Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger betreibt ein Restaurant in Nürnberg und hat bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen. Die dafür zu entrichtende Jahresprämie beträgt 90 Euro. Die Beklagte verwendete Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) zur Betriebsschließungsversicherung infolge von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern. In A § 1 III. der AVB steht:
„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“, gefolgt von einer Aufzählung diverser Erreger und Krankheiten. Weder SARS-CoV-1, SARS-CoV-2 noch Covid-19 sind dort genannt. Für den Eintritt des Versicherungsfalls bedarf es einer behördlichen Schließungsanordnung.
In Folge der Covid-19-Pandemie erging eine Allgemeinverfügung des Bayerischen Gesundheitsministeriums vom 16.03.2020, in der der Gastronomiebetrieb mit engen Ausnahmen untersagt wurde. Der Kläger meldete daraufhin einen Versicherungsfall bei der Beklagten und machte einen Entschädigungsanspruch für den Zeitraum vom 21.03. bis 19.04.2020 geltend. Er vertritt die Ansicht, SARS-CoV-2 bzw. Covid-19 seien auch ohne ausdrückliche Nennung vom Versicherungsschutz umfasst. Die Formulierung „folgende" Krankheiten und Krankheitserreger sei als beispielhaft auszulegen. Die Beklagte bestreitet den Anspruch. Sie argumentierte unter anderem, dass es sich beim Katalog der AVB um eine erkennbar abschließende Aufzählung handele.
Das LG Nürnberg-Fürth hat die Klage abgewiesen. Durch den Abschluss des Versicherungsvertrages sei eine Betriebsschließung wegen des Auftretens einer Corona-Virus-Krankheit-2019 (Covid-19) bzw. wegen des SARS-CoV-2-Erregers nicht versichert. Maßstab der Auslegung von AVB sei der durchschnittliche, um Verständnis bemühte Betriebsschließungsversicherungsnehmer; in erster Linie sei vom Bedingungswortlaut auszugehen. Man könne aufgrund der Tatsache, dass es sich regelmäßig um Betriebe handelt, die einen kaufmännisch eingerichteten Gewerbebetrieb erfordern, entsprechende kaufmännische Kenntnisse und Sorgfalt beim Durchlesen eines Vertragsformulars erwarten, nicht aber in Recht und Medizin. Gemessen daran sei für einen durchschnittlichen „Gastronomiebetrieb-Versicherungsnehmer“ die Aufzählung der namentlich benannten Krankheiten und Krankheitserreger in A § 1 III. AVB abschließend. Einem kaufmännisch denkenden Versicherungsnehmer sei klar, dass ein dynamischer Versicherungsschutz, in den auch neu auftretende/entdeckte Krankheiten und Krankheitserreger einbezogen sein sollen, für den Versicherer mit kaum überschaubaren finanziellen Risiken verbunden wäre. Eine Jahresprämie von 90 Euro könne dieses Risiko bei kaufmännischer Betrachtung nicht aufwiegen. Selbst bei einer Dynamik bestünde kein Anspruch, weil Covid-19 erst nach dem anspruchsrelevanten Zeitraum in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1t IfSG aufgelistet wurde.
Der Wortlaut der Nennung „folgender“ Krankheiten und Krankheitserreger sei eindeutig abschließend. Die ausführliche Aufzählung des Katalogs wäre obsolet, wenn es sich um eine dynamische Verweisung handelte. Ohne Auswirkung sei es hingegen, dass sich kein Ausdruck wie „insbesondere“ finde. Sie indiziere zwar eine Öffnung, aus ihrer Abwesenheit dürften aber keine Schlüsse gezogen werden. Auch die Bezugnahme auf §§ 6 , 7 IfSG führe zu keinem anderen Ergebnis. Der explizite Ausschluss bestimmter Risiken (hier: Prionenerkrankungen) sei nicht dazu geeignet, beim Versicherungsnehmer den Umkehrschluss hervorzurufen, dass der Ausschluss nur bei einer dynamischen Aufzählung Sinn ergebe.
Vertragsbestandteil sind die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger der §§ 6 , 7 IfSG, nicht aber die Generalklauseln in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 IfSG, § 7 Abs. 2 IfSG. Die ausführliche Aufzählung ergebe auch nur dann Sinn, wenn dadurch ein Unterschied zu den Normen zu entnehmen ist. Schlussendlich hielten die AVB einer Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB stand. Die ausreichende Erkennbarkeit des abschließenden Charakters der Aufzählung führe zu einer Einhaltung des Transparenzgebots. Die Einschränkung stelle keine den Vertragszweck gefährdende unangemessene Benachteiligung (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) des Versicherungsnehmers dar.
Kontext der Entscheidung
I. Die Entscheidung der Versicherungskammer des LG Nürnberg-Fürth fügt sich in die Rechtsprechung von zahlreichen Landgerichten ein, die eine Deckung von Covid-19 bei AVB, in denen Krankheiten und Krankheitserreger üblicherweise tabellarisch und augenfällig aufgeführt sind, verneinen:
LG Aachen v. 14.01.2020 - 9 O 173/20
LG Aurich v. 20.12.2020 - 3 O 487/20
LG Bayreuth v. 15.10.2020 - 22 O 207/20 - VersR 2020, 1575
LG Bayreuth v. 15.10.2020 - 21 O 281/20 - VersR 2020, 1574
LG Bochum v. 04.11.2020 - 13 O 40/20
LG Bochum v. 04.11.2020 - 13 O 65/20
LG Bochum v. 04.11.2020 - 13 O 66/20
LG Bochum v. 02.12.2020 - 4 O 174/20
LG Bochum v. 02.12.2020 - 4 O 199/20
LG Dresden v. 06.01.2021 - 8 O 909/20
LG Ellwangen v. 17.09.2020 - 3 O 187/20
LG Essen v. 21.10.2020 - 18 O 167/20
LG Göttingen v. 13.01.2021 - 5 O 111/20
LG Hamburg v. 18.12.2020 - 306 O 256/20
LG Hamburg v. 27.11.2020 - 332 O 290/20 - CovuR 2021, 37
LG Hanau v. 24.11.2020 - 9 O 662/20
LG Hannover v. 07.12.2020 - 13 O 145/20
LG Heidelberg v. 08.12.2020 - 2 O 156/20
LG Kempten v. 08.12.2020 - 31 O 714/20
LG Kempten v. 10.12.2020 - 35 O 747/20
LG Koblenz v. 17.12.2020 - 16 O 302/20
LG Köln v. 26.11.2020 - 24 O 252/20
LG Köln v. 26.11.2020 - 24 O 262/20
LG Köln v. 26.11.2020 - 24 O 268/20
LG Köln v. 02.12.2020 - 20 O 139/20
LG Köln v. 16.12.2020 - 20 O 136/20
LG Köln v. 17.12.2020 - 24 O 277/20
LG Köln v. 17.12.2020 - 24 O 277/20
LG Landau v. 10.12.2020 - 4 O 231/20
LG Lüneburg v. 24.11.2020 - 9 O 662/20
LG Nürnberg v. 29.12.2020 - 2 O 4499/20
LG Nürnberg v. 29.12.2020 - 2 O 5654/20
LG Oldenburg v. 14.10.2020 - 13 O 2068/20
LG Oldenburg v. 18.11.2020 - 13 O 1272/20
LG Oldenburg v. 16.12.2020 - 13 O 2631/20
LG Oldenburg v. 13.01.2021 - 13 O 2535/20
LG Ravensburg v. 12.10.2020 - 6 O 190/20
LG Regensburg v. 11.12.2020 - 34 O 1277/20
LG Stuttgart v. 29.10.2020 - 35 O 32/20
LG Stuttgart v. 02.11.2020 - 18 O 264/20
LG Stuttgart v. 30.11.2020 - 18 O 271/20
LG Stuttgart v. 07.12.2020 - 18 O 270/20
LG Stuttgart v. 12.01.2021 - 22 O 260/20
LG Wiesbaden v. 03.11.2020 - 9 O 1111/20
AG Darmstadt v. 26.08.2020 - 306 C 139/20
Das bundesweit erste Urteil in einem Klageverfahren, bei dem es um die Deckung für Covid-19 ging, war wohl das Urteil des LG Ellwangen vom 17.09.2020 (3 O 187/20). Dieses Urteil wurde rechtskräftig (die eingelegte und begründete Berufung wurde nach einem ausführlichen Hinweis des OLG Stuttgart vom 24.12.2020 am 01.02.2020 zurückgenommen).
Dem steht eine numerisch deutlich geringere Anzahl von Landgerichten entgegen, die auch in diesem Fall eine Deckung annehmen. Soweit ersichtlich, liegen hierzu folgende Urteile vor:
LG München I v. 01.10.2020 - 12 O 5895/20 - RuS 2020, 618
LG Magdeburg v. 06.10.2020 - 31 O 45/20
LG Hamburg v. 04.11.2020 - 412 HKO 91/20
LG Flensburg v. 10.12.2020 - 4 O 153/20
LG Darmstadt v. 14.12.2020 - 28 O 168/20
II. Von den AVB mit einer tabellarischen Auflistung von Krankheit/Erreger sind zu unterscheiden die AVB, die eine solche Auflistung nicht enthalten und i.d.R. die Formulierung enthalten:
„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.“
Da bei dem Wort „namentlich“ zwischen einem Adverb und Adjektiv sprachlich zu unterscheiden ist, wird hier vertreten, dass auch in diesen Fällen keine Deckung für Covid-19 besteht, da namentlich eine Benennung von Covid-19 bzw. des SARS-Corona-Virus im Gesetzestext von §§ 6 , 7 IfSG (dies erfolgte erst am 23.05.2020) nicht erfolgte. Nach einer anderen Auffassung sei „namentlich“ wie „insbesondere“ zu verstehen und das Fehlen einer Aufnahme von Covid-19 in das IfSG zum Zeitpunkt der „ersten Welle“ wäre aufgrund einer „Generalklausel“ in dem IfSG unerheblich.
Zu diesen Fällen liegen deutlich weniger Urteile vor, weil diese AVB-Fassungen im Markt weniger vertreten sind. Eine Deckung wird bejaht von:
LG Mannheim v. 29.04.2020 - 11 O 66/20 - RuS 2020, 338
Zu dem LG Mannheim wird man „erst recht“ auch die o.g. Gerichte hinzuzählen, die selbst bei einer Auflistung von Krankheiten und Erreger eine Deckung bejahen.
Demgegenüber verneinen eine Deckung bei dieser AVB-Gestaltung:
LG Lüneburg v. 30.11.2020 - 5 O 171/20
LG Koblenz v. 17.12.2020 - 16 O 302/20
III. Es gibt ferner Sonderkonstellationen. Es wurden im Markt eher vereinzelt AVB mit einer tabellarischen Auflistung verwendet, die nicht das Wort „nur“ enthalten. Hier sind keine Urteile bekannt, bei denen eine Deckung für Covid-19 bejaht wurde (zu dieser AVB-Gestaltung vgl. bereits OLG Hamm, Beschl. v. 15.07.2020 - 20 W 21/20 - RuS 2020, 506; LG Bochum, Urt. v. 15.07.2020 - 4 O 215/20 - RuS 2020, 503). Umgekehrt wurde eine Deckung bei einer abweichenden Vertragsgestaltung im Einzelfall bejaht (hierzu LG Köln, Urt. v. 26.11.2020 - 24 O 263/20, zu einer besonderen Regelung im Versicherungsschein).