News & Abstracts

Anmerkung zu:ArbG Berlin 24. Kammer, Urteil vom 25.05.2022 - 24 Ca 9864/21
Autor:Dr. Daniel Holler, RA
Erscheinungsdatum:25.01.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 307 BGB, § 366 BGB, § 12 EntgFG, § 13 BUrlG
Fundstelle:jurisPR-ArbR 4/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Holler, jurisPR-ArbR 4/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Tilgungsbestimmung und Ausschlussklausel - Abwege des ArbG Berlin (?)



Leitsätze

1. Soweit vertraglicher und gesetzlicher Urlaub gesondert geregelt sind, ist § 366 BGB auf die Frage, welcher Urlaubsanspruch mangels Tilgungsbestimmung zuerst erfüllt wird, anwendbar.
2. Soweit § 366 BGB anwendbar ist, erlischt zunächst der vertragliche Urlaub durch Erfüllung.
3. Eine arbeitsvertragliche Ausschlussklausel, die unvollständig unverzichtbare Ansprüche aus ihrem Anwendungsbereich ausklammert, ist wegen Intransparenz nach § 307 BGB unwirksam.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung der 24. Kammer des ArbG Berlin überschneidet sich nicht nur zeitlich mit zwei Entscheidungen des Neunten Senats des BAG, sondern die Kammer kommt bei ähnlich gelagerten Fallgestaltungen zu vollkommen anderen Ergebnissen als das BAG.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien stritten um Urlaubsabgeltung. Die Klägerin war bei der Beklagten kurzzeitig (vom 01.12.2020 bis zum 12.03.2021) beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthielt u.a. Folgendes:
„Der MA erhält kalenderjährlich einen gesetzlichen Urlaub von 20 Arbeitstagen und einen zusätzlichen vertraglichen Urlaub von fünf Arbeitstagen. Der vertragliche Urlaub wird anteilig, d.h. pro Monat ein Zwölftel, gewährt. Der vertragliche Urlaub verfällt, wenn dieser im Übertragungszeitraum z.B. wegen einer Arbeitsunfähigkeit des MA nicht genommen werden kann. Im Übrigen erfolgt eine etwaige Urlaubsabgeltung im Fall einer Beendigung des Anstellungsverhältnisses nur bis zur Höhe des gesetzlichen Urlaubsanspruchs.
[…]
1. Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit gegenüber dem Vertragspartner in Textform geltend gemacht und im Falle der Ablehnung oder dem Fristablauf durch den Vertragspartner innerhalb von weiteren drei Monaten eingeklagt werden. Hiervon unberührt bleiben Ansprüche, die auf Handlungen wegen Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen sowie Ansprüche wegen einer Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit sowie bei grobem Verschulden.
2. Die Ausschlussfrist gilt nicht für den Anspruch eines Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindestlohn. Über den Mindestlohn hinausgehende Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers unterliegen hingegen der vereinbarten Ausschlussfrist.“
Die Beklagte gewährte der Klägerin während des Beschäftigungsverhältnisses drei Tage Urlaub. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte die Klägerin erstmals am 14.04.2021 gegenüber der Beklagten mittels E-Mail einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung geltend. Mit Klage vom 30.09.2021 machte die Klägerin eine Urlaubsabgeltung dann gerichtlich geltend.
Die Klage hatte vor der 24. Kammer des ArbG Berlin Erfolg.
Nach Auffassung der Kammer sei während der Beschäftigung zunächst der vertragliche Mehrurlaub gewährt worden, so dass mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch der gesetzliche Urlaubsanspruch bestand, der abzugelten ist. Da die Beklagte keine Tilgungsbestimmung bei der Urlaubsgewährung getroffen habe, sei nach § 366 Abs. 2 BGB zunächst der vertragliche Urlaubsanspruch gewährt worden. Im Gegensatz zum gesetzlichen Urlaubsanspruch handle es sich bei vertraglichem Mehrurlaub um diejenige Schuld, die dem Arbeitnehmer weniger Sicherheit bietet, da § 13 BUrlG für den vertraglichen Mehrurlaub nicht gilt.
Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei auch nicht aufgrund der Ausschlussklausel erloschen. Nach Auffassung der Kammer ist die Ausschlussklausel unwirksam, da sie sich nur auf den gesetzlich unverzichtbaren Mindestlohnanspruch bezieht, nicht jedoch auf weitere unverzichtbare Ansprüche, wie die Entgeltfortzahlung (§ 12 EFZG) oder Urlaub (§ 13 BUrlG). Nach Auffassung der Kammer führt dieser Umstand zur Unwirksamkeit der Ausschlussklausel insgesamt.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung weicht sowohl hinsichtlich der Auslegung der Tilgungsbestimmung als auch hinsichtlich der Voraussetzungen einer zulässigen Ausschlussklausel von der aktuellen Rechtsprechungslinie des Neunten Senats ab (zur Tilgungsbestimmung BAG, Urt. v. 01.03.2022 - 9 AZR 353/21; zur Ausschlussklausel BAG, Urt. v. 24.05.2022 - 9 AZR 461/21). Ob das dem Umstand geschuldet ist, dass die Entscheidungen im zeitlich engen Zusammenhang (unabhängig voneinander) erfolgt sind, bleibt unklar. Die Begründung zur Berufungszulassung spricht zumindest dafür, dass die Kammer die neuste Rechtsprechung des BAG noch nicht „auf dem Schirm“ hatte.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist rechtskräftig, so dass diese erst einmal in der Welt bleibt. Für die (vorsichtige) Beratungs- und Gestaltungspraxis heißt es deshalb, die Arbeitsvertragsmuster ggf. in zweierlei Hinsicht nachzuschärfen: Die Urlaubsklausel ist um eine Tilgungsbestimmung zu erweitern, um so Klarheit über die vorrangige Erfüllung des gesetzlichen (oder vertraglichen) Urlaubsanspruchs zu schaffen.
Zum anderen ist die Ausschlussklausel dahingehend zu formulieren, dass sie sich nicht allein auf den unverzichtbaren Mindestlohnanspruch beschränkt, sondern sich auf alle (einschlägigen, BAG, Urt. v. 24.09.2019 - 9 AZR 273/18) unverzichtbaren Ansprüche bezieht.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!