juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 2. Senat, Urteil vom 24.05.2023 - II R 27/20
Autor:Dr. Andreas Wagenseil, RA, Dipl.-Kfm., StB und Testamentsvollstrecker (AGT)
Erscheinungsdatum:02.04.2024
Quelle:juris Logo
Norm:§ 2 ErbStG 1974
Fundstelle:jurisPR-FamR 7/2024 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Wagenseil, jurisPR-FamR 7/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

DBA-Schweden 1992 nach Fortfall der schwedischen Schenkungsteuer



Leitsatz

Nach Abschaffung der Schenkungsteuer im Königreich Schweden (Schweden) zum 01.01.2005 kann Art. 4 Abs. 1 Buchst. b DBA-Schweden 1992 bei einer Doppelansässigkeit des Schenkers im Inland und in Schweden kein Besteuerungsrecht in Schweden begründen. Dies hat zur Folge, dass die Schenkung eines in der Bundesrepublik Deutschland und zugleich in Schweden ansässigen Schenkers dem deutschen Schenkungssteuerrecht unterliegt.



A.
Problemstellung
Kommt das zwischen der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und dem Königreich Schweden (Schweden) zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt der Schenkung bestehende Doppelbesteuerungsabkommen, welches u.a. auch das Besteuerungsrecht für die Schenkungsteuer regelt, weiterhin zur Anwendung, obwohl zu diesem Zeitpunkt das entsprechende Schenkungsteuergesetz in Schweden bereits abgeschafft war?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Zum 01.01.2005 wurde in Schweden die Schenkungsteuer abgeschafft. Das am 14.07.1992 zwischen Deutschland und Schweden abgeschlossene Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie bei den Erbschaft- und Schenkungsteuern und zur Leistung gegenseitigen Beistands bei den Steuern (DBA) wurde durch die Vertragsparteien jedoch nicht diesbezüglich angepasst und bestand zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt damit unverändert weiter fort.
Die 2005 in Schweden ansässige Klägerin erhielt in diesem Jahr von ihrem Vater im Wege der Schenkung Anteile an einer schwedischen AG. Der Vater unterhielt im Zeitpunkt der Schenkung Wohnsitze in Schweden und in der Bundesrepublik. Sein Lebensmittelpunkt lag – unstreitig – in Schweden.
Das zuständige deutsche Finanzamt setzte gegen die Beschenkte entsprechend Schenkungsteuer nach deutschem ErbStG fest. Dagegen erhob die Beschenkte Einspruch. Da ihr Vater als Schenker nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. b DBA grundsätzlich in beiden Vertragsstaaten ansässig sei, komme Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA zur Anwendung. Danach sei bei Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten für die Zuordnung des Besteuerungsrechts entscheidend, wo sich der Lebensmittelpunkt befinde (sog. „Tie-Breaker-Rule“). Damit verfüge allein Schweden über das entsprechende Besteuerungsrecht und nicht die Bundesrepublik. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Die gegen den Einspruch eingelegte Klage hatte Erfolg. Nach Ansicht des FG Stuttgart (Urt. v. 05.08.2020 - 7 K 2777/18 - EFG 2021, 60) ergibt sich aus dem anwendbaren DBA das alleinige Besteuerungsrecht Schwedens. Maßgeblich sei, dass das DBA auch nach Abschaffung der Schenkungsteuer in Schweden unverändert fortbestanden habe.
Der BFH hat der durch das Finanzamt eingelegten Revision stattgegeben.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gelte der Vater als Inländer und sei damit persönlich in Deutschland steuerpflichtig.
Dem stehe auch nicht das DBA entgegen. Nach Art. 24 DBA i.V.m. Art. 26 DBA erfolge die Schenkung von beweglichem Vermögen durch eine in einem Vertragsstaat ansässige Person nur in diesem Staat, ungeachtet von dessen Belegenheit. Die Frage, wer „eine in einem Vertragsstaat ansässige Person“ sei, definiere Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 DBA für Zwecke des DBA abschließend als „eine Person, deren Nachlass oder Schenkung oder deren Erwerb nach dem Recht dieses Staates dort aufgrund eines Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist“.
Daraus folgert der BFH, dass sich im vorliegenden Fall die Ansässigkeit des Schenkers allein nach inländischem (Steuer-)Recht bestimme. Um die abkommensrechtliche Ansässigkeit zu bestimmen, bedürfe es daher einer tatsächlich existierenden nationalen Vorschrift, die für die (unbeschränkte) Steuerpflicht der Schenkung an den Wohnsitz des Schenkers oder ein ähnliches ortsbezogenes Merkmal anknüpfe. Dies geschehe im deutschen Steuerrecht mittels § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG, der die unbeschränkte Steuerpflicht der in Deutschland ansässigen Person regle. Eine vergleichbare Norm sei im schwedischen Steuerrecht jedoch nach Abschaffung der Schenkungsteuer ab dem 01.01.2005 nicht mehr vorhanden.
Nach Ansicht des BFH steht dieses Ergebnis auch nicht im Widerspruch zur Entscheidung des I. Senates des BFH vom 06.06.2012 (I R 52/11 - BFHE 237, 356), auf welches das FG Stuttgart in seinem erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen hatte. Danach erfordere der Begriff der „Ansässigkeit“ und damit die Anwendbarkeit des DBA (in diesen Fall das DBA Deutschland - Frankreich) nicht, dass die im Einzelfall betroffenen Einkünfte tatsächlich der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat unterliegen. Ausreichend sei vielmehr deren abstrakte („virtuelle“) Steuerpflicht.
Diese „virtuelle“ Steuerpflicht ist jedoch nach Ansicht des BFH in seiner aktuellen Entscheidung zum deutsch-schwedischen DBA grundsätzlich nur gegeben, wenn ein entsprechendes nationales Steuergesetz existiere, welches die fraglichen Einkünfte abstrakt einer Steuerpflicht unterwerfe. Im vorliegenden Fall sei dies jedoch gerade nicht der Fall. Werde das nationale Steuergesetz abgeschafft, so bestehe nicht nur keine tatsächliche, sondern auch keine abstrakte/virtuelle Steuerpflicht mehr.


C.
Kontext der Entscheidung
Vordergründig nimmt der BFH in der vorliegenden Entscheidung eine Auslegung des Art. 4 Abs. 1 Buchst. b DBA nach dem Wortlaut – „… eine in dem Vertragsstaat ansässige ist, (…) eine Person, deren (…) Schenkung (…) dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts (…) steuerpflichtig ist …“ – vor. Danach setzt die Annahme der Ansässigkeit in einem Vertragsstaat nach Art. 4 DBA voraus, dass eine (zumindest „virtuelle“) Steuerpflicht in diesem Vertragsstaat besteht. Diese Argumentation erscheint jedoch zumindest angreifbar.
Die ständige finanzgerichtliche Rechtsprechung, wie auch die einschlägige Literatur (vgl. nur Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, OECD-DBA, Art. 4 Rn. 2 m.w.N.) stimmen darin überein, dass es für die Ansässigkeit nicht auf die tatsächliche Besteuerung im Ansässigkeitsstaat ankommen kann. Denn Ziel und Zweck eines DBA ist, jegliche mögliche Form der Doppelbesteuerung zu verhindern. Und zwar unabhängig davon, ob im Ansässigkeitsstaat tatsächlich in dem jeweils konkreten Fall eine entsprechende Steuerpflicht besteht. Eine insofern denkbare, „virtuelle“ Besteuerung reicht daher nach ganz herrschender Meinung aus, so dass die gesetzliche Steuerbefreiung bestimmter Sachverhalte oder Steuersubjekte die Ansässigkeit nach DBA nicht verändern kann (vgl. nur Wassermeer/Kaeser in: Wassermeyer, OECD-MA, Art. 1 Rn. 23, Art. 4 Rn. 25, 29).
Gemäß der vorliegend diskutierten Entscheidung des BFH setze diese „virtuelle“ Steuerpflicht jedoch die Existenz einer gesetzlichen Regelung voraus, welche „grundsätzlich“ die Steuerpflicht begründen würde. Existiert gar kein Gesetz, so fehlt es auch an einer „abstrakten“ bzw. „virtuellen“ Steuerpflicht.
In dem vom I. Senat des BFH entschiedenen Sachverhalt (BFH, Urt. v. 06.06.2012 - I R 52/11 - BFHE 237, 356) stellte sich die Frage, ob eine französische Gesellschaft („société d'investis-sement à capital variable“ - „SICAV“) als Kapitalgesellschaft nach deutschem Steuerrecht anzusehen war. Ausdrücklich erklärte der BFH, dass die Befreiung der SICAV von der französischen Körperschaftsteuer deren etwaige Ansässigkeit in Frankreich nach dem anwendbaren DBA Deutschland-Frankreich nicht ausschließen würde. Würde es sich dagegen bei der SICAV um keine Kapitalgesellschaft aus deutscher Sicht (sog. Rechtstypenvergleich) handeln, wäre diese steuerlich transparent. In diesem Fall wäre nicht die Ansässigkeit der Gesellschaft, sondern die ihrer Gesellschafter maßgeblich. Dann wäre die entsprechende Norm des DBA zur Bestimmung der Ansässigkeit einer Kapitalgesellschaft per se nicht anwendbar gewesen. Zur Klärung dieser Frage verwies der BFH die Sache an das Finanzgericht zurück.
Eine weiter gehende Differenzierung der allgemein als ausreichend angesehenen „virtuellen“ Steuerpflicht erfolgte somit in dieser Entscheidung nicht, so dass kein konkreter Widerspruch zwischen den beiden fraglichen Entscheidungen des BFH besteht.
Allerdings folgen aus dem Urteil des BFH vom 25.05.2023 zum DBA Deutschland-Schweden gewisse Abgrenzungsfragen. Wann genau liegt aus Sicht des BFH „keine“ gesetzliche Reglung vor? Wie wäre zum Beispiel zu entscheiden gewesen, wenn Schweden in einem Gesetz weiterhin den unentgeltlichen Erwerb von Todes wegen, jedoch nicht den unter Lebenden steuerlich geregelt hätte? Wäre in einem solchen Fall ebenfalls keine „virtuelle“ Steuerpflicht und als Konsequenz keine Ansässigkeit in Schweden gegeben gewesen, da nur die Steuerart „Schenkungsteuer“ abgeschafft wurde?
Leider unterlässt es der BFH in seiner eher überschaubaren Urteilsbegründung, den gebräuchlichen und anerkannten Begriff der „virtuellen“ Steuerpflicht als Voraussetzung inhaltlich näher im Einklang mit dem Urteilstenor zu definieren.
Durch die Regelungen zur Ansässigkeit (inklusive „Tie-Breaker-Rule“) soll gerade festgelegt werden, welchem Vertragsstaat das Recht zur Besteuerung zusteht. Wird nun die Frage, ob der Vertragsstaat tatsächlich von diesem Recht zur Besteuerung durch Erlass eines entsprechenden Gesetzes Gebrauch gemacht hat, als zwingende Voraussetzung für die Frage der Ansässigkeit angesehen, entsteht im Ergebnis eine juristische „Petitio Principii“.
Das erstinstanzlich entscheidende FG Stuttgart hatte in seiner Entscheidung noch betont, dass Sinn und Zweck der Ansässigkeitsregelungen darin liege, dem Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zuzuweisen. Ob und wie dies jeweils national umgesetzt werden würde, sei jedoch unerheblich.
Dieser Ansatz vermeidet eine weiter gehende Ausdifferenzierung des Begriffs der „virtuellen“ Steuerpflicht zwischen keiner und „überhaupt gar keiner“ Steuerpflicht.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Es ist sehr wahrscheinlich, dass der vorliegend entwickelte Ansatz des BFH trotz der daran geäußerten Kritik (vgl. z.B. auch Ehlig, IStR 2023, 794; Ufer, IStR 2023, 798) über unentgeltliche Erwerbe hinaus auch auf sonstige Sachverhalte zur Besteuerung der Einkünfte und des Vermögens Anwendung finden wird. Die Ansässigkeit des Steuerpflichtigen nach DBA in einem Vertragsstaat ist im Ergebnis nach dem BFH stets dann unerheblich, wenn in diesem Vertragsstaat keine ausdrückliche steuerliche Regelung für den jeweils fraglichen Lebenssachverhalt besteht. Faktisch statuiert der BFH über seine Wortlautauslegung eine zusätzliche (im DBA Deutschland-Schweden konkret nicht vorhandene) Rückfallklausel (sog. „Subject-to-Tax-Klausel“). Dies steht im Einklang mit den grundsätzlichen Bestrebungen der Finanzverwaltung, etwaige „weiße“ Einkünfte steuerlich zu erfassen, so dass mit einer entsprechenden Relevanz dieses Urteils für zukünftige Sachverhalte zu rechnen ist.



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