A. Ausgangslage
Der Traum vom autonomen Fahren scheint greifbar nah: Bis 2030 sollen auf Hamburgs öffentlichen Straßen bis zu 10.000 autonome Shuttles unterwegs sein – so eine Mitteilung des BMDV1 im Herbst 2023.2
Bereits 2015 verabschiedete die damalige Bundesregierung eine „Strategie für automatisiertes und vernetztes Fahren“.3 Seitdem ist klar, dass die metaphorisch gesprochene Fahrtrichtung des deutschen Automobilsektors auf Automatisierung eingestellt werden soll. Ende 2024 folgte, nachdem in den vorangegangenen Jahren sowohl das automatisierte, als auch das autonome Fahren regulativ adressiert wurden4, die Strategie für autonomes Fahren.5 Aus dieser geht hervor, dass Deutschland weiterhin anstrebt zum „weltweit führenden Innovations- und Produktionsstandort für autonomes Fahren“ zu werden.6 Auch wenn mehr und mehr Kraftfahrzeuge mit automatisierten Fahrfunktionen tatsächlich auf öffentlichen Straßen betrieben werden7, ist der Durchbruch beim autonomen Fahren bis dahin ausgeblieben.8
Gleichwohl fuhr im Februar 2023 erstmalig ein Fahrzeug der Firma Vay9 vollkommen fahrerlos durch Hamburg.10 Auch kein Sicherheitsfahrer saß eingriffsbereit hinter dem Steuer. Doch das, was die Firma Vay 2023 demonstrierte, war kein autonomes Fahren. Vielmehr handelte es sich bei der gezeigten Technologie um das sog. teleoperierte Fahren. Bei dieser Technologie steuert eine natürliche Person das Fahrzeug aus der Ferne. Daher wird das teleoperierte Fahren auch zuweilen als „telefahren“ oder als „ferngelenktes Fahren“ bezeichnet. Das teleoperierte Fahren wird vielfach als Brückentechnologie zum autonomen Fahren verstanden.11 Gleichwohl kann man die Technologien des autonomen und des teleoperierten Fahrens auch in perspektivisch voneinander unabhängigen Mobilitätskonzepten antizipieren.12 Allerdings lassen die derzeitigen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften weder einen Regel- noch einen Erprobungsbetrieb teleoperierter Fahrzeuge zu. Die seit Sommer 2022 in Kraft getretene Durchführungsverordnung zum autonomen Fahren (sog. AFGBV13) schließt das teleoperierte Fahren sogar kategorisch aus, es sei denn, die Distanz zwischen fernsteuernder Person und Fahrzeug beträgt maximal 6 Meter (vgl. Anlage 1 Teil I Nr. 4 AFGBV). Vor diesem Hintergrund konnte das Vorhaben der Firma Vay nur durch Erteilung einer entsprechenden Ausnahmegenehmigung nach den Vorschriften der StVZO14 umgesetzt werden.15
Inzwischen erwägt das BMDV nachzujustieren und das teleoperierte Fahren per Rechtsverordnung zu erlauben. Der Referentenentwurf für eine Straßenverkehr-Fernlenk-Verordnung (im Folgenden: StVFernLV-RefE) wurde im Sommer 2024 in die Verbändeanhörung gegeben.16
B. Regulierung des ferngelenkten Fahrens: Referentenentwurf der StVFernLV
Der Referentenentwurf zur Regulierung des ferngelenkten Fahrens gliedert sich in 15 Paragraphen und drei (technisch-regulierende) Anhänge. Neben allgemeinen Begriffsbestimmungen enthält der Referentenentwurf insbesondere Anforderungen an den zulässigen Betrieb der ferngelenkten Fahrzeuge, Vorgaben zur fernlenkenden Person sowie Spezifikationen zur Datenverarbeitung.
I. Begriffsbestimmungen
Die in § 2 StVFernLV-RefE verorteten Begriffsbestimmungen enthalten insgesamt neun Legaldefinitionen. Zentral ist hierbei die Konkretisierung des Kraftfahrzeuges „mit ferngelenkter Fahrfunktion (ferngelenktes Fahrzeug)“ unter welchem das BMDV ein Kraftfahrzeug versteht, das mittels einer technischen Ausrüstung zum Fernlenken durch eine Person gelenkt wird, die sich außerhalb des Kraftfahrzeugs befindet (§ 2 Abs. 1 StVFernLV-RefE). Unter dem „Fernlenken“ im Rechtssinne ist entgegen dem anmutenden Wortlaut nicht ausschließlich das „Lenken“ aus der Ferne zu verstehen, sondern das „Führen eines Kraftfahrzeuges i.S.d. Straßenverkehrsgesetzes durch außerhalb des Kraftfahrzeugs befindliche natürliche Person“ (§ 2 Abs. 5 StVFernLV-RefE). Mithin wird die gesamte Fahrzeugführung desloziert außerhalb des Kraftfahrzeuges wahrgenommen.
II. Zulässiger Betrieb ferngelenkter Kraftfahrzeuge
Der Referentenentwurf soll den Betrieb ferngelenkter Kraftfahrzeuge auf öffentlichen Straßen ermöglichen. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen einer Betriebserlaubnis, welche durch das KBA17 erteilt wird, § 3 Nr. 1 StVFernLV-RefE. Die Betriebserlaubnis ist vom Halter des ferngelenkten Kraftfahrzeuges zu beantragen und durch das KBA zu erteilen, sofern die Voraussetzungen der StVFernLV-RefE und von deren Anhängen erfüllt sind. Der Referentenentwurf gibt hierbei vor, dass die Betriebserlaubnis nur jeweils für ein einzelnes ferngelenktes Kraftfahrzeug beantragt werden kann, § 4 Abs. 2 StVFernLV-RefE. Zudem darf das ferngelenkte Fahrzeug lediglich in einem „genehmigten Betriebsbereich“ ferngenlenkt werden. Ebenjener Betriebsbereich meint einen örtlich und räumlich bestimmten öffentlichen Straßenraum, welcher ebenfalls durch die zuständige Behörde zu genehmigen ist (§§ 2 Abs. 7, 7 Abs. 1 StVFernLV-RefE).
III. Die fernlenkende Person
Darüber hinaus setzt der zulässige Betrieb eines ferngelenkten Kraftfahrzeuges voraus, dass die Fahrzeugführung nur von einer solchen fernlenkenden Person vorgenommen wird, die den Anforderungen des § 10 StVFernLV-RefE entspricht. Generell gilt hierbei, dass die fernlenkende Person sämtliche Verkehrsvorschriften zu beachten hat und nur jeweils ein ferngelenktes Kraftfahrzeug gleichzeitig führen darf, § 10 Abs. 12 StVFernLV-RefE. Im Rechtssinne gilt die fernlenkende Person nach § 2 Abs. 5 StVFernLV-RefE als Fahrzeugführer.
Fernlenkende Personen müssen nach dem derzeitigen Referentenentwurf mindestens das 21. Lebensjahr vollendet haben, seit mindestens drei Jahren ununterbrochen eine EU-, EWR- oder schweizerische Fahrerlaubnis für die dem ferngelenkten Kraftfahrzeug entsprechende Fahrzeugklasse besitzen und haben zum Fernlenken eines Kraftfahrzeuges befähigt sowie körperlich, geistig und charakterlich geeignet zu sein (§ 10 Abs. 2 Nr. 1-4 StVFernLV-RefE). Die im Referentenentwurf antizipierte Befähigung der fernlenkenden Person wird in § 10 Abs. 3 StVFernLV-RefE konkretisiert. Demnach hat eine fernlenkende Person an einer Schulung des Halters für das ferngelenkte Kraftfahrzeug teilzunehmen. Der Referentenentwurf etabliert hierbei bestimmte Mindestinhalte der Schulung, zu denen beispielsweise Informationen über den Fernlenkbetrieb zählen, vgl. § 10 Abs. 3 Nr. 3 StVFernLV-RefE. Die Schulung soll der fernlenkenden Person darüber hinaus auch bestimmte Fähigkeiten vermitteln. Dazu zählt unter anderem das Bewusstsein für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer sowie für die Sicherheit und den Komfort der Mitfahrenden im Fahrzeug, vgl. § 10 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 StVFernLV-RefE. Der erfolgreiche Abschluss der Schulung setzt einen Nachweis der fernlenkenden Person voraus, aus welchem hervorgeht, dass sie in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug sicher, verantwortungsvoll und umweltbewusst ferngelenkt zu führen, § 10 Abs. 4 StVFernLV-RefE. Die verordnungsrechtlich geforderte charakterliche Eignung der fernlenkenden Person ist gegeben, wenn die fernlenkende Person nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat und sie Gewähr dafür bietet, dass sie der besonderen Verantwortung des Fernlenkens gerecht wird, § 10 Abs. 6 StVFernLV-RefE.
Das Einhalten der verordnungsrechtlichen Anforderungen ist durch den Halter des Kraftfahrzeuges sicherzustellen und entsprechend zu dokumentieren, § 10 Abs. 1 StVFernLV-RefE. Hiermit korrespondiert, dass die fernlenkende Person und der Halter des Kraftfahrzeuges stets im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses miteinander verbunden sein zu haben, § 10 Abs. 2 Nr. 1 StVFernLV-RefE. Durch Begleitung, Aufzeichnung oder sonstige Kontrolle von Fahrten hat der Halter die Handlungssicherheit der fernlenkenden Person ferner regelmäßig zu überprüfen, § 10 Abs. 9 StVFernLV-RefE.
IV. Datenverarbeitung
Auch datenverarbeitungsrechtliche Vorgaben im Kontext des ferngelenkten Fahrens sollen in der StVFernLV reguliert werden. Nach § 13 Abs. 1 StVFernLV-RefE ist der Halter verpflichtet bestimmte, in Anlage 3 konkretisierte, Daten beim ferngelenkten Betrieb zu speichern. Hierzu zählen beispielsweise Positionsdaten, das Datum und die Zeit des Beginns und Endes des Fernlenkens oder Informationen zur fernlenkenden Person. Der Referentenentwurf etabliert ferner eine Datenübermittlungsverpflichtung an bestimmte Behörden, sofern dies für deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist, vgl. § 13 Abs. 2 StVFernLV-RefE. Eine solche Übermittlungspflicht sieht der Referentenentwurf darüber hinaus auch gegenüber Dritten vor. Dieser Übermittlungsanspruch dient der Geltendmachung, Befriedigung oder Abwehr von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit Unfällen und einer etwaigen Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG18, sofern ein ferngelenktes Kraftfahrzeug beteiligt gewesen ist, vgl. § 13 Abs. 2 Nr. 4 StVFernLV-RefE. Damit der Halter seiner Rechtspflicht zur Datenspeicherung nachkommen kann, ist der Hersteller verpflichtet, die Ausrüstung des ferngelenkten Kraftfahrzeuges so zu gestalten, dass die Speicherung der Daten faktisch möglich ist, vgl. § 13 Abs. 3 StVFernLV-RefE.
V. Sonstige Regelungsinhalte
Im Übrigen adressiert der Referentenentwurf Vorgaben zur Marktüberwachung durch das KBA, Spezifizierungen zur Betriebsbereichsgenehmigung, Maßgaben zur Anwendung der Fahrzeug-Zulassungsverordnung sowie Ausnahmen für bestimmte öffentliche Stellen, welche von den Vorgaben der StVFernLV befreit sein sollen, sofern dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung notwendig ist. Hierzu zählen neben der Zollverwaltung auch die Bundeswehr, die (Bundes-)Polizei, die Feuerwehr und weitere Einrichtungen des Zivil-und Katastrophenschutzes.
C. Ausblick: Fehlt die Ermächtigungsgrundlage für die StVFernLV?
Trotz durchaus positiver Resonanz19 ist von einem baldigen Inkrafttreten der StVFernLV derzeit nicht auszugehen. Denn unabhängig der anstehenden Neuwahlen und damit etwaiger personeller Neubesetzungen im BMDV, scheitert der Entwurf der StVFernLV bereits an der Hürde einer passenden Ermächtigungsgrundlage. Der Referentenentwurf zitiert als potenzielle Ermächtigungsgrundlage § 6 Abs. 1 Nr. 18 i.V.m. Abs. 3 Nr. 6 und Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 StVG. Die Inanspruchnahme dieser Ermächtigungsgrundlage erfordert allerdings die Notwendigkeit einer Regulierung per Rechtsverordnung „zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs“. Ohnehin umfasst die zitierte Ermächtigungsgrundlage per Bezugnahme auf Absatz 1 Nr. 18 lediglich „Versuche“ (und damit keinen Regelbetrieb) im öffentlichen Straßenverkehr. Von einer im gefahrenabwehrrechtlichen Sinne erforderlichen Notwendigkeit des teleoperierten Fahrens kann nach derzeitigem Kenntnisstand nicht ausgegangen werden. Mithin ist sogar das Gegenteil der Fall: Teleoperierte Fahrzeuge können auch unmittelbar Auswirkung auf die Sicherheit im Straßenverkehr haben.20 Im Ergebnis kann die StVFernLV demnach nicht auf die im Referentenentwurf zitierte Ermächtigungsgrundlage gestützt werden, so auch der Beschluss der Verkehrsministerkonferenz im Oktober 2024.21
Als Alternative stünde dem BMDV der Weg zur StVFernLV über § 1j Abs. 2 StVG offen. Diese Ermächtigungsgrundlage erlaubt den Erlass von Ausnahmen von den Vorschriften zum autonomen Fahren „zur Erprobung neuartiger Fahrzeugsteuerungseinrichtungen“. Der Gesetzgeber hatte diese Ermächtigungsgrundlage zu jener Zeit in den Vorschriften zum autonomen Fahren verankert „um dem stetigen technologischen Fortschritt schnell und flexibel Rechnung zu tragen“.22 Im Zuge des damaligen Gesetzgebungsverfahrens benannte der Bundesrat den teleoperierten Kraftfahrzeugbetrieb als potenziellen Anwendungsfall des § 1j Abs. 2 StVG.23 Gleichwohl verbleibt auch bei Anwendung dieser Ermächtigungsgrundlage nur die Option, teleoperiertes Fahren zu Erprobungszwecken und nicht im Regelbetrieb auf öffentlichen Straßen stattfinden zu lassen.
Sollte sich der politische Wille zur Ermöglichung des teleoperierten Fahrens auf öffentlichen Straßen auch in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen, müsste der Regelbetrieb dementsprechend im formellen Gesetzgebungsverfahren adressiert werden.