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Anmerkung zu:BGH 13. Zivilsenat, Urteil vom 13.09.2022 - XIII ZR 9/20
Autor:Prof. Wolfgang E. Trautner, RA und Notar, FA für Vergaberecht, FA für Verwaltungsrecht und FA für Bau- und Architektenrecht
Erscheinungsdatum:13.01.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 280 BGB, § 311 BGB, § 241 BGB, § 179 GWB
Fundstelle:jurisPR-VergR 1/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Lutz Horn, RA
Zitiervorschlag:Trautner, jurisPR-VergR 1/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Mehr Leistung als gefordert - Ausschluss



Leitsätze

1. Versteht der Bieter die Vorgaben des Leistungsverzeichnisses falsch und gibt daher den deutlich höheren Preis einer Leistung an, die nach dem Leistungsverzeichnis gar nicht zu erbringen ist, enthält sein Angebot nicht den geforderten Preis, so dass es gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 , § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2016 auszuschließen ist.
2. Aufklärung über die Preiskalkulation eines Nachunternehmers kann jedenfalls dann verlangt werden, wenn zu klären ist, ob das Angebot den Vorgaben im Leistungsverzeichnis entspricht.



A.
Problemstellung
In dem Urteil vom 13.09.2022 hatte sich der BGH mit der Klage eines Bauunternehmens gegen eine Gemeinde auf Schadensersatz wegen eines vermeintlichen Fehlers im Vergabeverfahren auseinanderzusetzen. Das Unternehmen begründete den Anspruch damit, dass sein Angebot rechtswidrigerweise ausgeschlossen worden sei. Bei richtiger Vorgehensweise hätte der Auftraggeber den Zuschlag an das Unternehmen erteilen müssen. Im Gewand des Schadensersatzanspruches musste sich der BGH mit einer eigentlich vergaberechtlichen Frage auseinandersetzen, ohne dass ihm dies in Form einer Divergenzvorlage auf den Tisch gekommen wäre.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Ausgangspunkt war eine öffentliche Ausschreibung nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A). Gegenstand waren Erd- und Rohbauarbeiten; insbesondere ging es unter anderem um die Aufnahme und Entsorgung von Bodenaushub in fünf Entsorgungsklassen in den Leistungspositionen 2.5 bis 2.9. In den Vorbemerkungen dazu war zur Entsorgung der Hinweis enthalten, dass der Transport zur Deponie durch den Auftragnehmer erfolgen solle. Die Deponiegebühr für den Aushub der Klassen Z.0 und Z.1.1 sollte der Auftragnehmer tragen, während die Deponiegebühr für den Aushub der Klassen Z1.2 und Z.2 vom Auftraggeber nach Wiegescheinen vergütet würde. Die Positionen des Leistungsverzeichnisses, die sich auf die zuletzt genannten Bodenklassen Z1.2 und Z.2 bezogen, lauteten wie folgt: „2.7 [2.8, 2.9] Boden aufnehmen und entsorgen […] Boden (…) vom Haufwerk aufnehmen, laden, abfahren und Entsorgen auf Deponie. Gebühr trägt der AG. (…)“.
Die Klägerin legte ein Angebot vor, das für die Erdarbeiten den Einsatz eines Nachunternehmers vorsah. Alle drei bewertbaren Angebote, zu denen auch das der Klägerin gehörte, lagen mit ihren Einheitspreisen für die Entsorgung (Positionen 2.7 bis 2.9 des Leistungsverzeichnisses) 500% bis 900% über dem Baukostenindexpreis (Stand 2018) für das Lösen, Laden und Abfahren von Baugrubenaushub. Bei den Bietergesprächen erklärte einer der Bieter, zu den Einheitspreisen der Positionen 2.7 bis 2.9, dass darin die Deponiekosten einkalkuliert seien. Das veranlasste die Auftraggeberin zur Nachfrage bei dem klagenden Unternehmen, ob mit den Preisen zu diesen Positionen auch die Deponiekosten abgegolten sein sollen. Dies beantwortete die Klägerin ausdrücklich mit dem Hinweis auf die Leistungsbeschreibung, aus der deutlich hervorgehen würde, dass die Deponiekosten nicht vom Auftragnehmer, sondern vom Auftraggeber zu tragen sind. Eine andere Sichtweise würde ja – so die Klägerin – zum Ausschluss Ihres Angebotes führen. Die Gemeinde erteilte den Zuschlag an den ebenfalls befragten Bieter, der ja mitgeteilt hatte, dass in seinen Einheitspreisen zu den Positionen 2.7 bis 2.9 die Deponiekosten enthalten seien. Dadurch war dessen Angebot günstiger als das der Klägerin.
Die Klägerin ist der Meinung, der Zuschlag hätte ihr erteilt werden müssen. Deswegen macht sie einen Schadensersatz von 72.227,77 Euro geltend. Das LG Heidelberg hatte die Klage noch abgewiesen, während das OLG Karlsruhe der Berufung der Klägerin stattgegeben hatte.
Der BGH wiederum entschied aufgrund der Revision der beklagten Kommune, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Das Oberlandesgericht war der Meinung, die Gemeinde habe das durch das Ausschreibungsverfahren begründete Vertrauensverhältnis und insbesondere das Gebot der Rücksichtnahme verletzt, indem sie dem Konkurrenten der Klägerin den Zuschlag erteilt hatte. Tatsächlich habe die Klägerin den günstigsten Preis angeboten. Denn man habe die Angebote so verstehen müssen, dass darin nicht die Deponiegebühren für die schwerer belasteten Bodenklassen enthalten gewesen seien. Daher habe das Angebot der Klägerin auch nicht ausgeschlossen werden dürfen. Auch der Umstand, dass der von der Klägerin kalkulierte Einheitspreis etwa 500 bis 900% über dem entsprechenden Baukostenindex gelegen habe, ändere nichts an der Sichtweise. Alle Angebote hätten vergleichbar hohe Preise angesetzt, die eventuell oder offenbar Deponiekosten einbezogen hätten. Durch die Nachfrage bei dem Bieter, der den Zuschlag bekommen soll, habe die Auftraggeberin die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung verletzt. Denn sie habe insoweit mit diesem Bieter unzulässig nachverhandelt. Sie habe dessen Angebot also nicht annehmen dürfen.
Nach Auffassung des BGH hält das einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Vielmehr hätte auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen durch das Berufungsgericht ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz des Gewinns, der bei der Durchführung des Auftrags angefallen wäre, nicht bejaht werden dürfen:
Das Berufungsgericht hätte aufgrund der festgestellten Tatsachen nicht annehmen dürfen, dass der Klägerin unter Einhaltung der vergaberechtlichen Regelungen der Zuschlag erteilt worden wäre. Denn das Berufungsgericht hat offengelassen, ob im Angebot der Klägerin bei den fraglichen Positionen 2.7 bis 2.9 tatsächlich die Deponiekosten eingerechnet waren oder nicht. Wegen der fehlenden Feststellungen hätte allerdings zugunsten der Revision (der Beklagten) davon ausgegangen werden müssen, dass die Deponiekosten eingerechnet waren. Dann allerdings hätte die Klägerin die Anfrage der beklagten Gemeinde unrichtig beantwortet. Das wiederum hätte zum Ausschluss des Angebots nach den §§ 16 Abs. 2 Nr. 3, 16b Abs. 1 VOB/A 2016 geführt.
Die beklagte Gemeinde hatte nach Auffassung des BGH das Recht, von den Bietern hinsichtlich dieser Frage Aufklärung zu verlangen, auch wenn im konkreten Fall die Leistungsbeschreibung eindeutig gewesen zu sein schien. Im Rahmen dieser Aufklärung darf es allerdings nicht zu einer unstatthaften Verhandlung über die Änderung der Angebote oder der Preise gemäß § 15 Abs. 3 VOB/A 2016 kommen. Im Übrigen darf über die Angemessenheit der Preise nur dann aufgeklärt werden, wenn Zweifel an der Wirtschaftlichkeit oder Korrektheit angegebenen Preise bestehen.
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe war die Gemeinde nach Auffassung des BGH sehr wohl berechtigt, von den Bietern Aufklärung hinsichtlich der Korrektheit der von ihnen angegebenen Einheitspreise zu verlangen.
Zwar konnte das Berufungsgericht davon ausgehen, dass aufgrund des klaren Vortextes des Leistungsverzeichnisses die Deponiegebühren nicht in die Einheitspreise der Positionen 2.7 bis 2.9 des Leistungsverzeichnisses einzurechnen waren. Dennoch hätte die Gemeinde aber die Möglichkeit in Betracht ziehen müssen, dass die Bieter die Deponiegebühren entgegen der Vorgabe im Leistungsverzeichnis in die Einheitspreise eingerechnet hatten. Denn auffällig war, dass bei allen Bietern die entsprechenden Positionen etwa 500% bis 900% über dem Baukostenindex für das Lösen, Laden und Abfahren von Baugrubenaushub lagen. Daher war die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass die Bieter entgegen dem klaren Text der Leistungsbeschreibung die Deponiegebühren doch eingerechnet hatten.
Hintergrund ist dabei, dass der öffentliche Auftraggeber eine durch § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2016 geschütztes Interesse daran hat, dass die Bieter die korrekten Preise angeben. Wenn der Bieter allerdings die Vorgaben des (hier eindeutigen) Leistungsverzeichnisses falsch versteht und einen deutlich höheren Preis einer Leistung angibt, die nach dem Leistungsverzeichnis eigentlich gar nicht zu erbringen war (nämlich einschließlich der Deponiekosten), enthält sein Angebot nicht den geforderten Preis. Es wäre dann nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2016 vom weiteren Verfahren auszuschließen.
Ohne eine entsprechende unbefriedigende Aufklärung über die Korrektheit der angegebenen Preise hätte die Gemeinde gar nicht den Zuschlag auf das Angebot der Klägerin erteilen dürfen.
Der BGH setzt sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen damit auseinander, ob der Klägerin der Zuschlag hätte erteilt werden müssen. Zwar hat die Klägerin der Gemeinde mitgeteilt, dass die Deponiekosten in den von ihr angebotenen Einheitspreisen nicht abgegolten seien. Jedoch muss aber wegen fehlender ausreichender Tatsachenfeststellungen auch von der Möglichkeit ausgegangen werden, dass die Deponiekosten enthalten waren. In dem Fall hätte das Angebot der Klägerin wegen der unrichtigen Aussage auf das Aufklärungsverlangen ausgeschlossen werden müssen. Damit hätte die Klägerin gegen ihre Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen und zudem eine schwere Verfehlung begangen, die ihre Zuverlässigkeit infrage gestellt hätte. Zudem hätte die Gemeinde dann noch einen überhöhten Preis gezahlt, wenn zu dem angebotenen Einheitspreis die Deponiekosten noch hinzugekommen wären.


C.
Kontext der Entscheidung
Der BGH weist noch einmal darauf hin, dass sich richtigerweise die Anspruchsgrundlage aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. den §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB herleitet. Denn mit der Ausschreibung und der Beteiligung der Bieter daran kommt ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zustande, dass die Parteien zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet. Dessen Verletzung begründet Schadensersatzansprüche (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urt. v. 09.06.2011 - X ZR 143/10 - BGHZ 190, 89 Rn. 9 f. sowie BGH, Urt. v. 08.12.2020 - XIII ZR 19/19 - BGHZ 228 15 Rn. 9 ff.). Jedoch würden vergaberechtliche Vorschriften mit bieterschützendem Charakter kein Recht auf die Auftragserteilung einräumen, sondern nur das Recht derjenigen Bieter, die die Voraussetzungen erfüllen, auf Teilnahme am Wettbewerb unter fairen, transparenten und nicht diskriminierenden Bedingungen. So kommt ein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns ausnahmsweise nur dann in Betrachtung, wenn der übergangene Bieter den Auftrag bei Beachtung der maßgeblichen vergaberechtlichen Vorschriften hätte erhalten müssen und ein Zuschlag tatsächlich (anderweitig) erteilt wurde (BGH, Urt. v. 23.11.2021 - XIII ZR 20/19 - NZBau 2022, 235 Rn. 7).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Auch wenn es sich hier „nur“ um einen Schadensersatzanspruch handelt und der BGH nicht im Rahmen einer Divergenzvorlage nach § 179 Abs. 2 GWB zu entscheiden hatte, dürfte diese Entscheidung allerdings für einige Aufmerksamkeit in der Vergabepraxis sorgen. Wenn es schon einem Berufungsgericht (Oberlandesgericht) nicht ohne Nachhilfe des BGH gelingt, festzustellen, wie weit die Aufklärungspflicht bei der Prüfung von Angeboten geht, stellt sich der Vergabepraktiker zu Recht die Frage, wie er in dieser konkreten Situation hätte vorgehen können. Die Gemeinde hat – mit Recht – versucht, den Widerspruch zwischen der klaren Aussage, die Deponiekosten seien nicht enthalten, und dem Umstand der auffällig hohen Einheitspreise für diese Positionen aufzuklären. Sie hat den Bieter angeschrieben, der deutlich erklärt und versichert hat, dass die Deponiekosten entsprechend der eigentlich klaren Beschreibung im Leistungsverzeichnis in den Einheitspreisen nicht enthalten waren. Welche Mittel stehen der Gemeinde jetzt noch zur Verfügung, wenn sie den Verdacht hat, alle Bieter hätten entgegen der – nochmals: – klaren Leistungsbeschreibung wegen der hohen Preise dennoch die Deponiekosten mit eingerechnet. Hier könnte ggf. die Vorlage der Urkalkulation Klarheit verschaffen, wenn dies in den Vergabeunterlagen entsprechend vorgesehen war. Daher ist eine der Konsequenzen aus dieser Entscheidung des BGH, dass man sich als Auftraggeber nicht sofort und allein mit der Aussage, es habe schon alles seine Richtigkeit, zufriedengeben sollte.



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