juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 20.03.2025 - VI R 25/23
Autor:Dr. Stephan Geserich, RiBFH
Erscheinungsdatum:06.10.2025
Quelle:juris Logo
Norm:Art 3 GG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 40/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 40/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Besteuerungsrecht für Einkünfte eines in Luxemburg angestellten Orchestermusikers im öffentlichen Dienst



Leitsatz

Der bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Großherzogtum Luxemburg angestellte Orchestermusiker ist Künstler i.S.v. Art. 16 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012.



A.
Problemstellung
Streitig ist, ob der luxemburgische Arbeitslohn des Klägers unter Anwendung des Progressionsvorbehalts von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen oder unter Anrechnung der in Luxemburg entrichteten Steuer in Deutschland zu versteuern ist.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die verheirateten Kläger wohnen in Deutschland. Der Kläger war im Streitjahr (2015) beim staatlichen Orchestre Philharmonique du Luxembourg in Luxemburg beschäftigt und erzielte als Musiker Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Lohnsteuerlicher Arbeitgeber war das Établissement Public „Salle de concerts Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte“. Hierbei handelt es sich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die vom Kultusministerium des Großherzogtums subventioniert und von der Stadt Luxemburg unterstützt wird. Weder das Orchestre Philharmonique du Luxembourg noch das Établissement Public „Salle de concerts Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte“ sind nach ihrem staatlichen Kulturauftrag auf Gewinnerzielung ausgerichtet. Das FA besteuerte die Einkünfte des Klägers im Streitjahr unter Anrechnung der luxemburgischen Steuer. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG ab. Die Revision der Kläger wies der BFH als unbegründet zurück. Das FG habe zu Recht entschieden, dass der luxemburgische Arbeitslohn des Klägers in Deutschland gemäß Art. 16 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. ff DBA-Luxemburg 2012 unter Anrechnung der bereits in Luxemburg gezahlten Einkommensteuer in Deutschland zu versteuern ist.


C.
Kontext der Entscheidung
Zwar ist der hier streitgegenständliche Arbeitslohn dem Kläger von einer luxemburgischen Körperschaft des öffentlichen Rechts für die dieser geleisteten Dienste als Orchestermusiker gezahlt worden. Gleichwohl sind diese nicht nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a DBA-Luxemburg 2012 im „Kassenstaat“ Luxemburg zu versteuern. Der Anwendung des Art. 18 Abs. 1 Buchst. a DBA-Luxemburg 2012 steht Art. 18 Abs. 3 DBA-Luxemburg 2012 entgegen, wonach auf Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen für Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit einer Geschäftstätigkeit eines Vertragsstaats, eines seiner Länder, einer ihrer Gebietskörperschaften oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts dieses Staates erbracht werden, die Art. 14, 15, 16 oder 17 DBA-Luxemburg anzuwenden sind. Denn das Orchester übt eine Geschäftstätigkeit i.S.v. Art. 18 Abs. 3 DBA-Luxemburg 2012 aus. Eine solche liegt vor, wenn sich die öffentliche Hand mit der Absicht, Einnahmen zu erzielen, nachhaltig wirtschaftlich betätigt und sich diese Tätigkeit innerhalb der Gesamtbetätigung des Vertragsstaats beziehungsweise der juristischen Person wirtschaftlich heraushebt. Ausreichend ist das Vorliegen einer auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichteten Tätigkeit (vgl. Wassermeyer/Siegers/Steichen, DBA Luxemburg, Art. 18 Rn. 38, unter Verweis auf Wassermeyer/Wassermeyer/Drüen, MA, Art. 19 Rn. 168 f.), die zu einem nennenswerten Wettbewerb der Einrichtung mit privaten Unternehmen führen kann (BFH, Urt. v. 11.01.1979 - V R 26/74 - BStBl II 1979, 746). Denn Art. 18 Abs. 3 DBA-Luxemburg 2012 ist von dem Grundsatz geprägt, dass Vertragsstaaten und ihre Einrichtungen sich wie alle anderen Marktteilnehmer behandeln lassen müssen, wenn sie am Markt in einen nennenswerten Wettbewerb zu privaten Unternehmen treten. Dies ist vorliegend der Fall, auch wenn die Philharmonie mit einem staatlichen Kulturauftrag versehen ist, das kulturelle Ansehen Luxemburgs fördern soll, sich das Betreiben des Orchesters als unwirtschaftlich darstellt und der staatlichen Förderung bedarf. Gleichwohl verfolgt die Philharmonie neben der Förderung der Kultur zumindest auch den Zweck, Einnahmen zu erzielen und tritt mit der Veranstaltung kostenpflichtiger Konzerte in nennenswerten Wettbewerb zu privaten Anbietern musikalischer Unterhaltung. Dabei gründet die Wettbewerbssituation mit privaten Anbietern vorliegend insbesondere auf dem Umstand, dass eine staatlich geförderte Kultureinrichtung nicht gewinnorientiert wirtschaften und deshalb in besonderem Maße wettbewerbsrelevante (Dienst-)Leistungen nicht kostendeckend anbieten muss. Ob sich die Körperschaft des öffentlichen Rechts hierbei mit Gewinnerzielungsabsicht betätigt, ist unerheblich. Damit richtet sich die Besteuerung des luxemburgischen Arbeitslohns des Klägers, gemäß Art. 18 Abs. 3 DBA-Luxemburg 2012 – hier – nach den Art. 14 oder 16 DBA-Luxemburg 2012. Art. 14 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012 (Freistellung) kommt jedoch im Streitfall nicht zur Anwendung, weil die Voraussetzungen der gegenüber dieser Bestimmung vorrangigen Regelung des Art. 16 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012 (Anrechnung) erfüllt sind, der als lex specialis vorgeht. Nach Art. 16 DBA-Luxemburg 2012 können Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person unter anderem als Künstler aus ihrer im anderen Vertragsstaat persönlich ausgeübten Tätigkeit bezieht, im anderen Staat besteuert werden. Die Vorschrift erfasst – entgegen der Auffassung der Kläger – nicht nur selbstständig tätige und/oder reisende Personen, sondern – wie im Fall des Klägers – auch nichtselbstständig tätige, ortsgebundene Künstler und Sportler (vgl. BFH, Urt. v. 30.05.2018 - I R 62/16 - BStBl II 2024, 219; Lieber, jurisPR-SteuerR 3/2019 Anm. 2) und ist auch auf Künstler, die als Ensemble (beispielsweise einem Orchester oder einem Chor) auftreten, anzuwenden. Art. 16 DBA-Luxemburg 2012 erfasst Vergütungen von Künstlern schließlich auch insoweit, als damit neben dem künstlerischen Auftritt (vertraglich geschuldete) Probenzeiten des Künstlers entgolten werden (BFH, Urt. v. 30.05.2018 - I R 62/16 - BStBl II 2024, 219). Eine dahin gehende Aufteilung des Besteuerungsrechts ist nicht erforderlich. Unerheblich ist insoweit, ob die Proben einen konkreten Auftrittsbezug aufweisen oder lediglich allgemein der Erhaltung und Verbesserung der künstlerischen Betätigung dienen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Zwar wird der Kläger als Künstler zum einen im Vergleich zu nichtkünstlerisch tätigen Arbeitnehmern (im Kunstbetrieb zum Beispiel Bühnenarbeiter oder angestellte Mitarbeiter hinter den Kulissen) unterschiedlich behandelt. Denn letztere nehmen in der Regel – anders als der künstlerisch tätige Kläger – regelmäßig an der Freistellungs- und nicht „lediglich“ an der Anrechnungsmethode teil. Zum anderen wird der Kläger im Hinblick auf diese wie ein selbstständiger Künstler behandelt, obwohl zwischen angestellten und freischaffenden Künstlern Unterschiede betreffend das Anstellungsverhältnis und damit einhergehend der Art der erzielten Einkünfte bestehen. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist deshalb jedoch nicht zu beklagen. Dabei kann dahinstehen, ob die unterschiedliche Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkünften nach Maßgabe der Freistellungs- oder Anrechnungsmethode überhaupt einen gleichheitsrechtlichen Bezug aufweisen kann. Denn der Gesetzgeber ist nicht gehalten, die zusätzliche Belastung ausländischer Einkünfte mit ausländischen Steuern in jedem Fall vollständig auszuschließen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.06.2023 - 2 BvL 6/14 Rn. 57). Denn Art. 3 Abs. 1 GG verbietet nur solche Differenzierungen, die nicht von einem sachlichen Grund getragen sind. Ob und in welchem Umfang eine bestimmte Person den Schutz eines Doppelbesteuerungsabkommens genießt oder nicht, ist indessen ein sachlicher Grund in diesem Sinne (BFH, Urt. v. 24.01.2001 - I R 100/99 - BFH/NV 2001, 1402 und BFH, Urt. v. 12.04.2023 - I R 44/22 (I R 49/19, I R 17/16) - BStBl II 2023, 974, zur Nichtberücksichtigung „finaler“ Verluste einer italienischen Betriebsstätte). Jede andere Betrachtung müsste in letzter Konsequenz dazu führen, dass ein jeder unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz jedes beliebige Doppelbesteuerungsabkommen in Anspruch nehmen oder inhaltlich überschreiben könnte. Auch wenn der Kläger besserstünde, wenn in seinem Fall die Doppelbesteuerung seiner luxemburgischen Einkünfte durch deren Freistellung in Deutschland vermieden werden würde, kann dies nicht dazu führen, dass die Sondervorschrift für Künstler und Sportler im DBA-Luxemburg 2012 aus Gleichbehandlungsgründen entgegen dem dort von den Vertragsstaaten vorgesehenen Geltungsbereich nicht anzuwenden ist (vgl. BFH, Urt. v. 24.01.2001 - I R 100/99 - BFH/NV 2001, 1402). Dem würde die vielschichtige Problematik der internationalen Doppelbesteuerung betreffend die zwischenstaatliche Abgrenzung der Besteuerungsbefugnisse nicht gerecht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.06.2023 - 2 BvL 6/14). Zumal Doppelbesteuerungsabkommen regelmäßig – und vorliegend ist nichts anderes ersichtlich – nicht gegen tragende Grundsätze der Verfassung verstoßen (BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015 - 2 BvL 1/12 - BVerfGE 141, 1 m.w.N.) und überdies im Bereich des internationalen Steuerrechts das Fundamentalprinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit durch das Prinzip der zwischenstaatlichen Verteilungsgerechtigkeit (Quellen- oder Territorialitätsprinzip), das der Aufteilung von Steuersubstrat auf mehrere Staaten dient, eingeschränkt wird (BFH, Urt. v. 12.04.2023 - I R 44/22 (I R 49/19, I R 17/16) - BStBl II 2023, 974 Rn. 34, betreffend die Nichtberücksichtigung „finaler“ Verluste einer italienischen Betriebsstätte).



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