Gewöhnlicher Aufenthalt i.S.d. Art. 8 Rom III-VO im Falle einer Scheidung eines DiplomatenTenor Art. 8 Buchst. a und b der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts ist dahin auszulegen, dass der Diplomatenstatus eines der Ehegatten und seine dienstliche Verwendung auf einer Stelle im Empfangsstaat grundsätzlich der Annahme entgegenstehen, dass der „gewöhnliche Aufenthalt“ der Ehegatten als in diesem Staat befindlich angesehen wird, es sei denn, nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls, zu denen insbesondere die Dauer der physischen Präsenz der Ehegatten sowie ihre soziale und familiäre Integration in diesem Staat gehören, wird zum einen der Wille der Ehegatten, den gewöhnlichen Mittelpunkt ihrer Interessen in diesem Staat zu begründen, und zum anderen eine Präsenz in diesem Staat festgestellt, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit aufweist. - A.
Problemstellung Der EuGH musste sich aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des XII. Zivilsenats des BGH mit der Auslegung des Art. 8 VO (EU) Nr. 1259/2010 Buchst. a, Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20.12.2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (Rom III-VO) hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten für den Fall befassen, dass einer der Eheleute Diplomatenstatus hat (BGH, EuGH-Vorlage v. 20.12.2023 - XII ZB 117/23 - MDR 2024, 231 m. Anm. Thode, jurisPR-BGHZivilR 25/2024 Anm. 4; Anm. Fuchs, NZI 2024, 243; Anm. Johanson, FamRZ 2024, 343). Da die Parteien keine Rechtswahl gemäß Art. 5 Rom III-VO getroffen haben, war das Scheidungsstatut nach Art. 8 Rom III-VO zu bestimmen (vgl. hierzu ausf. Anm. Thode, jurisPR-BGHZivilR 25/2024 Anm. 4). Die Frage des Vorabentscheidungsersuchens, nach welchen Kriterien der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten zu bestimmen ist, wenn einer der Ehegatten über den Diplomatenstatus verfügt, war bisher vom EuGH nicht entschieden worden (vgl. ausf. Anm. Thode, jurisPR-BGHZivilR 25/2024 Anm. 4; Anm. zum Besprechungsurteil: Dimmler, FamRB 2025, 226; Antomo, NJW 2025, 1637; Recker/Plitzko, FamRZ 2025, 665).
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Das Urteil betrifft die Auslegung von Art. 8 Buchst. a und b der VO (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20.12.2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (VO Nr. 1259/2010), Rom III-VO. Gegenstand der Vorlage und Entscheidung des EuGH ist die Auslegung des Art. 8 Rom III-VO: Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen DL und PQ über die Bestimmung des auf ihre Ehescheidung anzuwendenden Rechts. I. Die deutschen Staatsangehörigen DL und PQ schlossen im Jahr 1989 die Ehe. Nachdem sie mehr als zehn Jahre lang gemeinsam in einer in Berlin (Deutschland) gemieteten Wohnung (im Folgenden: Familienwohnung) und anschließend etwa zwei Jahre lang in Stockholm (Schweden) gelebt hatten, zogen sie im September 2019 nach Moskau (Russland) in eine Wohnung auf dem Compound der Deutschen Botschaft, in der PQ als Botschaftsrat tätig ist. Im Hinblick auf eine Rückkehr nach Deutschland behielten die Ehegatten jedoch ihre Familienwohnung bei, in der seit September 2019 eines ihrer volljährigen Kinder lebt und von der bestimmte Teile bis Juni 2020 untervermietet wurden. Im Januar 2020 reiste DL nach Berlin, um sich dort einem chirurgischen Eingriff zu unterziehen, und blieb bis Februar 2021 in der Familienwohnung. Anschließend kehrte sie in die zur Deutschen Botschaft gehörende Wohnung in Moskau zurück, die sie im Mai 2021 endgültig verließ, um nach Berlin zurückzukehren. Sie lebt seither in der Familienwohnung in Berlin, während PQ weiterhin in Moskau lebt. Am 08.07.2021 stellte PQ beim Amtsgericht (Deutschland) einen Scheidungsantrag, mit dem er geltend machte, dass er seit Januar 2020 getrennt von DL lebe und dass die endgültige Trennung im März 2021 erfolgt sei. DL trat diesem Antrag mit der Begründung entgegen, dass die Trennung des Ehepaars frühestens im Mai 2021 erfolgt sei, als sie nach Berlin zurückgekehrt sei. Der Antrag wurde zurückgewiesen, weil das nach deutschem Recht erforderliche Trennungsjahr noch nicht abgelaufen war und keine hinreichend schwerwiegenden Gründe für die sofortige Scheidung vorlagen. Das Kammergericht, bei dem PQ Beschwerde einlegte, schied die Ehe hingegen nach russischem Recht, das es gemäß Art. 8 Buchst. b Rom III-VO aufgrund des letzten gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten für anwendbar hielt. Insoweit führte das Gericht aus, dass sich der „gewöhnliche Aufenthalt“ von PQ im Sinne dieses Artikels in Moskau befinde und dass der gewöhnliche Aufenthalt von DL in dieser Stadt erst mit ihrer Abreise nach Deutschland am 23.05.2021 geendet habe, also weniger als ein Jahr vor Anrufung des Amtsgerichts. DL legte gegen das Scheidungsurteil beim vorlegenden Gericht Rechtsbeschwerde ein. Dieses Gericht hat Zweifel, ob die Auslegung des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“ in der Rom III-VO der des gleichen Begriffs in der Verordnung Nr. 2201/2003 (2) entsprechen muss. Es fragt sich, ob für die Ermittlung des „gewöhnlichen Aufenthalts“ der Ehegatten in Art. 8 Buchst. a und b Rom III-VO die dienstliche Verwendung eines der Ehegatten als Diplomat in einem Staat, die Dauer der physischen Präsenz der Ehegatten in diesem Staat sowie das Maß an sozialer und familiärer Integration in diesem Staat relevante oder sogar entscheidende Gesichtspunkte sind. In diesem Zusammenhang sieht sich das vorlegende Gericht vor die Frage gestellt, nach welchen Kriterien der „gewöhnliche Aufenthalt“ der Ehegatten i.S.v. Art. 8 Buchst. a und b Rom III-VO zu bestimmen ist und insbesondere, inwiefern die dienstliche Verwendung einer der Ehegatten als Diplomat im Empfangsstaat relevant ist. Das vorlegende Gericht führt aus, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten möglicherweise nicht in Russland verortet werden könne, wenn die von den Parteien des Ausgangsverfahrens vorgebrachten Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigen wären. Auch sei es klärungsbedürftig, ob die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eine physische Präsenz der Ehegatten in einem Staat von gewisser Dauer und ein gewisses Maß an sozialer und familiärer Integration in dem betreffenden Staat voraussetze. In diesem Zusammenhang sieht sich das vorlegende Gericht vor die Frage gestellt, nach welchen Kriterien der „gewöhnliche Aufenthalt“ der Ehegatten i.S.v. Art. 8 Buchst. a und b Rom III-VO zu bestimmen ist und insbesondere, inwiefern die dienstliche Verwendung einer der Ehegatten als Diplomat im Empfangsstaat relevant ist. Das vorlegende Gericht führt aus, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten möglicherweise nicht in Russland verortet werden könne, wenn die von den Parteien des Ausgangsverfahrens vorgebrachten Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigen wären. Auch sei es klärungsbedürftig, ob die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eine physische Präsenz der Ehegatten in einem Staat von gewisser Dauer und ein gewisses Maß an sozialer und familiärer Integration in dem betreffenden Staat voraussetze. Vor diesem Hintergrund hat der XII. Zivilsenst des BGH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH seine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (BGH, EuGH-Vorlage v. 20.12.2023 - XII ZB 117/23, Anm. Fuchs, NZI 2024, 243; Anm. Johanson, FamRZ 2024, 343; Thode, jurisPR-BGHZivilR 25/2024 Anm. 4). II. Der EuGH hat wie aus dem Leitsatz ersichtlich entschieden: Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 8 Buchst. a und b Rom III-VO dahin auszulegen ist, dass für die Bestimmung des „gewöhnlichen Aufenthalts“ der Ehegatten im Sinne dieser Bestimmung die dienstliche Verwendung eines der Ehegatten als Diplomat in einem Staat, die Dauer der physischen Präsenz der Ehegatten in diesem Staat sowie das Maß an sozialer und familiärer Integration in diesem Staat relevante oder sogar entscheidende Gesichtspunkte sind. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Rom III-VO keine Definition des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“ enthält und für die Ermittlung des Sinns und der Bedeutung dieses Begriffs nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist. Folglich ist eine autonome und einheitliche Auslegung zu ermitteln, und zwar nach Maßgabe des Wortlauts der Vorschrift, ihres systematischen Zusammenhangs und der Ziele der Regelung, zu der sie gehört. Der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 2201/2003 ist grundsätzlich durch zwei Elemente gekennzeichnet, nämlich zum einen durch den Willen des Betreffenden, an einem bestimmten Ort den gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Interessen zu begründen, und zum anderen durch eine Anwesenheit im Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaats, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit aufweist. In Anbetracht der notwendigen Kohärenz zwischen den Bestimmungen der Verordnungen Nr. 1259/2010 und 2201/2003 sind dieselben Elemente erforderlich, um den Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ i.S.v. Art. 8 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1259/2010 zu kennzeichnen. Ein solches einheitliches Verständnis spiegelt den engen Zusammenhang wider, der zwischen diesen beiden Verordnungen besteht, die u.a. die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebands regeln. Eine Definition des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“ der Ehegatten i.S.v. Art. 8 Buchst. a und b Rom III-VO, die grundsätzlich durch zwei Elemente gekennzeichnet ist, ermöglicht es nämlich, sowohl das Ziel der Rechtssicherheit und der Berechenbarkeit als auch die erforderliche Flexibilität in Ehesachen zu garantieren und gleichzeitig etwaigem Missbrauch bei der Wahl des anzuwendenden Rechts vorzubeugen. Was erstens den Diplomatenstatus eines der Ehegatten betrifft, sprechen die Natur und die Eigenart der beruflichen Tätigkeit eines in einer Auslandsvertretung im Empfangsstaat eingesetzten Diplomaten aufgrund der in dieser Funktion begründeten Umstände grundsätzlich dafür, dass dieser Diplomat und sein Ehegatte in diesem Staat keinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. Art. 8 Buchst. a und b Rom III-VO haben. Der Diplomatenstatus eines der Ehegatten ist zwar ein relevanter Gesichtspunkt im Rahmen der Prüfung der Frage, ob die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Empfangsstaats haben, doch ist dieser Gesichtspunkt, was die Beurteilung der Gründe für ihre Anwesenheit in diesem Staat und der Umstände ihres Aufenthalts angeht, nicht allein entscheidend, um die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen und seiner Familienangehörigen in diesem Staat auszuschließen. Die Bestimmung des „gewöhnlichen Aufenthalts“ der Ehegatten ist auch bei Vorliegen eines solchen Gesichtspunkts auf der Grundlage aller tatsächlichen Umstände jedes Einzelfalls vorzunehmen. Was zweitens das Kriterium der Dauer der physischen Präsenz der Ehegatten im Hoheitsgebiet eines Staates betrifft, so sind die besondere Situation der Diplomaten aufgrund der Art ihrer Tätigkeit und die besondere Situation ihrer Familienangehörigen zu berücksichtigen. Zum einen behalten diese Personen nämlich häufig eine enge Beziehung zum Entsendestaat, in den sie sich regelmäßig begeben. Zum anderen kann die Dauer ihres Aufenthalts im Empfangsstaat, da Diplomaten im Allgemeinen einem Rotationsprinzip unterliegen, als von vornherein vorübergehend angesehen werden, auch wenn sie in der Praxis manchmal nicht unerheblich lang sein kann. Unter diesen besonderen Umständen stellt die Dauer der physischen Präsenz der Ehegatten im Hoheitsgebiet des Empfangsstaats für sich genommen keinen ausschlaggebenden Gesichtspunkt für den gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten in diesem Staat dar. Insoweit kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Ehegatten für einen nicht unerheblichen Zeitraum in diesem Hoheitsgebiet aufhalten und gleichzeitig den Mittelpunkt ihrer Interessen im Entsendestaat behalten, in den sie sich regelmäßig begeben. Drittens stellt die soziale Integration in einem Staat, sei es der Empfangsstaat oder der Entsendestaat, einen relevanten Gesichtspunkt für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten dar. Diese Integration kann nämlich das subjektive Element, das mit dem Willen der Betreffenden zusammenhängt, den gewöhnlichen Mittelpunkt ihrer Interessen an einem bestimmten Ort zu begründen, konkretisieren. Die im Entsendestaat beibehaltenen oder im Gegensatz dazu im Empfangsstaat geschaffenen familiären Bindungen können ebenfalls im Rahmen der Prüfung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls relevant sein. Jedenfalls kann nach der auf die Auslegung des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“ i.S.v. Art. 8 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1259/2010 übertragbaren Rechtsprechung des Gerichtshofs in Bezug auf die Verordnung Nr. 2201/2003 ein Ehegatte, der sein Leben in zwei Mitgliedstaaten verbringt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt nur in einem dieser Mitgliedstaaten haben. Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass Art. 8 Buchst. a und b Rom III-VO dahin auszulegen ist, dass der Diplomatenstatus eines der Ehegatten und seine dienstliche Verwendung auf einer Stelle im Empfangsstaat grundsätzlich der Annahme entgegenstehen, dass der „gewöhnliche Aufenthalt“ der Ehegatten als in diesem Staat befindlich angesehen wird. Anders verhielte es sich, wenn nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls, zu denen insbesondere die Dauer der physischen Präsenz der Ehegatten sowie ihre soziale und familiäre Integration in diesem Staat gehören, zum einen der Wille der Ehegatten, den gewöhnlichen Mittelpunkt ihrer Interessen in diesem Staat zu begründen, und zum anderen eine Präsenz in diesem Staat festgestellt würde, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit aufweist.
- C.
Kontext der Entscheidung Mit dieser Entscheidung hat der EuGH seine bisherigen Entscheidungen zur autonomen und einheitlichen Auslegung des Begriffes „gewöhnlicher Aufenthalt“ innerhalb des Unionsrechts ergänzt (zum bisherigen Stand: vgl. z.B. Anm. Dimmler, FamRB 2025, 226, Anm. Recker/Plitzko, FamRZ 2025, 665; Antomo, NJW 2025, 1637; Anm. Thode, jurisPR-BGHZivilR 25/2024 Anm. 4, jeweils m.w.N.). Es handelt sich um die erste Entscheidung des EuGH zur Rom III-VO (Anm. Antomo, NJW 2025, 1637). Antomo folgert zutreffend, dass es weit über Diplomaten hinaus Bedeutung für alle Menschen entfalten dürfte, die im Ausland leben, aber enge Bindungen zu ihrem Heimatstaat pflegen. Mit dieser Entscheidung hat der EuGH die im deutschen Schrifttum umstrittene Frage geklärt, dass die von ihm entwickelten Kriterien zu verfahrensrechtlichen Regelungen des Unionsrechts auf die kollisionsrechtliche Regelung des Art. 8 Rom III-VO übertragen werden können. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist für die Bestimmung des „gewöhnlichen Aufenthalts“ maßgeblich der tatsächliche Lebensmittelpunkt, für den der subjektive Bleibewille sowie die objektive Beständigkeit der Anwesenheit ausschlaggebend sind (vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 01.08.2022 - C-501/20 Rn. 44, 52 f. - FamRZ 2022, 1466 m. Anm. Dimmler, FamRB 2022, 48; EuGH, Urt. v. 25.11.2021 - C-289/20 Rn. 41, 57 - NJW 2021, 3771 m. Anm. Anm. Mankowski, NJW 2021, 3775; Anm. Berner, FamRZ 2022, 215; Anm. Dimmler, FamRB 2022, 48; vgl. ausf. Hau in: BeckOK BGB, 74. Ed. Stand: 01.05.2025, § 7 BGB Rn. 15 f. m.w.N.). Der EuGH begründet seine Antwort auf die Vorlagefrage auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Kriterien zur Bestimmung des „gewöhnlichen Aufenthalts“ (Anm. Dimmler, FamRB 2025, 226). Antomo (NJW 2025, 1637) weist in ihrer Anm. darauf hin, dass nach wie vor ungeklärt sei, ob eine Mindestaufenthaltsdauer erforderlich und ob der Aufenthalt zwingend freiwillig sein muss. Ungeklärt ist auch die Frage, ob die Regelung des Art. 8 Rom III-VO auch in den sog. Rückführungsfällen anwendbar ist, wenn ein Arbeitnehmer nur zeitlich befristet in einem anderen Land beruflich tätig ist und beabsichtigt, nach etwa drei oder vier Jahren wieder in den ursprünglichen Staat zurückzukehren (Anm. Dimmler, FamRB 2025, 226, 228). Der EuGH bestätigt seine Rechtsprechung, dass der gewöhnliche Aufenthalt zwei Voraussetzungen erfordert, zum einen den Willen der betreffenden Personen, an einem bestimmten Ort den gewöhnlichen Mittelpunkt ihrer Interessen zu begründen, und zum anderen eine Anwesenheit im Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaats, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit aufweist, mithin die Dauer der physischen Präsenz (Rn. 41, 47: EuGH, Urt. v. 22.12.2020 - C-497/10 - FamRZ 2011, 617 m. Anm. Henrich „PPU“). Der EuGH betont erneut, dass die erforderliche soziale und familiäre Integration der betroffenen Personen in dem Empfangsstaat in diesem Staat für die Bestimmung ihres „gewöhnlichen Aufenthalts“ i.S.v. Art. 8 Buchst. a und b Rom III-VO relevante oder sogar entscheidende Gesichtspunkte sind, die im Wesentlichen eine Tatsachenfrage darstellen (Rn. 48; EuGH, Urt. v. 25.11.2021 - C-289/20 - NJW 2021, 3771 Rn. 52 m.w.N. „IB/FA“; Anm. Antomo, NJW 2025, 1637).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung des EuGH ist für die Praxis in mehrfacher Hinsicht von hoher Relevanz. Jede Entscheidung des EuGH zu den Voraussetzungen des gewöhnlichen Aufenthalts trägt zur Konsolidierung dieses für die Regelungen bedeutsamen Begriffes bei. Der Inhalt des Begriffes wird weitgehend durch die Entscheidungen des EuGH bestimmt, denn das EU-Recht enthält zu diesem Begriff, dem zentralen Anknüpfungskriterium, nur wenige Definitionen in Art. 19 Rom I-VO und Art. 23 Rom II-VO, die für natürliche Personen im Familien- und Erbrecht keine Hilfe sind (Anm. Antomo, NJW 2025, 1637). Hilfreich für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts sind folgende Grundsätze der Rechtsprechung des EUGH: Der EuGH lehnt eine gespaltene Auslegung im internationalen Ehescheidungsrecht ab, so dass der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich ist für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit (Art. 3 Brüssel IIa/IIb-VO) und für die Ermittlung des anwendbaren Scheidungsstatuts (Art. 8 Rom III-VO; Anm. Dimmler, FamRB 2025, 226, 228 m.w.N.; Anm. Antomo, NJW 2025, 1637 m.w.N.). Diese Rechtsprechung erhöht die Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit (Anm. Antomo, NJW 2025, 1637 f. m.w.N.). Für die Praxis von besonderer Bedeutung ist der Hinweis des EuGH, dass der gewöhnliche Aufenthalt Tatsachenfrage ist, die von den nationalen Gerichten auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung zu prüfen sei (Rn. 48; vgl. ausf. Anm. Antomo, NJW 2025, 1637 f. m.w.N.). Diese Tatsachenabhängigkeit bedingt eine beachtliche Unsicherheit für die Beurteilung, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt gegeben ist oder nicht (Rn. 48 mit Angaben der wesentlichen Kriterien). Diese Rechtsunsicherheit betrifft sowohl die Frage der internationalen Entscheidungszuständigkeit als auch die Frage des anwendbaren Scheidungsstatuts.
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