Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
am 24./25.04.2025 fand in München das 19. Internationale For..Net Symposium unter dem Titel: „KI im demokratischen Rechtsstaat – Innovation, Integration, Illusion“ statt. Unter der Schirmherrschaft des Bayerischen Staatsministers der Justiz Georg Eisenreich (MdL) fand eine lebhafte und fundierte interdisziplinäre Debatte darüber statt, wie die transformative Technologie der Künstlichen Intelligenz in Zukunft rechtssicher und demokratisch gestaltet und genutzt werden kann.
Der erste Tag stand unter dem Motto „Demokratisches Leben in Zeiten von Stargate und DeepSeek“ ganz im Zeichen des Einflusses von KI auf das rechtsstaatliche und demokratische Fundament der Gesellschaft. So stellte die Präsidentin des OLG Celle, Stefanie Otte, in ihrer Keynote die „Mammutaufgabe“ der Digitalisierung der Justiz vor und beleuchtete aktuelle Herausforderungen wie die fehlende föderale Koordination, während Prof. Dr. Jürgen Pfeffer (TU München) aufzeigte, wie KI-Systeme und digitale Plattformen menschliches Verhalten und gesellschaftliche Strukturen beeinflussen können. Dr. Katja Munoz (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) warf einen Blick über den europäischen Tellerrand hinaus auf Entwicklungen in den USA und China und unterstrich die geopolitische Tragweite von KI. Die Kontrolle über Schlüsseltechnologien – von KI-Systemen über Cloud-Infrastrukturen und Halbleiter bis hin zur Energieversorgung – sowie den Zugang zu Daten bestimme zunehmend auch politische Handlungsfähigkeit. Eine technologische Abhängigkeit, insbesondere von außereuropäischen Akteuren, münde zwangsläufig in eine demokratische Verwundbarkeit. Daher seien digitale Eigenständigkeit und strategische Widerstandsfähigkeit Europas keine optionalen Ziele mehr, sondern existenzielle Herausforderungen. Gleichzeitig eröffne KI Potenziale für demokratische Teilhabe, könne aber ebenso als Werkzeug zur gezielten Desinformation, zur Propaganda und zur algorithmischen Verzerrung von Sichtbarkeit genutzt werden. Dabei gehe es nicht nur um manipulierte Inhalte wie Deepfakes, sondern um deren algorithmische Verbreitung und Verstärkung – vergleichbar mit konzentrischen Wellen, die sich im digitalen Raum ausbreiten.
Prof. Dr. Ute Schmid (Universität Bamberg) entwarf ein Zukunftsbild, in dem Mensch und KI in einem komplementären Miteinander agieren. Die Kombination menschlicher Kompetenzen wie ethischer Urteilsfähigkeit, Kontextbewusstsein und Erfahrung mit den datenverarbeitenden und mustererkennenden Fähigkeiten von KI könne enorme Synergien freisetzen. Damit diese Zusammenarbeit gelinge, sei eine durchdachte Gestaltung der Mensch-KI-Schnittstellen unerlässlich – ebenso wie die bewusste Vermeidung typischer Risiken, etwa der unkritischen Übernahme von KI-Ergebnissen („Automation Bias“) oder der allzu starken Verlagerung kognitiver Aufgaben auf Maschinen („Cognitive Offloading“).
Wie ein gesellschaftliches Engagement für den Erhalt des Rechtsstaats und der Demokratie in Zeiten von Digitalisierung und KI in der Praxis aussehen kann, zeigten eindrucksvoll die Preisträgerinnen und Preisträger der beiden Awards, die im Rahmen des Symposiums verliehen wurden: Die HateAid gGmbH, Preisträgerin des diesjährigen For..Net Awards, ist eine gemeinnützige Organisation, die die Demokratie im digitalen Raum stärkt und ein starkes Zeichen gegen digitale Gewalt setzt. Während Prof. Franz-Alois Fischer mit seinem unermüdlichen Engagement als „Grundgesetz-Ultra“ den Pitch-Wettbewerb um den For..Net Media Award 2025 für sich entscheiden konnte.
Am zweiten Tag wurden unter dem Motto „Künstliche Intelligenz im Spiegel von Recht und Rechtsschutz“ vielfältige Diskussionen zu rechtlichen Fragen der Künstlichen Intelligenz geführt. So gab Prof. Henrike Weiden (HS München) Einblicke in die praktischen Herausforderungen des Digital Services Act und Sebastian Dötterl, Richter am OLG München, identifizierte wie KI die richterliche Unabhängigkeit gefährden könnte. Dr. Philipp Eder (Allianz Rechtsschutz) warf grundlegende Fragen auf, etwa zur Zukunft unseres Wahrheitsverständnisses in einer Welt, in der KI auf statistischen Wahrscheinlichkeiten operiert. Wie lässt sich die menschliche Sprache – als zentrales Instrument von Rationalität und gesellschaftlichem Austausch – vor Erosion schützen? Er plädierte dafür, das Recht nicht länger nur aus einer funktionalen Fachperspektive zu betrachten, sondern stärker vom Menschen her zu denken und die Justiz entsprechend humaner auszurichten.
In den „For..Net-Talks“ sprach ich mit dem Leiter der Bayerischen KI-Agentur baiosphere, Dr. Michael Klimke, und mit der Landesdatenschutzbeauftragten für Sachsen-Anhalt, Maria Christina Rost, über die neuen technischen Möglichkeiten, aber auch die rechtlichen Herausforderungen des KI-Einsatzes.
Das Symposium schloss mit einem Ausblick auf das Jahr 2026, wenn sich dann zum 20. Jubiläums-Symposium erneut Expertinnen und Experten aus der Justiz, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft in München versammeln werden – diesmal unter dem Generaltitel: „Wertschöpfung durch Digitalisierung: Staatsmodernisierung als Wirtschaftsfaktor und demokratischer Anker“.
In dieser Ausgabe des PraxisReports befasst sich zunächst Pauline Fellenberg mit der Darlegungs- und Beweislast bei Schadensersatzansprüchen nach Art. 82 DSGVO (OLG Dresden, Beschl. v. 03.03.2025 - 4 U 1229/24) (Anm. 2).
Sodann ist Victor Monsees mit einer Anmerkung zu der Frage vertreten, ob Personen bei Vertragsabschluss verpflichtet werden dürfen ihre geschlechtsspezifische Anrede anzugeben (EuGH, Urt. v. 09.01.2025 - C-394/23) (Anm. 3).
Anschließend erwartet Sie ein Beitrag von Kevin Lach zu der Anwendbarkeit des FernUSG auf Fernunterricht über Videokonferenz (OLG Celle, Urt. v. 29.10.2024 - 13 U 20/24) (Anm. 4).
Christoph Halder bespricht einen Beschluss des OVG Greifswald zu der Frage nach den Gerichtskosten bei Klagen gegen Datenschutzbehörden (OVG Greifswald, Beschl. v. 15.01.2025 - 1 R 461/24 OVG) (Anm. 5).
Zuletzt beschäftigt sich Nicolas Ziegler mit einem Beschluss des OLG Bremen zur Zulässigkeit der zwangsweisen Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers des Beschuldigten (OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 - 1 ORs 26/24) (Anm. 6).
Ich wünsche Ihnen eine unterhaltsame Lektüre!
Ihr Prof. Dr. Dirk Heckmann