I. Einleitung
Restriktive Maßnahmen oder „Sanktionen“ stellen ein wichtiges Instrument der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU dar, dessen Bedeutung seit Februar 2022 noch einmal massiv zugenommen hat. Die kontinuierlich verschärften Russland-Sanktionen haben, neben neuen restriktiven Maßnahmen u.a. gegen Belarus und Iran, dazu geführt, dass die sanktionsrechtliche Compliance ein neues Maß an praktischer Bedeutung für Unternehmen über alle Branchen hinweg gewonnen hat.
Hinzu kommt, dass neben immer zahlreicheren Restriktionen auch die Sanktionsdurchsetzung und die Bestrafung von Sanktionsverstößen in den Fokus staatlicher Aufmerksamkeit gerückt sind. Die Ahndung von Verstößen, die auch die strafrechtliche Verantwortung der handelnden natürlichen Personen miteinschließen kann, liegt hierbei grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten.
Jedoch stellt eine neue EU-Richtlinie nunmehr bestimmte Mindestvorgaben auf, die auch die Bundesrepublik umzusetzen hat. Wir erläutern nachfolgend zunächst den Hintergrund (unter II.) und die wesentlichen Inhalte der neuen Richtlinie (unter III.). Abschließend evaluieren wir unter Berücksichtigung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (im Folgenden: „BMWK“) den Umsetzungsbedarf in Deutschland (unter IV.) und ziehen ein Fazit (unter V.).
II. Hintergrund
EU-Sanktionen werden durch Verordnungen des Rates der EU verhängt. Diese sehen jeweils vor, dass die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende strafrechtliche und sonstige Sanktionen für Verstöße gegen restriktive Maßnahmen vorsehen sollen (vgl. z.B. Art. 8 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014). Weitere Vorgaben kennen die Verordnungen nicht. Denn Regelungen auf dem Gebiet des Strafrechts liegen im Grundsatz nicht in der Kompetenz der EU, sondern ihrer Mitgliedstaaten. Dieser Gestaltungsfreiraum hat allerdings dazu geführt, dass Sanktionsverstöße unterschiedlich geahndet wurden – von der Androhung von hohen Haftstrafen über Geldbußen bis hin zu keiner Sanktionierung.
Vor diesem Hintergrund schlug die Europäische Kommission bereits im Mai 2022 vor, Verstöße gegen EU-Sanktionen in den Katalog von „EU-Straftaten“ aufzunehmen. Art. 83 AEUV sieht vor, dass die Union strafrechtliche Mindestvorschriften in Bezug auf solche besonders schweren Straftaten vorsehen kann, die eine grenzüberschreitende Dimension haben. Hierzu gehört etwa der Terrorismus, der Menschen-, Drogen- und Waffenhandel, die Korruption oder die organisierte Kriminalität. Die Vorschrift ermöglicht es dem Rat der EU zudem, weitere Kriminalitätsbereiche zu bestimmen, wenn eine grenzüberschreitende Dimension vorliegt.
Von dieser Möglichkeit machte der Rat Gebrauch durch Beschluss (EU) 2022/2332 vom 28.11.2022 über die Feststellung des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union als einen die Kriterien nach Art. 83 Abs. 1 AEUV erfüllenden Kriminalitätsbereich. Verstöße gegen restriktive Maßnahmen stellen hiernach einen Kriminalitätsbereich i.S.v. Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV dar. Dadurch erhielt der europäische Gesetzgeber die Befugnis, durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen auch mit Blick auf Sanktionsverstöße festzulegen.
III. Richtlinie für die strafrechtliche Ahndung von Sanktionsverstößen
Richtlinie (EU) 2024/1226 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.04.2024 zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union (im Folgenden: „Richtlinie“) definiert nunmehr bestimmte Sanktionsverstöße als Straftaten (dazu unter 1.) und sieht hierfür teils hohe Mindestvorgaben für das entsprechende Strafmaß vor (dazu unter 2.).
1. Definition von Straftatbeständen
Ein zentrales Element der Richtlinie stellt Art. 3 dar. Die Vorschrift statuiert, welche (vorsätzlichen) Verstöße gegen EU-Sanktionen konkret unter Strafe zu stellen sind. Dies sind namentlich Verstöße gegen Finanzsanktionen sowie güter- und dienstleistungsbezogene Verbote.
So sind Verstöße gegen ein Bereitstellungsverbot oder ein Einfriergebot sowie die Ermöglichung der verbotenen Einreise als Straftaten auszugestalten (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie). Das zielt auf personenbezogene Sanktionen ab, wie sie beispielsweise in den Terror-Listen der EU (z.B. nach Verordnung (EG) Nr. 26580/2001 oder Verordnung (EU) 2016/1686) oder den Finanzsanktionen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg (nach Verordnung (EU) Nr. 269/2014) zu finden sind. Daneben sollen auch Sanktionsumgehungen in bestimmten Konstellationen im Zusammenhang mit Finanzsanktionen gegen gelistete Personen Straftaten darstellen (Art. 3 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie). Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie definiert den Abschluss oder die Fortführung von verbotenen Transaktionen mit Drittstaaten oder Staatsunternehmen, einschließlich der Vergabe oder Fortsetzung von öffentlichen Aufträgen oder Konzessionen, als weitere Straftat. Derartige Verbote finden sich v.a. in den Russland-Sanktionen, namentlich Art. 5aa und Art. 5k der Verordnung (EU) Nr. 833/2014.
Als Straftat sind zudem der Handel mit sanktionierten Waren, d.h. Verstöße gegen Einfuhr-, Kauf- bzw. Verkaufs- und Ausfuhr- sowie Verbringungs-, Durchfuhr- und Beförderungsverbote und Verbote der Erbringung von Vermittlungsdiensten, technischer Hilfe oder sonstigen Dienstleistungen im Zusammenhang mit sanktionierten Gütern zu definieren (Art. 3 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie). Dasselbe gilt für das verbotene Erbringen von Finanzdienstleistungen oder Ausüben von Finanztätigkeiten (Art. 3 Abs. 1 Buchst. f), das Erbringen verbotener sonstiger Dienstleistungen (Art. 3 Abs. 1 Buchst. g) sowie der Verstoß gegen Genehmigungsbedingungen (Art. 3 Abs. 1 Buchst. i).
Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie ermöglicht es den Mitgliedstaaten, einen Schwellenwert von 10.000 Euro für die jeweils betroffenen Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen, Waren oder Dienstleistungen bzw. sonstige Transaktionen vorzusehen, der Voraussetzung für eine Strafbarkeit ist. Zudem sieht Absatz 3 vor, dass auch grob fahrlässige Verstöße gegen handelsbezogene Restriktionen eine Straftat darstellen sollen, wenn dies besonders sensitive Güter betrifft, die in der Gemeinsamen Militärgüterliste oder in Anhang I und IV der Dual-Use-Verordnung (EU) 2021/821 aufgeführt sind.
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, auch Anstiftung und Beihilfe zu den in Art. 3 auflisteten Handlungen unter Strafe zu stellen. Teilweise soll auch der Versuch sanktioniert werden (Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie).
2. Vorgaben für Strafrahmen und flankierende Maßnahmen
Art. 5 der Richtlinie trifft Regelungen zum Strafrahmen für an Sanktionsverstößen beteiligte natürliche Personen. Nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie soll für alle Tatbestände des Art. 3 der Richtlinie die Möglichkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe bestehen. Im Mindestmaß kann aber eine Geldstrafe vorgesehen werden (Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie). So soll das Höchstmaß der Strafe etwa für den Handel mit sanktionierten Waren oder für Verstöße gegen Transaktionsverbote nicht weniger als eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren betragen, wenn der Wert der Waren bzw. Transaktion mindestens 100.000 Euro beträgt. Neben Haft- und Geldstrafen sollen auch weitere flankierende Maßnahmen verhängt werden können, wie z.B. die Entziehung von Genehmigungen und Zulassungen oder das Verbot, bestimmte Führungspositionen in Unternehmen zu bekleiden.
Für Unternehmen sind hohe Mindest-Höchststrafen vorgesehen, sofern eine Straftat von einer Führungsperson begangen wurde. Bei fast allen gelisteten Verstößen sieht die Richtlinie vor, dass Bußgelder von bis zu 40 Mio. Euro bzw. bis zu einer (nicht gedeckelten) Höhe von 5% des Jahresgesamtumsatzes des Unternehmens anfallen sollen (Art. 7 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie). Zusätzlich können von den Mitgliedstaaten weitere flankierenden Maßnahmen vorgesehen werden (Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie). Dazu zählt etwa der Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen und/oder Vergabeverfahren, der Widerruf von etwaigen Genehmigungen bzw. Zulassungen bis hin zur gerichtlich angeordneten Auflösung der juristischen Person.
Darüber hinaus sehen Art. 8 und 9 der Richtlinie bestimmte Umstände vor, die von den Mitgliedstaaten als erschwerend (z.B. Begehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung oder durch einen professionellen Dienstleister unter Verletzung seiner Berufspflichten) bzw. mildernd (z.B. Kooperation mit den Behörden) zu berücksichtigen sind. Art. 10 der Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten ferner auf, Tatwerkzeuge und Erträge aus Straftaten sicherstellen und einziehen zu können.
IV. Umsetzungsbedarf und Referentenentwurf
Die Richtlinie muss bis zum 25.05.2025 von den Mitgliedstaaten in das nationale Recht umgesetzt werden. In Deutschland sind viele der definierten Straftaten bereits nach § 18 Abs. 1 AWG mit einer Freiheitsstrafe strafbewehrt, so dass ein Reformbedarf nur punktuell besteht.
Der BMWK-Entwurf zur Anpassung insbesondere des AWG ändert konsequenterweise an der grundlegenden Systematik der Straf- und Bußgeldvorschriften im Außenwirtschaftsrecht nichts: Weiterhin sind in § 18 AWG die relevanten Straftatbestände und in § 19 AWG bestimmte Bußgeldtatbestände enthalten. Letztere werden von § 82 der Außenwirtschaftsverordnung ergänzt.
Neuerungen ergeben sich insoweit, als dass die Straftatbestände in § 18 Abs. 1 AWG bei gleichbleibender Strafandrohung (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren) ergänzt werden. Hinzukommen sollen z.B. Verstöße gegen finanzmarktbezogene Sanktionen und bestimmte Dienstleistungs- sowie Transaktionsverbote sowie Umgehungshandlungen im Zusammenhang mit der Verschleierung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen sanktionierter Personen. Vorsätzliche Verstöße gegen bestimmte Meldepflichten finden sich im Entwurf in § 18 Abs. 5a AWG als Straftat ausgestaltet. Das bezieht sich allerdings nur auf solche Meldepflichten, die insbesondere auf die Verhinderung der Verwendung von eingefrorenen Geldern abzielen.
Neu ist der in § 18 Abs. 6a AWG vorgesehene besonders schwere Fall eines Verstoßes gegen Handelsbeschränkungen. Ein solches Regelbeispiel liegt vor, wenn eine unvollständige oder unrichtige Angabe gegenüber einer öffentlichen Stelle (z.B. gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle oder einer Zollbehörde) gemacht wird oder wenn eine Tochtergesellschaft in einem Drittstaat verwendet wird, um einen Sanktionsverstoß zu verschleiern. In einem solchen Fall ist die Strafandrohung angehoben auf mindestens sechs Monate bis zu zehn Jahren.
Leichtfertige, also grob fahrlässige Verstöße gegen Beschränkungen, die sich auf Dual-Use-Güter im Sinne des Anhangs I bzw. Anhangs IV der Dual-Use-Verordnung (EU) 2021/821 beziehen, sind nach dem neuen § 18 Abs. 8a AWG ebenfalls nunmehr Straftaten und werden mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Das zielt allerdings ausschließlich auf sanktionsrechtliche Verbote, nicht auf Verstöße gegen die allgemeine exportkontrollrechtliche Genehmigungspflicht nach Art. 3 der Dual-Use-Verordnung (EU) 2021/821.
Eine Strafbefreiung ist nach dem Referentenentwurf schließlich vorgesehen für Handlungen als humanitäre Hilfen für bedürftige Personen in einem neuen § 18 Abs. 11 AWG. Die bislang nach § 18 Abs. 11 AWG geltende Ausnahme von der Strafbarkeit, wenn die Tat bis zum Ablauf des zweiten Werktages nach Veröffentlichung der Sanktionsverordnung im Amtsblatt der Europäischen Union begangen wird und der Täter keine Kenntnis von dem Verbot oder dem Genehmigungserfordernis hat, soll dagegen entfallen. In dem Referentenentwurf heißt es dazu nur, dass die bislang bestehende Schonfrist nicht mit der Richtlinie zu vereinbaren sei. Das dürfte indes nicht zwingend sein. Jedenfalls könnte der Wegfall insbesondere für Finanzsanktionen in der Praxis zu Umsetzungsbedarf führen. Denn es müsste sichergestellt werden, dass etwa Screening-Programme neue Personenlistungen innerhalb kürzester Zeit berücksichtigen und dass Screening-Intervalle ggf. verkürzt werden. Wird eine Listung im Rahmen der bisherigen Schonfrist übersehen, wäre es allenfalls im Einzelfall noch möglich, eine Straflosigkeit über § 17 StGB wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums anzunehmen.
Liegt kein Vorsatz bzw. keine Leichtfertigkeit im Falle von Dual-Use-Gütern vor, kommt wie bislang eine Ordnungswidrigkeit nach § 19 AWG in Betracht, wenn ein Verstoß fahrlässig begangen wurde. Insoweit sieht der Referentenentwurf Folgeanpassungen dahin gehend vor, dass die als Straftatbestände ausgestalteten Sanktionsverstöße bei fahrlässiger Begehung grundsätzlich als Ordnungswidrigkeit erfasst werden.
Änderungen sind zudem dahin gehend vorgesehen, dass nach den neuen § 19 Abs. 7 und 8 AWG das Höchstmaß der Geldbuße für das verantwortliche Unternehmen nach § 30 OWiG angehoben wird. Das gilt allerdings nur, wenn die zugrunde liegende Tat etwa des Mitarbeiters vorsätzlich begangen wird oder eine vorsätzliche Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) vorliegt. Das Höchstmaß wurde insoweit von 10 Mio. Euro auf 40 Mio. Euro angehoben, orientiert sich aber nicht, wie von der Richtlinie alternativ vorgesehen, am globalen Jahresgesamtumsatz. Bei fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzungen im Falle von Straftaten nach § 18 Abs. 1 AWG halbiert sich diese Summe auf 20 Mio. Euro gemäß § 17 Abs. 2 OWiG.
Eine – von der Richtlinie allerdings auch nicht geforderte – Anpassung der Bußgeldgrenzen für fahrlässige Verstöße sieht der Referentenentwurf nicht vor.
V. Fazit
Die Straf- und Bußgeldbewehrung von Sanktionsverstößen ist im deutschen Außenwirtschaftsrecht auch ohne die nunmehr bis Mai 2025 umzusetzenden Verschärfungen stets recht umfassend gewesen. Der Reformaufwand mit Blick auf die Richtlinie hält sich daher in Grenzen, und auch der bisherige Entwurf des BMWK bleibt im Rahmen der notwendigen Anpassungen, ohne große Überraschungen zu beinhalten.
Dennoch zeigen die Richtlinie und die Pläne zu deren Umsetzung, dass die Sanktions-Compliance weiter an praktischer Bedeutung gewinnen wird. Angesichts der zu erwartenden Erhöhung der Straf- und Bußgeldandrohungen ist es im eigenen Interesse eines jeden Unternehmens, die eigene Sanktions-Compliance zu optimieren. Die verstärkten Strafverfolgungsbemühungen der deutschen Behörden geben hierzu weiteren Anreiz. Dabei betrifft dies bei weitem nicht nur Unternehmen mit direktem Geschäft mit Embargo-Staaten wie Russland, Belarus und Iran.