Auswirkungen für die Praxis
I. Das Landesarbeitsgericht verneint unzutreffend die unmittelbare Geltung von § 77 VVG; einer Analogie – wie vom LArbG Hamm gewählt – bedurfte es daher nicht. Der berechtigte Fahrer T war mitversicherte Person in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Eine Mehrfachversicherung i.S.v. § 77 VVG liegt vor, wenn durch mehrere Versicherungsverträge dasselbe Interesse gegen dieselbe Gefahr versichert ist (OLG Stuttgart, Urt. v. 12.03.2008 - 4 U 58/07 m.w.N.; Car in: BeckOK VVG, 8. Ed. 01.08.2020, § 77 VVG § 77 Rn. 6), was in unterschiedlichen Konstellationen geschehen kann. Die mehreren Versicherungsverträge müssen nicht von demselben Versicherungsnehmer geschlossen worden sein; auch bei Zusammentreffen von Eigen- und Fremdversicherung kann eine Doppelversicherung vorliegen (BGH, Urt. v. 31.03.1976 - IV ZR 29/75; BGH, Urt. v. 20.03.1974 - IV ZR 94/73). Eine Identität des Versicherungsnehmers ist nicht erforderlich (Jahnke in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 26. Aufl. 2020, § 77 VVG Rn. 10).
II. 1. Die Frage der Auskunft über eine bestehende Haftpflichtversicherung findet sich in vielen Bereichen der Haftpflichtgeschehen. In der Haftpflichtversicherung kann auch der Geschädigte ein Interesse an Auskunft darüber haben, ob der Versicherer – für den Fall der rechtskräftigen Titulierung seiner Haftpflichtansprüche – dem Schädiger Deckungsschutz gewährt (BGH, Urt. v. 05.04.2017 - IV ZR 360/15; BGH, Urt. v. 15.11.2000 - IV ZR 223/99; siehe auch BGH, Urt. v. 13.04.2016 - IV ZR 304/13).
Nur solche Angaben können überhaupt verlangt werden, die für die Geltendmachung des Hauptanspruchs auch tatsächlich benötigt werden (BGH, Urt. v. 20.01.2015 - VI ZR 137/14; BGH, Urt. v. 03.04.1996 - VIII ZR 54/95; BGH, Urt. v. 28.10.1953 - II ZR 149/52).
Ein Auskunftsanspruch entfällt, wenn der Haftpflichtversicherer aus dem vorgerichtlichen Schriftverkehr eindeutig zu erkennen gibt, dass der Versicherungsnehmer bei ihm eine Haftpflichtversicherung unterhält und er im Rahmen des Versicherungsverhältnisses einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung der Rechte des Versicherungsnehmers beauftragt hat (LG Hannover, Urt. v. 22.09.2014 - 2 O 3/14 [konkret Architekt]).
2. Eine allgemeine Auskunftspflicht ist dem BGB nicht zu entnehmen (BGH, Urt. v. 20.01.2015 - VI ZR 137/14 [Privatanschrift eines Klinikarztes]; BGH, Urt. v. 18.01.1978 - VIII ZR 262/76 m.w.H.; LG Hannover, Urt. v. 22.09.2014 - 2 O 3/14). Ein Auskunftsanspruch setzt daher eine besondere Rechtsgrundlage voraus. Ist kein Auskunftsvertrag geschlossen, kann sich ein Auskunftsanspruch nur aus gesetzlichen Sondervorschriften oder § 242 BGB ergeben (LG Duisburg, Urt. v. 19.11.2010 - 7 S 86/10; Grüneberg in: Palandt, 79. Aufl. 2020, § 260 BGB Rn. 3). Voraussetzung hierfür ist, dass der Anspruchstellende in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang eines Rechts im Ungewissen ist, sich die zur Vorbereitung und Durchführung seines Zahlungsanspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann und der Inanspruchgenommene sie unschwer, d.h. ohne unbillig belastet zu sein, zu geben vermag (BGH, Urt. v. 20.01.2015 - VI ZR 137/14; BGH, Urt. v. 13.06.1985 - I ZR 35/83; BGH, Urt. v. 18.01.1978 - VIII ZR 262/76). Weitere Voraussetzung ist, dass zwischen den Parteien eine besondere rechtliche Beziehung besteht, wobei ein gesetzliches Schuldverhältnis genügt (BGH, Urt. v. 18.01.1978 - VIII ZR 262/76; LG Duisburg, Urt. v. 19.11.2010 - 7 S 86/10).
3. a) Im Verkehrshaftungsrecht hat der anspruchstellende Dritte einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Schädiger, wer der zuständige Pflicht-Haftpflichtversicherer ist. Bei der Kfz-Haftpflichtversicherung kann man sich an den Zentralruf der Autoversicherer (Tel. 0800 250 260 0; www.zentralruf.de/online-anfrage/anfrageformular) wenden (näher Tietgens/Nugel, AnwaltFormulare Verkehrsrecht, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 60 ff.). Der Zentralruf ist die staatliche Auskunftsstelle (§ 8a PflVG) zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in Deutschland und dem europäischen Ausland sowie Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz (vgl. näher Riedmeyer in Stiefel/Maier, 19. Aufl. 2016, Teil 4 AuslUnf Rn. 37 ff.).
Der Mindestrahmen der Kfz-Pflichtversicherung ist gesetzlich geregelt (PflVG, KfzPflVV). Auf weitergehende Auskünfte zu über den Mindestbedarf hinausgehenden individuell vereinbarten Versicherungsschutz (wie erhöhte Versicherungssumme) hat der Anspruchstellende keinen Anspruch.
b) Ein Sozialversicherungsträger hat keinen Anspruch gegen einen – von ihm als solchen angesehenen – Schadenverursacher auf Auskunft zu bestehenden Haftpflichtversicherungen (LG Duisburg, Urt. v. 19.11.2010 - 7 S 86/10 [Altenheim]). Ob jemand seine Haftpflichtversicherung in Anspruch nimmt, steht nicht zur Disposition des Anspruchstellenden. Etwaig bestehende Teilungsabkommen zwischen Sozialversicherer und Haftpflichtversicherung ändern hieran nichts.
Es besteht keine Auskunftspflicht der Kfz-Haftpflichtversicherung zu Ladung auf dem versicherten Fahrzeug. Die Kfz-Haftpflichtversicherung muss einem geschädigten Anspruchsteller keine Einsicht in die Ladeliste des versicherten Fahrzeugs gewähren (AG Hanau, Urt. v. 15.07.2015 - 38 C 86/15 (18)).
4. a) Die Halterhaftung nach § 12 Abs. 5 PflVG setzt nicht zwingend voraus, dass der Entschädigungsfonds das amtliche Kennzeichen des unfallbeteiligten Kfz im Prozess vorträgt. Ausreichend ist, wenn hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen werden, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Haltereigenschaft nahelegen. Im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast ist der Halter verpflichtet, in den Grenzen des Zumutbaren in seinem Geschäftsbetrieb nachzuforschen und mitzuteilen, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Unfallbeteiligung seines Kfz gewonnen hat; dazu reicht nicht der Vortrag, hierzu erforderliche Daten (wie Fahrtenschreiber, Mautdaten) stünden jetzt nicht mehr zur Verfügung, denn es kommt lediglich darauf an, ob dem Darlegungspflichtigen die entsprechenden Feststellungen zeitnah zum Schadensgeschehen möglich und zumutbar waren (OLG Frankfurt, Urt. v. 31.03.2020 - 13 U 226/15).
b) Wer sein Fahrzeug unbefugt auf einem Privatgrundstück (auch Gelände eines Einkaufsmarktes) abstellt, begeht verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) (Einzelheiten Jahnke in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 26. Aufl. 2020, § 249 BGB Rn. 341c ff.). Verstößt der Fahrzeugführer gegen die Parkbedingungen und verwirkt er dadurch eine Vertragsstrafe („erhöhtes Parkentgelt“), haftet hierfür nicht der Halter des Fahrzeugs (BGH, Urt. v. 18.12.2019 - XII ZR 13/19). Der Halter ist gegenüber Eigentümer bzw. Nutzungsberechtigten eines Parkplatzes aber nicht auskunftsverpflichtet, wer das Fahrzeug zum Zeitpunkt der unberechtigten Inanspruchnahme des Parkplatzes geführt hat (Jahnke in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 26. Aufl. 2020, BGB § 249 Rn. 339 m.w.H.). Den Fahrzeughalter, den der Betreiber eines unentgeltlichen Parkplatzes als Fahrzeugführer auf ein „erhöhtes Parkentgelt“ in Anspruch nimmt, trifft jedoch eine sekundäre Darlegungslast; um seine Fahrereigenschaft wirksam zu bestreiten, muss er vortragen, wer als Nutzer des Fahrzeugs im fraglichen Zeitpunkt in Betracht kommt (BGH, Urt. v. 18.12.2019 - XII ZR 13/19).
5. Die §§ 675, 666 BGB verpflichtet den Anwalt nicht, Auskunft zu erteilen, ob und wann und in welcher Höhe er seiner Vermögensschadenshaftpflichtversicherung den von ihm durch den Antragsteller geforderten Schadens- und Schmerzensgeldbetrag gemeldet hat (LG Berlin, Beschl. v. 16.01.2017 - 41 O 317/16).
Nach § 51 Abs. 6 Satz 2 BRAO erteilt die Rechtsanwaltskammer Dritten zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen Auskunft über die Berufshaftpflichtversicherung eines Anwalts, soweit dieser kein schutzwürdiges Interesse an der Nichterteilung der Auskunft hat (dazu Dahns, NJW-Spezial 2011, 382).
Die Berufskammer darf einem Mandanten Auskunft über die Berufshaftpflichtversicherung des Berufsträgers auch dann erteilen, wenn der Mandant keinen Direktanspruch gegen den Versicherer gemäß § 115 VVG hat, also im Falle der Insolvenz oder des unbekannten Aufenthaltes (BGH, Urt. v. 22.10.2012 - AnwZ (Brfg) 60/11 [Rechtsanwaltskammer]; BGH, Urt. v. 17.03.2014 - NotZ (Brfg) 16/13 [Notarkammer]).
6. Es gibt keinen Auskunftsanspruch eines Patienten gegenüber einem Arzt, ob und bei wem dieser berufshaftpflichtversichert ist (KG, Beschl. v. 04.10.2018 - 20 U 113/17; AG Dorsten, Urt. v. 02.10.2002 - 3 C 70/02).
Beschädigt ein Mieter schuldhaft das Gebäude, besteht ein Auskunftsanspruch des in Anspruch genommenen Gebäudeversicherers gegen den Mieter im Hinblick auf eine etwa bestehende Haftpflichtversicherung (LArbG Hamm, Urt. v. 27.02.2020 -18 Sa 1513/19; AG Hannover, Urt. v. 05.08.2009 - 403 C 3908/09; Dickmann, VersR 2013, 1227, 1231).
Architekten trifft in manchen (OVG Münster, Urt. v. 19.06.2013 - 6s A 1520/12.S), aber nicht allen Bundesländern ein gesetzlicher Auskunftsanspruch zum Bestehen einer Haftpflichtversicherung. Fehlt eine gesetzliche Regelung, kann der Auskunftsanspruch (nur) vertraglich geregelt werden (OLG Hamburg, Urt. v. 09.04.2015 - 6 U 26/14).
Der Geschädigte, dessen Schadensersatzforderung gegen den Gemeinschuldner zur Konkurstabelle festgestellt ist und dessen Recht nach § 110 VVG (§ 157 VVG a.F.) auf abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung des Gemeinschuldners gegen seinen Haftpflichtversicherer vom Konkursverwalter anerkannt worden ist, hat gegen den Haftpflichtversicherer Anspruch auf Auskunft über den Gegenstand und den Umfang des Versicherungsschutzes (OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.06.2001 - 4 U 210/00; LG Hannover, Urt. v. 22.09.2014 - 2 O 3/14).