juris PraxisReporte

Anmerkung zu:LArbG Hannover 8. Kammer, Beschluss vom 24.03.2025 - 8 TaBV 85/24
Autor:Holger Dahl, Schlichter
Erscheinungsdatum:06.08.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 13 BetrVG, § 22 BetrVG, § 242 BGB, § 2 BetrVG, § 23 BetrVG
Fundstelle:jurisPR-ArbR 31/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Dahl, jurisPR-ArbR 31/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle



Leitsätze

1. Es stellt eine unzulässige Rechtsausübung und einen Rechtsmissbrauch dar, die Einsetzung einer Einigungsstelle zu verlangen, wenn ein nur noch gemäß § 22 BetrVG geschäftsführungsbefugter Betriebsrat bewusst und gewollt seiner Verpflichtung nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG, unverzüglich einen Wahlvorstand zu bestellen, zuwiderhandelt, indem er die Bestellung in erheblichem Maße hinauszögert.
2. Die unzulässige Rechtsausübung des nur noch gemäß § 22 BetrVG geschäftsführungsbefugten Betriebsrates kann angemessen nur in der Weise sanktioniert werden, dass der Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle als unbegründet zurückgewiesen wird. Die Möglichkeit, Anträge nach § 23 BetrVG auf Auflösung des Betriebsrates zu stellen, ist unzureichend, da sie den Betriebsrat nicht daran zu hindern vermag, vielfältige Mitbestimmungsrechte unter bewusster und gewollter Verzögerung von Neuwahlen noch selbst geltend zu machen.
3. Die Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG werden in solchen Fällen angemessen und hinreichend dadurch gewahrt, dass der neu gewählte Betriebsrat, soweit er es für sachdienlich erachtet, hierüber auch später noch ggf. bis in die Einigungsstelle hinein verhandeln kann.



A.
Problemstellung
Das LArbG Hannover beschäftigt sich mit einem Fall, in dem es dem Betriebsrat beim Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle offensichtlich nicht um die Lösung eines inhaltlichen Dissenses ging.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Ursprünglich bestand der Betriebsrat aus neun Mitgliedern und 27 Ersatzmitgliedern. Ab Ende Juli 2024 kam es kontinuierlich zu Amtsniederlegungen, so dass der Betriebsrat am 09.09.2024 unter Berücksichtigung aller Mitglieder und Ersatzmitglieder noch aus acht Personen bestand. Aufgrund weiterer Niederlegungen bestand er ab dem 24.09.2024 noch aus zwei Mitgliedern, von denen eines seit etwa einem Jahr arbeitsunfähig erkrankt war. In seiner Sitzung vom 25.09.2024 beschloss der Betriebsrat durch den noch verbliebenen Betriebsratsvorsitzenden die Beauftragung von Rechtsanwälten zur Unterstützung bei der Verhandlung einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und zum Einsatz eines Dokumentenmanagementsystems. Wegen Zweifeln an der ordnungsgemäßen Beschlussfassung und aus Sicht der Arbeitgeberin überhöhter Stundensatzforderungen der Rechtsanwälte stimmte die Arbeitgeberin der Beauftragung nicht zu. In seiner Sitzung vom 02.10.2024 beschloss der Betriebsrat die Einsetzung der Einigungsstelle.
Der Betriebsratsvorsitzende teilte der Belegschaft im Intranet erstmals am 07.10.2024 mit, dass Arbeitnehmer sich bis zum 25.10.2024 melden könnten, wenn sie sich vorstellen könnten, als Wahlvorstand tätig zu sein. Am 30.10.2024 wurde erstmals ein Wahlvorstand eingesetzt, der jedoch durch Amtsniederlegungen unvollständig blieb. Der Betriebsratsvorsitzende bestellte in der Folgezeit weitere Wahlvorstandsmitglieder, die jedoch kurze Zeit später ihr Amt niederlegten. Erst am 18.12.2024 kam es zur Bildung eines vollständigen, handlungsfähigen Wahlvorstandes. Dieser besteht u.a. aus dem Betriebsratsvorsitzenden.
Das ArbG Osnabrück, bei dem weitere vom Betriebsrat beantragte Einigungsstelleneinsetzungsverfahren anhängig waren, hat dem Antrag stattgegeben. Das LArbG Hannover hat den Beschluss abgeändert und den Antrag zurückgewiesen.
Es stelle eine unzulässige Rechtsausübung und einen Rechtsmissbrauch dar, die Einsetzung einer Einigungsstelle zu verlangen, wenn ein nur noch gemäß § 22 BetrVG geschäftsführungsbefugter Betriebsrat bewusst und gewollt seiner Verpflichtung nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG, unverzüglich einen Wahlvorstand zu bestellen, zuwiderhandelt, indem er die Bestellung in erheblichem Maße hinauszögert.
Die unzulässige Rechtsausübung des nur noch gemäß § 22 BetrVG geschäftsführungsbefugten Betriebsrates könne angemessen nur in der Weise sanktioniert werden, dass der Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle als unbegründet zurückgewiesen wird. Die Möglichkeit, Anträge nach § 23 BetrVG auf Auflösung des Betriebsrates zu stellen, sei unzureichend, da sie den Betriebsrat nicht daran zu hindern vermag, vielfältige Mitbestimmungsrechte unter bewusster und gewollter Verzögerung von Neuwahlen noch selbst geltend zu machen.
Die Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG würden in solchen Fällen angemessen und hinreichend dadurch gewahrt, dass der neu gewählte Betriebsrat, soweit er es für sachdienlich erachtet, hierüber auch später noch ggf. bis in die Einigungsstelle hinein verhandeln kann.


C.
Kontext der Entscheidung
Eine gegen Treu und Glauben verstoßende Ausübung einer formalen Rechtsstellung ist als Rechtsüberschreitung missbräuchlich und unzulässig (BGH, Urt. v. 27.02.2018 - VI ZR 109/17 Rn. 20). Der im Zivilrecht in § 242 BGB zum Ausdruck gekommene Einwand der unzulässigen Rechtsausübung beherrscht das gesamte Recht (vgl. BAG, Beschl. v. 14.05.1987 - 6 ABR 39/84, zu II 3 der Gründe). Als allgemeine Schranke der Rechtsausübung begrenzt er sowohl Rechtsinstitute und Rechtsnormen als auch subjektive Rechte (vgl. BAG, Beschl. v. 18.02.2003 - 1 ABR 17/02 Rn. 56 m.w.N.). Das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung gilt gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG auch im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (vgl. BAG, Beschl. v. 19.02.2008 - 1 ABR 84/06 Rn. 24; BAG, Beschl. v. 13.02.2007 - 1 ABR 14/06 Rn. 25; BAG, Beschl. v. 14.05.1987 - 6 ABR 39/84, zu II 3 der Gründe m.w.N.; BAG, Beschl. v. 12.02.1980 - 6 ABR 2/78, zu II 3 e der Gründe; BAG, Beschl. v. 18.09.1973 - 1 ABR 7/73, zu III 3 der Gründe). Der dort normierte Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist Maßstab dafür, wie die Betriebsparteien ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen und auszuüben haben. Sie müssen dabei auch auf die Interessen der anderen Betriebspartei Rücksicht nehmen. Damit geht es letztlich um die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben auch im Rahmen der Betriebsverfassung (vgl. BAG, Beschl. v. 26.09.2018 - 7 ABR 18/16 Rn. 56; BAG, Beschl. v. 28.05.2014 - 7 ABR 36/12 Rn. 35). Aus dem in § 23 Abs. 1 BetrVG vorgesehenen Antragsrecht des Arbeitgebers zur gerichtlichen Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung dessen gesetzlicher Pflichten ergibt sich nichts Gegenteiliges. Das in § 2 Abs. 1 BetrVG ausdrücklich verankerte Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zeigt, dass der Gesetzgeber dem Arbeitgeber durch die Gewährung der Antragsberechtigung in § 23 Abs. 1 BetrVG, die eine Auflösung des Betriebsrats und damit den Amtsverlust aller Betriebsratsmitglieder zum Gegenstand hat, nicht den Einwand einer – einzelfallbezogenen – unzulässigen Rechtsausübung gegenüber dem Betriebsrat nehmen wollte.
Eine gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßende und damit unzulässige Rechtsausübung kann vorliegen, wenn sich eine Betriebspartei auf eine formale Rechtsposition beruft, die sie durch ein in erheblichem Maße eigenes betriebsverfassungswidriges Verhalten erlangt hat. Wegen der Besonderheiten des durch die Wahrnehmung strukturell gegensätzlicher Interessen gekennzeichneten Rechtsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat kommt eine solche unzulässige Rechtsausübung jedoch nur in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht (BAG, Beschl. v. 12.03.2019 - 1 ABR 42/17 Rn. 42 bis 47).


D.
Auswirkungen für die Praxis
In Zeiten von Matrixorganisationen, Mobiler Arbeit und gesellschaftlichen Wandels ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Es hilft, wenn die Arbeitsgerichte Leitplanken bieten, alle Aspekte im Auge behalten und sich nicht auf die Entscheidung einer formellen Rechtsposition beschränken.



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