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Anmerkung zu:LG Potsdam 14. Zivilkammer, Beschluss vom 28.09.2022 - 14 T 62/22
Autor:Dr. Friedrich L. Cranshaw, RA
Erscheinungsdatum:20.12.2022
Quelle:juris Logo
Normen:§ 10 ZVG, § 30g ZVG, § 30e ZVG, § 8 ZVG, § 793 ZPO, § 38 InsO, § 39 InsO, § 49 InsO, § 1 ZVG, § 27 ZVG, § 165 InsO, § 270 InsO, § 282 InsO, § 52 ZVG, § 91 ZVG, § 1168 BGB, § 172 ZVG, § 174a ZVG, § 765a ZPO, § 89 InsO, § 36 InsO, § 9 ZVG, § 80 InsO, § 1197 BGB, § 35 InsO, EUV 2020/1784, EUV 2015/848, EUV 1215/2012
Fundstelle:jurisPR-HaGesR 12/2022 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Jörn-Christian Schulze, RA und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht
Zitiervorschlag:Cranshaw, jurisPR-HaGesR 12/2022 Anm. 1 Zitiervorschlag

Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts gegen Rechtsbehelfe in Zwangsversteigerungssachen in der Insolvenz des Vollstreckungsschuldners



Orientierungssatz zur Anmerkung

Auch in der Insolvenz des Vollstreckungsschuldners ist das Amtsgericht/Vollstreckungsgericht (Versteigerungsgericht) für alle Rechtsbehelfe bzw. Anträge von Insolvenzverwalter (einschließlich der Fälle der Verwalterversteigerung nach § 165 InsO) und Schuldner ausschließlich zuständig, nicht das Insolvenzgericht.



A.
Problemstellung
I. 1. Die sachliche Zuständigkeit ist nicht ganz selten zwischen dem Amtsgericht als Vollstreckungsgericht (u.a. im Rahmen der Immobiliarvollstreckung nach dem ZVG) und dem Amtsgericht als Insolvenzgericht streitig.
2. Dabei besteht keineswegs eine identische örtliche Zuständigkeit.
a) Beispiele (nationaler und internationaler Bezug, Exkurs): Eröffnet beispielsweise das zuständige AG Berlin-Charlottenburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der X.-AG, zu deren Vermögen Grundbesitz (Hotelgrundstück mit Hotelbetrieb) in Garmisch-Partenkirchen gehört und betreibt die die Refinanzierung der Immobilie darstellende Y-Bank mit Sitz oder Filiale in München, Zürich oder an irgendeinem anderen Ort aufgrund eines dinglichen Duldungstitels (Rangklasse 4 des § 10 Abs. 1 ZVG) die Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung dieses Hotelgrundstücks, so ist das AG Weilheim in Oberbayern zuständiges Versteigerungsgericht (vgl. § 52 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 GZVJu Bayern, BayRS 300-3-1-J).
b) Internationaler Bezug (beliebiges Beispiel): Wäre die X-AG eine international agierende niederländische NV und wäre das Hauptinsolvenzverfahren nach Maßgabe des Art. 3 EuInsVO in den Niederlanden (oder einem anderen Mitgliedstaat der EU ohne Dänemark) eröffnet worden, würde sich die Kompetenz des niederländischen Verwalters nach Art. 21 EuInsVO und damit nach der lex fori concursus richten. § 165 InsO wäre nur heranzuziehen, wenn die lex fori concursus, also das niederländische Recht das erlaubt. In einem solchen Fall wäre andernfalls ein Sekundärinsolvenzverfahren in Deutschland zu erwägen (Art. 34, 3 Abs. 2 EuInsVO; ein Hotelbetrieb ist Niederlassung im Sinne der Voraussetzung der Eröffnung eines Sekundärverfahrens nach Art. 2 Nr. 10 EuInsVO). Die Gläubigerbank benötigt kein Sekundärverfahren, aber sie muss für die Versteigerung oder Zwangsverwaltung (bei einem Hotelbetrieb nicht unkritisch) ihren Duldungstitel in den Niederlanden zustellen lassen (nach der durch die VO 2020/1784/EU novellierten EuZuStVO, in Kraft ab 01.07.2022). Zuständig für die Versteigerung ist unverändert und ausschließlich das AG Weilheim (Folge aus Art. 8 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a EuInsVO 2015). Die Vollstreckung erfolgt autonom nach der ZPO, Art. 24 Nr. 5 Brüssel Ia-VO spielt keine Rolle (vgl. Nordmeier in: Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl. 2022, Art. 24 EuGVVO Rn. 17 ff., 17, 22).
3. Es gibt zwei wesentliche Schnittstellen zwischen Vollstreckungsgericht und Insolvenzgericht. Die eine markiert § 89 Abs. 3 InsO, der dem Insolvenzgericht die Entscheidung über Einwendungen gegen die Individualvollstreckung während des Vollstreckungsverbots des § 89 Abs. 1 InsO zuweist. Nach § 36 Abs. 4 InsO entscheidet das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht den Streit der Beteiligten darüber, ob ein Vermögensgegenstand massezugehörig oder unpfändbar i.S.d. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO ist oder nicht. Zum Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG besteht eine Schnittstelle zwischen § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG (Vollstreckungssperre, für die das Amtsgericht/Restrukturierungsgericht sachlich zuständig ist) und der Zahlungsauflage nach § 30g ZVG zulasten des Schuldners in der Zuständigkeit des Versteigerungsgerichts (Parallelvorschrift zur Zahlungsauflage nach § 30e ZVG zulasten der Insolvenzmasse gegen die einstweilige Einstellung des Versteigerungsverfahrens auf Antrag des Insolvenzverwalters unter den dortigen weiteren Voraussetzungen).
II. Vorliegend hatte das LG Potsdam in der Sache im Ergebnis darüber zu entscheiden, welches Amtsgericht (Vollstreckungsgericht oder Insolvenzgericht) sachlich für die Entscheidung über den Antrag des Schuldners, die Zwangsversteigerung der Masse zugehörigen Grundbesitzes einzustellen, zuständig sei.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. 1. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners D.K., einer natürlichen Person, durch das AG Potsdam/Insolvenzgericht hat das AG Luckenwalde/Brandenburg als Vollstreckungsgericht am 05.01.2022 die Zwangsversteigerung des Grundstücks des Schuldners, eingetragen im Grundbuch von Luckenwalde von N., auf Antrag des Insolvenzverwalters (vgl. § 165 InsO, §§ 172 ff. ZVG) angeordnet und den Beschluss dem Schuldner am 13.01.2022 zugestellt (vgl. § 8 ZVG). Unter dem 14.02.2022 beantragte der Schuldner die sofortige Einstellung des Verfahrens und erteilte dem AG Luckenwalde eine „Formalrüge wegen begangener Verfahrensfehler“. Der Insolvenzverwalter beantragte die Zurückweisung des Schuldnerantrags mit dem Argument, er sei zur Versteigerung nach § 165 InsO berechtigt, die „durch den Verzicht des vormaligen Gläubigers begründete Eigentümergrundschuld zu verwerten“.
2. Das AG Luckenwalde legte dem AG Potsdam/Insolvenzgericht zur Prüfung dessen Zuständigkeit für die Entscheidung über den Antrag des Schuldners nach § 89 Abs. 1 Satz 3 InsO vor. Das AG Potsdam hat den Beschluss des AG Luckenwalde mit Beschluss vom 03.03.2022 aufgehoben; der Beschluss des AG Luckenwalde sei aufgrund Zuständigkeit des AG Potsdam als Insolvenzgericht fehlerhaft. Dagegen richtete sich die Beschwerde des Insolvenzverwalters; er beantragte festzustellen, der Beschluss des AG Potsdam sei „ohne Wirkung“, hilfsweise den Beschluss des AG Potsdam aufzuheben. Das AG Potsdam half der Beschwerde nicht ab, sondern legte dem LG Potsdam vor.
II. Das LG Potsdam hat den Beschluss des AG Potsdam aufgehoben.
1. Die sofortige Beschwerde sei nach § 793 ZPO; § 95 ZVG i.V.m. § 89 InsO zulässig.
2. Sie sei auch erfolgreich, denn das AG Potsdam sei für die Aufhebung des Anordnungsbeschlusses des AG Luckenwalde sachlich nicht zuständig gewesen, zudem sei auch nicht die Aufhebung des Beschlusses beantragt worden. Es gebe keinen Anhaltspunkt für eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach § 89 Abs. 3 InsO. Weder handle es sich vorliegend um die Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger i.S.d. §§ 38, 39 InsO i.V.m. § 89 Abs. 1 InsO noch um eine Vollstreckung in künftige Forderungen des Schuldners i.S.d. § 89 Abs. 2 InsO. Grundlage der Zwangsversteigerung sei § 165 InsO, die „konkurrierende Zwangsverwertungsbefugnis“ des Insolvenzverwalters, § 172 ZVG i.V.m. § 1 ZVG, weise die Zuständigkeit für die „Insolvenzverwalterversteigerung“ dem Vollstreckungsgericht zu, in dessen Bezirk das zu verwertende Grundstück belegen sei, hier das AG Luckenwalde.
3. Der Insolvenzverwalter sei Antragsteller des Verfahrens, der als betreibender Gläubiger gelte, zudem habe er die Position des Schuldners im Verfahren inne. Der Schuldner selbst sei kein Beteiligter dieses Verfahrens, ausgenommen in den Fällen der Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO; hier sei er auch Beteiligter i.S.d. § 9 Nr. 2 ZVG. Zum Feststellungsantrag des Insolvenzverwalters, der erfolglos war, so dass sein Hilfsantrag erfolgreich war, meinte die Kammer, zwar könnten fehlerhafte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen „bei schwerer und offenkundiger Fehlerhaftigkeit“ nichtig bzw. wirkungslos sein; hier gehe es aber um einen Verfahrensfehler des AG Potsdam als sachlich unzuständiges Gericht, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben sei.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Das Ergebnis ist letztlich die Bestätigung der sachlichen Zuständigkeit des AG Luckenwalde, wobei sich die Frage stellt, wieso angesichts der klaren gesetzlichen Abgrenzungen zwischen Insolvenzgericht und Versteigerungsgericht überhaupt die ernsthaften Zweifel der beteiligten Amtsgerichte an den sachlichen Zuständigkeiten auftreten konnten. Das LG Potsdam hat seine Begründung hier auch zutreffend ganz kurz gehalten. Es hätte auch den Beschluss des AG Potsdam für nichtig ansehen können, die Aufhebung macht es aber dem AG Luckenwalde letztlich leichter, in der Sache zu entscheiden. Übrigens zeigt auch § 49 InsO i.V.m. § 165 InsO, § 172 ZVG, dass das Versteigerungsverfahren völlig getrennt vom Insolvenzverfahren abläuft, womit sich der Blick sofort auf die Zuständigkeitsregelung des § 1 ZVG richtet.
II. Der Sachverhalt birgt ein paar Fragestellungen, die immer wieder einmal in Versteigerungsverfahren, hier bei der Insolvenzverwalterversteigerung, auftreten mögen.
1. Das erste Thema ist hier die Funktion der Verwalterversteigerung nach den § 165 InsO, §§ 172 ff. ZVG. Es handelt sich um ein gesondertes eigenständiges Versteigerungsverfahren, nicht um eine Vollstreckungsversteigerung. Gegenseitiger Beitritt zwischen Verwalterversteigerung und Vollstreckungsversteigerung eines Gläubigers nach § 27 ZVG ist ausgeschlossen (vgl. Gojowczyk in: Stöber, ZVG, 22. Aufl. 2019, § 172 Rn. 42 ff.), eine Verfahrensverbindung zwischen Verwalterversteigerung und Vollstreckungsversteigerung scheidet ebenfalls aus. In der Eigenverwaltung steht dem Schuldner die Versteigerung nach § 165 InsO, §§ 172 ff. ZVG zu, Folge aus § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 282 InsO bezieht sich nur auf Mobilien (vgl. Kern in: MünchKomm InsO, 4. Aufl. 2020, § 280 Rn. 8; a.A. (§ 282 InsO sei anwendbar) Gojowczyk in: Stöber, ZVG, § 172 Rn. 41).
2. Das hier verfahrensgegenständliche Eigentümergrundpfandrecht hat mit der gesonderten Verwalterversteigerung nichts zu tun, § 1197 Abs. 1 BGB untersagt die Zwangsvollstreckung aus der Eigentümergrundschuld im wohlverstandenen Interesse u.a. der Grundpfandgläubiger, die ansonsten von dem Grundschuldschuldner und Eigentümer leicht benachteiligt werden könnten, indem er aus vorrangigem Eigentümergrundpfandrecht selbst die Versteigerung betreiben und die nachrangigen Gläubigerrechte zum Erlöschen bringen könnte (§ 52 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZVG).
3. Der Sachverhalt ist vorliegend ungenau. Der Verwalter betreibt hier offenbar die Versteigerung als Insolvenzverwalterversteigerung (vgl.o.). Ob er den Verzicht eines Gläubigers auf ein Fremdrecht, das zur Eigentümergrundschuld geworden ist, zur Vollstreckungsversteigerung nutzt, wird im Sachverhalt nicht transparent. Der Insolvenzverwalter könnte als Ausnahme von dem Grundsatz des § 1197 Abs. 1 BGB hier aber die Vollstreckungsversteigerung betreiben, da das bisherige Fremdrecht durch den Verzicht auf das Grundpfandrecht nach § 1168 BGB zum Gegenstand der Insolvenzmasse nach § 35 InsO wurde und § 1197 Abs. 1 BGB nach der ratio legis (vgl. o.) nicht gegen die Vollstreckungsversteigerung durch den Insolvenzverwalter schützt (vgl. Keller in: Stöber, ZVG, § 15 Rn. 77 ff.). Der Verwalter muss sich daher entscheiden, wie er vorgeht. In praxi wird er nach den §§ 172 ff. ZVG aufgrund der damit verbundenen Vorteile vorgehen (z.B. im Hinblick auf § 174a ZVG bei der Feststellung des geringsten Gebots, abhängig von dem Rang des der Masse zustehenden Eigentümergrundpfandrechts).
III. Das AG Luckenwalde wird den Antrag des Schuldners zurückweisen. Er ist nicht verfahrensbeteiligt und auch nicht antragsbefugt, Folge aus § 80 InsO, der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Eine Ausnahme stellen höchstpersönliche Einwendungen des Schuldners gegen die Zwangsversteigerung dar, die aus § 765a ZPO resultieren (vgl. BGH, Beschl. v. 18.12.2008 - V ZB 57/08 - ZInsO 2009, 254).


D.
Auswirkungen für die Praxis
I. Die Entscheidung des LG Potsdam, der zuzustimmen ist, richtet sich insbesondere an Vollstreckungs- und Insolvenzgerichte, die an die Schnittstellen ihrer sachlichen Zuständigkeiten erinnert werden. Verfahren nach dem ZVG sind den Vollstreckungsgerichten (Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung) zugewiesen, mit den §§ 89 und 36 InsO hat diese Materie nichts zu tun.
II. 1. Schuldner werden daran erinnert, dass sie im Allgemeinen, von den unter C II. genannten Ausnahmen abgesehen, keine Antragsbefugnis haben und auch nicht nach § 9 ZVG verfahrensbeteiligt sind, da die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über ihr Vermögen nach § 80 InsO während des Verfahrens auf den Insolvenzverwalter übergegangen ist. Der Verwalter führt eine Doppelrolle im Rahmen der Insolvenzverwalterversteigerung aus. Er ist Verwerter, aber auch Schuldner.
2. Anders in der Eigenverwaltung.
3. Fällt der Insolvenzbeschlag weg (z.B. wegen Freigabe des Grundbesitzes aus der Masse, auch in den Fällen der Erklärung des Verwalters nach § 35 Abs. 2 InsO, sofern Immobiliarvermögen zu den für die selbstständige berufliche Tätigkeit zugeordneten Vermögensgegenständen gehört; das werden zwar Ausnahmen sein, die aber freilich im Einzelfall in Frage kommen mögen), ist der Schuldner wieder Beteiligter und antragsbefugt. § 1197 Abs. 1 BGB ist wieder anzuwenden, wobei der Verwalter aber das massezugehörige Eigentümerrecht in den Fällen des § 35 Abs. 2 InsO nicht in die dortige Erklärung einbinden und „freigeben“ wird.
III. Verwalter und rechtliche Berater von Schuldnern werden ebenfalls die vom LG Potsdam in Erinnerung gerufenen Zusammenhänge beachten.



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