Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen im Rahmen der Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen KrankenversicherungLeitsatz Der in den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen geregelte Abzug von Werbungskosten bei Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen ist mit Rücksicht auf das Gebot der Belastungsgleichheit auch bei Unterhaltsleistungen geboten. - A.
Problemstellung Ist für die Beiträge freiwilliger Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung auf das Bruttoeinkommen als Bemessungsgrundlage abzustellen oder sind vorab die notwendigen Werbungskosten abzuziehen?
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin ist nach Scheidung ihrer Ehe freiwilliges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Auf der Grundlage eines im Scheidungsverfahren geschlossenen Vergleichs erhält sie einen nachehelichen Unterhalt von 1.000 Euro, von denen 420 Euro für den Vorsorgebedarf bestimmt sind. Ferner verfügt sie über geringe Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie einem Gewerbebetrieb. Die beklagte Krankenkasse hatte die Beiträge aus der Summe dieser Einkommen berechnet und im Streitzeitraum auf monatlich 195 Euro bzw. 168 Euro festgesetzt, ohne die in den Einkommensteuerbescheiden beim bezogenen Unterhalt ausgewiesenen Werbungskosten von umgerechnet monatlich 486 Euro bzw. 60 Euro abzusetzen. Gegen diese Festsetzung wandte sich die Klägerin mit ihrem Begehren, die Beiträge auf den Mindestbeitrag herabzusetzen. Zum einen stünde ihr der zur Altersvorsorge gezahlte Teilbetrag nicht für ihre Lebensführung zur Verfügung. Zum anderen seien die Beiträge für freiwillig versicherte Mitglieder nicht nach dem Bruttoprinzip zu bemessen. Die Berechnung der Beklagten beruhe auf einer nicht berechtigten Ungleichbehandlung von Unterhaltsleistungen im Vergleich mit den Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit, Vermietung und Verpachtung sowie Kapitalvermögen, für die das Nettoprinzip gelte. Klage und Berufung waren erfolglos. Das BSG hat auf die Revision der Klägerin der Klage insoweit stattgegeben, als die Beklagte bei der Festsetzung der Beiträge die ungekürzten Unterhaltszahlungen zugrunde gelegt hatte. Zur Begründung führt der Senat aus, bei der Bemessung der Beiträge freiwillig versicherter Mitglieder sei deren gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Diese ergebe sich aus allen Einnahmen und Geldmitteln, welche für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden könnten. Zu den beitragspflichtigen Einnahmen gehörten daher auch alle Unterhaltsleistungen – und zwar unabhängig von ihrer Zweckbestimmung. Denn diese seien einschließlich des Vorsorgeunterhalts zur Deckung des gesamten Lebensbedarfs bestimmt (§ 1578 BGB) und auch für diesen verfügbar. Werde der Vorsorgeunterhalt zweckentsprechend als Versicherungsbeitrag eingezahlt, läge darin eine beitragsrechtlich unerhebliche Verwendung von Einnahmen, aus der zudem wiederum ein Gegenanspruch erwachse. Entgegen der Ansicht der Beklagten seien jedoch die mit dem Bezug des Unterhalts verbundenen Werbungskosten – die Aufwendungen für den Erwerb und den Erhalt des Einkommens – von den Einnahmen abzusetzen. Denn diese minderten das wirtschaftliche Ergebnis und stünden für den Lebensunterhalt nicht zur Verfügung. Ein Ausschluss des Werbungskostenabzugs bei Unterhaltsleistungen verstoße gegen das aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz folgende Gebot der Belastungsgleichheit, für die ein rechtfertigender Grund nicht ersichtlich sei. Auch wenn es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, beim Arbeitsentgelt, den Renten und den Versorgungsbezügen auf das Bruttoeinkommen abzustellen, ergebe sich hieraus kein genereller Vorrang des Bruttoprinzips bei der Betragsbemessung freiwilliger Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung. Aus § 240 Abs. 2 SGB V folge lediglich, dass diese nicht geringer belastet werden dürften als versicherungspflichtige Beschäftigte mit vergleichbaren Einkommen. Die Übertragung des Bruttoprinzips auf freiwillig Versicherte könne jedoch nicht für solche Einnahmen gelten, die bei versicherungspflichtig Beschäftigten gerade nicht der Beitragspflicht unterliegen. Vielmehr sei sowohl bei den Gewinneinkünften (Arbeitseinkommen, § 15 SGB IV) als auch bei den Überschusseinkünften (Einnahmen aus Vermietung und Kapitalvermögen) der um den Erwerbsaufwand verminderte Ertrag für die Beitragsbemessung heranzuziehen. Daher sei § 3 Abs. 1b Satz 1 BeitrVerfGrsSz erweiternd dahin auszulegen, dass in gleicher Weise bei Unterhaltsleistungen nur der um die Werbungskosten verminderte Ertrag der Beitragsbemessung zugrunde gelegt werden könne.
- C.
Kontext der Entscheidung Während zur Beitragsbemessung bei versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern das aus ihrer Tätigkeit bezogenen Arbeitsentgelt (bzw. Altersbezüge, § 226 SGB V) zugrunde gelegt wird, sind bei freiwillig versicherten Mitgliedern im Grundsatz alle Einnahmen für die Beitragsbemessung heranzuziehen (§ 240 SGB V). Die eng gesteckten Ausnahmen sind auf solche Fälle begrenzt, in denen Einnahmen gesetzlich oder aufgrund ihrer besonderen sozialen Zwecksetzung beitragsrechtlich privilegiert sind (zur einschlägigen Rechtsprechung vgl. BSG, Urt. v. 07.06.2018 - B 12 KR 1/17 R - SGb 2019, 243 m.w.N.). Soweit der Senat bestätigt hat, dass die privatrechtliche Zweckbestimmung beim Vorsorgeunterhalt generell unbeachtlich ist und dieser ebenfalls zu den beitragspflichtigen Einnahmen gehört, stützt er sich auf eine gefestigte Rechtsprechung (vgl. BSG, Urt. v. 19.08.2015 - B 12 KR 11/14 R - FamRZ 2016, 304). Entsprechendes gilt auch für Einmalzahlungen zur Abfindung von Unterhaltsansprüchen (BSG, Urt. v. 18.10.2022 - B 12 KR 6/20 R), während Leistungen zum Vermögensausgleich nicht zu den beitragspflichtigen Einnahmen gehören (LSG Stuttgart, Urt. v. 29.09.2015 - L 11 KR 3986/14). Die eingehend begründete Entscheidung zum Abzug der Werbungskosten bei dem erhaltenen Unterhalt ist nicht revolutionär. So ist Bemessungsgrundlage bei freiwillig versicherten Selbstständigen das Arbeitseinkommen. Dieses ist der nach den Vorgaben des Steuerrechts ermittelte Gewinn (§ 15 Abs. 1 SGB IV), d.h. unabhängig von der Gewinnermittlung der um die Betriebsausgaben verminderte Ertrag (BSG, Urt. v. 26.09.1996 - 12 RK 46/95 - BSGE 79, 133). In einem nachfolgenden Urteil hatte das BSG bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch die mit der Objektfinanzierung verbundenen Schuldzinsen zum Abzug zugelassen (BSG, Urt. v. 23.09.1999 - B 12 KR 12/98 R; vgl. auch BSG, Urt. v. 30.10.2013 - B 12 KR 21/11 R). Damit erweist sich das vorliegende Urteil bei näherer Betrachtung als eine konsequente Fortsetzung früherer Entscheidungen, zumal § 3 Abs. 1b BeitrVerfGrsSz bei den Vermietungs- und Kapitaleinkünften auf Nachweis einen generellen Werbungskostenabzug vorsieht, ohne nach den Besonderheiten bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften zu differenzieren (LSG Schleswig, Urt. v. 27.09.2022 - L 10 KR 381/20).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Gehört ein Ehegatte nicht zum Kreis der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, ist dem Krankenversicherungsschutz nach der Scheidung besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Familienversicherung endet mit Rechtskraft der Ehescheidung. Besteht keine eigene Versicherungspflicht, wird die Krankenversicherung nahtlos als freiwillige Versicherung fortgeführt. In diesem Fall entsteht mit diesem Tag eine eigene Beitragspflicht, wobei die Bemessungsgrundlage auch durch unterhaltsrechtliche Vereinbarungen beeinflusst wird. Eine einmalige Abfindung hat andere Folgen als eine Leistung in mehreren Teilbeträgen oder ein laufend gezahlter Unterhalt. Hingegen ist es unerheblich, ob die Unterhaltszahlungen selbst steuerfrei sind (§ 22 Abs. 1 Satz 2 EStG) oder korrespondierend mit dem Sonderausgabenabzug zu den steuerpflichtigen Einkünften gehören (§ 22 Abs. 1a EStG i.V.m. § 10 Abs. 1a EStG, begrenztes Realsplitting). Die Feststellung der Bemessungsgrundlage für die Beiträge freiwillig Versicherter in der gesetzlichen Krankenkasse ist mit zahlreichen Zweifelsfragen verbunden. Der Gesetzgeber hat die Grundlagen nicht selbst vorgegeben, sondern nur das globale Ziel formuliert, dass die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitgliedes zu berücksichtigen sei. Die Regelung selbst hat er dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen übertragen. Dieser hat daraufhin die „Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler“ (aktueller Stand Juni 2021) erlassen und diese durch einen umfangreichen Katalog typischer Einnahmen ergänzt. Diese Regeln haben den Charakter untergesetzlicher Normen, die in ihrer Verbindlichkeit über eine bloß verwaltungsinterne Richtlinie hinausgehen. Wie das vorliegende Urteil erneut zeigt, sind sie gleichwohl nicht unkritisch zu übernehmen, sondern in ihrer Ausgestaltung und Umsetzung daraufhin zu überprüfen, ob sie mit dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen und höherrangigem Recht zu vereinbaren sind. Aus dem in § 240 Abs. 2 SGB V normierten Vergleich mit den beitragspflichtigen Einnahmen versicherungspflichtig Beschäftigter lässt sich kein allgemeiner Grundsatz herleiten, dass in der Regel auf die Bruttoeinnahmen freiwillig Versicherter ohne den Abzug von Werbungskosten abzustellen sei. Dies kann sich nur auf den Abzug solcher Werbungskosten beziehen, die auch bei einem versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind (BSG, Urt. v. 26.09.1996 - 12 RK 46/95 - BSGE 79, 133), nicht jedoch für den allgemeinen Erwerbsaufwand, den abhängig Beschäftigte nicht zu tragen haben. Lässt § 3 Abs. 1b der Beitragsverfahrensgrundsätze-Selbstzahler den Werbungskostenabzug bei den Vermietungs- und Kapitaleinkünften in der jeweils nachgewiesenen Höhe generell zu, ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der einer Ausweitung dieser Praxis auf alle Überschusseinkünfte entgegenstehen könnte, die nicht zum Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV) gehören. Beim Ehegattenunterhalt betrifft dies in erster Linie die für gerichtliche Verfahren aufgewandten Kosten (FG Münster, Urt. v. 03.12.2019 - 1 K 494/18 E - FamRZ 2020, 717 - nrkr., anhängiges Verfahren beim BFH unter AZ.: X R 7/20), die unabhängig von der steuerlichen Behandlung auch dann berücksichtigungsfähig sein dürften, wenn das begrenzte Realsplitting nicht in Anspruch genommen wird.
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