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Anmerkung zu:LG München I 14. Zivilkammer, Beschluss vom 17.07.2024 - 14 S 3692/24
Autor:Dr. Beate Flatow, Vizepräsidentin AG a.D.
Erscheinungsdatum:21.11.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 522 ZPO, § 558 BGB, § 557b BGB, § 558d BGB, § 558a BGB
Fundstelle:jurisPR-MietR 23/2024 Anm. 1
Herausgeber:Norbert Eisenschmid, RA
Zitiervorschlag:Flatow, jurisPR-MietR 23/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Keine Stichtagsdifferenz zum Mietspiegel allein aufgrund eines Anstiegs des Verbraucherpreisindexes



Orientierungssatz zur Anmerkung

§ 558d Abs. 2 Satz 2 BGB gilt nur für die Fortschreibung des gesamten Mietspiegels. Allein der Verbraucherpreisindex (VPI) erlaubt es aber nicht, im konkreten Mieterhöhungsverlangen zu dem ausgewiesenen Einzelvergleichswert einen Stichtagszuschlag zu addieren.



A.
Problemstellung
Ein qualifizierter Mietspiegel, der nicht älter als zwei Jahre ist, begründet die Vermutung, dass die dort angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben (§ 558d Abs. 3 BGB, näher Börstinghaus in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 558d BGB Rn. 124 ff.). Ein solcher Mietspiegel ist nach zwei Jahren der Marktentwicklung anzupassen, nach vier Jahren ist er neu zu erstellen (§ 558d Abs. 2 BGB). Für die Fortschreibung kann der Mietspiegelersteller auf den Verbraucherpreisindex (VPI) zurückgreifen (§ 558d Abs. 2 Satz 2 BGB).
Fraglich ist der Umgang mit den Mietspiegelwerten innerhalb der jeweils zweijährigen Geltungsdauer. Bereits im ersten Jahr nach Mietspiegelerstellung können die Mieten steigen. Auch hier käme der Rückgriff auf den VPI in Betracht. Mit dieser Frage hatte sich das LG München I zu befassen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger war Mieter, die Beklagten waren Vermieter einer Wohnung. Der Kläger verlangte Mieterhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete. Nach einer Teilzustimmung verklagte er die Mieter auf Zustimmung auch zum restlichen Erhöhungsbetrag. Für die Differenz kam es u.a. darauf an, ob der Betrag, den der Münchener Mietspiegel 2023 auswies, um eine Stichtagsdifferenz zu erhöhen war, weil zwischen der Datenerhebung zum Mietspiegel im Januar 2022 und dem Zugang des Mieterhöhungsverlangens im Juni 2023 eineinhalb Jahre verstrichen waren. Der Kläger meinte, hier sei entsprechend der allgemeinen Preisentwicklung in diesem Zeitraum nach dem VPI ein Stichtagszuschlag von 11,02% vorzunehmen.
Das AG München wies in erster Instanz die Klage ab.
Das LG München I hat in dem hier besprochenen Hinweisbeschluss erklärt, die Kammer beabsichtige die Berufung zurückzuweisen (§ 522 Abs. 2 ZPO).
Die Anpassung im Wege eines Stichtagszuschlags könne das Gericht im Zustimmungsprozess vornehmen, wenn nach dem Erhebungszeitpunkt des Mietspiegels eine ungewöhnliche Mietpreissteigerung festzustellen sei (Verweis auf BGH, Urt. v. 15.03.2017 - VIII ZR 295/15 Rn. 26 ff. - NJW 2017, 2679 = NZM 2017, 321). Diese Feststellung ermögliche der Verbraucherpreisindex aber gerade nicht. Der Verbraucherpreisindex verfolge nicht die Entwicklung der ortsüblichen Vergleichsmiete, sondern messe die durchschnittliche Preisentwicklung aller Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte in Deutschland für Konsumzwecke kaufen. Bei der Berechnung des Verbraucherpreisindexes bzw. der Inflationsrate verwende das Statistische Bundesamt einen „Warenkorb“, der rund 700 Güterarten umfasse und sämtliche von privaten Haushalten in Deutschland gekauften Waren und Dienstleistungen repräsentiere. Auch wenn ein qualifizierter Mietspiegel der Fortschreibung nach dem Verbraucherpreisindex grundsätzlich zugänglich sei, könne sich die Prüfung eines einzelnen Mieterhöhungsverlangens nicht auf diese Norm stützen. Sie sei hier nicht einschlägig.
Zu bedenken sei, dass sich andernfalls die Mieterhöhung als Mischform der Vergleichsmietenerhöhung (§ 558 BGB) und einer Indexmiete (§ 557b BGB) darstellen würde. Eine allgemeine Stichtagspraxis würde schließlich die gewollte Befriedungsfunktion des Mietspiegels gefährden können (Verweis auf Fleindl, NZM 2017, 325). Der BGH habe den Stichtagszuschlag in einem Fall zugelassen, in dem sich die Steigerung der Vergleichsmieten unmittelbar aus einem Folgemietspiegel für die Gemeinde habe ablesen lassen. Dabei habe der BGH dem Tatgericht auch ausdrücklich einen weiten Beurteilungsspielraum zugebilligt.


C.
Kontext der Entscheidung
Im Grundsatz hat der Vermieter einen Anspruch auf Zustimmung zu der aktuellen ortsüblichen Miete. Mietspiegel können die dynamische Entwicklung naturgemäß nicht abbilden (Börstinghaus in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 558a BGB Rn. 67). Die Aktualisierungszyklen gemäß § 558d Abs. 2 BGB binden, so jedenfalls der BGH, den Tatrichter nicht dahin, dass er in Fällen, in denen er seine Erkenntnisse (auch) auf einen Mietspiegel stützt, stets gehindert wäre, für ein innerhalb des laufenden Zweijahreszeitraums gestelltes Mieterhöhungsbegehren jegliche Aktualisierungsmöglichkeit außer Betracht zu lassen (BGH, Urt. v. 15.03.2017 - VIII ZR 295/15 Rn. 22 - NJW 2017, 2679 = NZM 2017, 321).
Die Beweislast für die Miethöhe hat allerdings der Vermieter. Für ihn kommt in erster Linie ein schon erschienener neuer Mietspiegel mit weit höheren Vergleichsmieten in Frage. Hier kann das Gericht den Wert zum Tag des Mieterhöhungsverlangens im Wege der linearen Interpolation einschätzen (BGH, Urt. v. 15.03.2017 - VIII ZR 295/15 Rn. 30). Erst recht gilt das, wenn der Erhebungsstichtag für den neuen Mietspiegel beim Zugang des Mieterhöhungsverlangens schon verstrichen ist und diese neuere Erhebung die aktuelle Miete statistisch sicher ausweist (vgl. LG Berlin, Urt. v. 07.11.2014 - 65 S 527/13 - Grundeigentum 2014, 126; so auch der Fall AG Berlin-Schöneberg, Urt. v. 20.09.2017 - 7 C 118/17 und AG Stuttgart, Urt. v. 27.07.2018 - 37 C 1909/17; insoweit nicht abgedruckt in WuM 2019, 723). Das ist eine Frage der Beweiswürdigung im Einzelfall, keine generelle gesetzliche Fortschreibung, wie sie § 558d Abs. 2 Satz 2 BGB erlaubt.
Die Frage, ob der Verbraucherpreisindex im Einzelfall als Schätzgrundlage einen Stichtagszuschlag erlaubt, ist umstritten. Anders als hier das LG München I hat eine andere Abteilung des AG München das zugelassen und den Stichtagszuschlag allein aufgrund der allgemeinen Preisentwicklung vorgenommen (AG München, Urt. v. 29.11.2023 - 416 C 18778/23 - ZMR 2024, 584, dagegen – Zuschlag nur bei zwei Mietspiegeldaten: LG Berlin, Urt. v. 10.10.2019 - 65 S 107/19 Rn. 70 - NZM 2019, 818, 823).
Der Entscheidung des LG München I ist zuzustimmen. Die Fortschreibungsregel für Mietspiegel beinhaltet keine Vermutungsregel oder auch nur Indizwirkung im Einzelfall.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Bedeutung für die Praxis ist nicht gering. Für Zeiträume, in denen der Verbraucherpreisindex stark gestiegen ist, kann die Begründung eines Stichtagszuschlags mithilfe des Verbraucherpreisindexes zu einer nennenswerten Differenz führen.
Wichtig für den Vermieter ist, dass hier nicht Begründung des Mieterhöhungsverlangens mit der Feststellung der Vergleichsmiete im Prozess zu verwechseln sind. Wenn der Vermieter nach § 558a Abs. 2 Nr. 1 BGB den Mietspiegel als Begründungsmittel wählt, ist er an die Beträge gebunden. Über den Oberwert eines Mietspiegelfeldes darf er in diesem Stadium nicht hinausgehen, weil er dann die enumerativ genannten Begründungsmittel verlässt (vgl. Börstinghaus in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 558a BGB Rn. 68; Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 8/2017 Anm. 2 m.w.N.; a.A. Schultz in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Aufl. 2019, Rn. III 1251).


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das LG München I hatte zusätzlich zu entscheiden, dass das Positivmerkmal „offene Küche“ nicht erfüllt ist, wenn schlicht die Tür zwischen Wohnzimmer und Küche ausgehängt wird. Die Küche bleibt auch in diesem Fall ein abgegrenzter Raum. Eine funktionale Verbindung zwischen Kochen, Essen und Wohnen einschließlich des so geschaffenen kommunikativen Elements wird nicht erreicht. Es erscheint kurios, dass das erst ein Gericht entscheiden muss.



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