juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BAG 8. Senat, Urteil vom 22.09.2022 - 8 AZR 4/21
Autor:Dr. Daniel Holler, RA
Erscheinungsdatum:29.03.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 280 BGB, § 286 BGB, § 2 NachwG
Fundstelle:jurisPR-ArbR 13/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Holler, jurisPR-ArbR 13/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Prozessuale Nachweishürden bei Verstößen gegen das Nachweisgesetz



Leitsätze

1. Kommt der Arbeitgeber mit seiner Verpflichtung aus § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG in der bis zum 31.07.2022 geltenden Fassung (im Folgenden a.F.), dem Arbeitnehmer eine Ausschluss-/Verfallfrist nachzuweisen, in Verzug, hat er nach § 280 Abs. 1 und Abs. 2, § 286 BGB dem Arbeitnehmer den dadurch adäquat-kausal verursachten Schaden zu ersetzen. Der Schadensersatzanspruch besteht in Höhe des erloschenen (Vergütungs-)Anspruchs, wenn dieser nur wegen der Versäumung der Ausschlussfrist erloschen ist und er bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitgebers nicht untergegangen wäre.
2. Weist der Arbeitgeber entgegen § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG a.F. eine Ausschluss-/Verfallfrist nicht nach, ist grundsätzlich zu vermuten, dass der Arbeitnehmer die Frist im Falle eines Hinweises beachtet hätte.
3. Die Vermutung aufklärungsgemäßen Verhaltens reicht allerdings nicht so weit, dass angenommen werden kann, der Geschädigte hätte ihm nicht bekannte Ansprüche rechtzeitig vor Ablauf der Ausschluss-/Verfallfrist geltend gemacht. Ansprüche, die dem Arbeitnehmer nicht bekannt sind, hätte dieser auch in Kenntnis der Ausschluss-/Verfallfrist nicht rechtzeitig geltend machen können.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung hat einen langen Verfahrensweg hinter sich und wäre nach dem neuen Nachweisgesetz so auch nicht mehr denkbar, da die kirchlichen Regelungen nunmehr als kollektivvertragliches Nachweisobjekt gesetzlich anerkannt sind (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 15 NachwG n.F. sowie § 2 Abs. 4 Sätze 1, 3 NachwG n.F.).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger war bei der beklagten katholischen Kirchengemeinde langjährig als Küster beschäftigt. Unstreitig war der Kläger über einen längeren Zeitraum falsch eingruppiert, so dass er im vorliegenden Rechtsstreit Differenzlohnansprüche geltend machte. Auslöser war ein Gespräch mit einem anderen Küster im Jahr 2015, durch das der Kläger von seiner falschen Eingruppierung erfuhr und daraufhin im Jahr 2016 erstinstanzlich Klage erhob.
Streitig waren hier zwei Punkte:
1. Kann sich die Beklagte auf die Ausschlussklausel der kirchlichen Arbeits- und Vergütungsordnung (§ 57 KAVO) berufen, die durch vertragliche Bezugnahme Eingang in das Arbeitsverhältnis fand?
2. Besteht (hilfsweise) ein Schadensersatzanspruch in Höhe der Vergütungsdifferenz, weil die Beklagte die Ausschlussklausel nicht als wesentliche Vertragsbedingung i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG nachgewiesen hat?
Der Sechste Senat hatte in seiner Entscheidung vom 30.10.2019 (6 AZR 465/18) festgestellt, dass die Ausschlussklausel aufgrund der schuldrechtlichen Verweisung auf die KAVO greift und der originäre Differenzlohnanspruch damit untergegangen ist.
Er bejahte jedoch einen Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen das Nachweisgesetz, da die Verweisung auf kirchliche Rechtsregelungen keinen generellen Nachweis allgemeiner Arbeitsbedingungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG a.F. erbringt und verwies insoweit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurück, das noch von einer analogen Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG a.F. ausgegangen war. Das Landesarbeitsgericht verurteilte die Beklagte daraufhin zur Zahlung von Differenzlohn ab dem 01.01.2013 und wies Differenzlohnansprüche vor dem 01.01.2013 ab.
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat keinen Erfolg, da der Kläger für Zeiträume vor dem 01.01.2013 die Kausalität zwischen der unterbliebenen Aufklärung über die Ausschlussklausel und dem eingetretenen Schaden nicht nachweisen konnte.
Die Vermutung aufklärungsgemäßen Verhaltens beschränkt sich auf die – widerlegbare – Vermutung, dass der Arbeitnehmer die nachgewiesene Ausschlussfrist beachtet und rechtzeitig gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht hätte. Die Vermutung ersetzt aber nicht den Parteivortrag zur Kausalität zwischen Pflichtverletzung (fehlender Nachweis) und Schaden (entgangener Differenzlohn). Aus dem Vortrag muss sich ergeben, dass die Vergütungsansprüche nur wegen der Versäumung der Ausschlussfrist erloschen sind und bei Nachweis durch den Arbeitgeber nicht erloschen wären. Diesen Vortrag hat der Kläger für den Zeitraum vor dem 01.01.2013 nicht erbracht.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Achte Senat bestätigt die bisherige Rechtsprechungslinie zur Vermutung aufklärungsgemäßen Verhaltens (z.B. BAG, Urt. v. 20.06.2018 - 4 AZR 235/15; BAG, Urt. v. 17.04.2002 - 5 AZR 89/01). Dem Kläger ist nur insoweit geholfen, als das vermutet wird, dass er bei Kenntnis die Ausschlussfrist gewahrt hätte. Im Übrigen gilt für die Kausalität die allgemeine Darlegungs- und Beweislastverteilung.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Schadensersatzansprüche wegen Verstößen gegen das Nachweisgesetz sind bisher nur im Zusammenhang mit Ausschlussklauseln relevant geworden. Arbeitnehmer und ihre Vertreter können sich insoweit nicht auf die Vermutung aufklärungsgemäßen Verhaltens zurückziehen, sondern müssen insbesondere bei länger zurückliegenden Sachverhalten auch darlegen, dass die Ansprüche auch nicht aus anderen Gründen, etwa wegen Verjährung, ausgeschlossen sind. Da der Gesetzgeber nunmehr tätig geworden ist und als Reaktion auf die Entscheidung des Neunten Senats vom 31.10.2019 kirchliche Kollektivregelungen ausdrücklich in das NachwG n.F. aufgenommen hat, werden vergleichbare Rechtsstreitigkeiten künftig kaum noch eine Rolle spielen.



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