüllt, da es – entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts – eine „umfassende“ Modernisierung durch den beklagten Vermieter als erwiesen ansah.
Zutreffend hat das Landgericht seiner Entscheidung zunächst die Rechtsprechung des BGH zugrunde gelegt, wonach eine „umfassende“ Modernisierung immer dann anzunehmen sei, „wenn sie einen Umfang aufweist, der eine Gleichstellung mit Neubauten gerechtfertigt erscheinen lässt“ und wenn die Modernisierung einerseits im Hinblick auf die hierfür angefallenen Kosten einen wesentlichen Bauaufwand erfordert und andererseits wegen der mit ihrem tatsächlichen Umfang einhergehenden qualitativen Auswirkungen zu einem Zustand der Wohnung führt, der demjenigen eines Neubaus in wesentlichen Teilen entspricht (vgl. BGH, Beschl. v. 27.05.2020 - VIII ZR 73/19 Rn. 10 ff. - NJW-RR 2020, 1212).
Beide Voraussetzungen hat das LG Berlin als erwiesen angesehen.
Nach Auffassung des Landgerichts lag der von dem beklagten Vermieter vorgetragene Modernisierungsaufwand deutlich über einem Drittel der für das Jahr 2018 anzusetzenden Kosten eines Neubaus in vergleichbarer Lage. Mithin sei ein „wesentlich finanzieller Bauaufwand“ gegeben gewesen.
Zutreffend konstatierte das Landgericht im Einklang mit der vorstehenden Rechtsprechung des BGH, dass die Modernisierung im Hinblick auf den finanziellen Bauaufwand immer dann als wesentlich anzusehen sei, wenn dieser („mindestens“) ein Drittel des für eine vergleichbare Neubauwohnung erforderlichen Aufwands – ohne Grundstücksteil – erreicht, wobei ausschließlich Kosten aus dem Katalog des § 555b BGB Berücksichtigung finden dürfen. Unter Rückgriff auf die Gesetzesbegründung werde von dem Begriff der Modernisierung die Wiederherstellung eines ehemals bestehenden Zustandes nicht umfasst. Somit dürfen Kosten, die keinen Bezug zu einer in § 555b BGB genannten Modernisierungsmaßnahme aufweisen, nicht in einem etwaigen Kostenvergleich Berücksichtigung finden (BT-Drs. 18/3121, S. 32).
Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts sah das Landgericht nach den vorstehenden Vorgaben die von dem beklagten Vermieter schriftsätzlich dargelegten Baukosten jedoch als „wesentliche“ Modernisierungskosten an. Hierbei differenzierte es nach den einzelnen Gewerken und prüfte jeweils, ob die dortigen Baumaßnahmen Maßnahmen i.S.d. § 555b BGB darstellen und den Wohnwert der Wohnung wesentlich verbessert haben (Bad/Sanitär, Elektroanlage, Fenster, Parkett, Brennwerttherme, Malerarbeiten).
Auch sei es unschädlich, dass der beklagte Vermieter erstinstanzlich den Zustand der streitbefangenen Wohnung vor den Modernisierungsmaßnahmen nicht in allen Einzelheiten dargelegt und einen Abzug für (fiktive) Instandhaltungskosten teilweise nicht dargelegt habe. Es habe vielmehr dem Mieter oblegen, die in den Rechtsstreit eingeführten Rechnungen zu prüfen und aufzuzeigen, welche abgerechneten Bauteile oder Einrichtungen schon vor den Baumaßnahmen vorhanden gewesen sein sollen und daher um einen Instandhaltungsabschlag zu kürzen seien. Sollte dies nicht möglich sein, da der Mieter z.B. keine Kenntnisse vom Zustand der Mietsache vor Durchführung der Arbeiten hatte, könne jedoch vom Mieter erwartet werden, anhand von Erfahrungssätzen und Vermutungen darzulegen, ob eine erneuerte Einrichtung vor Beginn der Baumaßnahmen bereits ihre zu erwartetet Nutzungsdauer erreicht hatte. Trete der Vermieter dem nicht durch substanziierten Vortrag entgegen, werde das Gericht auf dieser Tatbestandsgrundlage zu entscheiden und ggf. nach § 287 Abs. 2 ZPO durch Schätzung zu ermitteln haben, in welcher Höhe (fiktive) Instandhaltungskosten abzusetzen seien. Es dürfe aber nicht schlicht davon absehen, sich mit dem Rechenwerk des Vermieters überhaupt zu befassen.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung setzt die Vorgaben des BGH konsequent um. Insbesondere bei der Darlegung der Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes i.S.d. § 556f Satz 2 BGB sind die Anforderungen an den Vermieter hoch. Diesbezüglich gilt, dass der Vermieter die Tatbestandsvoraussetzungen des § 556f BGB in beiden Alternativen im Streitfall darlegen und beweisen muss. Hierzu zählen das Datum der erstmaligen Nutzung bzw. Vermietung ebenso wie der aufgewandte Bauaufwand und der geschaffene Zustand.
Hat der Vermieter aber die einzelnen Modernisierungsarbeiten substanziiert durch Vorlage der Rechnungen, von Leistungsverzeichnissen und Fotos dargelegt, kann der Mieter die Maßnahme und die Kosten nicht mehr mit Nichtwissen bestreiten (Börstinghaus in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 556f BGB).
Nicht selten sind vorstehende Vorgaben für den durchschnittlichen Vermieter äußerst schwer zu erfüllen. Zwar können regelmäßig die Modernisierungsmaßnahmen unter Beweis gestellt werden, da allein aus steuerlichen Gründen eine Dokumentation der relevanten finanziellen Aufwendungen seitens der Vermieter vorgenommen wird. Die Darlegung des Zustandes der Wohnung vor den Modernisierungsmaßnahmen gelingt vielen Vermietern mangels ausreichender Sachverhaltsinformationen indes oftmals nicht. Auch neigen die Instanzgerichte in einer derartigen Prozesssituation nicht selten zu einer Überdehnung der Substanziierungsanforderungen zulasten der Vermieter.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Vermieteranwälte sollten bei der Darlegung der Voraussetzungen des § 556f Satz 2 BGB sowohl zu dem Datum der erstmaligen Nutzung bzw. Vermietung, dem Bauaufwand und dem geschaffenen Zustand sowie der damit einhergehenden Wohnwerterhöhung substanziiert und unter Beweisantritt vortragen. Gleichwohl sollten Vermieteranwälte ebenfalls nicht verkennen, dass bloßes mieterseitiges Bestreiten mit Nichtwissen sowie der Hinweis, eine Darlegung des Zustandes der Wohnung vor den Modernisierungsmaßnahmen fehle, den Vorgaben des BGH nicht gerecht werden. Vermieteranwälte sollten folglich frühzeitig im gerichtlichen Verfahren die vom Landgericht vertretene Rechtsauffassung einführen.
Gerichte sollten bei ihrer Entscheidungsfindung hingegen nicht verkennen, dass gesetzlicher Sinn und Zweck von § 556f Satz 2 BGB ist, investitionshemmende Folgen der Begrenzung der Wiedervermietungsmiete zumindest etwas abzumildern. Wird die Substanziierungslast bei der Anwendung von § 556f Satz 2 BGB regelmäßig überdehnt, hat dies oftmals zur Folge, dass der investierende und wohnwertverbessernde Vermieter im Ergebnis nicht entlastet wird. Dies kann jedoch nicht im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers stehen.



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