Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche auf privatem Grund, Art. 14 Abs. 1 GG in der BauleitplanungLeitsätze 1. Für die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche zur Erweiterung eines Schulstandorts auf privat genutzten Grundstücken bedarf es eines konkreten öffentlichen Bedarfs für diese Fläche. Dieser kann sich aus konkreten Flächenbedarfsberechnungen und/oder einem konkreten baulichen Entwicklungskonzept ergeben. 2. Zur Schonung des privaten Eigentums muss die Plangeberin geeignete, im Eigentum der öffentlichen Hand stehende Flächen in Betracht ziehen; gewisse Nachteile bei der Umsetzung auf öffentlichen Flächen sind abhängig von den Umständen des Einzelfalls ggf. hinzunehmen. - A.
Problemstellung Gemeinbedarfsflächen, also solche Areale, die der Versorgung der Bevölkerung mit Anlagen und Einrichtungen wie Schulen, Kirchen, Kindergärten, Krankenhäuser, Kultureinrichtungen etc. dienen (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a BauGB), sind gesellschaftlich und städtebaulich von erheblicher Bedeutung. Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB („Flächen für den Gemeinbedarf“) können sie im Bebauungsplan festgesetzt werden. Grundsätzlich lassen sich in Ausübung der gemeindlichen Planungshoheit auch Grundstücke und Grundstücksteile im Privateigentum als Gemeinbedarfsflächen „verplanen“. Dies unterliegt allerdings aufgrund des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes nach Art. 14 Abs. 1 GG besonderen Anforderungen, mit denen sich der 1. Senat des OVG Lüneburg unter Bestätigung der gängigen Rechtsprechung eingehend befasst hat.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung E ist Eigentümerin eines ca. 2.300 qm großen Grundstücks, das mit zwei Wohngebäuden (von denen E eines bewohnt und das andere zur Deckung ihres Lebensunterhalts vermietet) und Nebengebäuden bebaut ist. Das Grundstück grenzt an einen bereits seit 70 Jahren bestehenden Schulstandort an. Die Samtgemeinde beantragte bei der Gemeinde, in der die Grundstücke liegen, die Aufstellung eines Bebauungsplans und den Erlass einer Veränderungssperre für die bisherigen Flächen des Schulstandorts und die im Osten angrenzenden Flächen, u.a. das Grundstück der E. Dies sollte eine künftige Erweiterung ermöglichen und das vorhandene Angebot sichern, ohne dass bereits eine konkrete Ausbauplanung des Schulstandorts vorlag. 2020 wurde der Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren als Bebauungsplan der Innenentwicklung erlassen. Das bislang nicht überplante Plangebiet befindet sich bis auf das Grundstück der E (und dasjenige einer Beteiligten im Parallelverfahren 1 KN 125/23) im Eigentum der Gemeinde. Der Bebauungsplan setzt (auch für das Grundstück der E) eine Fläche für den Gemeinbedarf mit der Zweckbestimmung „Schule, KiTa und Anlagen für soziale, kulturelle und sportliche Zwecke“ fest. Ein zum Bestandteil der Planbegründung gemachtes, von den Schulleitungen erstelltes und im Schulausschuss der Samtgemeinde einstimmig befürwortetes Konzept erläuterte und konkretisierte die Mehrbedarfe an Flächen und Räumlichkeiten sowie die Intention einer Stärkung des Angebots nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen. Konkrete Flächenbedarfe und deren Zuordnung zu räumlich bestimmten Ausbauvorhaben oder Angaben zu Ausbauzeitpunkten enthielt das Dokument nicht. Den Bebauungsplan griff E mit einem Normenkontrollantrag an. Der Senat hält den Bebauungsplan für fehlerhaft; er bejaht Fehler im Abwägungsergebnis. Die Festsetzung der im Privateigentum (der E) stehenden Flächen als Gemeinbedarfsfläche hätte mit keiner Begründung abwägungsfehlerfrei beschlossen werden können. Sie verletze E in ihrem Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG. Zwar dürfe die Gemeinde durch ihre Bauleitplanung die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken verändern und dabei auch private Nutzungsmöglichkeiten einschränken oder auch aufheben. Eine solche Beschränkung müsse aber von der Gemeinde als wichtiger Belang privater Eigentümerinteressen in der Abwägung der öffentlichen und privaten Belange beachtet werden. Die hierbei zu berücksichtigende Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fordere, dass in erster Linie Vorkehrungen getroffen würden, die eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers real vermeiden und die Privatnützigkeit des Eigentums so weit wie möglich erhalten – es sei dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs (als Element des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes) Geltung zu verschaffen. Zu prüfen sei stets ein milderes Mittel, etwa die „gleich gute“ Verwirklichung des Planvorhabens auf Grundstücken der öffentlichen Hand (die sich nicht auf Art. 14 Abs. 1 GG berufen könne). Vorliegend fehle es bereits an einem konkreten öffentlichen Bedarf, der die Inanspruchnahme der privaten Flächen rechtfertige. Konkret bezifferte Flächenbedarfe bzw. ein konkretes bauliches Entwicklungskonzept seien im Planverfahren nicht vorgelegt worden. Es sei nicht dargelegt worden, dass die in Aussicht genommene Erweiterung ohne die im Privateigentum stehenden Flächen nicht zu verwirklichen wäre. Damit sei schon kein öffentliches Interesse vorhanden, das sich gegenüber dem durch die tatsächliche Nutzung der E nachgewiesenen privaten Bedarf durchsetze. Der bloße „Vorsorgewunsch“ der Gemeinde bzw. der Samtgemeinde als Schulträgerin habe nicht das Gewicht, die Privatnützigkeit des Grundeigentums im Plangebiet zu überwinden. Zudem seien die in der Planbegründung angestellten Überlegungen zu einer alternativen Erweiterung des Schulstandorts unter Schonung des Privateigentums unzureichend. Das Argument, die im Plangebiet vorhandene Kombination von Grundschule und Oberstufe habe Synergieeffekte, lässt der Senat nicht geltend; er geht vielmehr von (Nutzungs-)Konflikten aus. Die Erwägungen rechtfertigten im Ergebnis eine Inanspruchnahme von Privateigentum nicht. E hingegen nutze ihr Grundstück genehmigungskonform zu eigenen Wohnzwecken und zur Vermietung (und damit zur Sicherung ihres Lebensunterhalts). Damit bewege sie sich im „Kernbereich der von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsgarantie“.
- C.
Kontext der Entscheidung Schon die fremdnützige Überplanung von Privateigentum in der Bauleitplanung berührt das Eigentumsgrundrecht der betroffenen Grundstückseigentümer aus Art. 14 Abs. 1 GG. Dieser kann im Einzelfall nicht oder weniger schützenswert sein, etwa dann, wenn er sein Grundstück zunächst der Gemeinde für eine Schulerweiterung zum Kauf anbietet, damit erst die Bauleitplanung veranlasst und dann einen Rückzieher macht (dieser Fall lag BVerwG, Beschl. v. 18.10.2023 - 4 BN 8/23 zugrunde; dazu Decker, jurisPR-BVerwG 10/2024 Anm. 3). Aber auch grundsätzlich darf die Gemeinde im Rahmen der Bauleitplanung die privaten Nutzungsmöglichkeiten einschränken oder aufheben. Der Bebauungsplan als Satzung und damit als Gesetz im materiellen Sinne bestimmt Inhalt und Schranken des (Grund-)Eigentums (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 08.12.2004 - 1 BvR 1238/04 Rn. 13). Dies setzt allerdings – sofern der Grundstückseigentümer nicht ohnehin mit der „Überplanung“ einverstanden ist – voraus, dass eine sachgerechte und vollständige Abwägung der privaten und öffentlichen Belange erfolgt. Denn die Enteignungsgrundsätze nach Art. 14 Abs. 3 GG sind zwar erst bei Durchführung förmlicher Enteignungsmaßnahmen durch die Enteignungsbehörden zu beachten (VGH Mannheim, Urt. v. 16.02.2022 - 5 S 2207/20 Rn. 38; zur städtebaulichen Enteignung Scheidler, UPR 2016, 510). Die Abwägung bei der Inanspruchnahme eines privaten Grundstücks und dem künftigen Ausschluss seiner privatrechtlichen Nutzbarkeit durch einen Bebauungsplan ist aber gleichwohl in besonderem Maße am Maßstab der grundgesetzlichen Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), ggf. auch des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) zu messen (VGH Mannheim, Urt. v. 16.02.2022 - 5 S 2207/20 Rn. 38; vgl. schon OVG Berlin, Urt. v. 24.03.1995 - 2 A 4.94, Ls. 2). Es gilt ein Grundsatz der größtmöglichen Schonung privater Flächen (OVG Schleswig, Urt. v. 06.05.2021 - 1 KN 21/16 Rn. 65). Die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, vor allem des Kriteriums der Erheblichkeit in Gestalt der Möglichkeit einer Realisierung des Planvorhabens auf Grundstücken, die im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, ist dabei Teil der planerischen Abwägung (BVerwG, Beschl. v. 18.10.2023 - 4 BN 8/23 Rn. 16). Entscheidend ist die Frage, ob das Vorhaben „gleich gut“ (natürlich auch: „oder besser“) auf einem Grundstück der öffentlichen Hand verwirklicht werden kann – diese „Faustformel“ ist in der Rechtsprechung völlig etabliert (BVerwG, Urt. v. 20.08.1982 - 4 C 81/79 Rn. 20; BVerwG, Urt. v. 06.06.2002 - 4 CN 6/01 Rn. 13; OVG Lüneburg, Urt. v. 24.02.2021 - 1 KN 50/19 Rn. 19; OVG Schleswig, Urt. v. 06.05.2021 - 1 KN 21/16 Rn. 65; VGH Mannheim, Urt. v. 16.02.2022 - 5 S 2207/20 Rn. 38; OVG Münster, Urt. v. 03.09.2003 - 7a D 73/01.NE Rn. 35). In den einschlägigen Entscheidungen wird auf den Rechtsgedanken des § 90 Abs. 1 Nr. 2 BauGB hingewiesen, dem zufolge die Enteignung von Grundstücken zur Entschädigung in Land (Ersatzland) nur dann zulässig ist, wenn die öffentliche Hand nicht selbst über geeignetes Ersatzland verfügt (VGH Mannheim, Urt. v. 16.02.2022 - 5 S 2207/20 Rn. 38). Zudem ist es geboten, im Rahmen des planerischen Abwägungsvorgangs die mit der Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche auf einem Privatgrundstück verbundenen Eigentumsbeeinträchtigungen hinreichend zu ermitteln und zu bewerten (OVG Greifswald, Urt. v. 26.09.2023 - 3 K 751/17 Rn. 22, öffentliche Grünfläche). Schließlich ist – sofern mehrere Private betroffen sind – zu gewährleisten, dass die Planung ein Mindestmaß an Lastengleichheit zwischen allen betroffenen Eigentümern gewährleistet (OVG Schleswig, Urt. v. 06.05.2021 - 1 KN 21/16 Rn. 65; OVG Münster, Urt. v. 08.03.2018 - 7 D 60/16.NE Rn. 55; vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 28.09.2016 - 7 D 28/15.NE Rn. 56; OVG Münster, Urt. v. 26.02.2009 - 10 D 31/07.NE Rn. 62). Bei der planerischen Abwägung kann die „gleich gute“ Eignung einer Umsetzung auf Grundstücken der öffentlichen Hand nur sachgerecht beurteilt werden, wenn bereits ein Mindestmaß an Konkretisierung der Planungskonzeption für die zukünftige Gemeinbedarfsanlage besteht (VGH Mannheim, Urt. v. 06.02.2014 - 3 S 207/13 Rn. 49; hinreichender Planungsstand etwa bei OVG Berlin, Beschl. v. 22.03.2021 - OVG 10 S 49/20 Rn. 40). Die Anforderungen, die an dieses Mindestmaß zu stellen sind, ergeben sich aus den Umständen des Einzelfalls (vgl. OVG Saarlouis, Urt. v. 23.05.2019 - 2 C 44/18 Rn. 25, Veränderungssperre zur Sicherung der Bauleitplanung; OVG Berlin, Beschl. v. 22.03.2021 - OVG 10 S 49/20 Rn. 40). Die weit gefasste Zweckbestimmung „Schule, KiTa und Anlagen für soziale, kulturelle und sportliche Zwecke“ und die konkret zugelassenen Nutzungen im vom Senat entschiedenen Fall zeigen eine diesbezüglich problematische Bandbreite denkbarer Einrichtungen für den Gemeinbedarf. Der Gedanke einer „vorsorglichen“ Planung zur Gewährleistung künftiger Erweiterungen ist zwar – dies hat auch der Senat dargelegt – aus städtebaulicher Perspektive durchaus nachvollziehbar, wird aber den Anforderungen an das Konkretisierungsniveau der Planung nicht gerecht – für eine „allgemeine Vorratsplanung“ auf bebaute private Grundstücksflächen zugreifen zu wollen, ist mit der Bestandgarantie des privaten Eigentums nicht vereinbar (VGH Mannheim, Urt. v. 06.02.2014 - 3 S 207/13 Rn. 49; zudem wird sich häufig die Frage stellen, ob eine Planung überhaupt schon nach § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich war; zum Sonderproblem der Funktionslosigkeit der Festsetzung von Gemeinbedarfsflächen Hamer, BauR 2016, 608).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Der von der Überplanung eines privat genutzten Grundstücks betroffene Eigentümer kann im Rahmen eines Normenkontrollantrags gegen einen Bebauungsplan nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO an verschiedenen Ebenen ansetzen. Nach Einsicht der Planunterlagen ist zu prüfen, ob die planende Gemeinde überhaupt die privaten Belange des Eigentümers in Gestalt der zu erwartenden Nutzungseinschränkungen seines Grundeigentums bei der Abwägung berücksichtigt hat. Zudem sind die vorgetragenen öffentlichen Belange, insbesondere der festgesetzte Gemeinbedarf, daraufhin zu untersuchen, ob sie bereits ein hinreichendes Mindestmaß an planerischer Konkretisierung aufweisen. Der geltend gemachte öffentliche Bedarf muss zumindest benannt, möglichst auch schon konkret räumlich konturiert bzw. größenmäßig beziffert, vor allem aber entsprechend plausibel begründet werden. Ist dies aus den Planungsunterlagen, namentlich den zur Begründung beigelegten Unterlagen, nicht erkennbar, liegt ein beachtlicher Abwägungsfehler vor. Gleiches gilt, wenn zwar ein öffentlicher Belang konkret nachgewiesen ist, eine Abwägung mit den privaten Belangen des Eigentümers aber unzureichend stattgefunden hat. Anzustellen ist u.a. eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, bei der nachvollziehbar belegt werden muss, weshalb der Gemeinbedarf nicht über die Heranziehung solcher Grundstücke gedeckt werden kann, die im Eigentum der öffentlichen Hand stehen (bzw. von ihr erworben werden können). Bei Inanspruchnahme mehrerer Privater ist eine entsprechend „multilaterale“ Abwägung vorzunehmen, die einen adäquaten Lastenausgleich vorzunehmen hat. Der Abwägungsprozess ist mithin „fehleranfällig“. Zu viel Zeit mit der Prüfung darf sich der betroffene Eigentümer allerdings nicht lassen; jedenfalls sind die Regelungen über die Planerhaltung (§§ 214, 215 BauGB) mit dem Zeitpunkt eines möglichen Unbeachtlichwerdens in § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB bzw. die für den Normenkontrollantrag geltende Frist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO (ein Jahr ab Bekanntmachung) zu beachten.
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