Erfolgloser Eilantrag eines Umweltverbandes gegen einen Planfeststellungsbeschluss für eine HöchstspannungsfreileitungOrientierungssatz In der Netzentwicklungsplanung Strom wird zwischen dem Startnetz und dem Zubaunetz unterschieden, welche zusammen ein Zielnetz bilden. Dem Startnetz zugeordnet werden das zum Zeitpunkt der Prüfung tatsächlich vorhandene Übertragungsnetz für die der Gesetzgeber die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und den vordringlichen Bedarf bereits vor der Schaffung der Netzentwicklungsplanung festgestellt hatte, sowie die in vorhergegangenen Netzentwicklungsplänen bestätigten und in das Bundesbedarfsplangesetz aufgenommenen Maßnahmen. - A.
Problemstellung „Eile mit Weile“, sagt ein deutsches Sprichwort, wonach Dinge zwar möglichst schnell erledigt werden sollen, dabei aber auch sorgfältig und überlegt vorgegangen werden muss. Das Verfahren 11 VR 18/24, das das BVerwG mit Beschluss vom 19.02.2025 abgeschlossen hat, belegt einmal mehr, dass die Gesetzgebung in der 20. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages bei aller Schnelligkeit die erforderliche Sorgfalt oftmals vernachlässigte.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Mit Beschluss aus dem September 2024 wurde die Errichtung und der Betrieb der 380-kV-Höchstspannungsfreileitung Kreis Segeberg - Lübeck - Siems - Göhl (sog. Ostküstenleitung) auf dem Planfeststellungsabschnitt 2 (Lübeck - Siems), der 110-kV-Leitung Siems – Lübeck (LH-13-183 (teilweise)) und der 110-kV-Leitung Siems – Göhl (LH-13-115 (teilweise)) sowie der z.T. nur teilweise Rückbau der 110-kV-Leitungen LH-13-114, LH-13-115, LH-13-117 und LH-13-152 planfestgestellt. Die Ostküstenleitung ist unter Nr. 42 der Anlage zu § 1 Abs. 1 Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) aufgenommen. Der Planfeststellungsbeschluss wurde am 28.10.2024 auf der Internetseite des Ministeriums für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein – Amt für Planfeststellung Energie – eingestellt. Er weist die von dem Antragsteller, einem nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltverband, im Planfeststellungsverfahren erhobenen Einwendungen zurück. Der Antragsteller hat hiergegen Klage erhoben und beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen. U.a. wurde gerügt, der Planfeststellungsbeschluss sei verfahrensfehlerhaft, weil ein Raumordnungsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Ferner verstoße der Planfeststellungsbeschluss gegen die §§ 24, 25 UVPG, weil er fast nie zwischen Neubau- und Rückbaumaßnahmen unterscheide, obwohl sich diese höchst unterschiedlich auswirkten. Die negativen Auswirkungen des Rückbaus der 110-kV-Leitungen seien nur unzureichend betrachtet worden. II. Der Antrag blieb erfolglos. Er sei unbegründet, weil die im Rahmen von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zulasten des Antragstellers ausfalle. Das Vollzugsinteresse der Beigeladenen und des Antragsgegners würden das Interesse des Antragstellers, vorläufig vom Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses verschont zu werden, überwiegen. Dem Vollzugsinteresse komme wegen der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit nach § 43e Abs. 1 Satz 1 EnWG erhebliches Gewicht zu (st.Rspr., vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.03.2020 - 4 VR 5/19 Rn. 11; BVerwG, Beschl. v. 15.06.2021 - 4 VR 6/20 Rn. 5). Es bestehe kein Anlass, entgegen dieser gesetzlichen Wertung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, weil die Anfechtungsklage voraussichtlich erfolglos bleiben werde. Im Folgenden befasst sich das BVerwG zunächst mit zwei prozessrechtlichen Problemen und arbeitet dann die – fristgerecht vorgebrachten – Einwände des Antragstellers sukzessive ab.
- C.
Kontext der Entscheidung I. Nach § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG kann der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss oder eine Plangenehmigung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung gestellt und begründet werden. § 43b Abs. 1 Nr. 3 EnWG regelt die Bekanntgabe. Danach wird der Planfeststellungsbeschluss dem Vorhabenträger zugestellt (Satz 1). Im Übrigen wird der Planfeststellungsbeschluss öffentlich bekanntgegeben, indem er für die Dauer von zwei Wochen auf der Internetseite der Planfeststellungsbehörde mit der Rechtsbehelfsbelehrung zugänglich gemacht wird und zusätzlich mit seinem verfügenden Teil und der Rechtsbehelfsbelehrung sowie einem Hinweis auf die Zugänglichmachung im Internet in örtlichen Tageszeitungen, die in dem Gebiet, auf das sich das Vorhaben voraussichtlich auswirken wird, verbreitet sind, bekanntgemacht wird (Satz 2). Nach Ablauf von zwei Wochen seit der Zugänglichmachung auf der Internetseite der Planfeststellungsbehörde gilt der Planfeststellungsbeschluss gegenüber den Betroffenen und demjenigen, der Einwendungen erhoben hat, als bekanntgegeben (Satz 3). Damit waren zwei Fragen aufgeworfen: Zum einen, ob es sich bei der in § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG genannten Monatsfrist um eine Ereignis- (§ 187 Abs. 1 BGB) oder eine Beginnfrist (§ 187 Abs. 2 BGB) handelt (im letzteren Fall wären Klage und Eilantrag verfristet gewesen), zum anderen, ob sich die Anwendung des § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG verbietet, wenn der Planfeststellungsbeschluss gemäß § 43b Abs. 1 Nr. 3 EnWG nur dem Vorhabenträger zugestellt, im Übrigen aber öffentlich bekanntgemacht worden ist. 1. Die erste Frage beantwortet der Senat über eine Verweisungskette auf die §§ 43e Abs. 1 Satz 2, 43b Abs. 1 Nr. 3 EnWG i.V.m. § 89 Abs. 1 LVwG SH und den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Halbsatz 1 BGB. Er geht somit von einer Ereignisfrist aus. Das verdient Zustimmung, ist aber nicht so selbstverständlich wie es scheint. Denn aus dem Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 06.07.1972 (GmS-OGB 2/71 - BVerwGE 40, 363), wonach bei der Berechnung der einmonatigen Auslegungsdauer des § 2 Abs. 6 Satz 1 BBauG (jetzt § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB) der erste Tag der Auslegung mitzuzählen ist, und der Übertragung dieser Rechtsprechung auf die Auslegungsdauer in der Planfeststellung (vgl. etwa Kopp/Ramsauer/Wysk, VwVfG, 25. Aufl. 2024, § 74 Rn. 190c; Obermayer/Funke-Kaiser/Masing/Schiller, VwVfG, 6. Aufl. 2021, § 74 Rn. 126; Knack/Henneke/Schink, VwVfG, 11. Aufl. 2020, § 74 Rn. 56; Mann/Sennekamp/Uechtritz/Lieber, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 74 Rn. 380) hätte gefolgert werden können, dass dies auch im Falle einer Bekanntgabe nach § 43b Abs. 1 Nr. 3 EnWG so ist, knüpft diese doch auch an eine Auslegung (hier des Planfeststellungsbeschlusses durch Einstellung in das Internet). Der entscheidende Unterschied besteht indessen darin, dass der Auslegung der Planunterlagen die Bekanntmachung der Auslegung vorauszugehen hat, was bei der Internetbekanntmachung eines Planfeststellungsbeschlusses gerade nicht der Fall ist. Zudem stellt § 43b Abs. 1 Nr. 3 EnWG maßgeblich auf die Einstellung in das Internet ab und bezeichnet damit i.S.v. § 187 Abs. 1 BGB ein Ereignis, weshalb ein Fall des § 187 Abs. 2 BGB nicht gegeben sein kann. 2. Wesentlich kniffliger ist dagegen die Frage, ob die Fiktion der Bekanntmachung des Planfeststellungsbeschlusses durch Ablaufen der zweiwöchigen Einstellungsfrist überhaupt die Fristen des § 43b Abs. 1 Satz 2 EnWG auszulösen vermag. Hier geht es an die „Wurzeln“ des allgemeinen Verwaltungsrechts, namentlich die Unterscheidung zwischen Bekanntmachung und Zustellung (= förmliche Bekanntmachung) von Verwaltungsakten. Wie das BVerwG offenlegt, hat der Gesetzgeber hier ungenau gearbeitet. Nach Auffassung des BVerwG stehe der Anwendung des § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG nicht entgegen, dass der Planfeststellungsbeschluss im Wege des § 43b Abs. 1 Nr. 3 EnWG verlautbart worden sei. Nach § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG könne der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses gestellt und begründet werden. § 43b Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EnWG verlange eine Zustellung indes nur an den Vorhabenträger. Im Übrigen gelte der Planfeststellungsbeschluss gemäß § 43b Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 EnWG nach Ablauf von zwei Wochen seit der Zugänglichmachung auf der Internetseite der Planfeststellungsbehörde als bekanntgegeben. Nach seinem Wortlaut fingiert § 43b Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 EnWG damit nicht – wie etwa § 74 Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 3 VwVfG – die Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses und damit eine besondere Form der Bekanntgabe (vgl. § 2 Abs. 1 VwZG), sondern lediglich – allgemeiner – eine Bekanntgabe. Richtigerweise hätte daher in § 43b Abs. 1 Nr. 3 EnWG die Zustellung und nicht die Bekanntgabe fingiert werden müssen. Das BVerwG findet aber eine pragmatische Lösung. Löste eine Bekanntgabe die Frist des § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG nicht aus, fände die Vorschrift nur Anwendung bei – in der Praxis allenfalls sehr seltenen – Eilanträgen des Vorhabenträgers. Dieses Ergebnis verfehlte den Willen des Gesetzgebers handgreiflich. § 43b Abs. 1 Nr. 3 EnWG habe seine geltende Fassung durch Art. 1 Nr. 45b des Gesetzes zur Anpassung des Energiewirtschaftsrechts an unionsrechtliche Vorgaben und zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften vom 22.12.2023 (BGBl. 2023 I Nr. 405) erhalten. Die Bundesregierung hatte im Gesetzgebungsverfahren für das Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz vorgeschlagen, den Planfeststellungsbeschluss dem Vorhabenträger zuzustellen; im Übrigen sollte der Planfeststellungsbeschluss nach einer Auslegung auf der Internetseite der Planfeststellungsbehörde als zugestellt gelten ( BT-Drs. 20/7310, S. 45). Nachdem der Bundesrat angeregt hatte, Digitalisierungselemente auf Verfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu erstrecken ( BR-Drs. 230/23, Beschl. S. 30 f.), sei auf Vorschlag des Ausschusses für Klimaschutz und Energie die später Gesetz gewordene Fassung des § 43b Abs. 1 Nr. 3 EnWG und des § 24 Abs. 2 NABEG in den Entwurf aufgenommen worden ( BT-Drs. 20/9187, S. 72, S. 120). Die Materialien ließen nicht erkennen, aus welchen Gründen an die Stelle der Fiktion einer Zustellung die Fiktion einer Bekanntgabe getreten sei. Angesichts des vom Gesetzgeber betonten Willens zur Verfahrensbeschleunigung (etwa BT-Drs. 20/9187, S. 159 f.) erscheine aber ausgeschlossen, dass die Änderung zu einem Wegfall der Antrags- und Antragsbegründungsfrist bei Eilanträgen Dritter gegen einen Planfeststellungsbeschluss führen sollte. Es bedürfe daher einer Korrektur. Ob diese durch eine präzisierende Lesart des § 43b Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 EnWG zu erfolgen habe oder durch Annahme eines Redaktionsversehens wegen einer unterlassenen Folgeänderung in § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG, bedürfe keiner Entscheidung. Damit steht fest, dass trotz der Unstimmigkeiten in den vorgenannten Vorschriften, Antrags- und Antragsbegründungsfrist mit Eintritt der Fiktion des § 43b Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 EnWG anlaufen. II. Materiell-rechtlich bringt der Beschluss vom 19.02.2025 wenig Neues. Erwähnenswert erscheinen allenfalls die Ausführungen zum Raumordnungsverfahren. Der Antragsteller hatte das Fehlen eines Raumordnungsverfahrens gerügt. Die zuständige Raumordnungsbehörde hatte allerdings bereits im Jahr 2014 mitgeteilt, dass sie ein Raumordnungsverfahren nicht für erforderlich halte. Da sich zwischenzeitlich aber die Rechtslage geändert hatte (u.a. Neufassung der §§ 15, 16 ROG durch das Gesetz zur Änderung des Raumordnungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 22.03.2023, BGBl. 2023 I Nr. 88), war zu entscheiden, nach welchem Recht die Rechtmäßigkeit des Verzichts auf ein Raumordnungsverfahren (jetzt Raumverträglichkeitsprüfung) zu beurteilen ist: Nach altem oder nach neuem Recht? Das BVerwG hat entschieden, dass maßgeblich für die Beurteilung dieser – mit Blick auf das Raumordnungsverfahren abschließenden – Entscheidung das zum Entscheidungszeitpunkt geltende Raumordnungsrecht sei (vgl. allgemein etwa Kopp/Ramsauer/Ramsauer, VwVfG, 25. Aufl. 2024, § 96 Rn. 4; BVerwG, Urt. v. 12.08.1977 - IV C 20.76 - BVerwGE 54, 257, 258 f.). Das leuchtet unmittelbar ein, denn ein abgeschlossenes Verfahren wird nicht dadurch fehlerhaft, dass sich später die Rechtslage ändert. Etwas Anderes kann allenfalls dann gelten, wenn dies ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist, was in Bezug auf das Raumordnungsverfahren jedoch nicht der Fall ist. Unter Anwendung des „alten Rechts“ war der Verzicht auf ein Raumordnungsverfahren nicht zu beanstanden.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Durch den Beschluss vom 19.02.2025 (11 VR 18/24) löst das BVerwG die im Zusammenhang mit den §§ 43e Abs. 1 Satz 2 und 43b Abs. 1 Nr. 3 EnWG bestehenden gesetzlichen Ungereimtheiten in Bezug auf fristauslösende Zustellung und Beginn der Antrags- bzw. Antragbegründungsfrist auf. Das schafft Rechtssicherheit. Gleiches gilt im Hinblick auf das Erfordernis eines Raumordnungsverfahrens (jetzt Raumverträglichkeitsprüfung) nach den §§ 15, 16 ROG. Verfahrensanforderungen und Voraussetzungen für einen Verzicht bestimmen sich nach dem im Zeitpunkt des Abschlusses der Prüfung geltenden Recht.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Der Beschluss vom 19.02.2025 befasst sich ausführlich mit Fragen zu § 24 Abs. 1 UVPG i.V.m. § 26 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b UVPG sowie zu § 25 UVPG i.V.m. § 26 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c UVPG und gibt der Praxis hierzu weiterführende Hinweise. Er erinnert aber auch immer wieder daran, dass das fristgerechte Vorbringen mit Blick auf § 67 Abs. 4 VwGO bestimmten Mindestanforderungen genügen muss. Der postulationsfähige Prozessbevollmächtigte müsse den Vortrag im gerichtlichen Verfahren sichten und durchdringen. Die pauschale Bezugnahme auf die Stellungnahme eines Dritten genüge nicht; jedenfalls bedürfe es eines präzisierenden Verweises und einer eigenständigen rechtlichen Bewertung und Verarbeitung (BVerwG, Beschl. v. 24.11.2022 - 4 VR 2/22 Rn. 10; BVerwG, Beschl. v. 22.03.2023 - 4 VR 4/22 Rn. 11; BVerwG, Urt. v. 03.11.2020 - 9 A 7/19 Rn. 17 m.w.N. - BVerwGE 170, 138). Dieser nachdrückliche Hinweis macht deutlich, dass eine (pauschale) Bezugnahme auf Vorbringen im Planfeststellungsverfahren ebenso wenig ausreicht, wie der Verweis auf vorgelegte Gutachten oder fachliche Stellungnahmen.
|