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Anmerkung zu:BVerwG 10. Senat, Urteil vom 30.04.2025 - 10 C 2.24
Autor:Dr. Franz Schemmer, RiBVerwG
Erscheinungsdatum:06.10.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 2 GeschGehG, § 17a GVG, § 29 VwVfG, § 1 IFG, § 56 GWB, § 1 GeschGehG, § 154 VwGO, § 162 VwGO, EURL 104/2014, EURL 2016/943
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 20/2025 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:Schemmer, jurisPR-BVerwG 20/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Einsicht in Unterlagen des Bundeskartellamts - Änderung der Rechtslage während des Gerichtsverfahrens



Leitsätze

1. § 17a Abs. 5 GVG findet keine Anwendung, wenn das erstinstanzliche Gericht oder das Berufungsgericht entgegen § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG und trotz Rüge der Zulässigkeit des Rechtswegs durch einen Beteiligten verfahrensfehlerhaft erst im angefochtenen Urteil entschieden haben. Eine solche Rüge verlangt aber das ausdrückliche Bestreiten des Rechtswegs, das bloße Anzweifeln genügt nicht.
2. Die Regelung über die Akteneinsicht gemäß § 56 Abs. 5 GWB ist eine abschließende und gegenüber dem Informationsfreiheitsgesetz vorrangige Regelung.
3. § 56 Abs. 5 GWB setzt nicht die Kartellschadensersatzrichtlinie um. Diese erfasst keine Offenlegung von Unterlagen aus Behördenakten außerhalb einer Schadensersatzklage.
4. Ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 56 Abs. 5 Satz 1 GWB ist dargelegt, wenn die Einsicht in Verfahrensakten des Bundeskartellamts der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen dient. Eine weiter gehende, auf einzelne Passagen einer Entscheidung des Bundeskartellamts bezogene Darlegungslast sieht § 56 Abs. 5 GWB nicht vor.
5. § 56 Abs. 4 GWB schützt Geschäftsgeheimnisse in Orientierung an § 2 Nr. 1 GeschGehG.



A.
Problemstellung
Wenn sich im Laufe eines Gerichtsverfahrens die Rechtsgrundlage für einen geltend gemachten Anspruch ändert und dieser deshalb gar nicht mehr oder nur noch beschränkt erfüllt werden kann, sieht sich der Antragsteller enttäuscht. Wie eine solche Entwicklung rechtlich zu beurteilen ist, zeigt der vorliegende Fall. Ob insoweit schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage entstanden ist, musste das BVerwG hier im Zusammenhang mit dem geänderten GWB und dem bislang einschlägigen IFG entscheiden.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin betreibt bundesweit Tankstellen, an denen ihre Kunden mit der Girocard bargeldlos bezahlen können. Für die Autorisierung dieser Zahlungen erheben die kartenausgebenden Banken ein Entgelt. Dessen Höhe wurde bis 2014 durch eine Preisvereinbarung mehrerer Beigeladener festgelegt. Wegen dieser Absprache leitete das Bundeskartellamt ein Kartellverfahren gegen diese Beigeladenen ein. Das Verfahren endete mit ihren Verpflichtungserklärungen, die Entgelte für electronic-cash-Zahlungen künftig individuell auszuhandeln. Die Verpflichtungserklärungen erklärte das Bundeskartellamt mit dem verfahrensgegenständlichen Beschluss vom 08.04.2014 für verbindlich.
Die Klägerin beantragte ohne Erfolg beim Bundeskartellamt, ihr vollständige Einsicht in den Beschluss des Bundeskartellamts sowie verschiedene Dokumente aus den ihm zugrundeliegenden und weiteren Kartellverwaltungsverfahren zu gewähren, und erhob beim VG Klage. Außerdem macht die Klägerin in einem zivilgerichtlichen Verfahren Schadensersatzansprüche gegen mehrere Beigeladene geltend, weil sie aufgrund kartellrechtswidriger Preisabsprachen überhöhte Entgelte für die Zahlungen mit der Girocard habe entrichten müssen. Das LG wies diese Klage ab. Die Berufung ist beim KG anhängig. Das VG hat der Klage auf Informationszugang nach Maßgabe des IFG überwiegend stattgegeben. Unter Abänderung dieses Urteils hat das OVG die Beklagte verpflichtet, der Klägerin gemäß dem zwischenzeitlich geänderten GWB unter teilweiser Auslassung von Angaben und unter Schwärzung von personenbezogenen Daten Einsicht in die sonst angeschwärzte nichtöffentliche Fassung des Beschlusses des Bundeskartellamts zu gewähren; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Das BVerwG hat die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen zu 3 gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen. Als Rechtsmittelgericht war dem Senat die Prüfung des von dem Beigeladenen zu 3 bestrittenen verwaltungsgerichtlichen Rechtswegs verwehrt. Ein Anspruch der Klägerin auf Informationszugang folgte aus § 56 Abs. 5 GWB als vorrangiger Regelung zum IFG. Diese während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene bereichsspezifische Regelung zum Informationszugang, die die Einsicht bei Vorliegen eines berechtigten Interesses in das Ermessen des Bundeskartellamts stellt, verstieß weder gegen Vorschriften der Europäischen Union noch gegen nationales Verfassungsrecht. Der Anspruch nach § 56 Abs. 5 GWB bestand neben Offenlegungsansprüchen, die im Rahmen gerichtlicher Verfahren zur Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen vorgesehen sind. Für die Beurteilung des Anspruchs war die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz maßgeblich. Die Klägerin hatte ein berechtigtes Interesse für die Einsicht in den Beschluss des Bundeskartellamts dargelegt. Sie möchte den Bescheid für das von ihr betriebene zivilrechtliche Schadensersatzverfahren nutzen. Die Feststellungen des OVG, ein Grund für die Versagung der Einsicht in den Beschluss bestehe nur hinsichtlich der Angaben zu Sicherheitsvorkehrungen während der electronic-cash-Transaktion, waren nicht zu beanstanden. Auch die Annahme des OVG, nur die Gewährung der Einsicht im Übrigen erweise sich als eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, begegnete keinen bundesrechtlichen Bedenken. Schließlich hat das OVG den geltend gemachten Anspruch auf Einsicht in verschiedene weitere Dokumente aus Kartellverwaltungsverfahren ohne Verstoß gegen revisibles Recht verneint. Soll die Akteneinsicht der Erhebung eines Schadensersatzanspruchs wegen eines kartellrechtlichen Verstoßes dienen, begrenzt § 56 Abs. 5 Satz 3 GWB die Einsicht auf bestimmte Entscheidungen des Bundeskartellamts, hier den Beschluss vom 08.04.2014.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Warum sich trotz Änderung des GWB nicht die Frage nach der Zulässigkeit des beschrittenes Verwaltungsrechtswegs im Revisionsverfahrens stellte, folgte aus § 17a Abs. 5 GVG. Im Rechtsmittelverfahren ist gemäß dieser Vorschrift nicht zu prüfen, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Ihr Ziel ist es zu erreichen, dass nach einer Klärung der Frage der Rechtswegzuständigkeit und einem etwaigen Zwischenverfahren nach § 17a Abs. 4 GVG das weitere Verfahren nicht mehr mit dem Risiko eines später erkannten Mangels des gewählten Rechtswegs belastet wird (BGH, Urt. v. 25.02.1993 - III ZR 9/92 - BGHZ 121, 367, 371; BT-Drs. 11/7030 S. 36 f.). Diese Regel gilt aber nicht ausnahmslos. § 17a Abs. 5 GVG findet keine Anwendung, wenn das erstinstanzliche Gericht oder das Berufungsgericht entgegen § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG und trotz Rüge der Zulässigkeit des Rechtswegs durch einen Beteiligten verfahrensfehlerhaft erst im angefochtenen Urteil entschieden haben (BVerwG, Beschl. v. 22.11.1997 - 2 B 104/97 - BayVBl. 1998, 603; BGH, Urt. v. 18.11.1998 - VIII ZR 269/97 - NJW 1999, 651 f.). Eine solche Rüge verlangt das ausdrückliche Beschreiten des Rechtswegs, das bloße Anzweifeln genügt nicht (VGH München, Urt. v. 13.09.2006 - 12 BV 06.808 Rn. 27; OVG Magdeburg, Beschl. v. 10.03.2015 - 2 L 2/14 Rn. 17; OVG Lüneburg, Urt. v. 20.06.2019 - 11 LC 121/17 Rn. 30 ff.).
II. Falls für einen Anspruch auf Informationszugang das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes einschlägig ist, kann seine Anwendbarkeit aber ausscheiden, weil eine andere Zugangsregelung gleichfalls anwendbar ist. Nach § 1 Abs. 3 IFG gehen Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen mit Ausnahme des § 29 VwVfG und des § 25 SGB X vor. Nach gefestigter Rechtsprechung des BVerwG wird das IFG nach seinem § 1 Abs. 3 durch Normen verdrängt, die einen mit § 1 Abs. 1 IFG abstrakt-identischen sachlichen Regelungsgehalt aufweisen und sich als abschließende Regelung verstehen. Sowohl ausgehend vom Wortlaut des § 1 Abs. 3 IFG als auch mit Blick auf Sinn und Zweck der Regelung, den Vorrang des Fachrechts gegenüber dem allgemeinen Informationszugangsrecht zu gewährleisten, ist hierfür maßgeblich, ob die anderweitige Regelung dem sachlichen Gegenstand nach Regelungen über den Zugang zu amtlichen Informationen trifft. Darüber hinaus ist ausschlaggebend, ob die andere Regelung diesen Zugang nicht nur im Einzelfall, sondern allgemein oder doch typischerweise gestattet und an nach dem Informationsfreiheitsgesetz Informationspflichtige adressiert ist. Die anderweitige Regelung muss dem Einzelnen allerdings keinen individuellen, gerichtlich durchsetzbaren Informationszugangsanspruch verleihen (BVerwG, Urt. v. 17.06.2020 - 10 C 16/19 Rn. 9 ff. - BVerwGE 168, 280; BVerwG, Urt. v. 15.12.2020 - 10 C 24/19 Rn. 21 - NVwZ 2021, 642 und BVerwG, Urt. v. 28.10.2021 - 10 C 5/20 Rn. 14 - BVerwGE 174, 72). Demgemäß ist § 56 Abs. 5 GWB in der Fassung der 10. GWB-Novelle vom 18.01.2021 (BGBl I, 2) eine abschließende Regelung. Sie regelt den Zugang zu verfahrensbezogenen und damit amtlichen Informationen der Kartellbehörden, die sonst nach dem Informationsfreiheitsgesetz grundsätzlich informationspflichtig sind. Die Vorschrift gewährt den Informationszugang allgemein gegenüber Dritten, die hierfür ein berechtigtes Interesse haben.
III. § 56 Abs. 5 GWB verstößt nicht gegen Unionsrecht. Die Vorschrift setzt nicht die Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104/EU um. Diese erfasst keine Offenlegung von Unterlagen aus Behördenakten außerhalb einer Schadensersatzklage. Vielmehr bestimmt Art. 6 Abs. 1 der Kartellschadensersatzrichtlinie für die Zwecke von Schadensersatzklagen eine von den nationalen Gerichten angeordnete Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind, und ordnet in diesen Fällen seine Geltung neben Art. 5 der Kartellschadensersatzrichtlinie an, der in Verfahren über Schadensersatzklagen die Anordnung der Offenlegung durch den Beklagten oder Dritte regelt. Es lag auch kein Verstoß gegen die Sonderbestimmung des Art. 22 Abs. 1 der Kartellschadensersatzrichtlinie vor. Danach müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Vorschriften, die nach Art. 21 der Kartellschadensersatzrichtlinie erlassen werden, um deren materiell-rechtlichen Vorschriften zu entsprechen, nicht rückwirkend gelten (EuGH, Urt. v. 22.06.2022 - C-267/20 Rn. 36 „Volvo AB“). Eine Geltung für die Zeit vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie bis zum 27.12.2016 ordnen die GWB-Novellen indes nicht an. Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt das Rückwirkungsverbot nicht für Änderungen des nationalen Rechts nach Ablauf der Umsetzungsfrist, die keine Geltung vor diesem Zeitpunkt beanspruchen. Nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie ist das nationale Recht im Einklang mit jeder ihrer Bestimmungen auszulegen (vgl. EuGH, Urt. v. 18.04.2024 - C-605/21 Rn. 47 f. „Heureka“).
IV. § 56 Abs. 5 GWB wirkt nicht verfassungswidrig zurück, sondern auf einen gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt für die Zukunft ein. Eine solche unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 10.10.2012 - 1 BvL 6/07 Rn. 43 - BVerfGE 132, 302). Die bloße Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig fortbestehen, genießt keinen besonderen Schutz (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.03.2018 - 7 C 30/15 Rn. 33 ff. - Buchholz 404 IFG Nr 26). Zwar können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit einer Rechtsänderung ergeben. Diese Grenzen sind aber erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (BVerfG, Beschl. v. 10.10.2012 - 1 BvL 6/07 Rn. 43 - BVerfGE 132, 302). Sonst ist für die Beurteilung des Anspruchs auf Einsicht die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz maßgeblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2009 - 7 C 22/08 - Rn. 33 NVwZ 2010, 321 und BVerwG, Urt. v. 22.03.2018 - 7 C 30/15 Rn. 34 - Buchholz 404 IFG Nr 26).
V. Das Erfordernis des berechtigten Interesses in § 56 Abs. 5 Satz 1 GWB orientiert sich nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/23492, S. 112) an der dazu speziell für das Kartellrecht ergangenen Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschl. v. 14.07.2015). Danach ist ein Anspruch aus allgemeinen rechtsstaatlichen Gründen anzuerkennen, wenn der Antragsteller im Einzelfall ein eigenes, gewichtiges und auf andere Weise nicht zu befriedigendes Informationsinteresse an der Einsicht in Akten der Kartellbehörde, gerade im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Rechten, darlegen kann. Das berechtigte Interesse kann in der Vorbereitung der Durchsetzung möglicher Sekundäransprüche liegen, wenn der am Verwaltungsverfahren nicht beteiligte Dritte zur sachgemäßen Wahrnehmung seiner Rechte auf eine entsprechende Akteneinsicht angewiesen ist. Ausreichend ist dann die Darlegung, dass dem Antragsteller ein Schadensersatzanspruch tatsächlich zustehen könnte. Dem Antragsteller und nicht der Kartellbehörde bleibt die Prüfung vorbehalten, ob die Akteneinsicht Erkenntnisse für einen Erfolg eines Anspruchs auf Schadensersatz ergibt (BGH, Beschl. v. 14.07.2015 - KVR 55/14 Rn. 14 ff., 30 ff. - NJW 2015, 3648).
VI. Nach § 56 Abs. 5 Satz 2 GWB gelten die Ausschlussgründe des § 56 Abs. 4 GWB für Akteneinsichtsersuchen Dritter entsprechend. Danach hat die Behörde die Einsicht in die Unterlagen zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der Behörde sowie zur Wahrung des Geheimschutzes oder von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder sonstigen schutzwürdigen Interessen des Betroffenen, geboten ist. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die im GWB nicht definiert werden, umfassen nach dem hergebrachten öffentlich-rechtlichen Verständnis alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse betreffen dabei im Wesentlichen technisches, Geschäftsgeheimnisse vornehmlich kaufmännisches Wissen (BVerwG, Urt. v. 10.04.2019 - 7 C 22/18 Rn. 19 - Buchholz 404 IFG Nr 32 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 14.03.2006 - 1 BvR 2087/03 u.a. - BVerfGE 115, 205, 230 f.; BVerwG, Urt. v. 17.06.2020 - 10 C 22/19 Rn. 13 - NWVBl. 2020, 500).
Die Auslegung des Begriffs des Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses hat sich nach der Rechtsprechung des BVerwG auch am gewachsenen Begriffsverständnis des Wettbewerbsrechts zu orientieren (BVerwG, Beschl. v. 25.07.2013 - 7 B 45/12 Rn. 10). Sie ist deshalb für eine Fortentwicklung offen, die sich an einer Weiterentwicklung des wettbewerbsrechtlichen Begriffsverständnisses orientiert. Wird dieses nunmehr auch durch das Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) auf der Basis der Richtlinie (EU) 2016/943 (ABl. L 157 S. 1) geprägt, welches gemäß § 1 Abs. 2 GeschGehG auf öffentlich-rechtliche Vorschriften zur Geheimhaltung, Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen und damit auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen keine Anwendung findet, so kann das dort zum Ausdruck kommende Verständnis auf den öffentlich-rechtlichen Begriff nicht ohne Einfluss bleiben (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.06.2020 - 10 C 22/19 Rn. 16 - NWVBl. 2020, 500). Nach der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwG, Urt. v. 30.01.2020 - 10 C 18/19 Rn. 16 - BVerwGE 167, 319; vgl. auch EuGH, Urt. v. 19.06.2018 - C-15/16 Rn. 57 „Baumeister“) sind Geschäftsgeheimnisse nach einem Zeitraum von fünf Jahren typischerweise nicht mehr aktuell und deshalb nicht mehr vertraulich. Der Beteiligte, der sich auf die Vertraulichkeit der Information beruft, muss daher nachweisen, dass die betreffenden Informationen trotz ihres Alters immer noch von wirtschaftlichem Wert sind (vgl. EuGH, Urt. v. 14.03.2017 - C-162/15 P Rn. 64 „Evonik“ und EuGH, Urt. v. 19.06.2018 - C-15/16 Rn. 54 „Baumeister“; EuG, Beschl. v. 15.06.2006 - T-271/03 Rn. 45; BVerwG, Urt. v. 30.01.2020 - 10 C 18/19 Rn. 15 - BVerwGE 167, 319).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der vorliegende Fall zeigt instruktiv das Zusammenspiel von Unionsrecht und nationalem Recht auf. Dass sich während des laufenden Prozesses die Rechtslage ändert, führt nicht ohne Weiteres zu einem rechtlichen Makel. Der Gesetzgeber ist auch nicht stets gehalten, aus Gründen des Vertrauensschutzes entsprechende Übergangsregelungen zu schaffen.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die Kostenentscheidung folgte hier aus den §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene zu 3 war als drittbeteiligter Revisionsführer an den Kosten zu beteiligen. Legt der unterlegene Hauptbeteiligte – hier die Beklagte – kein eigenes Rechtsmittel ein, so trägt der rechtsmittelführende Drittbeteiligte auch dessen Kosten aus dem Rechtsmittelverfahren. Die Beklagte hatte keine Veranlassung für die Revision des Beigeladenen zu 3 gegeben, sondern ist in dem vom Beigeladenen zu 3 angegriffenen Punkt durch die Vorinstanzen verurteilt worden. Lässt sie es dabei bewenden und einen anderen für sich kämpfen, so kann sie sich durch das Nichtstellen eines – hier: auf den Erfolg dieser Revision gerichteten – Antrags vor Kosten bewahren (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.11.1993 - 3 C 45/91 - NJW 1994, 3024, 3027; Wöckel in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 154 Rn. 6).



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