Anspruch der Optionskommune gegen den Bund auf Erstattung von Personalkosten für die WiderspruchssachbearbeitungOrientierungssätze zur Anmerkung 1. Die in § 6b Abs. 2 SGB II angeordnete Kostentragung durch den Bund bildet den Rechtsgrund für ein „Behaltendürfen“ der vom zugelassenen kommunalen Träger im Rahmen des HKR-Verfahrens abgerufenen Mittel und kann einem auf § 6b Abs. 5 Satz 1 SGB II gestützten Erstattungsverlangen des BMAS entgegengehalten werden. 2. Bei den Kosten für die Widerspruchssachbearbeitung handelt es sich um Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende i.S.d. § 6b Abs. 2 SGB II, denn sie entstehen ausschließlich für die Bearbeitung von Widersprüchen und Gerichtsverfahren aus dem Leistungsbereich der besonderen Einrichtung. 3. Die Abrechnung der nach § 6b Abs. 2 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II durch den Bund zu tragenden Aufwendungen erfolgt grundsätzlich in tatsächlicher Höhe. Abweichend hiervon erfolgt die Abrechnung von Verwaltungskosten auf Grundlage der in Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 der KoA-VV geregelten Pauschalen. - A.
Problemstellung Gestritten wurde darüber, ob der Bund gegen eine Optionskommune einen Anspruch auf Erstattung von Mitteln hat, die diese für das Personal im Bereich der Widerspruchssachbearbeitung zum SGB II eingesetzt hatte. Die Optionskommune begehrte eine Berücksichtigung der in tatsächlicher Höhe angefallenen Personalkosten. Die Bundesrepublik Deutschland wollte dagegen die Personalkosten den pauschaliert abzurechnenden Personalgemeinkosten zuordnen. Für den Vorgang im Haushaltsjahr 2018 war die bis Ende 2018 geltende Rechtslage zugrunde zu legen. Es handelte sich um ein Musterverfahren, das die Bundesrepublik im Instanzenzug ausfechten wollte. Zu der Frage waren bundesweit elf Gerichtsverfahren anhängig; weitere 22 außergerichtliche Verfahren ruhten. Insgesamt war ein Gesamtvolumen von rund 10 Mio. Euro streitig (Schifferdecker, NZS 2024, 310).
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der beklagte Landkreis Wittmund ist zugelassener kommunaler Träger der Aufgaben nach dem SGB II (= zkT, sog. Optionskommune). Wegen der hierdurch angefallenen Verwaltungskosten rief er im automatisierten Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes (HKR-Verfahren) für das Haushaltsjahr 2018 Bundesmittel i.H.v. 3.412.641,54 Euro ab. Insgesamt meldete er Verwaltungskosten i.H.v. 3.558.769,14 Euro an, von denen die Bunderepublik Deutschland, die Klägerin des Gerichtsverfahrens, nur 3.371.097,92 Euro anerkannte. Beanstandet wurde unter anderem ein Betrag von 152.521,09 Euro für den Einsatz von vier Widerspruchssachbearbeitern im Aufgabenbereich des SGB II. Die Aufwendungen hierfür seien nicht wie geschehen in tatsächlich angefallener Höhe als Personalkosten abzurechnen (sog. Spitzabrechnung). Vielmehr seien sie den Personalgemeinkosten zuzuordnen und durch eine Pauschale abgegolten. Mit der gegenständlichen Leistungsklage forderte die Bundesrepublik Deutschland von dem Landkreis die Erstattung abgerufener Mittel i.H.v. 41.543,62 Euro. Für das Klageverfahren war das LSG Berlin-Brandenburg nach § 29 Abs. 2 Nr. 3 SGG erstinstanzlich zuständig, die örtliche Zuständigkeit für die Klage der Bundesrepublik Deutschland folgt aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG. Das Landessozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 14.12.2023 (L 18 AS 1532/21 KL) ab. Die Personalkosten des zkT für die Widerspruchssachbearbeitung im Bereich des SGB II fielen in die Finanzierungslast des Bundes, weil die Träger in ihrem Aufgabenbereich Ausgangs- und Widerspruchsbescheide innerhalb eines einheitlichen Verwaltungsverfahrens erlassen hätten. Das BSG hat die Entscheidung des Landessozialgerichts bestätigt. Der Bundesrepublik stehe der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht zu, da die gesetzlich angeordnete Kostentragung einen Rechtsgrund für ein „Behaltendürfen“ der von dem zkT im Rahmen des HKR-Verfahrens abgerufenen Mittel biete. Nach § 6b Abs. 5 Satz 1 SGB II könne das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) von dem zkT die Erstattung von Mitteln verlangen, die er zulasten des Bundes ohne Rechtsgrund erlangt habe. Nach § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II trage indes der Bund die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten mit Ausnahme der Aufwendungen für Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Die Verpflichtung des Bundes zur Kostentragung könne dem Erstattungsverlangen des BMAS entgegengehalten werden. Die vier Widerspruchssachbearbeiter, deren Kosten zwischen den Beteiligten umstritten seien, seien ausschließlich eingesetzt gewesen für die Bearbeitung und Erledigung von Widersprüchen, Klagen und Eilrechtsschutzverfahren einschließlich der Vertretung vor den Sozial- und Landessozialgerichten sowie für die Bearbeitung und Entscheidung über im Zusammenhang mit Rechtsbehelfen entstandene Verfahrenskosten und das Betreiben der zugehörigen Kostenverfahren. Die Sachbearbeitung gehöre zu den Aufgaben nach dem SGB II, da sie ausschließlich Rechtsfragen des SGB II betroffen habe und eine entsprechende Fachkenntnis erfordere. Der Beklagte sei auch berechtigt gewesen, gegenüber der Bundesrepublik die Aufwendungen für die vier Widerspruchssachbearbeiter „spitz“ und nicht als pauschalierte Personalgemeinkosten abzurechnen. Die Abrechnung der nach § 6b Abs. 2 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II durch den Bund zu tragenden Aufwendungen erfolge grundsätzlich in tatsächlicher Höhe. Hiergegen stehe auch nicht die Kommunalträger-Abrechnungsverwaltungsvorschrift (KoA-VV). Diese Verwaltungsvorschrift sei von der Bundesregierung erlassen worden und habe durch eine weitgehende Pauschalierung von Verwaltungskosten den Verwaltungs- und Kontrollaufwand reduzieren, das Abrechnungsverfahren vereinfachen und zu einer Vermeidung von Doppelabrechnungen beitragen sollen (hierzu BR-Drs. 180/08, S. 2). Dabei könne dahinstehen, ob die KoA-VV überhaupt eine Bindungswirkung für Gerichte entfalte. Denn bereits nach deren Wortlaut seien die Kosten des für die Widerspruchssachbearbeitung in Angelegenheiten des SGB II eingesetzten Personals den Personalkosten i.S.v. § 10 KoA-VV und nicht den Personalgemeinkosten zuzuordnen. Denn eine Zuordnung zu den Kosten der allgemeinen Verwaltung i.S.v. § 13 Abs. 4 KoA-VV a.F. knüpfe an den Begriff der „Aufwendungen für (…) Recht“ an. Hierunter falle das Personal einer gesonderten Rechtsabteilung oder eines Justiziariats, welches mit allgemeinen juristischen Fragestellungen außerhalb der Leistungserbringung befasst sei (z.B. Ausschreibungen und Kaufverträgen für Büromöbel, arbeitsrechtlichen Streitigkeiten).
- C.
Kontext der Entscheidung Die Finanzierung der Aufgaben der Optionskommunen hat seit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21.07.2010 (BGBl I 2010, 944) eine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG gefunden. Einfachgesetzlich ausgestaltet ist die Rechtsbeziehung zwischen dem zkT und dem Bund in § 6b SGB II. In den vergangenen Jahren hat die Bundesrepublik wiederholt von den Optionskommunen im HKR-Verfahren abgerufene Mittel zurückgefordert und hierzu Musterverfahren angestrengt: - Eine Mittelverschiebung ist danach ohne Rechtsgrund erfolgt und nach § 6b Abs. 5 SGB II auszugleichen, wenn sie nicht der objektiven Rechtslage entspricht und dem zkT kein Rechtsgrund zur Seite steht, die erhaltenen Mittel behalten zu dürfen. Prüfungsmaßstab ist, ob der Zugriff des zkT im Rahmen des HKR-Verfahrens auf Mittel des Bundes von den Finanzbeziehungen zwischen Bund und zkT gedeckt ist, wie sie etwa in § 6b Abs. 2 SGB II geregelt sind. Der Begriff der vom Bund zu tragenden Aufwendungen ist dabei im Lichte der finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 104a Abs. 1 GG, Art. 91e GG zu verstehen. Heranzuziehen ist ferner die KoA-VV (LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29.02.2024 - L 29 AS 2214/18 KL m. Anm. Kellner, NJ 2024, 565). - Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier: Verwaltungskosten), die der Bund einem zkT zu ersetzen hat, sind grundsätzlich nur solche, für die der zkT im Vollzug des SGB II Geld tatsächlich aufgewandt, also gezahlt hat. Kosten für im Vollzug des SGB II eingesetzte Staatsbeamte (Landesbeamte), für die bei der Optionskommune keine Aufwendungen anfallen, sind dementsprechend vom Bund nicht zu ersetzen (BSG, Urt. v. 25.04.2023 - B 7/14 AS 69/21 R m. Anm. Kellner, VR 2024, 234). - Für Forderungen der Bundesrepublik Deutschland gegen den zkT auf Erstattung ohne Rechtsgrund erlangter Bundesmittel sind Zinsen zu leisten. Nach § 6b Abs. 5 Satz 2 SGB II betragen die Verzugszinsen für das Jahr drei Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Aus einer entsprechenden Anwendung des § 291 BGB folgt ein Anspruch auf Prozesszinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr. Wird der Anspruch auf Prozesszinsen neben dem Anspruch auf Verzugszinsen geltend gemacht, kann die Bundesrepublik nicht zugleich Verzugs- und Prozesszinsen erhalten (BSG, Urt. v. 12.03.2025 - B 7 AS 1/24 R; hierzu Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 6b 1. Überarbeitung, Stand: 10.09.2025, Rn. 32, 52.2 ff.).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Regelung der KoA-VV zu den Personalgemeinkosten ist zum 01.01.2019 klarstellend neu gefasst worden (BAnz AT 23.12.2019 B3). Die Definition der Personalgemeinkosten in § 13 Abs. 1 KoA-VV orientiert sich seither stärker an den konkreten Aufgaben der bei dem zkT Beschäftigten. Es handelt sich danach um Kosten, die durch die Wahrnehmung nicht fachspezifischer Aufgaben im Aufgabenbereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II anfallen. Durch diese Begriffsbestimmung und durch den (nicht abschließenden) Katalog nicht fachspezifischer Aufgaben in § 13 Abs. 2 KoA-VV 2019 wird eine deutlichere Abgrenzung zwischen Personalgemeinkosten und Personalkosten gewährleistet ( BR-Drs. 494/19 (neu), S. 7). Auch nach der Neufassung der KoA-VV hat der Bund den Optionskommunen die Personalkosten für die Widerspruchssachbearbeitung im Aufgabenbereich des SGB II zu erstatten.
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