Anwaltliche Sorgfaltspflichten bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen über das beALeitsätze 1. Ein über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichtes elektronisches Dokument ist erst dann gemäß § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO wirksam bei dem zuständigen Gericht eingegangen, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert worden ist. 2. An die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA sind keine geringeren Anforderungen zu stellen als bei der Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax (hier: Übermittlung der Berufungsbegründung an falschen Empfänger). - A.
Problemstellung Mit den anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen über das besondere elektronische Anwaltspostfach musste sich der IV. Zivilsenat in einem Fall befassen, in dem als Adressat einer Berufungsbegründung versehentlich das Ausgangs- und nicht das zuständige Berufungsgericht angegeben worden war.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kläger legte gegen das am 30.06.2021 seinem Prozessbevollmächtigten zugestellte Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung ein. Nachdem die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 30.09.2021 verlängert worden war, übermittelte am 29.09.2021 der Klägervertreter die Berufungsbegründungsschrift über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) versehentlich an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Landgerichts. Am 11.10.2021 wurde von dort aus die Berufungsbegründung an das Berufungsgericht weitergeleitet. Der Kläger hat mit am 12.10.2021 beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und zur Begründung ausgeführt, die komplette Fristenkontrolle einschließlich der Ausgangskontrolle erfolge in seiner Einzelkanzlei ausschließlich durch ihn. Er habe hinsichtlich der Berufungsbegründung kontrolliert, ob und wann das Dokument übermittelt worden sei. Es sei ihm nicht aufgefallen, dass der falsche Empfänger angegeben worden sei, weil er geglaubt habe, den richtigen Empfänger angeklickt zu haben. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Der Eingang der Berufungsbegründung in der elektronischen Eingangseinrichtung des Landgerichts stelle nicht zugleich einen Eingang beim Berufungsgericht dar. Den Klägervertreter treffe ein dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden, weil er seinen Kontrollpflichten bezogen auf die Durchsicht des ihm übersandten Übermittlungsprotokolls nicht gerecht geworden sei, indem er es unterlassen habe zu überprüfen, ob der Schriftsatz an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme auch nicht ausnahmsweise deshalb in Betracht, weil das Verschulden nicht kausal für die Fristversäumung sei. Das Landgericht sei nur gehalten gewesen, den falsch adressierten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang weiterzuleiten. Mit Blick auf die am nächsten Tag ablaufende Frist zur Begründung des Rechtsmittels habe der Kläger nicht erwarten können, dass der Schriftsatz in dieser kurzen Zeitspanne an das Berufungsgericht weitergeleitet werde. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Recht die Berufung als unzulässig verworfen, weil es ohne Rechtsfehler die Frist zur Begründung des Rechtsmittels als versäumt erachtet und das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes nicht als ausreichend dargelegt angesehen hat. Bis zum Ablauf der bis zum 30.09.2021 verlängerten Frist ist keine Berufungsbegründung beim Berufungsgericht eingegangen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Frist nicht durch die Übersendung an das EGVP des Landgerichts gewahrt worden. Ein über das beA eingereichtes elektronisches Dokument ist erst dann gemäß § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO wirksam bei dem zuständigen Gericht eingegangen, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das EGVP gespeichert worden ist. Diese Voraussetzung ist mit der Übermittlung der Berufungsbegründung an das EGVP des Landgerichts nicht erfüllt. Denn hierbei handelt es sich nicht um die für den Empfang der Berufungsbegründung bestimmte Einrichtung des Berufungsgerichts nach § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO. Hieran ändert nichts, dass das Saarland sowohl für das Landgericht als auch für das Berufungsgericht als Intermediär die Dienste des Landesbetriebs Information und Technik Nordrhein-Westfalen in Anspruch nimmt. Denn Landgericht und Berufungsgericht unterhalten dort kein gemeinsames EGVP. Vielmehr ist durch die Einrichtung separater Posteingangsschnittstellen sichergestellt, dass der „Client“ eines Gerichts jeweils nur auf die an dieses Gericht adressierten Nachrichten zugreifen kann. Insbesondere führt die Beauftragung eines identischen Dienstleisters für den Betrieb der jeweiligen Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfächer nicht dazu, dass der Eingang in dem EGVP eines beliebigen anderen Gerichts die Anforderungen an einen wirksamen Zugang nach § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO auch für das Gericht erfüllt, in dessen EGVP das elektronisch übersandte Dokument eigentlich hätte eingehen müssen. Der Kläger war nicht ohne Verschulden i.S.v. § 233 Satz 1 ZPO verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten; er muss sich insoweit das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA entsprechen dabei denjenigen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Nutzung des beA ist es deshalb unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Aus diesem Grund umfassen die Kontrollpflichten auch die Überprüfung der nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO übermittelten automatisierten Bestätigung, ob die Rechtsmittelschrift an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Diese Sorgfaltsanforderungen hat der Rechtsanwalt selbst zu erfüllen, wenn er – wie hier – persönlich die Versendung der fristwahrenden Schriftsätze übernimmt. Gemessen hieran konnte das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass der Klägervertreter nicht ohne sein Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich, dass der Klägervertreter in der festen Überzeugung, die Übersendung an das richtige Gericht veranlasst zu haben, seine Überprüfung der automatisierten Bestätigung darauf beschränkt hat, ob der Sendevorgang als solcher erfolgreich war und wann die Übersendung erfolgt ist. Damit aber ist die Überprüfung, die sich nach dem zuvor Gesagten gerade auch darauf erstrecken muss, ob die Übermittlung an das richtige Gericht erfolgt ist, unvollständig geblieben. Keinen rechtlichen Bedenken begegnet schließlich die Annahme des Berufungsgerichts, es sei nicht auszuschließen, dass die Verletzung der Kontrollpflichten des Klägervertreters ursächlich für die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung war. Richtig ist insoweit der rechtliche Ansatzpunkt des Berufungsgerichts, dass eine Wiedereinsetzung schon dann nicht in Betracht kommt, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Versäumung der Frist auf dem festgestellten Verschulden beruht. Im Fall der irrtümlichen Übermittlung der Rechtsmittelbegründung an das erstinstanzliche Gericht wirkt sich ein Verschulden einer Partei oder ihres Verfahrensbevollmächtigten dann nicht mehr aus, wenn der die Rechtsmittelbegründung enthaltende Schriftsatz so zeitig eingeht, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann. Wenn das Berufungsgericht auf dieser Grundlage davon ausgeht, dass der Kläger für die nur einen Tag vor Fristablauf im EGVP eines unzuständigen Gerichts eingehende Rechtsmittelbegründung nicht habe erwarten können, das Landgericht werde den Schriftsatz rechtzeitig an das Berufungsgericht weiterleiten, lässt dies keine Rechtsfehler erkennen.
- C.
Kontext der Entscheidung Mittlerweile gefestigter Rechtsprechung entspricht es, dass die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA denjenigen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen (BGH, Beschl. v. 14.02.2022 - VIa ZB 6/21 Rn. 10). Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt wurde. Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (BGH, Beschl. v. 11.05.2021 - VIII ZB 9/20 Rn. 21, 22 m.w.N.). Ein über das beA eingereichtes elektronisches Dokument ist wirksam bei Gericht eingegangen, wenn es auf dem für dieses eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert worden ist. Ob es von dort aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte, ist demgegenüber unerheblich. Deshalb ist es unschädlich, wenn der für die Abholung von Nachrichten eingesetzte Rechner im internen Netzwerk des Gerichts das Dokument nicht herunterladen kann, sondern lediglich eine Fehlermeldung erhält. Dabei handelt es sich um einen dem Eingang nachgelagerten Fehler im internen Gerichtsbetrieb, der der Wirksamkeit und Rechtzeitigkeit des Eingangs nicht entgegensteht (BGH, Urt. v. 14.05.2020 - X ZR 119/18 Rn. 13, dazu: Schwenker, jurisPR-BGHZivilR 26/2020 Anm. 5).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die in § 130a Abs. 5 ZPO vorgesehene Eingangsbestätigung wird automatisch erstellt, wenn die Nachricht auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Mit dem Begriff „für den Empfang bestimmte Einrichtung des Gerichts“ ist der Server gemeint, den die Justiz zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs verwendet. Im Regelfall handelt es sich dabei um den zentralen Intermediär-Server des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP). Ist eine automatisierte Eingangsbestätigung vom Gericht übermittelt worden, so erscheint im Ordner „Gesendet“ in der Zeile unterhalb des Nachrichtentexts unter dem Punkt „Meldungstext“ der Eintrag „request executed“ und unter dem Punkt „Übermittlungsstatus“ die Meldung „erfolgreich“. Wird das rot umkreiste Lupensymbol angeklickt, erhält man die „vollständige Zustellantwort“, die ebenfalls das Zugangsdatum mit Uhrzeit enthält. Dieses Zugangsdatum ist das maßgebliche Kriterium, um den Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung vom Gericht nachzuweisen. Die Bundesrechtsanwaltskammer weist darauf hin, dass gesendete Nachrichten stets aus dem Ordner „Gesendet“ exportiert und im lokalen PC-System in der elektronischen Handakte abgespeichert oder ausgeduckt und in die Papierakte überführt werden sollten, sofern nicht die Dokumentation durch die verwendete Anwaltssoftware automatisch erfolgt. Beim Export wird eine *.zip-Datei angelegt, die unter anderem die Datei *_export.html enthält. In dieser sind u.a. das Zugangsdatum, der Vermerk „request executed“ und die vollständige Zustellantwort enthalten. Die Datei kann im Bedarfsfall dem Gericht zu Beweiszwecken vorgelegt werden.
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