Ärztliche Nebentätigkeit in einem Krankenhausverbund mit gemeinsamer Trägerschaft von Diakonie und CaritasOrientierungssatz zur Anmerkung Es gehört zum Weisungsrecht eines konfessionellen Krankenhausträgers nach § 106 GewO, einen Arzt anzuweisen, bestimmte ärztliche Leistungen künftig nicht (mehr) zu erbringen, so dass Schwangerschaftsabbrüche sowohl in der Klinik als auch in der von ihm privat betriebenen Arztpraxis durch Beschränkung der Nebentätigkeitsgenehmigung untersagt werden können. - A.
Problemstellung Kann die Krankenhausleitung nach einer Änderung in der Trägerschaft einen Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, der seit 2012 in einem Krankenhaus mit evangelischer Trägerschaft beschäftigt wurde, anweisen, Schwangerschaftsabbrüche zu unterlassen und eine Nebentätigkeitserlaubnis für die ambulante Behandlung und privatambulante Sprechstunde entsprechend beschränken?
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Tatbestand des Urteils der 2. Kammer des ArbG Hamm (Gerichtstag Lippstadt) ist unübersichtlich und lückenhaft. Das Lesen wird zudem durch die datenschutzrechtlich nicht gebotene Pseudonymisierung der Namen der in Lippstadt ansässigen Krankenhausgesellschaften erschwert, die an der Begründung und der Fortführung des Arbeitsverhältnisses des klagenden habilitierten Arztes beteiligt waren. Es lässt sich folgender Sachverhalt konstruieren: Der klagende Arzt wurde vermutlich Anfang 2012 von der A GmbH, die der evangelischen Diakonie zuzuordnen ist, als Arzt für die Gynäkologieabteilung eingestellt. Ihm wurde am 29.02.2012 mitgeteilt: „... wird ... die Erlaubnis zur Ausübung von Nebentätigkeiten erteilt, soweit diese Tätigkeiten nicht Dienstaufgaben sind. … Die Nebentätigkeitserlaubnis kann widerrufen oder beschränkt werden, wenn triftige Gründe vorliegen, insbesondere wenn ... die Änderung der Rechtslage dies erfordert. ... Bei einem Widerruf der Erlaubnis oder deren Einschränkung steht dem Arzt kein Ausgleichs- oder Schadensersatzanspruch gegen den Krankenhausträger zu. ...“ Seit dem 01.08.2012 wurde er als leitender Arzt (Chefarzt) beschäftigt. Zu einem im Tatbestand nicht näher aufgeführten Zeitpunkt soll die „A B gemeinnützige GmbH“ in den Dienstvertrag mit dem Kläger eingetreten sein. Im Januar 2025 teilte diese mit: „Die A B gemeinnützige GmbH überträgt den gesamten Betrieb ... im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die C gGmbH als Abspaltung zur Aufnahme .... Zukünftig wird unsere gemeinsame Gesellschaft den Namen D haben. Gemäß dem Gesellschaftsvertrag ... sind wir verpflichtet, die katholischen Belange hinsichtlich der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu beachten. Demgemäß ist es nicht gestattet, Schwangerschaftsabbrüche in dieser Einrichtung durchzuführen...“. Am 15.01.2025 schrieb die Krankenhausleitung: „Gemäß dem im Gesellschaftsvertrag ... verankerten christlich-ökumenischem Profil sind wir verpflichtet, die katholischen Belange hinsichtlich der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu beachten. Die Ihnen erteilte Nebentätigkeitserlaubnis ... wird hiermit mit Wirkung ab dem 01.02.2025 dahin gehend konkretisiert und beschränkt, dass von der Erlaubnis die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen weder derzeit noch zukünftig umfasst sein wird. ...“ Es ist zu vermuten, dass zu einem im Tatbestand nicht aufgeführten Zeitpunkt vor Klageerhebung in Vollzug der angekündigten Rechtsträgerumwandlung das Arbeitsverhältnis des Chefarztes auf die C gGmbH, die unter der Bezeichnung D firmieren soll, übergegangen ist. Mit seiner vermutlich gegen die D erhobenen Klage begehrt der Chefarzt die Feststellung, „dass die Untersagung rechtmäßiger Schwangerschaftsabbrüche wegen medizinischer Indikationen rechtswidrig und unwirksam ist, sowie die Feststellung, dass die Dienstanweisung der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 15.01.2025, die dem Kläger die Durchführung rechtmäßiger Schwangerschaftsabbrüche aus medizinischer Indikation untersagen will sowohl im Rahmen seiner kassenärztlichen Zulassung für die von ihm betriebene Praxis in Bielefeld als auch für seine Tätigkeit im Krankenhaus der Beklagten rechtswidrig und unwirksam ist.“ Das ArbG Hamm hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe in Ausführung der gesellschaftsvertraglichen Regelungen das Direktionsrecht bereits im Vorgriff auf den Betriebsübergang im Sinne des künftig katholischen Partners ausüben dürfen. Dieser Weisung stünden weder der Inhalt des Arbeitsvertrags noch eine betriebliche Übung entgegen.
- C.
Kontext der Entscheidung Vermutlich wegen einer vor der Verhandlung stattgefundenen Unterstützungsdemonstration (vgl. Legal Tribune Online, 08.08.2025, https://www.lto.de/persistent/a_id/57873, abgerufen am 09.09.2025) hat die Kammer ihren Entscheidungsgründen den Programmsatz voranstellt, „dass die innerhalb der Fristen des § 218a StGB durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche allein aus medizinischen und gerade nicht sozialen Gründen wegen der Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Schwangeren oder des ungeborenen Lebens nach staatlichem Recht möglicherweise nicht strafbar, gleichwohl aber rechtswidrig sind. Ob diese verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen heute noch ‚zeitgemäß‘ sind, hatte die Kammer nicht zu entscheiden.“ Zur Begründung der Klageabweisung wendet die Kammer das Weisungsrecht aus § 106 Sätze 1 und 2 GewO an. Sie nimmt auf die ständige Rechtsprechung des BAG zum Bestimmungsrecht der Arbeitgeberin Bezug (BAG, Urt. v. 19.09.2023 - 1 AZR 281/22; BAG, Urt. v. 19.09.2018 - 5 AZR 439/17). Dazu gehöre auch die Weisung, bestimmte ärztliche Leistungen künftig nicht (mehr) zu erbringen; so dass sie dem Kläger untersagen dürfe, Schwangerschaftsabbrüche in der Klinik sowie auch in der privat betriebenen Arztpraxis durch Beschränkung der Nebentätigkeitsgenehmigung zu untersagen. Weder der Arbeitsvertrag noch die bei den früheren Arbeitgeberinnen mit der Billigung durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche stünden als „betriebliche Übung“ dem entgegen. Dabei geht die Kammer von dem von der Rechtsprechung entwickelten Begriff aus. Danach wird unter einer betrieblichen Übung das Verhalten des Arbeitgebers verstanden, das der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) dahin verstehen kann und darf, der Arbeitgeber wolle sich zu einer überobligatorischen Leistung verpflichten (BAG, Urt. v. 19.09.2023 - 1 AZR 281/22 Rn.19). Es fehle bei der bis 2025 geübten Praxis, die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zuzulassen, bereits an einer den Kläger begünstigenden Arbeitgeberleistung sowie an einem nach außen erkennbaren objektiven Rechtsbindungswillen für die Zukunft. Die Ausführungen zur Anwendung des § 613a BGB fallen spärlich aus. Die Beklagte sei kraft Gesetzes in die Rechtsstellung der ursprünglichen Betriebsinhaberin eingetreten. Daher sei sie berechtigt, als Arbeitgeberin das Direktionsrecht gemäß § 106 GewO auszuüben sowie die Arbeitsleistung nach Weisung und unter Berücksichtigung billigen Ermessens näher zu bestimmen. Unklar bleibt, ob die bei Beginn des Arbeitsverhältnisses ohne Einschränkung erteilte Nebentätigkeitserlaubnis für die gynäkologische Privatpraxis Inhalt des Arbeitsvertrags geworden ist und deshalb nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nach allen Betriebsübergängen weiterbesteht. Die Kammer weist den dazu in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Vortrag des Klägers, bei Abschluss des Dienstvertrages sei zwischen ihm und dem damaligen GmbH-Geschäftsführer gesprächsweise Einvernehmen erzielt worden, dass er medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche durchführen dürfe, „einerseits als verspätet und andererseits als unschlüssig“ zurück. Aus § 2 Ziff. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages ergebe sich, dass der Kläger an Weisungen des Krankenhausträgers sowie des ärztlichen Direktors des Krankenhauses gebunden sei. Hier wäre allerdings in Bezug auf die Nebentätigkeit zu prüfen gewesen, ob die uneingeschränkt erteilte Erlaubnis unter Widerrufsvorbehalt stand. In dem im Tatbestand auszugsweise wiedergegebenen Arbeitsvertrag findet sich kein Widerrufsvorbehalt. Die von der Kammer gewählte Lösung, durch die von der Rechtsvorgängerin erklärte und von der beklagten Rechtsnachfolgerin sich zu eigen gemachte Weisung könne die Nebentätigkeit „beschränkt bzw. neu bestimmt“ werden, ist nicht haltbar. Mit dem Weisungsrecht kann nicht in diese, den außerbetrieblichen Bereich betreffende Rechtsposition eingegriffen werden. So hat die Rechtsprechung zutreffend erkannt, § 106 GewO ermächtige nicht, dem Arbeitnehmer eine Tätigkeit im Homeoffice einseitig zuzuweisen (LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14.11.2018 - 17 Sa 562/18, dazu Möllenkamp, NZA-RR 2025, 65). Vielmehr gilt: Ist – wie hier – der betriebliche Arbeitsort mit dem in Lippstadt gelegenen Krankenhaus vertraglich bestimmt, so erstreckt sich das Direktionsrecht nach § 106 GewO von vornherein nicht auf einen anderen Ort (zutreffend: Picker, NZA-Beilage 2021, 4, 13). Der andere Ort ist hier die in Bielefeld unterhaltene Privatpraxis des Klägers.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung der 2. Kammer des ArbG Hamm betont das Selbstverwaltungsrecht der Religionsgesellschaften, wie es in Art 140 GG i.V.m Art. 137 WRV verfassungsrechtlich gewährleistet wird. Sie berücksichtigt jedoch nicht ausreichend, dass hier ein renommierter Facharzt, der auch wissenschaftlich als habilitierter Professor ausgewiesen ist, vor 13 Jahren als Arbeitsvertragspartnerin bewusst eine evangelische Einrichtung ausgewählt hat, die – anders als die Katholische Kirche – seine Ansicht zur medizinischen Indikation bei Schwangerschaften gebilligt hat. Nur über die in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB vorgenommene Einschränkung der Vertragsfreiheit ist dieser Arzt in den Konflikt mit dem Selbstverständnis der Katholischen Kirche gekommen. Dem sollte Rechnung getragen werden. Es ist anzunehmen, dass im Berufungsverfahren vor dem LArbG Hamm ergänzend vorgetragen und rechtlich „nachgeschärft“ wird.
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