Bemessung des Gegenstandswerts bei einer EinziehungLeitsatz Bei der Bewertung des Vermögensarrestes im Rahmen der Nr. 4142 VV RVG bleiben wirtschaftliche Nachteile, die sich aus dem Ermittlungsverfahren im Allgemeinen, nicht jedoch aus dem Arrest selbst ergeben, außer Betracht. - A.
Problemstellung Bei einer Einziehung ist es wohl eher der Regelfall, dass gerichtliche Entscheidung und Antrag der Staatsanwaltschaft auseinanderfallen. Die Frage, woran sich die anwaltlichen Gebühren bei einem Abweichen „nach unten“ zu bemessen haben, steht seit längerem im Streit, ist aber nunmehr entschieden – die vorliegende Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth dient als Aufhänger für eine entsprechende Auseinandersetzung. Wobei vorliegend noch die Berücksichtigung der tatsächlichen Werthaltigkeit und Durchsetzbarkeit von Vermögenswerten im Zentrum der Entscheidung stand.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth betrifft die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit im Rahmen eines Vermögensarrestes, der in einem Ermittlungsverfahren wegen Betrugs gegen die später freigesprochene Beschuldigte verhängt wurde. Dabei wird die zentrale Frage behandelt, wie der Wert des Gegenstands nach Maßgabe des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) zu bemessen ist, insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftliche Werthaltigkeit der Arrestforderung und die wirtschaftlichen Folgen für die Betroffene. Das Gericht entschied, dass bei der Bewertung des Gegenstandswerts gemäß § 23 RVG lediglich jene Vermögenswerte Berücksichtigung finden, die tatsächlich werthaltig sind und eine Befriedigung des Arrestgläubigers erwarten lassen. Fiktive oder schwer durchsetzbare Forderungen, die keinen realen Vollstreckungserfolg versprechen, bleiben mit dieser Auffassung ausdrücklich außer Ansatz. Dies führte zu einer Reduzierung des ursprünglichen Arrestbetrags i.H.v. 1.858.364,80 Euro auf einen geschätzten werthaltigen Betrag von 700.000 Euro, der unter anderem durch gepfändetes Bargeld, Immobilienwerte und Mobiliar abgebildet wurde. Abgelehnt wurde der Ansatz des vollen Arrestbetrags, wobei die Verteidigung geltend machte, dass die wirtschaftlichen Folgen – einschließlich der Zerschlagung des kreditfinanzierten Fuhrunternehmens der Freigesprochenen – zu berücksichtigen seien. Das Gericht betonte, dass solche indirekten wirtschaftlichen Schäden, die nicht unmittelbar auf die Arrestvollziehung zurückzuführen sind, für die Gegenstandswertfestsetzung unerheblich seien. Diese wirtschaftlichen Folgen seien vielmehr dem Ermittlungsverfahren insgesamt und nicht dem Arrest als Maßnahme zuzuschreiben. Aufgrund des vorläufigen Charakters des Vermögensarrests nahm das Gericht schließlich einen Abschlag auf den geschätzten Arrestwert vor, der regelmäßig ein Drittel des Werts beträgt. Damit wurde der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit auf 233.333,33 Euro festgesetzt.
- C.
Kontext der Entscheidung Die Entscheidung des Landgerichts ist exemplarisch für eine verquere und inzwischen überholte Sichtweise mehrerer Landgerichte in dieser Frage, die offenkundig sachfremd davon bestrebt waren, anwaltliche Gebühren einzugrenzen: Der BGH hat sich inzwischen unmissverständlich zu dem Thema geäußert und klargestellt, dass ausschlaggebend das wirtschaftliche Interesse an der Abwehr der Einziehung ist. In zwei aktuellen Entscheidungen des BGH (1 StR 445/23 und 5 StR 297/24) war Thema, wie der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Zusammenhang mit der Einziehung von Taterträgen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zu bemessen ist in dem Fall, wenn der tatsächlich eingezogene Betrag geringer ist als ursprünglich beantragt. Der BGH stellte hier klar, dass sich der Gegenstandswert gemäß den §§ 33 Abs. 1, 2 Abs. 1 RVG nach dem wirtschaftlichen Interesse des Beschuldigten an der Abwehr der Einziehung richtet, welches sich aus der ursprünglichen Anordnung ergibt: So wurde betont, dass für die Berechnung der anwaltlichen Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG der Nominalbetrag der Einziehungsanordnung maßgeblich bleibt, unabhängig davon, ob die Einziehung später reduziert wird. Dies entspricht dem Zweck der Wertgebühr, die den Aufwand des Anwalts widerspiegelt, der sich am ursprünglich angeordneten Einziehungsbetrag orientiert. Anders als diverse Landgerichte erkennt der BGH insoweit an, dass Gebühren kein Selbstzweck sind, sondern insbesondere das persönliche anwaltliche Haftungsrisiko (welches synonym für die übernommene Verantwortung steht) abdeckt. Dies gilt auch in Extremfällen, wenn am Ende lediglich ein Bruchteil des ursprünglich beantragten Betrags eingezogen wird. Soweit das Landgericht hier „im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Anordnung des Vermögensarrests“ auf den Arrestwert einen Abschlag von zwei Dritteln vorgenommen hat, ist dies ebenfalls zurückzuweisen und inhaltlich auch gar nicht mehr nachvollziehbar, schon mit Blick auf den Erfolg der Beschwerde: Der Betroffene ist mit einem wirtschaftlich lähmenden Eingriff konfrontiert, dass dieser „nur“ vorläufig ist ändert weder etwas am wirtschaftlichen Interesse noch an der existenziellen Eingriffstiefe. Hier zeigen sich dann auch deutlich die sachfremden, monetären Erwägungen der Kammer bei der Bemessung des Gegenstandswerts. Selbiges gilt für den „Vollstreckungserfolg“ als Kriterium, was vollkommen fehl am Platze ist, da sich die Einziehung letzten Endes nicht auf den nur realisierbaren Teil beschränkt, sondern sich bekanntlich als Dauermaßnahme mit wirtschaftlich lähmendem Faktor auswirkt. Der Kammer ist hier beim Blick auf die Begrenzung der Gebühren vollkommen aus dem Blick geraten, welche dauerhaften Auswirkungen derartige Maßnahmen für Betroffene haben.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Sachfrage ist erledigt: Mit dem BGH ist der Gegenstandswert bei einer Einziehung am wirtschaftlichen Interesse zu bemessen und das ist jedenfalls die betragsmäßige Höhe der beantragten Einziehung. Eine tatsächliche Reduktion des eingezogenen Betrags spielt für die Gebührenberechnung keine Rolle, solange die anwaltliche Tätigkeit sich auf den ursprünglich festgesetzten Wert beziehen musste. Soweit das Landgericht hier anders entschieden hat, ist dies überholt. Es wäre anders auch angesichts der wirtschaftlich nicht mehr tragbaren Gebührensituation (Ferner, NJW Editorial: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/magazin/detail/editorial-njw-2024-28-gebuehren-in-schieflage (zuletzt abgerufen am 04.02.2025), bei der Anwälte in solchen Fällen ausgehend vom Umsatz regelmäßig mit 75% Abzügen kalkulieren dürfen (Berechnung bei Beukelmann in: „Becksches Formularbuch für den Strafverteidiger“, 2. Stundenhonorar, Ziff. 8) nicht mehr vertretbar. Zumal die in diesem Bereich bestehende Haftungsgefahr für Anwälte mit erheblichem Kostenmehraufwand bei den Haftpflichtversichern einhergeht, was sich ebenfalls in den Gebühren widerspiegeln muss. Anstelle also das Kostenrisiko durch ein Beschneiden der anwaltlichen Gebühren abzuwälzen – und das Beratungsinteresse des Angeklagten zu ignorieren – ist letzten Endes daher eher der zu stellende Anspruch, dass die Staatsanwaltschaft ihre Anträge zur Einziehung sachgerecht formuliert und gerade im Ermittlungsverfahren die Gerichte sehr genau prüfen, ob und in welcher Höhe ein Vermögensarrest überhaupt angeordnet wird.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung In dem vorher ergangenen Beschluss zur Sachfrage fanden sich zwei interessante Aspekte zur Einziehung: I. Keine Freigabe von arrestiertem Vermögen bei verurteilendem Urteil und (noch nicht rechtskräftiger) Einziehungsentscheidung: Das Landgericht hat klargestellt, dass ein Vermögensarrest, der zur Sicherung einer im Urteil angeordneten Einziehung dient, nicht teilweise aufgehoben werden kann, wenn die Einziehungsentscheidung – auch wenn sie noch nicht rechtskräftig ist – mit dem Arrest korrespondiert. Die Freigabe des Vermögens zur Erfüllung anderer Verbindlichkeiten, insbesondere steuerlicher Verpflichtungen des Angeklagten, sei unzulässig. In seiner Begründung hebt das Gericht hervor, dass der Arrest primär dem Schutz des Geschädigten dient, hier der geschädigten GmbH. Der Zweck des Arrestes würde unterlaufen, wenn arrestierte Vermögenswerte zur Erfüllung von Forderungen verwendet würden, die außerhalb des durch das Urteil anerkannten Schadens stehen. Das Gericht betonte zudem, dass die Sicherung von Vermögen für eine Selbstanzeige nach § 371 Abs. 3 AO oder für eine Absehensentscheidung nach § 398a Abs. 1 AO keine legitime Grundlage für eine Freigabe sein kann. Hieraus ergibt sich keine Pflicht des Gerichts, den Angeklagten durch die Freigabe von Mitteln bei der Erfüllung steuerrechtlicher Anforderungen zu unterstützen. II. Einziehung als endgültiger Vollstreckungstitel mit Rechtskraft des Urteils: Das Gericht führte weiter aus, dass mit Rechtskraft des Urteils die Einziehungsentscheidung die Funktion eines endgültigen Vollstreckungstitels übernimmt und damit an die Stelle des Vermögensarrestes tritt. Der Vermögensarrest ist eine vorläufige Sicherungsmaßnahme, deren Zweck es ist, Vermögenswerte bis zur Klärung der Schuldfrage zu sichern. Mit der Rechtskraft des Urteils wandelt sich diese vorläufige Maßnahme in einen vollstreckbaren Titel, der die Grundlage für die dauerhafte Sicherstellung und Verwertung der Vermögenswerte zugunsten des Geschädigten bildet. In diesem Zusammenhang betonte das Gericht, dass eine Freigabe von arrestierten Mitteln zugunsten anderer Gläubiger (hier: der Staatskasse) mit dem im Urteil angeordneten Zweck der Vermögensabschöpfung unvereinbar ist. Der Sicherungszweck des Arrestes und die Einziehungsentscheidung müssen übereinstimmen, und der Vermögensarrest darf nicht dazu verwendet werden, um etwa steuerliche Ansprüche des Fiskus zu bedienen. Solange der Einziehungsbetrag nicht vollständig realisiert wurde, besteht außerhalb des § 459g Abs. 5 StPO keine Grundlage für eine anderweitige Freigabe.
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