Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Knappe zwei Wochen vor der Bundestagswahl im September 2021 durchsuchte die Staatsanwaltschaft Osnabrück unter großem Medieninteresse Räumlichkeiten des (damaligen) BMJV sowie des BMF. Anlass war ein zu diesem Zeitpunkt bereits seit gut anderthalb Jahren gegen unbekannte Mitarbeiter der Financial Intelligence Unit (FIU) geführtes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes der Strafvereitelung im Amt. Hintergrund war der Verdacht, dass seitens der FIU Erkenntnisse über geldwäscherelevante Sachverhalte nicht bzw. nicht rechtzeitig an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet worden seien. Politisch bot die Aktion in der Hochphase des Bundestagswahlkampfes außerordentlichen Zündstoff, da der Bundeskanzlerkandidat Olaf Scholz dem BMF zu diesem Zeitpunkt als Bundesminister vorstand. Auch das BMJV befand sich unter sozialdemokratischer Führung.
Besonders brisant war die Causa aufgrund einer inzwischen als rechtswidrig eingestuften Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft, wonach unter anderem untersucht werden solle, ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung sowie Verantwortliche der Ministerien in Entscheidungen der FIU eingebunden waren (VG Osnabrück, Urt. v. 08.06.2022 - 1 A 199/21).
II. Die Kammer gelangt zu dem Ergebnis, dass die der Durchsuchungsmaßnahme beim BMF zugrunde liegende Anordnung rechtswidrig war.
Dabei misst die Kammer die Durchsuchungsanordnung konsequent an den Voraussetzungen des § 103 StPO. Die Vorschrift erlaube zwar grundsätzlich die Durchsuchung auch von behördlichen Räumen, wenn eine Beschlagnahme von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken in Betracht komme.
Im konkreten Fall folge die Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses jedoch gleich aus drei eingetretenen Rechtsverletzungen: aus 1. der fehlenden Wahrung des Richtervorbehaltes, 2. der unzureichenden Individualisierung der gesuchten Beweismittel sowie 3. dem Unterlassen eines vorherigen staatsanwaltschaftlichen Herausgabeverlangens.
1. Zwar fehle es an der erforderlichen eigenständigen Prüfung der Zulässigkeit der Durchsuchungsmaßnahme (BVerfG, Urt. v. 20.02.2001 - 2 BvR 1444/00 - NJW 2001, 1121, 1122) nicht bereits dann, wenn der Ermittlungsrichter – wie vorliegend – die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft nahezu wörtlich in seinen Beschluss übernimmt. Jedoch sei die ermittlungsrichterliche Überprüfung angesichts der in wesentlichen Teilen erkennbar unzureichenden und zudem irreführenden Akten, die dem Ermittlungsrichter zur Überprüfung zur Verfügung standen, nicht gewährleistet gewesen. So sei u.a. der Anlass der Durchsuchung – ein von der Staatsanwaltschaft begehrtes Schreiben des BMJV aus Mai 2020 – von dieser unbemerkt nicht nur bereits Aktenbestandteil gewesen, sondern habe überdies Erwähnung in polizeilichen Ermittlungsberichten gefunden. Auch dem Ermittlungsrichter sei dies verborgen geblieben, sodass er diesen Umstand auch nicht zur Grundlage einer näheren (eigenen) Prüfung gemacht habe. Auch in weiteren Punkten habe die Staatsanwaltschaft nicht sämtliche erforderlichen Informationen übermittelt. Als Herrin des Vorverfahrens habe die Staatsanwaltschaft aber Sorge dafür zu tragen, dass der Ermittlungsrichter seine Entscheidungen auf der vollständigen Grundlage aller maßgeblichen, bis zu dem jeweiligen Zeitpunkt angefallenen Ermittlungsergebnisse treffen könne.
2. Trotz detaillierter Auflistung verschiedenster Beweismittel der Gattung nach werde der Durchsuchungsbeschluss nicht der Anforderung gerecht, eine so weitgehende Konkretisierung zu schaffen, dass weder bei dem Betroffenen noch bei dem die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können. Vielmehr ermögliche sie faktisch die Suche nach jeglichem Gegenstand, der überhaupt in Zusammenhang mit der Bearbeitung von Geldwäscheverdachtsmeldungen bei der FIU steht. Damit aber laufe die gemäß § 103 StPO mit dem Erfordernis der Individualisierung bezweckte Eingrenzung des Durchsuchungsziels leer. Vielmehr würden die Kriterien für die Durchsuchung dem Ermessen der mit der Durchsuchung betrauten Ermittlungspersonen überlassen.
3. Schließlich seien angesichts der Durchsuchung behördlicher Räume die aus § 96 StPO abzuleitenden Grundsätze nicht beachtet worden. Denn der Behörde sei vorab keine Gelegenheit gewährt worden, die Initiierung einer Sperrerklärung zu prüfen. Dies erfordere ein vorheriges, schriftliches und begründetes Herausgabeverlangen seitens der Staatsanwaltschaft. Mangels entsprechenden Herausgabeverlangens sei die Beschlagnahme von Akten – und somit auch die Durchsuchung behördlicher Räume – unzulässig.
Kontext der Entscheidung
Die Durchsuchung beim Dritten gemäß § 103 StPO unterliegt strengeren Anforderungen als die Durchsuchung beim Beschuldigten. So ist sie u.a. nur „zur Beschlagnahme“ bestimmter Gegenstände zulässig.
I. Die grundsätzliche Beschlagnahmefähigkeit von behördlichen Akten dürfte bereits seit geraumer Zeit als geklärt gelten (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 18.03.1992 - 1 BGs 90/92 - NJW 1992, 1973; OLG Jena, Beschl. v. 20.11.2000 - 1 Ws 313/00 - NJW 2001, 1290; LG Darmstadt, Beschl. v. 07.10.1988 - 9 Qs 691/88 - NStZ 1989, 86; LG Marburg, Beschl. v. 24.05.1978 - Qs 146/78 - NJW 1978, 2306; Kramer, NJW 1984, 1502; anders noch BayObLG, DRiZ 1931, 116 Nr. 130).
II. Ob die Beschlagnahme ein vorheriges Herausgabeverlangen gegenüber der Behörde erfordert, wird hingegen unterschiedlich beurteilt. Die Kammer hat sich in der vorliegenden Entscheidung nun der Auffassung angeschlossen, dass sich ein solches Erfordernis aus den aus § 96 StPO abzuleitenden Grundsätzen ergibt. Nach dieser Norm darf die Staatsanwaltschaft die Herausgabe von amtlich verwahrten Schriftstücken nicht verlangen, wenn die zuständige oberste Dienstbehörde erklärt, dass das Bekanntwerden des Inhalts der Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.
1. Dies wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise mit dem Argument abgelehnt, dass andernfalls die Sicherstellung von Beweismitteln einer nicht unerheblichen Gefährdung ausgesetzt wäre. Dies gelte insbesondere in Fällen, in denen Behördenangehörige Gefahr eigener strafrechtlicher Verfolgung laufen (LG Darmstadt, Beschl. v. 07.10.1988 - 9 Qs 691/88 - NStZ 1989, 86, 87). Auch im (vermeintlich) wohlverstandenen Behördeninteresse handelnde Personen könnten sich geneigt fühlen, Beweismittel dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen (Hohmann, wistra 2001, 196, 197). Dies zu verkennen bedeute, einem idealistischen, vormodernen Staatsverständnis verfangen zu sein (Hohmann, wistra 2001, 196, 197 f.). Zudem sei in Eilfällen andernfalls eine unverzügliche Beschlagnahme unmöglich (LG Darmstadt, Beschl. v. 07.10.1988 - 9 Qs 691/88 - NStZ 1989, 86, 87; Kramer, NJW 1984, 1502, 1506). Einen allgemeinen Vorrang interbehördlicher Rechts- und Amtshilfe vor Zwangsmaßnahmen kenne die StPO nicht (Gärditz, VerfBlog v. 18.09.2021).
2. Dieser Auffassung tritt die Kammer richtigerweise entgegen. Obgleich nicht ausdrücklich normiert, ergibt sich aus der Gesetzessystematik, dass eine Durchsuchung behördlicher Räume ohne vorhergehendes Herausgabeverlangen – jedenfalls grundsätzlich – unzulässig ist.
a) Schon aus dem Wortlaut des § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO wird deutlich, dass die Durchsuchung beim Dritten nur „zur Beschlagnahme“ bestimmter Gegenstände zulässig ist. Entscheidend für die Zulässigkeit der Durchsuchung ist somit die grundsätzliche Beschlagnahmefähigkeit der gesuchten Gegenstände. Ist hingegen von vornherein anzunehmen, dass ausschließlich beschlagnahmefreie Beweismittel aufgefunden werden, ist die Ermittlungsdurchsuchung unzulässig (BGH, Beschl. v. 13.08.1973 - StB 34/73 - NJW 1973, 2035; KG Berlin, Beschl. v. 17.03.1983 - ER 9/83 - JR 1983, 382; Hegmann in: BeckOK, § 103 StPO Rn. 9).
Nun ließe sich argumentieren, dass eine solche Konstellation vor der Stellung eines Herausgabeverlangens nicht gegeben ist. Denn aus Sicht von Staatsanwaltschaft und Gericht liegen – mangels Einbindung der betroffenen Behörde – zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Durchsuchung möglicherweise keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Bekanntwerden des Inhalts der angeforderten Dokumente dem Staatswohl Nachteile bereiten würde. Wie im Rahmen von Durchsuchungen bei Zeugnisverweigerungsberechtigten i.S.d. §§ 52, 53 StPO ließe sich folglich die Durchsuchung sowie die Durchsicht und vorläufige Sicherung von Unterlagen zum Zwecke der Prüfung ihrer Beschlagnahmefähigkeit für zulässig erachten (Bruns in: Karlsruher Komm., § 103 StPO Rn. 7; Hegmann in: BeckOK, § 103 StPO Rn 9). Der Behörde könnte auch im Anschluss Gelegenheit zur Prüfung gewährt werden, ob eine Sperrerklärung abgegeben werden soll (so Kramer, NJW 1984, 1502, 1506).
Dies würde jedoch den Regelungsgehalt von § 96 Satz 1 StPO in gleich zweifacher Hinsicht verkennen. Zum einen weist die Vorschrift die Einschätzungsprärogative darüber, ob ein übergeordnetes Geheimhaltungsinteresse an den betroffenen Akten besteht, unmissverständlich der jeweiligen obersten Dienstbehörde zu. Auf den Umstand, ob Staatsanwaltschaft bzw. Gericht ein solches für wahrscheinlich, unwahrscheinlich oder abwegig halten, kommt es somit nicht an. Dies kommt nicht zuletzt auch darin zum Ausdruck, dass eine wirksam abgegebene Sperrerklärung im Sinne von § 96 StPO für das Gericht bindend ist (BGH, Urt. v. 16.04.1985 - 5 StR 718/84 - BGHSt 33, 178, 179). Zum anderen besteht ein entscheidender Unterschied zwischen dem Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 StPO und der Sperrerklärung nach § 96 StPO. Denn § 97 StPO will das Einfließen von Informationen aus besonders geschützten Vertrauensverhältnissen in das Strafverfahren verhindern. Dagegen soll § 96 StPO bereits das „Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke“ unterbinden, wenn dies dem Wohl des Bundes oder Landes Nachteile bereiten würde. Würde man den § 96 StPO nur bei der Frage der Aus- bzw. Verwertung berücksichtigen, so würde dies verkennen, dass Auswertungs- und Geheimhaltungsinteresse zweierlei sind (so aber Kramer, NJW 1984, 1502, 1506). Denn während sich die Auswertung auf die zielgerichtete Nutzung der Informationen mit Blick auf das Strafverfahren bezieht, ist das Geheimhaltungsinteresse auch bereits dann verletzt, wenn die Informationen schlicht, sei es auch nur zufällig und in nicht weiter den Verfahrensgang beeinflussender Weise, bekanntwerden. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass sich § 96 Satz 1 StPO dem Wortlaut nach schon auf die „Vorlegung oder Auslieferung“ bezieht und nicht erst auf die Beschlagnahme. Daher besteht auch schon bei der Mitnahme zur Durchsicht bzw. einer vorläufigen Sicherstellung die Gefahr der Geheimnislüftung.
Kann aber nur eine dem Zugriff der Ermittlungsbehörden auf die Akten vorgelagerte Prüfung der Abgabe einer Sperrerklärung die Geheimhaltungsinteressen sicher wahren, so ist der Behörde diese Möglichkeit zu gewähren. Dies lässt sich nur durch ein vorheriges Herausgabeverlangen umsetzen.
b) Eine solche „privilegierte“ Behandlung behördlicher Akten und Räumlichkeiten steht auch im Einklang mit dem ausdifferenzierten System der Amtshilfe. Bei genauer Betrachtung ist die vermeintliche Privilegierung nichts weiter als das Resultat des deutlich weitergehenden Umfangs behördlicher strafprozessualer Mitwirkungspflichten gegenüber denen von Privaten. Anders als letztere, die erst einfach-gesetzlich über § 95 StPO zur Herausgabe von in ihrem Gewahrsam befindlichen Gegenständen verpflichtet sind, unterliegen Behörden der verfassungsrechtlich in Art. 35 Abs. 1 GG verankerten Pflicht zur Amtshilfe. Wie die Kammer zutreffend ausführt, sind Behörden daher auch ohne Beschlagnahmeanordnung verpflichtet, Akten und sonstige in amtlicher Verwahrung befindliche Schriftstücke oder Dateien auf Verlangen herauszugeben, sofern nicht die Voraussetzungen einer Sperrerklärung vorliegen (Rn. 54).
c) Es ist nicht abzusprechen, dass die gesetzlichen Regelungen Spiegel eines normierten Vertrauensvorschusses gegenüber behördlichen Einrichtungen sind (die Kammer spricht in diesem Zusammenhang von einem „faktisch anerkannten Behördenprivileg“, Rn. 54). Grundlage dieses institutionalisierten Vertrauens bildet die verfassungsrechtliche Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG. Die Regelung des § 96 StPO entspringt dem Grundgedanken, dass die Behörde, die keine Sperrerklärung abgegeben hat, pflichtgemäß dem Herausgabeverlangen nachkommt (BGH, Beschl. v. 18.03.1992 - 1 BGs 90/92 - NJW 1992, 1973, 1974; OLG Jena, Beschl. v. 20.11.2000 - 1 Ws 313/00 - NJW 2001, 1290, 1291). Auch an anderen Stellen bringt der Gesetzgeber ein solches Grundvertrauen gegenüber Behörden zum Ausdruck. So sehen die §§ 98 Abs. 4, 105 Abs. 3 StPO für Beschlagnahmen und Durchsuchungen in Dienstgebäuden der Bundeswehr vor, dass die vorgesetzte Dienststelle um die Durchführung ersucht wird. Auch wenn Hintergrund der Regelung die besonderen Verhältnisse in Einrichtungen der Bundeswehr sind (vgl. etwa Menges in: LR, § 98 StPO Rn. 25) und insofern keine Rückschlüsse auf andere Behörden gezogen werden können (LG Marburg, Beschl. v. 24.05.1978 - Qs 146/78 - NJW 1978, 2306, 2307), belegt die Regelung die gesetzgeberische Wertung, den nach § 103 StPO durchsuchten Behörden Vertrauen entgegenzubringen. Anders wäre nicht erklärlich, dass sogar die Durchführung der Durchsuchung auf die jeweilige Dienststelle übertragen wird.
d) An diesem Umstand wird – durchaus berechtigte – Kritik geübt. So manches den jeweiligen Entscheidungen zugrunde liegende Verhalten, mitunter sogar der Behördenleitung selbst, lässt Zweifel an der Integrität der beteiligten Behördenmitarbeiter aufkommen (so gab es im Fall OLG Jena, Beschl. v. 20.11.2000 - 1 Ws 313/00 - NJW 2001, 1290 offenbar zunächst eine Erklärung der Staatskanzlei, es seien keine Unterlagen der gesuchten Art vorhanden, wenig später wurden mehrere Leitz-Ordner mit potentiell beweiserheblichem Material gefunden, daraufhin wurden die Beamten der Staatskanzlei unter Hinweis auf eine noch abzugebende Sperrerklärung der Räumlichkeiten verwiesen, im Anschluss wurde die Sperrerklärung zunächst abgegeben und auf Gegenvorstellung des Gerichts sodann wieder aufgehoben). Das LG Darmstadt fühlte sich gar zu der Bewertung verleitet, es sei „illusorisch zu glauben, ersuchte Behörden würden einem Herausgabeverlangen der Strafverfolgungsorgane stets nachkommen. In der Rechtswirklichkeit besteh[e] mitunter eine eher gegenteilige Tendenz, zumal wenn eine strafrechtliche Verstrickung von Behördenangehörigen zu befürchten [sei]“ (LG Darmstadt, Beschl. v. 07.10.1988 - 9 Qs 691/88 - NStZ 1989, 86, 86 f.). Solche sich auf Einzelvorgänge stützende „kriminalistische Erfahrungen“ werden in anderen Kontexten zu Recht von der Verteidigung kritisiert. Es handelt sich um nicht mehr als um eine zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 13 GG untaugliche, bloße Vermutung (BVerfG, Urt. v. 02.03.2006 - BVerfGE 115, 166, 197; OLG Jena, Beschl. v. 20.11.2000 - 1 Ws 313/00 - NJW 2001, 1290, 1291). Darüber hinaus lässt die Auffassung außer Acht, dass die Sperrerklärung von der obersten Dienstbehörde, also in der Regel auf Ministerialebene, erklärt werden muss und somit nicht die in Verdacht geratenen Personen selbst eingebunden werden. Zu verlangen ist daher, die Bestrebungen darauf zu richten, im jeweiligen Fall eine Handhabung zu gewährleisten, bei der die betroffenen Behördenangehörigen keine Kenntnis von der staatsanwaltschaftlichen Anfrage erlangen.
3. Um die Behörde in die Lage zu versetzen, über die Initiierung einer Sperrerklärung zu befinden, erachtet die Kammer ein schriftliches und begründetes Herausgabeverlangen für erforderlich (Rn. 54; so auch schon LG Osnabrück, Beschl. v. 09.02.2022 - 12 Qs 32/21 Rn 42 ff.; Gazeas, StV 2022, 507, 508; Wegener, wistra 2022, 350, 351). Dem ist zuzustimmen. Die erforderliche Abwägung ist der Behörde nur möglich, wenn die Gründe für das Herausgabeverlangen umfassend bekannt sind (LG Osnabrück, Beschl. v. 09.02.2022 - 12 Qs 32/21 Rn 44).
4. Naturgemäß können die vorstehenden Grundsätze nicht uneingeschränkt gelten. Wie die Kammer zutreffend ausführt, kann ein vorangehendes Herausgabeverlangen ausnahmsweise entbehrlich sein, etwa wenn eine Ablehnung sicher zu erwarten oder eine Vernichtung von Beweismitteln zu befürchten ist (Rn. 55). Dies komme insbesondere dann in Betracht, wenn Angehörige der betreffenden Behörde selbst als Teilnehmer einer mit den Ermittlungen im Zusammenhang stehenden Straftat verdächtig sind (Rn. 55; so auch bereits OLG Jena, Beschl. v. 20.11.2000 - 1 Ws 313/00 - NJW 2001, 1290, 1292; Gärditz, VerfBlog v. 18.09.2021). Aber auch in diesen Fällen kann eine entsprechende Verdunkelungsgefahr nur angenommen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen ein Verhalten den Verdacht begründet, Mitarbeiter würden auf Beweisvereitelung abzielende Handlungen vornehmen (Rn. 61). Im vorliegenden Fall sah sich die Kammer nicht überzeugt, dass die Staatsanwaltschaft nach dem Stand der Ermittlungen die Beteiligung von Leitungspersonal der (lediglich rechtsaufsichtsführenden) Ministerialverwaltung an Straftaten konkret für möglich erachtet hatte. Angesichts der vollumfänglichen Kooperation selbst der FIU-Mitarbeiter konnte die Kammer nicht erkennen, warum dies beim BMF nun anders sein sollte.
Auswirkungen für die Praxis
I. Die Entscheidung des LG Osnabrück stellt eindrücklich unter Beweis, was eine ernstgemeinte Prüfung der Voraussetzungen strafprozessualer Zwangsmaßnahmen leisten kann. Ihre Bedeutung ist insbesondere aufgrund der politischen Folgen der Durchsuchungen für den Bundestagswahlkampf 2021 nicht zu unterschätzen. Sie schafft begrüßenswerte Klarheit bezüglich der Anforderungen an Durchsuchungen behördlicher Räume. Angesichts der in der Praxis aber eher untergeordneten Rolle von Durchsuchungen in Behördengebäuden dürfte die Stärke der Entscheidung vornehmlich in den aus ihr für die Durchsuchungen von Unternehmen abzuleitenden Grundsätzen liegen:
Die Entscheidung der Kammer richtet dankenswerterweise den Fokus auf die vielfach vergessen scheinende Möglichkeit des staatsanwaltschaftlichen Herausgabeverlangens als milderes Mittel zur weithin öffentlich sichtbaren Durchsuchungsmaßnahme. Zwar genießen privatwirtschaftliche Unternehmen kein Behördenprivileg. Dafür unterfallen sie aber dem Grundrechtsschutz. Strafprozessuale Maßnahmen sind daher streng am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen. Ist nicht aufgrund konkreter Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Geschäftsleitung in strafbare Aktivitäten verstrickt ist, so ist vor Beantragung und Vollstreckung eines Durchsuchungsbeschlusses nach § 103 StPO die Kommunikation mit dem Unternehmen als milderes Mittel vordringlich in Betracht zu ziehen (so auch jüngst BGH, Beschl. v. 18.11.2021 - StB 6/21, StB 7/21 - NStZ 2022, 306, 307). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Durchsuchung in der öffentlichen Wahrnehmung typischerweise als Anzeichen dafür gewertet wird, dass sich das Unternehmen nicht gesetzesmäßig verhalten hat (BayVerfGH, Entsch. v. 07.02.2006 - Vf. 69-VI-04 - NVwZ 2006, 1284, 1286; Schefer, NStZ-RR 2022, 148, 149).
Aus Perspektive der Unternehmensverteidigung verdeutlicht die Entscheidung im Umkehrschluss einmal mehr die Bedeutung vertrauensbildender Kommunikation gegenüber der Staatsanwaltschaft. Die glaubhafte Signalisierung zügiger Herausgabe- und Kooperationsbereitschaft führt dazu, dass schon das Erscheinen von Ermittlungsbeamten beim Herausgabepflichtigen eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung seiner Rechte bedeuten würde (Bittmann, NStZ 2001, 231, 232). Sie ist daher der effektivste Weg, Reputationsschäden vom Unternehmen fernzuhalten, das ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten ist.
II. Höchst instruktiv für die Verteidigung sind daneben auch die Ausführungen der Kammer zu den Auswirkungen unvollständig geführter bzw. vorgelegter Akten. Gerade im Ermittlungsverfahren vor Abschluss der Ermittlungen ist der Verteidigung angesichts der nicht anfechtbaren Möglichkeit der Akteneinsichtsversagung bzw. -beschränkung (§ 147 Abs. 2 Satz 1 StPO) eine Disziplinierung der Staatsanwaltschaft zur gewissenhaften Aktenführung häufig erschwert. Führt die nachlässige Aktenführung mit der Entscheidung der Kammer jedoch dazu, dass dem Ermittlungsrichter nicht alle entscheidungserheblichen Informationen für seine Entscheidung vorliegen, so ist die von ihm geforderte eigenständige Prüfung nicht gewährleistet. Auf diesem Wege gewinnt der Grundsatz der Aktenwahrheit und -vollständigkeit bereits im Ermittlungsverfahren eine herausgehobene – und durchsetzbare (!) – Bedeutung.
III. Schließlich betont die vorliegende Entscheidung in begrüßenswerter Deutlichkeit die begrenzende Funktion des Durchsuchungsbeschlusses. Indem sie die detaillierte Aufzählung verschiedenster Beweismittel als Aushöhlung der von § 103 Satz 1 StPO geforderten Benennung „bestimmter“ Gegenstände entlarvt, zeigt sie, dass „mehr nicht immer mehr“ ist. Vielmehr sind Ermittlungsmaßnahmen stets am jeweiligen Regelungszweck der ihnen zugrunde liegenden Vorschriften zu messen. Erforderlich ist daher eine Konkretisierung der gesuchten Beweismittel, sodass diesbezüglich weder bei dem Betroffenen noch bei den Ermittlungsbeamten Zweifel entstehen können. Auch wenn eine umfangreiche Auflistung einer Vielzahl potenzieller Beweismittel der Gattung nach diesem Erfordernis auf dem Papier nachzukommen scheint, so bliebe die Bestimmung der Kriterien für die Durchsuchung letztlich dem Ermessen der Durchsuchungsbeamten überlassen.
Es ist das besondere Verdienst der vorliegenden Entscheidung – so ernüchternd diese Feststellung auch ist –, in einer öffentlichkeitswirksamen Angelegenheit die rechtlichen Voraussetzungen der strafprozessualen Zwangsmaßnahme der Durchsuchung beim Dritten sauber subsumiert und hierbei dem Schulterschluss mit Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichter widerstanden zu haben.