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Anmerkung zu:BGH 8. Zivilsenat, Beschluss vom 08.07.2025 - VIII ZB 12/25
Autor:Thomas Neumair, RA, FA für Arbeitsrecht und FA für Verkehrsrecht, Dipl.-Verwaltungswirt (FH)
Erscheinungsdatum:24.09.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 520 ZPO, § 574 ZPO, Art 2 GG, § 522 ZPO, § 233 ZPO, § 85 ZPO, § 236 ZPO, § 130a ZPO
Fundstelle:jurisPR-VerkR 19/2025 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Neumair, jurisPR-VerkR 19/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anwaltliche Sorgfaltspflichten beim Versand eines Schriftsatzes über die beA-Schnittstelle einer Kanzleisoftware



Leitsätze

1. Ein Prozessbevollmächtigter, der eine Rechtsmittel- oder eine Rechtsmittelbegründungsschrift gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO einfach signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg - hier dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) - bei Gericht einreicht, ist verpflichtet, das einzureichende Dokument vor der Versendung auf dessen Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen.
2. Hierzu gehört, wenn zum Zwecke des Versands die Ausgangsdatei - hier eine Word-Datei - in ein anderes Format - hier eine PDF-Datei - umgewandelt wird, auch die Überprüfung, ob der Inhalt der zu versendenden Datei demjenigen der Ausgangsdatei entspricht (Anschluss an BGH, Beschl. v. 17.12.2024 - II ZB 5/24 - NJW 2025, 753 Rn. 9).



A.
Problemstellung
Der elektronische Rechtsverkehr hat in der täglichen Praxis sicherlich vieles vereinfacht, wenn man einmal von der Störungsanfälligkeit der beA-Plattform als solcher absieht. Neben den technischen Fragen ist diese Form der Kommunikation mit dem Gericht aber auch mit einem nicht zu unterschätzenden menschlichen Faktor verbunden, insbesondere nicht technikaffine Anwender haben immer wieder mit den Tücken im Detail zu kämpfen. Von ganz besonderer Bedeutung ist dies dann, wenn der bei Gericht einzureichenden Schriftsatz eine Notfrist wahren soll. Hier ist eine besonders sorgfältige Überprüfung der ordnungsgemäßen Einreichung angezeigt, wie die nachfolgende Entscheidung des BGH zeigt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger machte gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Gebrauchtwagenkaufvertrag geltend. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, der Kläger hiergegen fristgerecht Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht verlängerte die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 16.12.2024. An diesem Tag war um 22.29 Uhr bei dem Berufungsgericht ein von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers über dessen beA versandter, auf diesen Tag datierender Schriftsatz eingegangen, der mit „Berufungsbegründung“ bezeichnet war und in dem zwar eingangs das zutreffende Aktenzeichen und die zutreffenden Parteinamen aufgeführt waren, sodann aber als angefochtenes Urteil ein anderes als das hier betroffene Urteil benannt war. Der lediglich drei Seiten umfassende und nicht signierte Schriftsatz enthielt weder das vorliegende Verfahren betreffende Berufungsanträge noch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil.
Nach einem entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts ist am 23.12.2024 dort eine auf den 16.12.2024 datierende, das vorliegende Verfahren betreffende vollständige Berufungsbegründung mittels des beA des Klägervertreters eingegangen. Mit Schriftsatz vom 07.01.2025 beantragte der Kläger wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, er habe die Berufungsbegründung am 16.12.2024 in dem Programm „Word“ fertiggestellt und mit dem letzten Bearbeitungsstand in der zugehörigen Akte in dem von ihm verwendeten Programm „RA Micro“ gespeichert. Dieses Programm biete auch eine Schnittstelle zu dem beA. Bei dem Versenden des Dokuments über eine Schnittstelle des Programms werde im Hintergrund aus dem Word-Dokument ein PDF-Dokument generiert, das sodann an das beA-Postfach übersandt werde. Hierbei müsse ein Fehler passiert sein. Es sei nicht die zuletzt abgespeicherte fertiggestellte Version, sondern die erste zwischengespeicherte Version der Berufungsbegründung in ein PDF-Dokument umgewandelt worden, die sodann auch versandt worden sei. Dies könne entweder durch einen Programmfehler versursacht worden sein oder der Klägervertreter habe vor dem Versand des Dokuments die Akte nicht noch einmal aktualisiert, was manchmal offenbar dazu führe, dass nicht die aktuelle Version für den Versand aufgegriffen werde, sondern eine vorherig abgespeicherte. Dass dies passieren könne, sei dem Klägervertreter nicht bekannt gewesen. Es müsse aber ein technischer Defekt vorgelegen haben, denn der Klägervertreter habe im Anschluss an das Versenden an das Gericht um 22.08 Uhr das gleiche Word-Dokument über das Programm „RA Micro“ per E-Mail an den Kläger gesandt, wobei dieses Programm die Word-Datei dabei in ein PDF-Dokument umgewandelt habe und hierbei – anders als bei der Übermittlung per beA an das Gericht – die fertiggestellte (richtige) Fassung umgewandelt und versendet worden sei. Hierzu hatte Klägervertreter auf Hinweis des Berufungsgerichts ergänzend Screenshots aus dem beA-Ausgangspostfach des von ihm verwendeten Programms „RA Micro“ vorgelegt, welche die Vorschau des am 16.12.2024 an das Berufungsgericht unter der Bezeichnung „Berufungsbegründung.pdf“ übersandten Schriftsatzes zeigten. Dieser entspricht der bei dem Gericht am 16.12.2024 eingegangenen (unvollständigen, nicht auf den vorliegenden Fall zugeschnittenen und nicht signierten) Berufungsbegründung.
Das Oberlandesgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurück und verwarf dessen Berufung als unzulässig. Die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO in einer den inhaltlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO und den formalen Anforderungen des § 130a ZPO genügenden Form eingereicht worden sei. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist sei zwar zulässig, aber unbegründet. Der Kläger habe diese Frist nicht schuldlos versäumt. Es könne zwar unterstellt werden, dass die fehlerhafte Speicherung der Datei „Berufungsbegründung.pdf“ auf einem technischen Defekt und nicht auf einer Nachlässigkeit des Klägervertreters beruhe. Der Klägervertreter habe aber seine anwaltlichen Sorgfaltspflichten verletzt, indem er die inhaltliche Prüfung beim Versand der Nachricht unterlassen, also nicht geprüft habe, dass der in der versandten Datei enthaltene Schriftsatz tatsächlich die Berufungsbegründung sei.
Gegen diese Entscheidung wandte sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
Der BGH hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig erachtet.
Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung ablehnenden und die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssten (BGH, Beschl. v. 21.03.2023 - VIII ZB 80/22 Rn. 13; BGH, Beschl. v. 10.01.2023 - VIII ZB 41/22 Rn. 10), seien nicht erfüllt. Die Rechtssache werfe weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordere sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
Das Berufungsgericht habe die Berufung des Klägers zu Recht gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen. Die Rechtsbeschwerde stelle nicht in Abrede, dass der Kläger die Berufung nicht innerhalb der bis zum 16.12.2024 verlängerten Frist, sondern erst mit einem am 23.12.2024 bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz – und damit entgegen § 520 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig – in einer den inhaltlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO und den formalen Anforderungen des § 130a ZPO genügenden Form begründet habe. Anders als die Rechtsbeschwerde meine, erfordere die Sache eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) auch nicht wegen der Versagung einer Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist. Insbesondere habe das Berufungsgericht hierdurch nicht das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Danach dürfe einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt würden beziehungsweise die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwerten (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschl. v. 30.01.2024 - VIII ZB 85/22 Rn. 11; BGH, Beschl. v. 10.01.2023 - VIII ZB 41/22 Rn. 12 m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen habe das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu Recht und ohne Verletzung von Verfahrensgrundrechten zurückgewiesen, da die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruhe. Dieser habe, als er die Berufungsbegründung selbst über das beA versandte, vor der Übermittlung die zu versendende PDF-Datei daraufhin überprüfen müssen, ob deren Inhalt dem Inhalt der Word-Ausgangsdatei entsprochen habe (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2024 - II ZB 5/24 Rn. 9). Dabei habe er ohne Weiteres und rechtzeitig erkennen können und korrigieren müssen, dass die mit „Berufungsbegründung.pdf“ bezeichnete und zu versendende Datei nicht die fertiggestellte Fassung der Berufungsbegründung enthalten habe, sondern einen nicht auf das vorliegende Verfahren zugeschnittenen Entwurf einer noch verfahrensbezogen zu erstellenden und zu signierenden Berufungsbegründung.
Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen mittels beA entsprechen nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH denjenigen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax (BGH, Beschl. v. 30.01.2024 - VIII ZB 85/22 Rn. 15; BGH, Beschl. v. 10.10.2023 - VIII ZB 60/22 Rn. 21; BGH, Beschl. v. 21.03.2023 - VIII ZB 80/22 Rn. 20 m.w.N.). Darüber hinaus entsprechen die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit dem Vorgehen, das im elektronischen Rechtsverkehr die handschriftliche Unterschrift ersetze (vgl. § 130a Abs. 3 und 4 ZPO), denjenigen bei der Leistung einer Unterschrift (vgl. BGH, Beschl. v. 08.03.2022 - VI ZB 78/21 Rn. 11). Hieraus folge zunächst, dass der Prozessbevollmächtigte bei der elektronischen Einreichung eines Schriftsatzes sicherzustellen habe, dass die die Unterschrift ersetzenden Vorgaben des § 130a Abs. 3 ZPO eingehalten seien. Es liege in der Verantwortung des Prozessbevollmächtigten, das Dokument gemäß den gesetzlichen Anforderungen des § 130a Abs. 3 ZPO entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen oder die Einreichung des einfach signierten elektronischen Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg persönlich vorzunehmen, damit die Echtheit und die Integrität des Dokuments wie bei einer persönlichen Unterschrift gewährleistet sind (vgl. BGH, Beschl. v. 07.09.2022 - XII ZB 215/22 Rn. 15). Bei Verwendung einer einfachen elektronischen Signatur in Kombination mit der Versendung über das beA habe der Prozessbevollmächtigte auch zu überprüfen, ob der einzureichende Schriftsatz von ihm signiert sei. Für die einfache elektronische Signatur genüge es, wenn am Ende des Schriftsatzes der Name des Verfassers maschinenschriftlich wiedergegeben sei (vgl. BGH, Beschl. v. 09.04.2025 - XII ZB 599/23 Rn. 6; BGH, Beschl. v. 30.11.2023 - III ZB 4/23 Rn. 10; BGH, Beschl. v. 07.09.2022 - XII ZB 215/22 Rn. 10). Darüber hinaus habe der Prozessbevollmächtigte bei der elektronischen Einreichung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift das von ihm einzureichende Dokument vor der Versendung auf dessen Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen. Die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit eines Schriftsatzes in Form eines elektronischen Dokuments könne dabei nicht lediglich auf der Grundlage des Dateinamens erfolgen, sondern bedürfe der Prüfung seines Inhalts. Da eine Verwechslung mit anderen Dokumenten, deren Übersendung nicht beabsichtigt sei, nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne (vgl. BGH, Beschl. v. 21.03.2023 - VIII ZB 80/22 Rn. 26), beziehe sich die Pflicht zur Überprüfung auf Vollständigkeit und Richtigkeit auf die tatsächlich übermittelte Datei. Werde die Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift zunächst im Word-Format erstellt und gespeichert und sodann für die Übermittlung in eine PDF-Datei umgewandelt, habe der Prozessbevollmächtigte somit letztere vor der Übermittlung auf Vollständigkeit und Richtigkeit sowie auf das Vorliegen der erforderlichen Signatur zu überprüfen. Das Berufungsgericht habe im Einklang mit diesen Grundsätzen und ohne Überspannung der Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts angenommen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers seiner anwaltlichen Sorgfaltspflicht deshalb nicht genügt habe, weil er den Inhalt der zu versendenden PDF-Datei zuvor nicht überprüft habe. Nicht entscheidend sei, dass der Klägervertreter nach seinem Vorbringen nicht gewusst habe, dass bei fehlender Aktualisierung der Akte vor dem Versand möglicherweise nicht die aktuelle Version in ein PDF-Dokument umgewandelt werde.
Die Pflichtverletzung sei für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch ursächlich. Der Prozessbevollmächtigte hätte selbst bei einer nur kursorischen Durchsicht erkennen können, dass die zum Versand vorbereitete Datei nicht die von ihm fertiggestellte Berufungsbegründung enthielt, sondern eine noch nicht auf den Fall zugeschnittene und weder mit seinem Namenszug versehene noch unterschriebene Vorversion. In diesem Fall hätte die vollständige Berufungsbegründung unmittelbar und damit noch innerhalb der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist an das Berufungsgericht übersandt werden können.


C.
Kontext der Entscheidung
Im Rahmen der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Zulässigkeit der Berufung (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ist es Aufgabe des Berufungsführers, den rechtzeitigen Eingang der Berufung und der Berufungsbegründung zu beweisen (vgl. BGH, Beschl. v. 11.05.2021 - VIII ZB 9/20 Rn. 31). Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter anderem zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei glaubhaft gemachten Tatsachen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Fristversäumnis von der Partei bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war (vgl. BGH, Beschl. v. 11.05.2021 - VIII ZB 9/20 Rn. 42). Fristen im Kalender sind grundsätzlich erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem anhand der Akte geprüft wurde, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (BGH, Beschl. v. 11.05.2021 - VIII ZB 9/20 Rn. 45). Beim „guten alten“ Versand per Fax wäre das Malheur dem Prozessbevollmächtigten nicht passiert, möchte man angesichts dieser Entscheidung ausrufen. Denn dann hätte der Rechtsanwalt sehr wahrscheinlich gesehen, dass es sich nicht um das von ihm fertiggestellte Dokument gehandelt hätte und hätte seinen Fehler noch vor Ablauf der Frist korrigieren können. Sich auf die ordnungsgemäße Funktionsweise von Technik im Allgemeinen und Software im Besonderen zu verlassen, birgt immer ein nicht unerhebliches Risiko.
Die in der Rechtsprechung des BGH aufgestellten Anforderungen an die Postausgangskontrolle in Anwaltskanzleien waren aber natürlich auch schon vor Zeiten des elektronischen Rechtsverkehrs sehr hoch. Im Grundsatz gilt, dass das Verschulden einer Partei oder ihres Vertreters nur dann nicht rechtlich erheblich ist, wenn die Partei alle erforderlichen Schritte unternommen hat, die bei normalem Ablauf der Dinge mit Sicherheit dazu führen würden, dass die Frist gewahrt werden kann. Wird die Frist dennoch versäumt, ist dann nicht mehr das Verschulden der Partei oder ihres Vertreters als ursächlich für die Versäumung der Frist anzusehen, sondern das von der Partei nicht verschuldete Hindernis, das sich der Fristwahrung entgegengestellt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 28.11.1957 - IV ZB 197/57; BGH, Beschl. v. 29.05.1974 - IV ZB 6/74). In der Rechtsprechung ist deshalb anerkannt, dass bei fehlender Unterzeichnung des bei Gericht fristgerecht eingereichten Schriftsatzes Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann, wenn der Prozessbevollmächtigte sein Büropersonal allgemein angewiesen hatte, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift zu überprüfen (vgl. BGH, Urt. v. 30.10.1974 - VIII ZR 30/74; BGH, Beschl. v. 27.09.1994 - XI ZB 9/94). Dabei darf der Anwalt die Unterschriftenkontrolle zuverlässigen Bürokräften überlassen (vgl. BGH, Urt. v. 06.12.1995 - VIII ZR 12/95 Rn. 10). Der Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, genügte der Rechtsanwalt bei Einsatz eines Telefaxgerätes dann, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilte, sich nach der Übermittlung eines Schriftsatzes einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen und die Notfrist erst nach der Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 10.06.1998 - XII ZB 47/98 Rn. 9).
Vortrag zu der stets zuverlässigen Bürokraft, welcher ausnahmsweise doch ein Fehler unterlaufen sei, war dem Rechtsanwalt im vorliegenden Sachverhalt jedoch versperrt, da er die Umwandlung des Dokuments und den Versand an das Gericht selbst vorgenommen hatte. Insoweit hatte er für etwaige Mängel auch selbst einzustehen. Auch zu anderen technischen Novitäten der Zeit, beispielsweise dem automatisierten Versand über ein Stammdatenblatt als Datenquelle, hatte der BGH schon entschieden. Wurde die Zielnummer für den Telefaxverkehr bei dem Prozessbevollmächtigten automatisch aus dem Stammdatenblatt aufgerufen und dem Telefaxgerät für die jeweilige Sendung zugewiesen, war es geboten, in geeigneter Weise die Eintragung der jeweiligen Nummern in die Stammdatenblätter zu kontrollieren oder aber sicherzustellen, dass ein Sendebericht ausgedruckt und auf die Korrektheit des Adressaten überprüft wurde (vgl. BGH, Beschl. v. 10.01.2000 - II ZB 14/99 Rn. 6).
Diese Anforderungen aus der „analogen“ Welt hat der BGH auf den elektronischen Rechtsverkehr übertragen. Denn die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt wurde. Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Bleibt sie dagegen aus, muss dies den Rechtsanwalt zur Überprüfung und ggf. erneuten Übermittlung veranlassen (vgl. BGH, Beschl. v. 11.05.2021 - VIII ZB 9/20 Rn. 21 ff. m.w.N.).
Zwar war der Zugang des Dokuments an sich vorliegend nicht das Problem, wohl aber der Zugang des „richtigen“, nämlich vollständigen Dokuments. Eine entsprechende Überprüfung hatte der Rechtsanwalt vorliegend aber unterlassen, weswegen ihm auch nicht aufgefallen war, dass an das Gericht eine nicht zum Versand bestimmte Version des Schriftsatzes übermittelt worden war. Insofern erweist sich die Entscheidung des BGH auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung als zutreffend.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der vom BGH entschiedene Sachverhalt ist auf eine gewisse Weise besonders tragisch. Der Prozessbevollmächtigte hatte hier die Berufungsbegründungsschrift schon inhaltlich fertiggestellt und damit die Frist eigentlich gewahrt. Nur durch einen technischen Fehler bei der Umwandlung und dem Versand des Word-Dokuments gelangte eine unfertige Version der Berufungsbegründung zum Gericht. Es ist nur zu empfehlen, bei Nutzung von Schnittstellen der eingesetzten Kanzleisoftware zum beA das zum Versand vorbereitete Dokument mehrfach zu überprüfen, um einen solchen Fehler auszuschließen. Aufgrund der Strenge der Rechtsprechung, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Frist regelmäßig nicht gewährt, bestehen sonst enorme Haftungsrisiken.



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