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Anmerkung zu:OLG Schleswig 5. Senat für Familiensachen, Beschluss vom 23.05.2022 - 15 UF 42/22
Autor:Norbert Maes, RA, FA für Familienrecht und Mediator
Erscheinungsdatum:20.09.2022
Quelle:juris Logo
Normen:§ 113 FamFG, § 716 ZPO, § 116 FamFG, § 708 ZPO, § 120 FamFG, § 718 ZPO, § 321 ZPO, § 709 ZPO
Fundstelle:jurisPR-FamR 19/2022 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Maes, jurisPR-FamR 19/2022 Anm. 1 Zitiervorschlag

Nachträgliche Anordnung der sofortigen Wirksamkeit durch das Beschwerdegericht in Familienstreitsachen



Leitsätze

1. Trifft das Familiengericht keine Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit einer Endentscheidung in einer Familienstreitsache, kann der hierdurch beschwerte Beteiligte gemäß § 120 Abs. 1 FamFG, §§ 716, 321 ZPO innerhalb von zwei Wochen eine Ergänzung der Endentscheidung beantragen.
2. Eine erstinstanzlich unterbliebene Anordnung der sofortigen Wirksamkeit gemäß § 116 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann im Beschwerdeverfahren nicht durch das Beschwerdegericht nachgeholt werden.



A.
Problemstellung
Mit Schaffung des im September 2009 in Kraft getretenen FamFG wollte der Gesetzgeber „in einem großen Wurf“ das Verfahrensrecht im Familienrecht und das Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit zusammenfassend regeln. Die Zivilprozessordnung sollte nach § 113 FamFG nur noch dort entsprechend gelten, wo es keine speziellen Regelungen im FamFG gab. Mit § 116 FamFG beseitigte der Gesetzgeber das in der ZPO verbriefte Recht des Gläubigers, bereits vor Rechtskraft der Entscheidung vollstrecken zu dürfen und stellte das in das Ermessen des Amtsrichters. Damit warf er die höchst differenzierten, auf das Feinste austarierten Vollstreckungsregeln der §§ 708 bis 718 ZPO über Bord. Zwar verweist § 120 FamFG auf die Vollstreckungsvorschriften der ZPO, aber § 718 ZPO, der die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit durch die Beschwerdegerichte regelt, bezieht sich auf die vorläufige Vollstreckbarkeit der §§ 708 ff. ZPO, die der Gesetzgeber mit § 116 Abs. 3 FamFG für überflüssig erklärt hatte. Deshalb ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob das Beschwerdegericht nachträglich die sofortige Vollziehbarkeit anordnen dürfe.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das OLG Schleswig wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des erstinstanzlichen Unterhaltstitels mit dem Argument ab, es fehle an einer Rechtsgrundlage. Wenn der Familienrichter keine sofortige Vollziehbarkeit seines Beschlusses gemäß § 116 Abs. 3 Satz 2 FamFG anordne, könne der Beschwerte ausschließlich dort eine Ergänzung des Beschlusses gemäß § 120 Abs. 1 FamFG, § 716 ZPO innerhalb der Zweiwochenfrist des § 321 Abs. 2 ZPO beantragen. Für eine nachträgliche Anordnung durch das Beschwerdegericht fehle eine Rechtsgrundlage.


C.
Kontext der Entscheidung
Mit seiner Entscheidung stellt sich der Senat bewusst gegen von ihm zitierte herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung. Geteilt wird seine Auffassung lediglich vom 2. Familiensenat des OLG Brandenburg im Beschluss vom 28.08.2015 (10 UF 74/15), dagegen der 1. Familiensenat im Beschl. v. 07.04.2022 - 9 UF 34/22. So auch OLG Bamberg, Beschl. v. 22.06.2012 - 2 UF 296/11; OLG Karlsruhe, Beschlüsse vom 28.02.2013 - 18 UF 363/12 und vom 07.01.2019 - 20 UF 146/18; KG, Beschlüsse vom 09.05.2014 - 18 UF 43/13 und vom 27.12.2013 - 13 UF 110/13. Für die Auffassung der Mindermeinung spricht, dass der Gesetzgeber entgegen den Vollstreckungsregeln der ZPO mit § 116 Abs. 3 FamFG die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in das Ermessen des Familienrichters gestellt und keine dem § 718 ZPO vergleichbare Regelung in das FamFG aufgenommen hat. Die Ignoranz des Gesetzgebers findet in den Gesetzesmotiven in der BT-Drs. 16/6308 v. 07.09.2007 auf S. 496 zu § 116 FamFG ihren Ausdruck: „Durch diese Vorschrift wird das Rechtsinstitut der vorläufigen Vollstreckbarkeit in Familienstreitsachen entbehrlich“. Demgegenüber spricht für die herrschende Meinung, dass der Gesetzgeber den Schutz des Gläubigers nicht verringern wollte. Er meinte, die komplizierten Vollstreckungsregeln der ZPO, die seine Ministerialbeamten offenbar nicht durchdrungen hatten, durch eine neue „geniale“ Regelung ersetzen zu können. Tatsächlich ist § 116 FamFG aber überflüssig, weil gerichtliche Unterhaltstitel bereits nach § 708 Nr. 8 ZPO ohne Sicherheitsleistung sofort vollstreckbar waren. Weshalb der Gesetzgeber den gesetzlichen Gläubigerschutz der ZPO mit der Familienrechtsreform 2009 in das Ermessen eines Familienrichters gestellt hat, erschließt sich nicht und ist auch den Gesetzesmotiven nicht zu entnehmen. Deshalb sollte der Meinungsstreit Anlass für den Gesetzgeber sein, seine vermurksten Spezialregeln aufzuheben. Denn dann könnten die differenzierten Vollstreckungsregeln der ZPO von Gesetzes wegen wieder zum Zuge kommen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die vorliegende Entscheidung führt zu einem erheblichen Haftungsrisiko für den Familienrechtsanwalt, auch wenn die meisten Oberlandesgerichte dankenswerterweise die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit gemäß § 120 Abs. 1 FamFG, § 718 ZPO zulassen. Deshalb sollte er schon in der ersten Instanz die Ergänzung des Beschlusses um die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit innerhalb der Zweiwochenfrist des § 321 ZPO oder – noch besser – gleich mit der Einleitung des Gerichtsverfahrens beantragen. Soweit es sich nicht um laufenden Unterhalt handelt, sollte er entsprechend § 709 ZPO die sofortige Vollziehbarkeit gegen eine der Höhe nach zu bestimmenden Sicherheit beantragen. Andernfalls ist zu befürchten, dass die gewünschte Anordnung unterbleibt oder gar mit der Begründung abgelehnt wird, es handle sich nicht um laufenden Unterhalt. Das OLG Karlsruhe hatte im oben zitierten Beschl. v. 07.01.2019 - 20 UF 146/18 das AG Pforzheim, Beschl. v. 05.10.2018 - 1 F 58/15 insoweit bestätigt.



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