A. Kontext
Ein häufiger Diskussionspunkt in steuerlichen Betriebsprüfungen sind (vermeintliche) Verstöße gegen die formellen Aufzeichnungs- und Buchführungspflichten nach den §§ 146 ff. AO. Insbesondere § 147 AO spielt eine erhebliche Rolle. Die Vorschrift schreibt vor, dass bestimmte Buchführungsunterlagen bis zu zehn Jahre aufzubewahren sind (§ 147 Abs. 1, 3 AO). Zudem regelt sie für den heute wohl praktisch häufigsten Fall eines elektronischen Aufzeichnungs- oder Buchführungssystems, wie der Datenzugriff durch die Finanzverwaltung zu erfolgen hat und was der Steuerpflichtige hier zur Verfügung stellen muss (§ 147 Abs. 6 AO).
Bei Verstößen gegen diese Vorschriften sah und sieht die Abgabenordnung als Folge vor allem vor, dass die Besteuerungsgrundlagen – etwa die steuerpflichtigen Einkünfte bzw. die steuerpflichtigen Umsätze – höher geschätzt werden können (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO). In der Folge kann ein Verstoß gegen die formellen Aufzeichnungs- und Buchungsführungspflichten erhebliche Steuermehrzahlungen zur Folge haben.
Bislang gab es jedoch keinen Bußgeldtatbestand, der spezifisch an die Verletzungen dieser formellen Pflichten anknüpfte. Es war daher zwar nicht ausgeschlossen, dass derartige Verstöße insbesondere den Vorwurf einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) oder gar einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) zur Folge haben konnten. Gerade wegen der fehlenden Unterlagen konnte der dafür erforderliche Nachweis einer Steuerverkürzung aber häufig nicht erbracht werden. Aus diesem Grund hat sich der Gesetzgeber entschlossen, nicht nur § 147 AO zu konkretisieren, sondern auch den Bußgeldtatbestand der Steuergefährdung nach § 379 AO zu erweitern.1
B. Inhalt der Gesetzesänderung
Die entsprechende Gesetzesänderung ist Teil von Art. 3 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/514 des Rates vom 22.03.2021 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Modernisierung des Steuerverfahrensrechts (DAC 7 Umsetzungsgesetz). Kern der Änderung ist eine Ergänzung von § 379 Abs. 1 und Abs. 2 AO.
Nach Absatz 1 der Vorschrift handelte bislang ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder leichtfertig falsche Belege ausstellt, Belege gegen Entgelt in den Verkehr bringt, Geschäftsvorfälle pflichtwidrig nicht oder falsch aufzeichnet, ein elektronisches Buchführungssystem nicht oder falsch verwendet oder schützt oder ein nicht zulässiges elektronisches Aufzeichnungs- oder Buchführungssystem bewirbt oder in den Verkehr bringt und dadurch eine Steuerverkürzung ermöglicht. Nunmehr kann auch jeder einfache Verstoß gegen die Aufbewahrungspflichten von Aufzeichnungs- und Buchführungsunterlagen nach den §§ 147, 147a AO zu einem Bußgeld führen (§ 379 Abs. 1 Nr. 7, 8 AO n.F.). Ein Verstoß kann zum Beispiel bereits vorliegen, wenn erhaltene oder abgesandte Geschäftsbriefe nicht aufbewahrt wurden.
Zwar ist in diesen Fällen weitere Voraussetzung, dass durch den Verstoß eine Steuerverkürzung oder die nicht berechtigte Erlangung von Steuervorteilen zumindest ermöglicht wird. Hierfür genügt aber grundsätzlich die objektive Eignung des Verstoßes im Sinne einer abstrakten Gefahr.2 Ein Nachweis einer Steuerverkürzung ist – anders als bei § 378 AO (leichtfertige Steuerverkürzung) oder bei § 370 AO (Steuerhinterziehung) – gerade nicht erforderlich.
Darüber hinaus wird nach § 379 Abs. 2 AO nunmehr nicht nur die Verletzung bestimmter Informationspflichten sowie spezieller Aufzeichnungspflichten mit einem Bußgeld sanktioniert. Nach § 379 Abs. 2 Nr. 1h und Nr. 1i AO n.F. handelt nun auch ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder leichtfertig entgegen § 147 Abs. 6 Satz 1 oder Satz 2 Nr. 1 AO n.F. den Zugriff auf elektronisch gespeicherte Aufzeichnungs- und Buchführungsdaten nicht oder nicht vollständig gewährt. Eine Steuerverkürzung oder auch nur eine abstrakte Gefahr einer Steuerverkürzung sind hier nicht erforderlich.
Nach § 37 Abs. 1 EGAO sind die Änderungen in Art. 3 DAC 7 Umsetzungsgesetz zwar grundsätzlich in allen zum 01.01.2023 anhängigen Verfahren anzuwenden. Im Bereich der verschärften Ordnungswidrigkeitentatbestände ergibt sich m.E. aber eine Einschränkung aus dem insoweit spezielleren § 4 Abs. 1 OWiG, wonach die Änderung nur auf Handlungen anzuwenden sind, die nach Inkrafttreten, d.h. ab dem 01.01.2023 (vgl. Art. 9 Abs. 1 DAC 7 Umsetzungsgesetz), erfolgen.
C. Folgen für die Praxis
Die Änderungen geben der Finanzverwaltung noch einmal schärfere Instrumente in die Hand, die Einhaltung der Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten durchzusetzen und zu sanktionieren. Zwar konnte eine Hinzuschätzung von Besteuerungsgrundlagen bereits eine finanziell erhebliche Sanktion für den Steuerpflichtigen darstellen. Die Sanktionierung mit einem Bußgeld, ggf. in Form eines Unternehmensbußgelds nach § 30 OWiG, ist aber noch einmal deutlich empfindlicher. Dabei birgt nicht die Höhe des Bußgelds von bis zu 25.000 Euro (§ 379 Abs. 6 AO) das schärfste Sanktionspotenzial, sondern der Umstand, dass überhaupt ein Bußgeld (und nicht nur eine Steuermehrzahlung) festgesetzt wird. Denn rechtskräftige Bußgeldentscheidungen, insbesondere wegen Steuerordnungswidrigkeiten, werden in das Gewerbezentralregister eingetragen, wenn sie an eine Tätigkeit in einem Gewerbe eines Verantwortlichen i.S.v. § 9 OWiG anknüpfen (§ 149 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GewO). Hieraus können unter Umständen Nachteile in Vergabeverfahren resultieren. Zudem kann der Umstand, dass ein Unternehmen mit einer Unternehmensbuße belegt wurde, in Due Diligence Prozessen – etwa im Rahmen von Finanzierungen oder Unternehmenstransaktionen – ein offenzulegender Aspekt sein und entsprechende kommerzielle Wirkungen zeitigen.
Aus Sicht der Steuerpflichtigen steht zu befürchten, dass Betriebsprüfer die Möglichkeit einer derartigen Sanktionierung auch dazu nutzen werden, bei Verhandlungen über das Betriebsprüfungsergebnis eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Einigung durchzusetzen. Dementsprechend ist es noch wichtiger als bisher sicherzustellen, dass die Aufzeichnungs-, Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten vollständig eingehalten werden und insbesondere der elektronische Datenzugriff stets ordnungsgemäß und vollständig gewährt wird.