A. Problemstellung
Das Verbraucherschutzrecht wird von unzähligen, sehr weitgehenden Informationspflichten der Unternehmer geprägt, die europäischen Richtlinien entspringen und im nationalen deutschen Recht umzusetzen sind. Hier geht es um die Pflicht des Darlehensgebers in einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag1, den Darlehensnehmer nach § 491a Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB vorvertraglich über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung zu informieren und diese Angaben nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB auch klar und verständlich in den schriftlichen2 Vertrag aufzunehmen. Damit hat der deutsche Gesetzgeber versucht, die Vorgaben der Verbraucherkredit-RL umzusetzen, die in Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 Buchst. l verlangt, dass der Kreditgeber den Verbraucher vorvertraglich über den anwendbaren Satz der Verzugszinsen und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung informiert, und in Art. 10 Abs. 2 Buchst. l im Vertrag selbst zwingend Angaben in klarer, prägnanter Form zum Satz der Verzugszinsen gemäß der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrages geltenden Regelung und zur Art und Weise seiner etwaigen Anpassung vorschreibt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung – Aufgabe der bisherigen BGH-Rechtsprechung
Der BGH gibt seine bisherige Rechtsprechung, wonach zur Erfüllung der genannten Pflichten aus BGB und EGBGB eine Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes nicht erforderlich ist3, auf, um so im Wege richtlinienkonformer Auslegung das deutsche Recht mit der vom Europäischen Gerichtshof vorgenommenen Interpretation des Art. 10 Abs. 2 Buchst. l Verbraucherkredit-RL4 in Einklang zu bringen5. Im entschiedenen Fall hat das die Konsequenz, dass ein erst mehr als drei Jahre nach Vertragsschluss erklärter Widerruf trotz § 355 Abs. 2 BGB nach § 356b Abs. 2 Satz 1 BGB (der im Urteil nicht erwähnt wird)6 noch rechtzeitig erfolgte, weil es im Darlehensvertrag an der Angabe eines konkreten Verzugszinssatzes fehlte, indem dieser lediglich Hinweise auf „die gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr“7 und die Ermittlung des Basiszinssatzes jeweils zum 01.01. und 01.07. eines Jahres sowie seine Bekanntgabe durch die Bundesbank im Bundesanzeiger8 enthielt.
Die Ausführungen des XI. Zivilsenats des BGH sind auffallend knapp und lapidar. An der früheren gegenteiligen Rechtsprechung wird ausdrücklich nur „auf der Grundlage“ des Urteils des Europäischen Gerichtshofs und nur „im Geltungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie in Bezug auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge“ nicht festgehalten.
C. Kontext der Entscheidung
I. Information über den bei Vertragsschluss geltenden Verzugszinssatz
Der BGH entschied 2019 ohne großen Begründungsaufwand, aber mit Nachweisen zum kontroversen Meinungsstand, die Wiedergabe des § 288 Abs. 1 BGB9 erfülle die Informationserfordernisse aus Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB, denn darin liege die von Art. 10 Abs. 2 Buchst. l Verbraucherkredit-RL verlangte Angabe der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrages geltenden Regelung der Verzugszinsen, wohingegen es der Angabe des konkreten Prozentsatzes „wegen der halbjährlichen Veränderbarkeit des Basiszinssatzes und der damit verbundenen Bedeutungslosigkeit des Verzugszinssatzes bei Vertragsschluss nicht“ bedürfe10. Der BGH argumentierte damit ganz ähnlich wie zuvor z.B. das OLG Stuttgart, das einen „Hinweis auf den gesetzlichen Zinssatz gemäß § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB“ für ausreichend erklärte, weil „es sich lediglich um einen zukünftig entstehenden Schaden handelt, bei dem bei Vertragsschluss noch nicht einmal feststeht, ob und ggf. wann er überhaupt eintritt“11.
Die Frage, wie der „Verzugszins einzutragen ist“, haben wohl erstmals Rösler und Werner im Jahre 2009 gestellt12: „Genügt abstrakt B [Basiszinssatz] + 5 oder ist der zum Zeitpunkt des Ausfüllens gerade gültige Verzugszins anzugeben, was aus Sicht des Verbrauchers wenig Sinn machen würde?“ Die Behauptung, die Angabe des bei Erteilung der Information oder bei Vertragsschluss geltenden Verzugszinssatzes sei für kreditsuchende Verbraucher sinnlos oder wenig sinnvoll13, dürfte freilich etwas voreilig sein, denn es ist – wenn auch unwahrscheinlich – jedenfalls denkbar, dass ein/e VerbraucherIn mit sehr viel Zeit und Energie vor der Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Darlehensangebot auch die im Verzug eintretenden Folgen verschiedener Angebote vergleichen möchte, und dass sich diese diesbezüglich tatsächlich unterscheiden. Wenn nun – hypothetisch – im Angebot 1 von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz die Rede ist, im Angebot 2 dagegen von drei oder acht Prozent, erschwert das den Vergleich, sofern der Verbraucher den aktuellen Basiszinssatz erst außerhalb der vom Unternehmer zur Verfügung gestellten Informationen suchen muss. Wohl erstmals plädierte 2012 „aus Gründen der Transparenz“ Schürnbrand dafür, dass „als Verzugszinssatz die zum Zeitpunkt der Erstellung [der Informationen] maßgebliche absolute Zahl zu nennen (ist)“, so dass „5 Prozentpunkte über dem Basiszins“ nicht genüge14. In der Tat sind nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB sowohl Informationen über den Verzugszinssatz als auch über die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung erforderlich. Die Abhängigkeit des Verzugszinssatzes vom in § 247 BGB geregelten Basiszinssatz ist also als Art und Weise einer etwaigen Anpassung auf jeden Fall anzugeben, ohne dass darin zwingend schon eine ausreichende Information über den (anfänglichen) Verzugszinssatz gesehen werden muss. Die von den Vertretern dieser Auffassung geforderte Transparenz könnte nicht nur nach Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB15, sondern insbesondere auch wegen Art. 10 Abs. 2 Buchst. l Verbraucherkredit-RL geboten sein, der Angaben in klarer, prägnanter Form zum Satz der Verzugszinsen vorschreibt.
In einem Beschluss aus dem Jahre 202016 hat es sich der XI. Zivilsenat des BGH deshalb etwas zu einfach gemacht, wenn er erklärt, Art. 10 Abs. 2 Buchst. l Verbraucherkredit-RL sei ohne vernünftige Zweifel und somit ohne Pflicht zur Vorlage beim Europäischen Gerichtshof so zu verstehen, dass der Satz der Verzugszinsen nicht mit dem konkreten Prozentsatz angegeben werden müsse.
Dank der Vorlagen eines viel vorlagefreudigeren17 Richters am LG Ravensburg18 hat der Europäische Gerichtshof nun doch zur Auslegung der genannten Bestimmung Stellung genommen19. Er hat sich dabei, wie so oft, dem Schlussantrag des Generalanwalts20 angeschlossen21.
Vorgelegt wurde zum einen die Frage, ob nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. l Verbraucherkredit-RL „der bei Abschluss des Kreditvertrages geltende Verzugszinssatz als absolute Zahl mitzuteilen ist, zumindest aber der geltende Referenzzinssatz (vorliegend der Basiszinssatz gem. § 247 BGB), aus dem sich der geltende Verzugszinssatz durch einen Zuschlag (vorliegend von fünf Prozentpunkten gem. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) ermittelt, als absolute Zahl anzugeben ist“22. Sprachlich ist das nicht sehr schön, denn der Zinssatz ermittelt sich nicht selbst, wenn er nur als Gleichung (Verzugszinssatz = Basiszinssatz + x Prozentpunkte) angegeben ist, sondern lässt sich dann z.B. vom Darlehensnehmer oder Darlehensgeber durch Addition ermitteln; und unter einer „absoluten Zahl“ könnte man durchaus auch den Betrag des Zinssatzes (ohne sein Vorzeichen) verstehen, so dass sowohl ein Zinssatz von minus drei als auch ein solcher von plus drei in absoluten Zahlen drei betragen würde. Es ist aber gut zu verstehen, was gemeint ist: Genügt die Angabe einer Gleichung, wenn beide zusammenzuzählenden Summanden als rationale Zahlen angegeben sind (z. B. -0,88 + 5,00), oder muss die Summe selbst als Zahl angegeben werden (z.B. 4,12)? Oder genügt es auch, wenn eine Gleichung mit einer Variablen angegeben wird (z.B. Basiszinssatz + 5,00)?
Leider haben Generalanwalt und Europäischer Gerichtshof den Teil der Vorlagefrage, der mit „zumindest aber der geltende Referenzzinssatz“ beginnt, nicht ausdrücklich beantwortet. Beide geben die Frage bereits verkürzt wieder, indem sie formulieren, das vorlegende Gericht wolle „wissen, ob Art. 10 Abs. 2 Buchst. l der RL 2008/48 dahin auszulegen ist, dass der Kreditvertrag … den zum Zeitpunkt seines Abschlusses geltenden Verzugszinssatz als ‚konkrete Zahl‘ angeben … muss“23.
Der Generalanwalt führt zur so unvollständig zitierten Vorlagefrage unter nachvollziehbarer Bezugnahme auf Erwägungsgründe 1824 und 1925 zur Verbraucherkredit-RL aus, die Angabe des Verzugszinssatzes bezwecke im vorvertraglichen Stadium, dem Verbraucher den Vergleich zwischen verschiedenen Darlehensangeboten einfach zu ermöglichen, so dass für die Information gemäß Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 Buchst. l Verbraucherkredit-RL die Angabe einer Formel zur Berechnung des Verzugszinssatzes unter Verwendung einer in den Unterlagen nicht mit einem Zahlenwert versehenen Variablen wie z.B. des Basiszinssatzes nicht genüge26. In Art. 10 Abs. 2 Buchst. l sei derselbe Begriff „Satz der Verzugszinsen“ nicht anders zu interpretieren als in Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 Buchst. l27. Das leuchtet gerade für das deutsche Recht besonders ein, das in Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB schlicht auf Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB verweist, so dass offenbar in beiden Vorschriften nur ein einheitlicher Begriff des Verzugszinssatzes verwendet werden sollte.
Ein Verbraucher, der zwischen Angeboten aus verschiedenen Mitgliedstaaten der EU wählen möchte, hätte sicherlich Schwierigkeiten, Angebote, die den Verzugszinssatz mit „(deutscher) Basiszinssatz + 5 Prozentpunkte“ angeben, mit anderen zu vergleichen, die nicht auf den deutschen Basiszinssatz Bezug nehmen28. Dass es Verbrauchern auch rechtserhebliche Probleme bereiten könnte, das Resultat der Gleichung -0,88 + 5,00 zu ermitteln, notfalls durch Eingabe in den Taschenrechner, ist m.E. dagegen nicht ersichtlich. Generalanwalt und Europäischer Gerichtshof machen diesbezüglich in ihren Begründungen auch keine Ausführungen. Dennoch kommen beide zum Ergebnis, nur die Angabe des Zinssatzes durch einen Prozentsatz, nicht aber auch die der „Formel“, „Berechnungsformel“ oder „Methode seiner Berechnung“ erfülle die durch die Richtlinie vorgeschriebenen Informationserfordernisse29. Der BGH hat diese Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs mit dem hier besprochenen Urteil umgesetzt. Verbraucher, die nicht in der Lage sind, einen Taschenrechner zu bedienen, werden sich freilich aus all den ihnen zur Verfügung gestellten Informationen auch dann schwerlich ein sinnvolles Bild zusammensetzen können, wenn der Verzugszinssatz direkt ohne jede Gleichung mit x% angegeben wird.
Während es sich also durchaus um eine sinnvolle verbraucherschützende Auslegung handelt, wenn verlangt wird, dass zumindest die einfach verständliche Formel (Addition zweier Summanden) und die Zahlenwerte beider Summanden angegeben werden30, erscheint es hingegen übertrieben, über eine solche Angabe hinaus auch die Angabe der Summe als Prozentsatz zu fordern31. Weder das europäische noch das deutsche Recht sollten den dummen Verbraucher zum Leitbild erheben. Vielmehr ist auf den gutwilligen und nicht stark unterdurchschnittlich vernunftbegabten Verbraucher abzustellen. Demzufolge müsste es als Angabe des Verzugszinssatzes auch genügen, wenn dieser als x% + y% unter Nennung der Werte von x und y angegeben würde. Der bloße Verweis auf eine Referenzgröße, die der Verbraucher außerhalb des Vertrages suchen müsste, reicht dagegen nicht aus.
II. Information über mögliche spätere Änderungen des Verzugszinssatzes
Zur besseren Einordnung und Abrundung des Gesagten sei kurz noch auf eine weitere Vorlagefrage aus Ravensburg eingegangen, die zwar für das hier besprochene Urteil des BGH nicht entscheidungsrelevant war, aber ebenfalls die erforderlichen Angaben zum Verzugszins betrifft. Der Einzelrichter am LG Ravensburg hat nämlich auch die Frage vorgelegt, ob „Art. 10 Abs. 2 Buchst. l) Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (im Folgenden: RL 2008/48/EG) dahin auszulegen (ist), dass im Kreditvertrag … der Mechanismus der Anpassung des Verzugszinssatzes konkret zu erläutern ist, zumindest aber auf die nationalen Normen, aus denen sich die Anpassung des Verzugszinssatzes entnehmen lässt (§§ 247, 288 Absatz 1 Satz 2 BGB), verwiesen werden muss“32. In der Begründung des letzten der hier interessierenden drei Vorlagebeschlüsse heißt es dazu, die Frage sei entscheidungserheblich, weil im Darlehensvertrag zwar „auf die zweimal im Jahr erfolgende Festsetzung des Basiszinssatzes durch die Deutsche Bundesbank hingewiesen [wird, …] aber nicht mitgeteilt (wird), woraus dieser Basiszinssatz hergeleitet wird, nämlich aus dem Zinssatz für die jüngste Hauptrefinanzierungsoperation der Europäischen Zentralbank …“33. Dazu hat der Generalanwalt treffend ausgeführt, dass zu ausführliche Angaben zum Zinssatz für die jüngste Hauptrefinanzierungsoperation der Europäischen Zentralbank dem Verbraucher mehr schaden als nützen können: „Da es sich nämlich um einen von einer Zentralbank bekanntgegebenen Referenzzinssatz handelt, kann er teils von makroökonomischen Daten und teils von geldpolitischen Erwägungen (insbesondere von Fragen der Preisstabilität und der Inflation) abhängen. Jeder Versuch, die Art und Weise der Anpassung dieses Zinssatzes zu erläutern, würde für den Kreditgeber einen im Vergleich zu anderen, in Art. 10 Abs. 2 der RL 2008/48 genannten Angaben unverhältnismäßigen Aufwand mit sich bringen. Der Umfang dieser Angaben könnte selbst die Gefahr einer Überforderung des Verbrauchers mit einer großen Bandbreite finanzieller und ökonomischer Informationen und Daten mit sich bringen“34. Zudem ist „auch weder ersichtlich, inwiefern diese Informationen für die Vergleichbarkeit von Angeboten erforderlich sein sollten, noch, wie sie es dem Verbraucher erleichterten, von seinen Rechten und Pflichten Kenntnis zu nehmen“35. Wenn im Vertrag „klargestellt (wird), dass der in der Formel für die Berechnung des Verzugszinssatzes verwendete Referenzzinssatz von der Deutschen Bundesbank bekanntgegeben wird und dass dieser Zinssatz jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines jeden Jahres festgelegt wird“, genügt dies also den Erfordernissen, die Art. 10 Abs. 2 Buchst. l für die Angaben zur Art und Weise einer etwaigen Anpassung des Verzugszinssatzes aufstellt. Denn der Basiszinssatz ist „auf der Website der Deutschen Bundesbank frei (zugänglich)“, so dass die genannte Angabe dafür ausreicht, „einen [sic! – offenbar gemeint: einem] durchschnittlichen europäischen Verbraucher, von dem angenommen werden muss, dass er normal informiert und aufmerksam ist, ein Verständnis davon zu ermöglichen, von wem, wo und wann dieser Zinssatz bekanntgegeben wird“36. Der Europäische Gerichtshof hat sich dem Votum des Generalanwalts angeschlossen, wobei er indes auf die Veröffentlichung des Basiszinssatzes „in einem für jedermann leicht zugänglichen Amtsblatt“, und nicht auf die Website der Bundesbank abgestellt hat37. Da die Bundesbank den Basiszinssatz nach § 247 Abs. 2 BGB im Bundesanzeiger bekanntzugeben hat und tatsächlich sowohl dort38 als auch auf ihren Internetseiten bekanntgibt39, ist diese unterschiedliche Akzentuierung jedoch praktisch irrelevant. Man würde sich wünschen, dass Generalanwalt und Europäischer Gerichtshof viel öfter berücksichtigen, dass einerseits zu viele Informationen niemandem nützen40 und dass andererseits der „normale“ Verbraucher nicht debil ist.
D. Auswirkungen für die Praxis
I. Auswirkungen für Kreditgeber
Für die Praxis der Unternehmer, die Verbraucherdarlehen gewähren, ergibt sich aus den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des BGH, dass sie den Verzugszinssatz bei Vertragsverhandlungen und Vertragsabschluss mit einem konkreten Prozentsatz ohne jeden Rechenaufwand für den Verbraucher angeben müssen. Gerade bei Verträgen, die im Juni/Juli oder Dezember/Januar vorbereitet und abgeschlossen werden, bedeutet das (trotz aller Automatisierung) einen erneuten, erheblichen Mehraufwand für Unternehmer. Überdies stellt dies auch eine mögliche Fehlerquelle in der Vertragsbearbeitung dar, da kurzfristig und sorgfältig überprüft werden muss, ob sich der Basiszinssatz und damit der gesetzliche Verzugszinssatz bei der letzten Bekanntmachung geändert hat. Zusätzlich ist unter Beachtung der Schriftform des § 492 Abs. 1 und 2 BGB darauf hinzuweisen, dass sich der Verzugszinssatz in Zukunft ändern kann, weil er 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz liegt, der wiederum von der Bundesbank jeweils zum 01.01. und 01.07. im online frei zugänglichen Bundesanzeiger bekanntgemacht wird.
Vielleicht wäre es für die Bankenpraxis auch lohnend, darauf hinzuwirken, dass der Europäische Gerichtshof noch einmal (dann möglichst eindeutig) darüber entscheidet, ob nicht doch die Angabe genügt, dass der Verzugszinssatz sich jeweils auf den aktuellen Basiszinssatz plus fünf Prozentpunkte beläuft und dieser Basiszinssatz von der Bundesbank jeweils zum 01.01. und 01.07. im online frei zugänglichen Bundesanzeiger bekanntgemacht wird, wenn dieser Information ein zum Vertragsbestandteil gemachtes Beiblatt beigelegt ist, in dem der momentane Basiszinssatz tagesaktuell angegeben ist. Vom Verbraucher würde nur eine simple Addition verlangt und der Aufwand der Darlehensgeber würde spürbar reduziert.
Kreditgeber sollten zudem erwägen, die Darlehensnehmer, die bei Vertragsschluss – unter Zugrundelegung der neuen Rechtsprechung – unzureichend informiert worden sind, nachträglich in der nun vom Europäischen Gerichtshof geforderten Form zu informieren. So könnte nach den §§ 356b Abs. 2 Sätze 1 und 3, 492 Abs. 6 Satz 1 BGB wenigstens nachträglich eine einmonatige Widerrufsfrist in Gang gesetzt werden. Damit „‚schlafende Hunde‘ zu wecken“41, müssen Darlehensgeber kaum fürchten, denn Darlehensnehmer, die aus welchem Grund auch immer von ihrem Darlehensvertrag Abstand nehmen wollen und anwaltlichen Rat suchen, werden ohnehin von einem etwaigen „Widerrufsjoker“ erfahren. Das nachträgliche Ingangsetzen der Widerrufsfrist dürfte auch mit europäischen Vorgaben im Einklang stehen, denn Art. 14 Abs. 1 UAbs. 2 Buchst. b „bringt … die Möglichkeit einer nachträglichen Informationserteilung durch den Kreditgeber zum Ausdruck“42.
II. Auswirkungen für Kreditnehmer
Darlehensnehmer können sich ggf. auch nach langer Zeit von einem unliebsam gewordenen Darlehensvertrag lösen. Ob das wirtschaftlich sinnvoll ist, hängt sehr von den Umständen des Einzelfalls ab43. Ob Verbraucher wirklich aufgrund eines Umstandes, der für ihren Entschluss zum Vertragsschluss irrelevant war, widerrufen möchten, ist im Übrigen durchaus auch eine ethische Frage, die sich jeder Darlehensnehmer stellen sollte44.
III. Auswirkungen für Gerichte
Während man sich vom BGH wünschen würde, bei der Auslegung europäischen Rechts etwas weniger selbstgewiss vorzugehen und Zweifelsfragen auch als solche zu erkennen bzw. anzuerkennen und dem Europäischen Gerichtshof (aufgrund der entsprechenden Pflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV) vorzulegen, darf man an dieser Stelle auch an einzelne erstinstanzlich tätige Richter appellieren, den Europäischen Gerichtshof nicht ohne eigene Vorlagepflicht45 mit einer Flut identischer Fragen zu behelligen. Beides, zu große Zurückhaltung gegenüber einer erforderlichen Vorlage und zu große Begeisterung dafür, dieselben Fragen immer wieder vorzulegen, tragen nichts zur Rechtssicherheit bei46.
So wie der BGH dem Europäischen Gerichtshof in Reaktion auf dessen doch wohl viel zu pauschale und damit unklare Entscheidung, der Unternehmer könne sich gegen einen Widerruf des nicht ordnungsgemäß informierten Verbrauchers weder auf Verwirkung noch auf Rechtsmissbrauch berufen47, die Frage vorgelegt hat, ob es „den nationalen Gerichten nicht verwehrt ist, im Einzelfall bei Vorliegen besonderer, über den bloßen Zeitablauf hinausgehender Umstände die Berufung des Verbrauchers auf sein wirksam ausgeübtes Widerrufsrecht als missbräuchlich oder betrügerisch zu bewerten mit der Folge, dass ihm die vorteilhaften Rechtsfolgen des Widerrufs versagt werden können“48, sollte er auch versuchen, klären zu lassen, ob nicht doch die Angabe der Gleichung Basiszinssatz + 5 Prozentpunkte und des aktuellen Basiszinssatzes genügt.
Schließlich darf man sich wünschen, dass der Generalanwalt und der Europäische Gerichtshof Vorlagefragen vollständig zur Kenntnis nehmen, was hier leider offenbar nicht geschehen ist.
IV. Auswirkungen für den europäischen und den deutschen Gesetzgeber
Dass europäischer und nationaler Gesetzgeber ihr Konzept überdenken, den Verbraucher durch eine Vielzahl von Informationspflichten schützen zu wollen, die der Unternehmer kaum erfüllen kann und die dazu führen, dass der Verbraucher in der Flut ihm angebotener Informationen zu ertrinken droht, jedenfalls aber vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen kann, wagt man realistisch betrachtet kaum zu hoffen.
So wie jedoch Art. 5 Abs. 1 Verbraucherkredit-RL um einen Unterabsatz 3 ergänzt wurde, der den Unternehmer nunmehr verpflichtet, dem Verbraucher in einem eigenen Dokument den Namen eines Referenzwerts und seines Administrators sowie dessen mögliche Auswirkungen auf den Verbraucher mitzuteilen, wenn auf diesen Referenzwert (z. B. den Basiszinssatz) im Kreditvertrag Bezug genommen wird, darf man von den Gesetzgebern auf europäischer wie nationaler Ebene wohl verlangen, dass sie die Europäischen Standardinformationen für Verbraucherkredite in Anhang II zur Verbraucherkredit-RL bzw. Anlage 4 zu Art. 247 § 2 EGBGB so formulieren, dass dadurch weder Unternehmer noch Verbraucher getäuscht werden. Unter „3. Kreditkosten“ heißt es dort zu „Kosten bei Zahlungsverzug“ aber lediglich: „Bei Zahlungsverzug wird Ihnen [… (anwendbarer Zinssatz und Regelungen für seine Anpassung sowie ggf. Verzugskosten)] berechnet.“ Daraus eine den vom Europäischen Gerichtshof gestellten Anforderungen entsprechende Information zu machen, dürfte schon grammatikalisch nahezu unmöglich sein; die verlangten umfassenden Informationen lassen sich nicht mehr, jedenfalls nicht verständlich, in einem einzigen Satz unterbringen. Berücksichtigt man weiter, dass die Informationspflichten des Kreditgebers aus Art. 5 Abs. 1 Verbraucherkredit-RL gemäß Unterabsatz 1 Satz 3 als erfüllt gelten, wenn der Kreditgeber das Formular „Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite“ vorgelegt hat, hier also eine Gesetzlichkeitsfiktion eingreifen soll, die der deutsche Gesetzgeber in Art. 247 § 2 Abs. 4 Satz 1 EGBGB übernommen hat, wird noch deutlicher, wie problematisch es ist, dass der Gesetzgeber offenbar selbst nicht in der Lage ist, Muster zu formulieren, die seinen eigenen Vorgaben entsprechen49.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der BGH befasst sich weiter mit der komplizierten Frage, inwieweit der Verbraucher, der einen Kaufvertrag und einen mit diesem verbundenen Darlehensvertrag geschlossen hat, bei der Rückabwicklung vorleistungspflichtig gemäß § 357 Abs. 4 BGB ist50. Diesbezügliche Vorlagefragen aus Ravensburg sind beim Europäischen Gerichtshof noch anhängig: „5. a) Ist es vereinbar mit Unionsrecht, wenn nach nationalem Recht bei einem mit einem Kaufvertrag verbundenen Kreditvertrag nach wirksamer Ausübung des Widerrufsrechts des Verbrauchers gem. Art. 14 Absatz 1 RL 2008/48/EG
aa) der Anspruch eines Verbrauchers gegen den Kreditgeber auf Rückzahlung der geleisteten Darlehensraten erst dann fällig wird, wenn er seinerseits dem Kreditgeber den gekauften Gegenstand herausgegeben oder den Nachweis erbracht hat, dass er den Gegenstand an den Kreditgeber abgesandt hat?
bb) eine Klage des Verbrauchers auf Rückzahlung der vom Verbraucher geleisteten Darlehensraten nach Herausgabe des Kaufgegenstandes als derzeit unbegründet abzuweisen ist, wenn der Kreditgeber nicht mit der Annahme des Kaufgegenstandes in Gläubigerverzug gekommen ist?“51