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Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 01.08.2024 - VI R 23/22
Autor:Dr. Stephan Geserich, RiBFH
Erscheinungsdatum:18.11.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 24 KonsVerCHEV, § 34 EStG, § 96 FGO, § 118 FGO, § 2 AO 1977, § 50d EStG, § 34g EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 46/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 46/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Besteuerungsrecht nach DBA-Schweiz 1971/2010 in der Freistellungsphase eines Arbeitsverhältnisses



Leitsatz

Während des Zeitraums, in dem ein bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowohl im Ansässigkeitsstaat Bundesrepublik Deutschland als auch in der Schweizerischen Eidgenossenschaft tätiger Arbeitnehmer unwiderruflich von der Pflicht zur Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts freigestellt wird, steht das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat zu.



A.
Problemstellung
Im Streitfall hatte der BFH die Frage zu beantworten, ob das Besteuerungsrecht in Bezug auf die Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit während des Zeitraums, in dem ein bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowohl im Ansässigkeitsstaat Deutschland als auch in der Schweiz tätiger Arbeitsnehmer unwiderruflich von der Pflicht zur Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts freigestellt wird, nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat zusteht.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger war seit dem Jahr 2011 als Außendienstmitarbeiter bei einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen beschäftigt. Sein Wohnsitz war stets nur in Deutschland belegen. Im Streitjahr (2016) kündigte der Schweizer Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger und stellte ihn unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von seiner Arbeitsverpflichtung frei; wie im Arbeitsvertrag ursprünglich vereinbart erhielt der Kläger noch einen (Brutto-)Lohn i.H.v. insgesamt 131.895 CHF. Darin enthalten war eine Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF. Bis zum Tag der Freistellung verbrachte der Kläger im Streitjahr noch elf Arbeitstage in der Schweiz und 52 Arbeitstage in Deutschland; der Rest entfiel auf Wochenenden sowie Urlaubs-, Krankheits- und gesetzliche Feiertage. In diesem Zeitraum kehrte der Kläger außerdem an 22 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurück. Der Einkommensteuererklärung des Klägers für das Streitjahr folgte das FA nicht. Das anschließende Einspruchsverfahren blieb ebenfalls erfolglos. Im Laufe des anschließenden Klageverfahrens einigten sich die Beteiligten unter anderem auf einen Umrechnungskurs und einen rechnerischen Tageslohn. Zudem verständigten sie sich dahin, dass der Kläger bis zu seiner Freistellung unter Berücksichtigung von jeweils sechs Urlaubs- und Krankheitstagen effektiv 63 Tage gearbeitet habe, wovon 52 Tage auf eine Tätigkeit in Deutschland und elf Tage auf eine Tätigkeit in der Schweiz entfallen seien und ihm für den gesamten Zeitraum anteiliger Urlaub von insgesamt 21 Tagen zugestanden habe (25 Urlaubstage x 10/12). Hinsichtlich der Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF kamen die Beteiligten überein, dass der Betrag gemäß § 24 Abs. 1 Sätze 2 und 3 der Deutsch-Schweizerischen Konsultationsvereinbarungsverordnung vom 20.12.2010 (BGBl I 2010, 2187, BStBl I 2010, 146) nach den Orten aufzuteilen sei, von denen der Kläger seine Tätigkeit seit Beginn ausgeübt habe. Demnach ergab sich eine Besteuerung in Deutschland i.H.v. umgerechnet 20.100,36 Euro und eine Freistellung unter Anwendung des Progressionsvorbehalts i.H.v. umgerechnet 7.518,45 Euro. Die Beteiligten vertraten übereinstimmend die Auffassung, dass die Abfindung nach § 34 EStG zu versteuern sei. Das FA erließ einen dementsprechenden Änderungsbescheid, in dem es zusätzlich noch einen weiteren Teil des Arbeitslohns, der unter anderem auf die im Streitjahr nicht mehr in Anspruch genommenen Urlaubstage entfiel, unter Anwendung des Progressionsvorbehalts von der Besteuerung freistellte. Insgesamt stellte das FA vom laufenden Arbeitslohn 8.543 Euro steuerfrei. Das FG wies die Klage wegen der noch offenen Streitpunkte (Freistellung der gesamten Lohnzahlung für die Freistellungsphase und der gesamten Abfindung von der deutschen Besteuerung) ab. Die vom FA anerkannte Steuerfreistellung sei bereits zu hoch erfolgt; sie sei aufgrund des finanzgerichtlichen Verböserungsverbotes (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) jedoch nicht zu korrigieren (FG Kassel, Urt. v. 15.12.2021 - 9 K 133/21 - EFG 2022, 566). Die Revision des Klägers hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen. Nach dem DBA-Schweiz seien Einkünfte, die dieser während der Freistellungsphase bezogen habe, überhaupt nicht und die Einkünfte, die er für die aktive Tätigkeit bezogen habe, nur soweit von der Besteuerung in Deutschland unter Anwendung des Progressionsvorbehalts freizustellen, als sie auf die in der Schweiz ausgeübte Tätigkeit – hier elf Tage –- entfallen seien. Die Abfindung sei nicht (auch nicht anteilig) von der Besteuerung in Deutschland freizustellen, sondern unterliege in voller Höhe der inländischen Besteuerung. Das FA habe ein Mehr an Steuerfreistellung als nach diesen Maßstäben geboten gewährt. Eine Änderung des angefochtenen Änderungsbescheids zuungunsten des Klägers komme – wie das FG in der Vorentscheidung zutreffend ausgeführt habe – wegen des finanzgerichtlichen Verböserungsverbots (Verbot der reformatio in peius) jedoch nicht in Betracht.


C.
Kontext der Entscheidung
Nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz können vorbehaltlich der Art. 15a bis 19 DBA-Schweiz Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine in dem anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbstständige Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.
Art. 15a DBA-Schweiz ist im Streitfall nicht anwendbar, da der Kläger im Streitjahr kein Grenzgänger war. Grenzgänger ist nach Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.
Hinsichtlich der Freistellungsphase ist der Kläger bereits deshalb kein Grenzgänger i.S.d. Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz, weil er in diesem Zeitraum nicht mehr regelmäßig an seinen inländischen Wohnsitz zurückgekehrt (sondern dort verblieben) ist (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz). Für die Zeit bis zum Beginn der Freistellung (Phase der aktiven Tätigkeit) entfällt die Grenzgängereigenschaft des Klägers nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz, weil er im Streitjahr nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) in diesem Zeitraum an 22 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrte. Da die Grenze von 60 Nichtrückkehrtagen im Kalenderjahr aufgrund des verkürzten Tätigkeitszeitraums im Streitjahr neu zu berechnen ist (Ziffer II.3. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 21.12.1992 vom 18.12.1991 zum DBA-Schweiz, BGBl II 1993, 1889) ist anstelle von 60 Tagen die Zahl von 18 Nichtrückkehrtagen maßgeblich. Da der Kläger an 22 Tagen aufgrund der Arbeitsausübung nicht an seinen inländischen Wohnsitz zurückkehrte, ist diese Grenze im Streitjahr überschritten, so dass die Grenzgängereigenschaft entfällt.
Entsprechend ist für den gesamten im Streitjahr bezogenen Arbeitslohn Art. 15 DBA-Schweiz anzuwenden. Die Schweiz hat danach nur das Besteuerungsrecht, soweit der Kläger seine Tätigkeit in der Schweiz ausgeübt hat (Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Im Streitfall hat der Kläger seine Arbeit nur teilweise i.S.d. Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz in der Schweiz ausgeübt.
I. Während der Freistellungsphase hat der Kläger seine Arbeit nicht i.S.d. Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz in der Schweiz ausgeübt. Denn er war ab der Kündigung mit sofortiger Wirkung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts von der Verpflichtung zur Arbeit freigestellt und damit von da an nicht mehr in der Schweiz aktiv tätig. Die Freistellung beseitigt die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsvertrag und den Anspruch des Arbeitnehmers, Beschäftigung zu verlangen. Eine Vielzahl von Rechten und Pflichten bleibt jedoch bestehen, zum Beispiel das Recht des Arbeitnehmers auf Lohnfortzahlung und Sozialleistungen. Derartige Zahlungen sind daher keine Abfindungen wegen der Auflösung eines Dienstverhältnisses, sondern Leistungen in Erfüllung eines modifizierten Dienstverhältnisses (BFH, Urt. v. 27.04.1994 - XI R 41/93 - BStBl II 1994, 653).
Eine Arbeitsausübung i.S.d. Art. 15 DBA-Schweiz liegt auch nicht aufgrund der Erfüllung einer anderen Verpflichtung gegenüber seinem Schweizer Arbeitgeber vor. Da der Kläger von der Arbeitspflicht unwiderruflich freigestellt war, musste er sich während der Freistellungsphase nicht in irgendeiner Weise für seinen Schweizer Arbeitgeber zur Verfügung halten (vgl. BFH, Urt. v. 09.09.1970 - I R 19/69 - BStBl II 1970, 867). Das aus der Freistellung folgende bloße Erlöschen des Rechts eines Arbeitnehmers, Beschäftigung zu verlangen, stellt auch keine in einer Unterlassung liegende vertragliche Verpflichtung dar, die dort bewirkt würde, wo anderenfalls die zu unterlassende Handlung vorgenommen würde (vgl. BFH, Urt. v. 09.09.1970 - I R 19/69 - BStBl II 1970, 867). Denn der Arbeitnehmer wird im Falle der Freistellung nicht für das „Nichtstun“ an einem bestimmten Ort – dem Arbeitsplatz beziehungsweise -ort – bezahlt. Vielmehr kann der Arbeitnehmer seinen Pflichten aus dem in der Freistellungsphase noch bestehenden modifizierten Arbeitsverhältnis an jedem beliebigen Ort nachkommen. Insoweit besteht keine unmittelbare Beziehung zwischen der „Nichtbeschäftigung“ des Klägers und der Schweiz als Arbeitsort.
Auch hatte der Kläger keine Karenzpflicht zu erfüllen (vgl. BFH, Urt. v. 09.11.1977 - I R 254/75 - BStBl II 1978, 195). Die Zahlungen während der Freistellungsphase waren nicht Entgelt für die Einhaltung einer Karenzpflicht, sondern wurden in Erfüllung eines modifizierten Dienstverhältnisses geleistet (vgl. BFH, Urt. v. 27.04.1994 - XI R 41/93 - BStBl II 1994, 653).
Der Kläger kann sich zudem nicht mit Erfolg auf das Urteil des BFH vom 12.01.2011 (I R 49/10 - BStBl II 2011, 446) berufen. Denn der Bezug der Vergütung während der Freistellungsphase der Altersteilzeit stellt sich als Entlohnung für die bereits geleistete Arbeit in der aktiven Phase dar. Die Vergütung ist damit bereits durch die vorangegangene aktive Tätigkeit verdient worden und kommt lediglich zeitversetzt zur Auszahlung. Im Streitfall hingegen erhielt der Kläger die laufenden Bezüge während der Freistellungsphase nicht, weil er sich diese Vergütungen bereits während der Phase der aktiven Tätigkeit verdient hatte. Vielmehr waren die Zahlungen Folge der verbliebenen Laufzeit des durch Kündigung und Freistellung modifizierten Dienstverhältnisses (so im Ergebnis auch BMF v. 12.12.2023 - BStBl I 2023, 2179 Rn. 362).
Der Kläger ist damit in der Freistellungsphase weder aktiv in der Schweiz tätig geworden, noch kann er nach den für sogenannte passive Tätigkeiten entwickelten Grundsätzen so behandelt werden, als habe er seine Tätigkeit in der Schweiz ausgeübt. Deswegen verbleibt es bei der Grundregel des Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz, wonach allein Deutschland als Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht für die Zahlungen in der Freistellungsphase zusteht (so auch FG Stuttgart, Urt. v. 12.09.2012 - 3 K 632/10; FG Köln, Urt. v. 25.02.2014 - 8 K 2555/11).
II. In der Phase der aktiven Tätigkeit hatte der Kläger seine Tätigkeit nach der übereinstimmenden Verständigung der Beteiligten nur an elf Tagen in der Schweiz ausgeübt. Demnach kann nur das Arbeitsentgelt für die aktive Tätigkeit i.H.v. 5.396,38 Euro (11 Tage x 490,58 Euro) in der Schweiz besteuert werden und ist daher gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1d und Satz 2 DBA-Schweiz unter Progressionsvorbehalt von der Besteuerung freizustellen.
Nach der Rechtsprechung des I. Senats des BFH (vgl. BFH, Urt. v. 29.01.1986 - I R 22/85 - BFHE 146, 132 = BStBl II 1986, 479), der sich der erkennende Senat anschließt, ist Grundlage der Berechnung der nicht der inländischen Besteuerung unterliegenden Einkünfte die Zahl der vertraglich vereinbarten Arbeitstage im Kalenderjahr abzüglich der Urlaubstage und der anderen arbeitsfreien Tage (arbeitsfreie Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage). Diesen Arbeitstagen ist das für diese Zeit vereinbarte Arbeitsentgelt – hier der gesamte im Streitjahr gezahlte Lohn ohne die Abfindung – gegenüberzustellen und sodann das auf den einzelnen Arbeitstag entfallende Arbeitsentgelt zu ermitteln.
Im Streitfall sind danach 190 Arbeitstage (305 Kalendertage abzüglich von 21 anteiligen Urlaubstagen, 44 Samstagen, 44 Sonntagen und sechs Feiertagen) anzusetzen. Ausgehend von dem dafür vereinbarten Arbeitsentgelt (ohne Abfindung) i.H.v. 93.210,20 Euro (101.746,75 CHF) ergibt sich ein Arbeitsentgelt pro Arbeitstag i.H.v. 490,58 Euro.
Tatsächlich hat das FA von diesen Einkünften 8.543 Euro freigestellt. Eine Änderung zuungunsten des Klägers kommt wegen des finanzgerichtlichen Verböserungsverbots (Verbot der reformatio in peius) nicht in Betracht (z.B. BFH, Urt. v. 18.11.2020 - VI R 17/18 m.w.N.; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 27/2021 Anm. 1).


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die Abfindung ist (ebenfalls) nicht (auch nicht anteilig) von der Besteuerung in Deutschland freizustellen. Sie unterliegt vielmehr in voller Höhe von umgerechnet 27.618,81 Euro der inländischen Besteuerung.
I. Nach ständiger Rechtsprechung des I. Senats des BFH, der sich der erkennende Senat ebenfalls anschließt, sind Abfindungen anlässlich der Beendigung des Dienstverhältnisses nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz nicht im Tätigkeitsstaat, sondern ausschließlich im Ansässigkeitsstaat zu besteuern (z.B. vgl. BFH, Urt. v. 10.06.2015 - I R 79/13 - BStBl II 2016, 326; Märtens, jurisPR-SteuerR 45/2015 Anm. 1). Denn sie werden nicht für eine konkrete im In- oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern für den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein solcher bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem Abkommenswortlaut („dafür“) indes nicht.
II. Daran vermag auch die im Streitjahr bereits in Kraft getretene Konsultationsvereinbarung vom 17.03.2010, bekanntgegeben durch das BMF-Schreiben vom 25.03.2010 (BStBl I 2010, 268), nichts zu ändern.
1. Nach dieser Bestimmung hat der (frühere) Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht, sofern es sich bei der Abfindung um Lohn- oder Gehaltsnachzahlungen oder Tantiemen aus einem früheren Arbeitsverhältnis handelt. Wird die Abfindung allgemein für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienst gewährt und war der Arbeitnehmer auch teilweise im Ansässigkeitsstaat tätig, ist die Abfindung zeitanteilig aufzuteilen.
2. Der Senat misst einer derartigen zwischenstaatlichen Konsultationsvereinbarung – in Einklang mit den Grundsätzen zur Auslegung von Verträgen nach Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.05.1969 (BGBl II 1985, 927), in innerstaatliches Recht transformiert seit Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 03.08.1985 (BGBl II 1985, 926) am 20.08.1987 (BGBl II 1987, 757) – zwar Bedeutung für die Auslegung der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei. „Grenzmarke“ für das richtige Abkommensverständnis ist jedoch der Abkommenswortlaut. Wird das in der Konsultationsvereinbarung gefundene Abkommensverständnis durch den Wortlaut nicht gedeckt, kann die Vereinbarung die Abkommensauslegung durch die Gerichte nicht beeinflussen oder die Gerichte gar binden (BFH, Urt. v. 10.06.2015 - I R 79/13 - BStBl II 2016, 326; Märtens, jurisPR-SteuerR 45/2015 Anm. 1).
3. Zwar haben sich die Vereinbarungsgrundlagen mittlerweile dahin gehend geändert, dass der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2010 (BGBl I 2010, 1768) mit § 2 Abs. 2 der Abgabenordnung eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen hat, wonach – so Satz 1 der Vorschrift – das BMF ermächtigt wird, zur Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung oder doppelten Nichtbesteuerung mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zu erlassen. Konsultationsvereinbarungen in diesem Sinne sind nach Satz 2 der Vorschrift einvernehmliche Vereinbarungen der zuständigen Behörden der Vertragsstaaten eines Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Ziel, Einzelheiten der Durchführung eines solchen Abkommens zu regeln, insbesondere Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des jeweiligen Abkommens bestehen, zu beseitigen.
4. Doch ist es auch vermittels einer derart gefassten Ermächtigungsregelung ausgeschlossen, den Abkommenstext und damit die besagte Besteuerungszuordnung für die betreffenden Einkünfte zu verändern. Der Abkommenstext belässt für die Frage der Besteuerungszuordnung von Abfindungen an ehemals nichtselbstständig tätige Arbeitnehmer keine Spielräume (BFH, Urt. v. 10.06.2015 - I R 79/13 - BStBl II 2016, 326; Märtens, jurisPR-SteuerR 45/2015 Anm. 1). Entsprechend sind die Gerichte – wie auch das FG im Streitfall – befugt, derartige Vereinbarungen nicht anzuwenden. Zu dieser Frage, insbesondere ob die in der Verständigungsvereinbarung zwischen Luxemburg und Deutschland vom 07.09.2011 (BStBl I 2011, 853) zu Abfindungen enthaltenen Regelungen rechtswirksam durch die KonsVerLUXV vom 09.07.2012 (BStBl I 2012, 693) in innerstaatliches Recht überführt wurden, ist allerdings ein weiteres Revisionsverfahren beim BFH anhängig (VI R 24/22 (vorgehend FG Neustadt (Weinstraße) vom 17.11.2021 - 1 K 2222/18; Rechtsmittelführer: Steuerpflichtiger)).
5. Die mit Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20.12.2016 (BGBl I 2016, 3000) diese Rechtsprechung korrigierende Regelung des § 50d Abs. 12 EStG ist erst ab dem 01.01.2017 in Kraft getreten und damit im Streitjahr nicht anwendbar.
6. Das FA hat im streitgegenständlichen Änderungsbescheid die Abfindung – zu Unrecht – nur i.H.v. 20.100 Euro der Besteuerung unterworfen und im Übrigen unter Anwendung des Progressionsvorbehalts von der Besteuerung freigestellt. Es hat daher konsequent die angezeigte Tarifbegünstigung nach § 34g EStG auch nur in Höhe des der deutschen Besteuerung unterworfenen Anteils der Abfindung (20.100 Euro) gewährt. Eine weitere Tarifbegünstigung kommt daher nicht in Betracht. Ebenso wenig ist allerdings wegen des finanzgerichtlichen Verböserungsverbots (Verbot der reformatio in peius) die Steuerfestsetzung zuungunsten der Kläger zu ändern (z.B. BFH, Urt. v. 18.11.2020 - VI R 17/18 m.w.N.; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 27/2021 Anm. 1).



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