Außerordentliche fristlose Verdachtskündigung nach mutmaßlichem Drogenkonsum während der Arbeitszeit in BetriebsräumenLeitsatz Der Konsum von Kokain während der Arbeitszeit und in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten dar, der einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB abgeben kann. - A.
Problemstellung Darf ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einem Betriebsratsmitglied außerordentlich fristlos beenden, wenn das Betriebsratsmitglied dringend verdächtig ist, während der Arbeitszeit im Betriebsratsbüro Kokain konsumiert zu haben? Das LArbG Hannover hat eine solche Kündigung in der hier besprochenen Entscheidung als wirksam erachtet.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kläger war seit 20 Jahren bei der Beklagten beschäftigt und seit dem Jahr 2018 freigestelltes Betriebsratsmitglied. Bei der Beklagten gibt es eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum Umgang mit Suchtmitteln (GBV Sucht). Diese GBV Sucht verbietet jeglichen Konsum von Suchtmitteln, wobei die Regelung von Arbeitsbeginn bis Arbeitsende gilt einschließlich der Pausen. Zum Umgang mit Suchtmitteln wird eine sog. „Interventionskette“ beschrieben, die eine gestufte Eskalation vorsieht für den Fall, dass ein Arbeitnehmer den Eindruck erweckt, unter Suchtmitteleinfluss zu stehen. Am Anfang der Interventionskette stehen verschiedene Gespräche in unterschiedlicher personeller Besetzung. Zugleich sieht die GBV Sucht auch vor: „Gleichwohl behält sich der Arbeitgeber das Recht vor, bei Vorliegen von Verstößen gegen arbeitsrechtliche Verpflichtungen/Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen.“ Ein Betriebsratsmitglied beobachtete am 17.08.2022, dass der Kläger an seinem Schreibtisch im Betriebsratsbüro ein weißes Pulver mit einer Karte zu einer Linie formte und sodann mit einem Röhrchen durch die Nase konsumierte. Nachdem das Betriebsratsmitglied den Kläger konfrontierte, erklärte der Kläger lediglich, es habe sich bei der Substanz nicht um Drogen gehandelt. Das Betriebsratsmitglied informierte die Betriebsleitung am 30.08.2022 über den Vorgang. Am 06.09.2022 hörten der Betriebsleiter und ein Personalreferent den Kläger zu den Beobachtungen an. In diesem Gespräch erklärte der Kläger, die Substanz sei Schnupftabak mit Traubenzucker gewesen. Im Nachgang zeigte der Kläger den beiden anderen Gesprächsteilnehmern eine kleine Flasche mit der Aufschrift „Schneeberg“, die er aus seinem Büro geholt hatte und deren Inhalt nach Zitrone roch. Auf die Nachfrage, ob er bereit sei, einen Drogentest durchzuführen, antwortete der Kläger, dass er darüber nachgedacht habe, aber nicht wisse, wo ein solcher Test durchgeführt werden könne und der Test mutmaßlich teuer sei. Auf den Hinweis, dass ein Drogentest beim Hausarzt oder beim Gesundheitsamt durchgeführt werden könne, teilte der Kläger mit, er werde darüber nachdenken, ob er bis zur Betriebsratssitzung einen Drogentest machen werde. Zwei Tage nach der Anhörung informierte die Beklagte den Kläger, dass sie die Kosten für den Drogentest übernehmen werde. Der Kläger meldete sich jedoch nicht zurück. Die Beklagte kündigte schließlich das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, nachdem der Betriebsrat der Kündigung zugestimmt hatte. Das LArbG Hannover hat die Berufung des Arbeitnehmers gegen die ablehnende erstinstanzliche Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren zurückgewiesen. Die Klage sei unbegründet. Die außerordentliche fristlose Kündigung sei als Verdachtskündigung wirksam. Der Konsum von Kokain während der Arbeitszeit und in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers sei ein schwerwiegender Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten, der einen wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB darstellen könne. Im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG bestehe eine Nebenpflicht, sich nicht in einen Zustand zu versetzen, in dem man seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen oder bei Erbringung der Arbeitsleistung sich oder andere gefährden könne. Der Besitz von Kokain, der mit dessen Konsum zwingend einhergehe, sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG strafbar. In den Betriebsräumlichkeiten zur Arbeitszeit begangene Straftaten stellten einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses „an sich“ dar. Zudem sei im Betrieb der Beklagten der Konsum von Suchtmitteln explizit nach der GBV Sucht verboten. Nach einer umfassenden Würdigung des Sachverhalts und den widersprüchlichen Einlassungen des Klägers entschied das Landesarbeitsgericht, dass der Kläger dringend verdächtig sei, am 17.08.2022 während der Arbeitszeit und in den Räumlichkeiten seines Arbeitgebers Kokain konsumiert zu haben. Hierbei berücksichtigte das Gericht auch, dass der Kläger einen Drogentest verweigert hatte, jedenfalls dem Test ausgewichen sei, obwohl die Beklagte zugesagt hatte, die Kosten zu übernehmen. Dass der Kläger keine Ausfallerscheinungen gezeigt habe, erschüttere den dringenden Verdacht, Kokain konsumiert zu haben, ebenfalls nicht wesentlich. Die Beklagte habe versucht, den Sachverhalt so weit wie möglich aufzuklären. Insbesondere habe sie den Kläger ordnungsgemäß angehört. Auch die in der GBV Sucht vorgesehene Interventionskette stehe der außerordentlichen fristlosen Kündigung nicht entgegen. Der Maßnahmenkatalog solle nach seinem Zweck eingreifen, wenn der Suchtmitteleinfluss die Arbeitsleistung beeinträchtigte, ohne dass es zwingend zu einer Pflichtverletzung durch Drogenkonsum während der Arbeitszeit und innerhalb des Betriebs gekommen sein müsse. Vielmehr behalte sich der Arbeitgeber laut der GBV Sucht ausdrücklich vor, arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ergreifen, wenn der Arbeitnehmer eine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung begangen habe. Die zwanzigjährige Betriebszugehörigkeit des Klägers und seine Unterhaltsverpflichtung für ein Kind vermochten nicht, die Interessenabwägung entscheidend zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Denn aus Sicht des Landesarbeitsgerichts überwog das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung, deren der Kläger dringend verdächtig sei, sowie aufgrund des damit unwiederbringlich zerstörten Vertrauens. In diesem Zusammenhang verweist das Gericht auf das Konsumverbot von Suchtmitteln in den Betriebsräumen, auf die Strafbarkeit des Besitzes von Kokain nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG sowie auf die besondere Vorbildfunktion des Klägers als Betriebsratsmitglied. Schließlich sei die Kündigung auch innerhalb der Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen worden, und die nach § 15 Abs. 1 KSchG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vor Erklärung der Kündigung nach § 103 BetrVG habe vorgelegen.
- C.
Kontext der Entscheidung Das LArbG Hannover hat in begrüßenswerter Klarheit entschieden, dass Drogenkonsum während der Arbeitszeit und in den Betriebsräumen ein wichtiger Kündigungsgrund sein kann, insbesondere wenn ein betriebliches Verbot existiert, Suchmittel während der Arbeitszeit zu konsumieren. Auf die Grundsätze der Verdachtskündigung soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Das LArbG Hannover hat insoweit die Grundsätze der BAG-Rechtsprechung in nachvollziehbarer Weise angewendet. I. Rechtsprechung zu Alkohol- und Drogenkonsum als wichtigem Kündigungsgrund Anders als das LArbG Hannover hatte das LArbG Stuttgart im Jahr 1993 entschieden. Selbst mehrfaches Rauchen von Haschisch im Betriebsratsbüro durch den Betriebsratsvorsitzenden sollte nicht für dessen außerordentliche fristlose Kündigung ausreichen (LArbG Stuttgart, Beschl. v. 19.10.1993 - 11 TaBV 9/93 - NZA 1994, 175). Insoweit stellte das LArbG Stuttgart maßgeblich darauf ab, dass ein Zusammenhang zwischen mehrfachem Haschischkonsum im Betriebsratsbüro und dem erforderlichen Vertrauensverhältnis nicht gegeben sei, solange auf den Haschischkonsum zurückzuführende Unregelmäßigkeiten bei den Arbeitsaufgaben nicht erkennbar seien. Nach Auffassung des Gerichts hätte sich der illegale Drogenkonsum im Betriebsratsbüro auf die Arbeitsleistung auswirken müssen, um eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen zu können. Demgegenüber verzichtet das LArbG Hannover darauf, dass der Arbeitgeber konkrete Auswirkungen des Drogenkonsums auf die Arbeitsleistung nachweisen muss. Nach der Rechtsprechung des BAG kann Alkoholkonsum – unabhängig davon, ob er während der Arbeitszeit oder in der Freizeit erfolgt – ein wichtiger Grund „an sich“ i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB sein. Dies setzt voraus, dass sich der Arbeitnehmer in einen Zustand versetzt hat, „in dem er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen oder bei Erbringung seiner Arbeitsleistung sich oder andere gefährden kann“ (BAG, Urt. v. 20.10.2016 - 6 AZR 471/15 Rn. 18 - NZA 2016, 1527). In einem solchen Fall verletzt der Arbeitnehmer eine Nebenleistungspflicht, die dazu dient, die Hauptleistung ordnungsgemäß durchzuführen und zu sichern. Bei Tätigkeiten im sicherheitsrelevanten Bereich kann die Pflicht schon bei sehr geringen Alkoholmengen verletzt sein (BAG, Urt. v. 26.01.1995 - 2 AZR 649/94 - NZA 1995, 517). Bei einem Berufskraftfahrer genügt nach einem Urteil des BAG auch der Konsum von Amphetamin und Methamphetamin außerhalb der Arbeitszeit, damit der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis durch außerordentliche fristlose Kündigung beenden kann (BAG, Urt. v. 20.10.2016 - 6 AZR 471/15 Rn. 6 ff. - NZA 2016, 1527). Hieraus lässt sich aber nicht schlussfolgern, dass der Konsum „harter Drogen“ generell dazu berechtigen würde, ein Arbeitsverhältnis durch außerordentliche Kündigung zu beenden. Denn das BAG stellte in seiner Entscheidung maßgeblich auf den besonderen gesetzlichen Rahmen im Straßenverkehr ab. Wer unter der Wirkung von Amphetamin und Methamphetamin im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, begeht eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG und verfügt gemäß Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV nicht mehr über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigte das Gericht, dass unabsehbare Risiken im Hinblick auf die Haftung und den Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung drohten. In diesem Zusammenhang verwies das Gericht auf § 7 Abs. 2 DGUV V1. Danach darf ein Unternehmer versicherte Personen, „die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen“. II. Darlegung und Beweis im Kündigungsschutzverfahren Arbeitgeber stehen, wenn sie den Verdacht haben, dass ein Mitarbeiter alkoholisiert ist oder unter Drogeneinfluss steht, vor der Herausforderung, diesen Umstand in einem möglichen Kündigungsschutzverfahren darzulegen und zu beweisen. In der Regel werden sie in einem Prozess nicht auf das Ergebnis eines Alkohol- oder Drogentests zurückgreifen können, da ein Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BAG „wegen des verfassungsmäßig garantierten Grundrechts auf körperliche Integrität weder zu einer Untersuchung seines Blutalkoholwertes gezwungen werden [können] […] noch zur Mitwirkung an einer Atemalkoholanalyse“ (BAG, Urt. v. 26.01.1995 - 2 AZR 649/94 - NZA 1995, 517). Die damit verbundenen Darlegungs- und Beweisschwierigkeiten erkennt das BAG an. Daher genügt es laut dem BAG, darzulegen, „aufgrund welcher Indizien (Alkoholfahne, lallende Sprache, schwankender Gang, aggressives Verhalten) er [der Arbeitgeber] subjektiv den Eindruck einer Alkoholisierung gewonnen hat, und wenn er den entsprechenden Beweis durch Zeugenaussage führen kann“ (BAG, Urt. v. 26.01.1995 - 2 AZR 649/94 - NZA 1995, 517). Einem Arbeitnehmer muss bei Anzeichen von Alkoholisierung nur dann die Möglichkeit eingeräumt werden, den Verdacht durch objektive Tests wie einen Atemalkoholtest oder eine Blutprobe auszuräumen, wenn der Arbeitgeber über entsprechende Möglichkeiten verfügt und die Alkoholisierung nicht offensichtlich ist (BAG, Urt. v. 26.01.1995 - 2 AZR 649/94 - NZA 1995, 517). In einem Kleinbetrieb kann laut BAG „wohl nicht generell gefordert werden“, dass der Arbeitgeber über derartige Kontrollmöglichkeiten verfügt. Da ein Alkoholtest einen Mitarbeiter sowohl entlasten als auch belasten kann, muss ein Arbeitnehmer laut BAG initiativ tätig werden, wenn er sich einem Alkoholtest stellen will. Von sich aus müsse ein Arbeitgeber einen Alkoholtest jedenfalls dann nicht anbieten, wenn der Arbeitnehmer in der konkreten Situation seine Alkoholisierung gar nicht bestreite (BAG, Urt. v. 16.09.1999 - 2 AZR 123/99 - NZA 2000, 141, 14). Vor diesem Hintergrund ist Arbeitgebern, wenn sie den Verdacht hegen, ein Mitarbeiter stehe unter Alkohol- oder Drogeneinfluss, zu raten, Zeugen hinzuzuziehen und die Beobachtungen und Indizien, die den Verdacht stützen, genau schriftlich zu protokollieren. Dabei ist gerade in kleineren Unternehmen darauf zu achten, dass die hinzugezogene Person tatsächlich Zeuge i.S.d. §§ 373 ff. ZPO ist und nicht Partei i.S.d. § 447 ZPO. Nur wenn der Mitarbeiter die Alkoholisierung oder den Drogeneinfluss bestreitet, ist ihm – wenn der Betrieb über Kontrollmöglichkeiten verfügt – anzubieten, einen Alkohol- bzw. Drogentest durchzuführen.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Wenn ein Mitarbeiter alkoholisiert ist oder unter Drogeneinfluss steht, ist es stets eine Frage des Einzelfalls, welche Konsequenzen dies hat oder haben kann: Fand der Konsum innerhalb oder außerhalb der Arbeitszeit statt? Fand der Konsum auf dem Betriebsgelände statt? War die Arbeitsleistung beeinträchtigt? Gibt es ein wirksames – per Direktionsrecht angeordnetes oder in einer Betriebsvereinbarung festgeschriebenes – Alkohol- und Drogenverbot? Ist der Drogenkonsum strafbar? Wie ist die Beweislage in einem möglichen Gerichtsverfahren? Das LArbG Hannover hat über einen entsprechenden Einzelfall entschieden und den dringenden Verdacht des Kokainkonsums während der Arbeitszeit in den Betriebsräumen als Betriebsratsmitglied für eine außerordentliche fristlose Kündigung ausreichen lassen. Dabei musste die Arbeitsleistung nicht nachweislich konkret beeinträchtigt gewesen sein.
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