juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 12.12.2024 - VI R 25/22
Autor:Dr. Stephan Geserich, RiBFH
Erscheinungsdatum:02.06.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 38 EStG, § 41a EStG, Art 3 GG, EGV 2157/2001, 12008E049, 12008E054, 12008E045
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 22/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 22/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Keine Arbeitgebereigenschaft einer Betriebsstätte nach Abkommensrecht



Leitsatz

Die ausländische Betriebsstätte einer im Inland ansässigen rechtlich selbstständigen Person kann nicht Arbeitgeber i.S.d. Art. 14 Abs. 2 Buchst. b DBA-Niederlande 2012/2016, DBA-Japan 2015, DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Spanien 2011, DBA-Australien 2015, DBA-Irland 2011/2014; Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 DBA-Belgien 1967/2010; Art. 15 Abs. 2 Buchst. b DBA-Schweiz 1971/2010, DBA-Italien 1989, DBA-Dänemark 1995, DBA-Kanada 2001, DBA-Singapur 2004, DBA-Norwegen 1991/2013; Art. XI Abs. 3 Buchst. b DBA-Griechenland 1966 und Art. 13 Abs. 4 Nr. 2 DBA-Frankreich 1959/2015 sein.



A.
Problemstellung
Streitig ist, ob eine ausländische Betriebsstätte nach Abkommensrecht lohnsteuerlicher Arbeitgeber sein kann.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist eine Europäischen Aktiengesellschaft. Das Stammhaus befindet sich in Deutschland. Sie unterhält zahlreiche Zweigniederlassungen im europäischen und außereuropäischen Ausland. Die dort tätigen und auch im jeweiligen Beschäftigungsstaat wohnhaften Arbeitnehmer sind zivilrechtlich bei der Klägerin angestellt und kommen in unregelmäßigen Abständen für kurzfristige Dienstreisen nach Deutschland. Sie halten sich insgesamt nicht mehr als 183 Tage im Steuer-/Kalenderjahr beziehungsweise innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten, der während des betreffenden Jahres beginnt oder endet, in Deutschland auf. Die Dienstreisen nehmen die Arbeitnehmer im Interesse der jeweiligen Auslandsniederlassung vor, welche neben der kompletten Tätigkeitsvergütung auch die Reisekosten trägt und die gesamten dahin gehenden Kosten in ihrer Buchführung erfasst. Das Stammhaus erstattet diese Kosten nicht. In der Lohnsteuer-Anmeldung für Februar 2020 (Streitzeitraum) schätzte die Klägerin in Übereinstimmung mit einer vom FA erteilten Anrufungsauskunft die auf die Inlandsdienstreisen der Mitarbeiter der jeweiligen ausländischen Zweigniederlassungen entfallenden Lohnsteuerbeträge. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG ab (FG Hannover, Urt. v. 16.12.2021 - 11 K 14197/20 - EFG 2022, 410). Die Revision der Klägerin hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen. Das FG sei zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Klage zulässig sei. Denn eine Lohnsteuer-Anmeldung könne auch angefochten werden, wenn die Steuerfestsetzung den eigenen Angaben folge. Das FG habe zudem zutreffend entschieden, dass die Klägerin die Lohnsteuer, die auf die Vergütungen ihrer Arbeitnehmer aus den ausländischen Zweigniederlassungen für deren im Streitzeitraum durchgeführte Inlandsdienstreisen entfalle, zu Recht angemeldet habe. Die Klägerin sei unstreitig nach dem nationalen (Lohn-)Steuerrecht als inländische Arbeitgeberin (§ 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) zur Anmeldung der Lohnsteuer (§ 41a EStG) hinsichtlich dieser Vergütung verpflichtet. Die (übereinstimmend geschätzte) Höhe der Lohnsteuer sei zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig. Zudem habe die Klägerin für den Streitzeitraum nach den im Streitfall einschlägigen DBA nicht von der Anmeldung der Lohnsteuer absehen dürfen. Vielmehr stehe das Besteuerungsrecht auch nach den maßgeblichen DBA-Regelungen Deutschland als Tätigkeitsstaat zu. Folglich sei die angefochtene Lohnsteuer-Anmeldung rechtmäßig, so dass das FG die Klage der Klägerin zu Recht abgewiesen habe.


C.
Kontext der Entscheidung
Nach den maßgeblichen DBA-Regeln (z.B. Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 DBA-Niederlande 2012/2016, Art. 14 DBA-Japan 2015 und Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010) steht – mit Ausnahme des DBA-Frankreich 1959/2015 – das Besteuerungsrecht für Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen bei den Einkünften aus unselbstständiger Arbeit grundsätzlich dem Ansässigkeitsstaat der Person zu, die die entsprechenden Einkünfte bezieht. Wird die Arbeit jedoch in dem anderen Vertragsstaat (hier also in Deutschland) ausgeübt, können die dafür bezogenen Vergütungen auch im anderen Staat besteuert werden. Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2015 können Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit hingegen grundsätzlich nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird, im vorliegenden Fall also wiederum in Deutschland.
Das hiernach für die inländische Tätigkeit der Arbeitnehmer grundsätzlich bestehende Besteuerungsrecht Deutschlands wird im Streitfall auch nicht durch die sogenannte 183 Tage Klausel, die sämtliche einschlägigen DBA enthalten, beschränkt. Danach wird das ausschließliche Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats wiederum dann begründet, wenn sämtliche Voraussetzungen der Regelung kumulativ vorliegen. Dabei ist vorliegend einzig das Merkmal streitig, dass die Vergütungen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht im anderen Vertragsstaat (hier Deutschland) ansässig ist.


D.
Auswirkungen für die Praxis
An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall. Denn die ausländischen Betriebsstätten kommen, wie das FG zutreffend entschieden hat, nicht als Arbeitgeberinnen i.S.d. einschlägigen Abkommensrechts in Betracht. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann Arbeitgeber i.S.d. Abkommensrechts – anders als grundsätzlich im nationalen (Lohn-)Steuerrecht (vgl. BFH, Urt. v. 24.03.1999 - I R 64/98 - BStBl II 2000, 41) – nicht nur der zivilrechtliche Arbeitgeber, sondern auch eine andere natürliche oder juristische Person sein, die die Vergütung für die ihr geleistete nichtselbstständige Arbeit wirtschaftlich trägt (BFH, Urt. v. 29.01.1986 - I R 109/85 - BStBl II 1986, 442, betreffend DBA-Schweden 1992; BFH, Urt. v. 15.03.2000 - I R 28/99 - BStBl II 2002, 238, betreffend DBA-Belgien 1967 und BFH, Urt. v. 23.02.2005 - I R 46/03 - BStBl II 2005, 547, betreffend DBA-Spanien 1966; Heger, jurisPR-SteuerR 29/2005 Anm. 2). Die ausländischen Zweigniederlassungen der Klägerin sind jedoch keine (juristischen) Personen im abkommensrechtlichen Sinne (z.B. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d DBA-Niederlande 2012/2016, DBA-Japan 2015 und DBA-Schweiz 1971/2010). Eine solche ist nach Art. 1 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 allein die Klägerin selbst.
Die ausländischen Zweigniederlassungen sind lediglich Betriebsstätten der Klägerin i.S.d. einschlägigen DBA (z.B. Art. 5 Abs. 2 Buchst. b DBA-Niederlande 2012/2016, DBA-Japan 2015 und DBA-Schweiz 1971/2010). Eine Betriebsstätte kann aber bereits dem Grunde nach nicht Arbeitgeber i.S.d. Abkommensrechts sein. Denn abkommensrechtlich kommt als Arbeitgeber nur eine Person in Betracht, die i.S.d. entsprechenden Abkommens die Fähigkeit besitzt, in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig zu sein. Eine Betriebsstätte kann jedoch nicht ansässig sein, weshalb die inländische Betriebsstätte einer im Ausland ansässigen Person auch nicht Arbeitgeber sein kann (z.B. BFH, Urt. v. 29.01.1986 - I R 296/82 - BStBl II 1986, 513, unter II.4.a, betreffend DBA-Frankreich 1959; BFH, Urt. v. 29.01.1986 - I R 109/85 - BStBl II 1986, 442, unter II.5.b, betreffend DBA-Schweden 1959 und BFH, Urt. v. 16.05.2024 - VI R 31/21 Rn. 29 ff. - BStBl II 2024, 646, betreffend DBA-Griechenland 1966; Geserich, jurisPR-SteuerR 35/2024 Anm. 1).


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Zudem hat der BFH entschieden, dass
- angesichts des eindeutigen Wortlauts und der Systematik der im Streitfall einschlägigen DBA auch keine Einschränkung der inländischen Lohnbesteuerung aus Verwaltungsvereinfachungs- und Praktikabilitätserwägungen in Betracht kommt (a.A. Ziesecke/Riehle/Muscheites, DStR 2015, 969, 976),
- der Auslegung, eine ausländische Betriebsstätte könne nach Abkommensrecht kein lohnsteuerlicher Arbeitgeber sein, der sogenannte Authorised OECD Approach (AOA) nicht entgegensteht. Den AOA hat die OECD erstmals im OECD-Betriebsstättenbericht 2008 als Konzept zur Auslegung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke der Gewinnabgrenzung eingeführt und ab dem Jahr 2010 in das OECD-Musterabkommen übernommen. Nach diesen Grundsätzen wird die Betriebsstätte (ausschließlich) für Zwecke der Zurechnung von Unternehmensgewinnen i.S.d. Art. 7 OECD MustAbk fiktiv als selbstständiges und unabhängiges Unternehmen behandelt (Reinhold in: Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA, Art. 15 OECD MA Rn. 194; Haase in: Haase, AStG/DBA, Art. 15 OECD MA Rn. 182). Der AOA ist mithin ohne Einfluss auf die tatsächliche Arbeitgebereigenschaft. Daher ist es auch ohne Bedeutung, ob der AOA im entsprechenden Abkommen bereits umgesetzt wurde (so im Ergebnis auch BMF v. 03.05.2018 - BStBl I 2018, 643 Rn. 186) und
- die Auslegung des abkommensrechtlichen Arbeitgeberbegriffs dahin gehend, dass eine ausländische Betriebsstätte nicht als Arbeitgeber in Betracht kommt, weder gegen die durch Art. 49, 54 AEUV gewährleistete Niederlassungsfreiheit verstößt, die auch die Rechtsformwahlfreiheit umfasst, noch die durch Art. 45 AEUV gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit oder Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.



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