juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH Kartellsenat, EUGH-Vorlage vom 11.02.2025 - KZR 74/23
Autor:Dr. David Ulrich, RA
Erscheinungsdatum:25.06.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 249 BGB, § 30 OWiG 1968, § 81 GWB, § 257 StGB, § 43 GmbHG, 12008E101
Fundstelle:jurisPR-VersR 6/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Schimikowski, RA
Zitiervorschlag:Ulrich, jurisPR-VersR 6/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Bußgeldregress bei Organmitgliedern - Auswirkungen des BGH-Vorlagebeschlusses auf die D&O-Versicherung



Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 101 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht Art. 101 AEUV einer Regelung im nationalen Recht entgegen, nach der eine juristische Person, gegen die eine nationale Wettbewerbsbehörde ein Bußgeld wegen eines durch ihr Leitungsorgan begangenen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV verhängt hat, den ihr dadurch entstandenen Schaden von dem Leitungsorgan ersetzt verlangen kann?



A.
Problemstellung
Verhängt das Bundeskartellamt oder eine andere Behörde ein Bußgeld gegen ein Unternehmen, ist bislang umstritten, ob das Unternehmen das Bußgeld bei den verantwortlichen Organmitgliedern regressieren darf (vgl. Lüttringhaus, 50 Jahre Juristische Fakultät Hannover, Verbandsgeldbußenregress gegen Geschäftsleiter – Zum Innenregress und zur Versicherbarkeit von Kartell-, DSGVO-, KI-VO- und NIS-2-Geldbußen, S. 207, 209 ff. m.w.N.). Der dem Bußgeld zugrunde liegende Sanktionsgedanke könnte einen Bußgeldregress nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ausschließen. Darüber hinaus ist umstritten, ob auch die Sachverhaltsaufklärungs- und Verteidigungskosten, die im Zusammenhang mit den behördlichen Ermittlungen anfallen, einen Organhaftungsanspruch begründen (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.07.2023 - 6 U 1/22 (Kart) - RuS 2023, 827, Rn. 177 ff. m.w.N.).
Sollte der Bußgeldregress zulässig sein, ist das verantwortliche Organ des Unternehmens (etwa der Aufsichtsrat) grundsätzlich verpflichtet, das Bußgeld und die Sachverhalts- sowie die Verteidigungskosten beim verantwortlichen Organmitglied zu regressieren (zur allgemeinen Organpflicht, Ansprüche des Unternehmens durchzusetzen: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 7 Rn. 69 m.w.N.; OLG Stuttgart, Urt. v. 08.07.2015 - 20 U 2/14 - AG 2016, 370, Rn. 232).
Während das OLG Düsseldorf jüngst einen Bußgeldregress ablehnte (OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.07.2023 - 6 U 1/22 (Kart) - RuS 2023, 827), nahm das LG Dortmund eine Regressierbarkeit an (LG Dortmund, Beschl. v. 21.06.2023 - 8 O 5/22 (Kart) - RuS 2023, 681).
Mit dem vorliegenden Beschluss deutete der BGH erstmals seine Rechtsaufassung an, stellte aber die abschließende Entscheidung bis zum Vorabentscheid des EuGH zurück.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das Bundeskartellamt verhängte gegen die Klägerin zu 1), eine GmbH, wegen eines Kartellverstoßes ein Bußgeld i.H.v. 4,1 Mio. Euro. Die Klägerin zu 2), ebenfalls Teil derselben Unternehmensgruppe, trug die Sachverhaltsaufklärungs- und Verteidigungskosten im Bußgeldverfahren in Höhe von ca. 1 Mio. Euro.
Der Beklagte beteiligte sich als Geschäftsführer der GmbH und als Vorstandsmitglied der AG an dem vom Bundeskartellamt sanktionierten Kartell.
Die Klägerinnen warfen dem Beklagten einen Verstoß gegen seine Organpflichten vor und klagten gegen diesen auf Erstattung des Unternehmensbußgelds und der Sachverhaltsaufklärungs- und Verteidigungskosten. Außerdem begehrten die Klägerinnen Feststellung, dass der Beklagte alle weiteren aus dem Kartell folgenden Schäden zu ersetzen habe.
Das LG Düsseldorf verneinte eine Regressierbarkeit des Bußgelds und der Sachverhaltsaufklärungs- und Verteidigungskosten. Dennoch stellte das LG Düsseldorf fest, dass der Beklagte die aus dem Kartellverstoß folgenden weiteren Schäden zu ersetzen habe.
Das OLG Düsseldorf verneinte ebenfalls einen Regress, weil ein Regress den Zweck des Kartellbußgelds vereiteln würde. Die Unternehmensgeldbuße diene gerade dazu, das Gesellschaftsvermögen nachhaltig zu belasten.
Gegen die Entscheidung des OLG Düsseldorf legten die Parteien Revision beim BGH ein.
Der Kartellsenat des BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Steht Art. 101 AEUV einer Regelung im nationalen Recht entgegen, nach der eine juristische Person, gegen die eine nationale Wettbewerbsbehörde ein Bußgeld wegen eines durch ihr Leitungsorgan begangenen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV verhängt hat, den ihr dadurch entstandenen Schaden von dem Leitungsorgan ersetzt verlangen kann?“
Das Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH ist notwendig, weil der BGH das Bußgeld als grundsätzlich nach § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG regressierbaren Schaden erachtet. Der BGH führt aus:
„Die Belastung des Vermögens der Gesellschaft mit einem solchen Bußgeld stellt einen Schaden i.S.d. § 43 Abs. 2 GmbHG, § 249 BGB dar“ (Rn. 11).
Zwar lässt der Kartellsenat offen, ob bereits das deutsche Sanktionsrecht eine teleologische Reduktion der Organhaftungsnormen erfordert. Jedoch deutet der BGH bereits an, dass nach seiner Auffassung das deutsche Sanktionsrecht keine teleologische Reduktion des Organhaftungsrechts erfordert. Vielmehr „begegnet [eine teleologische Reduktion aufgrund des deutschen Sanktionsrechts den nachfolgenden] Bedenken“ (Rn. 19):
Aus dem jeweiligen Wortlaut der nationalen Bußgeldnormen (§ 30 OWiG, § 81 GWB) folgt keine Einschränkung der Organhaftung (Rn. 22).
Darüber hinaus hat die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland „dem deutschen Sanktionenrecht bislang nicht entnommen“, dass der Bußgeldregress ausgeschlossen sei (Rn. 23). Hierzu hält der BGH fest: „Dem Strafanspruch ist durch Entrichtung der verhängten Geldstrafe Genüge getan“ (Rn. 24). Auch erkennt „das staatliche Sanktionenrecht […] zudem in der (freiwilligen) Entlastung des Täters von dem mit der verhängten Geldstrafe verbundenen Vermögensnachteil keine strafbare Begünstigung gemäß § 257 StGB“ (Rn. 25).
Außerdem stellen „die hier in Streit stehenden Regressansprüche weder die repressiv-ahndende noch die präventive Funktion der Verbandssanktion generell in Frage“ (Rn. 35). Zum einen dürfte ein Regress des gesamten Bußgelds bei dem verantwortlichen Organmitglied an der Solvenz des Organmitglieds und an der begrenzten Versicherungssumme einer dahinterstehenden D&O-Versicherung scheitern (Rn. 35). Zum anderen bezweckt auch der Bußgeldregress beim verantwortlichen Organmitglied die mit dem Bußgeld bezweckte Abschreckungswirkung (Rn. 35). Der BGH führt dazu aus: „aus der drohenden Inanspruchnahme wegen der Bußgeldsanktion [folgen] wichtige Anreize für ein gesetzestreues Verhalten und können damit auch mögliche Interessengegensätze zwischen der Gesellschaft und ihren Leitungspersonen im Hinblick auf das Marktverhalten des Unternehmens [vermeiden]. Die Möglichkeit des Rückgriffs stellt daher ein wichtiges gesellschaftsrechtliches Disziplinierungsinstrument dar“ (Rn. 35).
Des Weiteren „fällt ins Gewicht, dass der Gesetzgeber zu keinem Zeitpunkt der höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegengetreten ist, wonach Vorschriften des öffentlichen Sanktionenrechts der Durchsetzung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche gegenüber Dritten wegen des durch die verhängte Sanktion verursachten Vermögensschadens nicht entgegenstehen“ (Rn. 36).
Dennoch könnte Art. 101 AEUV eine teleologische Reduktion des nationalen Rechts bei Kartellbußgeldern gebieten, weil vorliegend das Bußgeld auf einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV beruht (Rn. 37). Sollte das Unionskartellrecht eine teleologische Reduktion erfordern, dürfte das Gebot der einheitlichen Auslegung auch einen Regress rein nationaler Kartellbußgelder ausschließen (Rn. 38).
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss das verhängte Bußgeld „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“ (Rn. 40). Diese geforderte Wirksamkeit des Bußgelds könnte durch einen Regress beim Organmitglied gefährdet sein. Unbeachtlich ist jedoch nach Auffassung des BGH, ob eine D&O-Versicherung mittelbar das Bußgeld abdeckt. „Denn die Eintrittspflicht der Versicherung hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab, unter anderem vom Grad des Verschuldens, das dem Leitungsorgan vorzuwerfen ist, und davon, ob nach den im Einzelfall vereinbarten Bedingungen Regressansprüche wegen Bußgeldschäden der Gesellschaft überhaupt vom Versicherungsschutz umfasst sind“ (Rn. 44).
Klar positioniert sich der BGH bei der Regressierbarkeit von Sachverhaltsaufklärungs- und Verteidigungskosten. „Da der Ersatz dieses Schadens [Sachverhaltsaufklärungs- und Verteidigungskosten] die Wirksamkeit des verhängten Bußgelds nicht beeinträchtigt, dürfte es an einer Grundlage für die Einschränkung des darauf gerichteten Schadensersatzanspruchs jedoch von vornherein fehlen.“ (Rn. 44).


C.
Kontext der Entscheidung
Der Kartellsenat des BGH scheut eine klare Feststellung, ob der Bußgeldregress nach nationalem Recht – ungeachtet des Unionsrechts – zulässig ist. Die fehlende Entscheidungsfreudigkeit des Kartellsenats dürfte darin begründet sein, dass grundsätzlich der II. Zivilsenat des BGH über die Organhaftung entscheidet.
Damit bleibt weiterhin – auch nach einer Entscheidung des Kartellsenats im Anschluss an die EuGH-Entscheidung – offen, ob der II. Zivilsenat der angedeuteten Auffassung des Kartellsenats folgt und einen Bußgeldregress zulässt.
Höchstrichterlich ist weiterhin die Frage ungeklärt, ob Haftpflichtversicherungsschutz gegen den Bußgeldregress zulässig ist. Einzelne Versicherungsbedingungen schließen den Versicherungsschutz bei einem Bußgeldregress ausdrücklich aus (vgl. Musterbedingungen des GDV in Ziffer A-7.10 AVB-D&O). Besteht kein solcher Risikoausschluss in den Versicherungsbedingungen, sprechen die besseren Argumente für die Versicherbarkeit eines solchen Regressanspruchs. Das LG Frankfurt stellt richtigerweise fest: „die Einordnung der Unternehmensbuße als ersatzfähiger Vermögensschaden im Sinne des Organhaftungsrechts [führt] dazu, dass die Buße im Haftpflichtverhältnis ihren Bußgeldcharakter verliert und sich zur ‚normalen‘ Vermögensschadenhaftpflicht des Organmitglieds wandelt.“ (LG Frankfurt, Urt. v. 20.01.2023 - 2-08 O 313/20; so auch: Armbrüster/Schilbach, RuS 2016, 109, 112 f., und Lüttringhaus in: 50 Jahre Juristische Fakultät Hannover, Verbandsgeldbusenregress gegen Geschäftsleiter – Zum Innenregress und zur Versicherbarkeit von Kartell-, DSGVO-, KI-VO- und NIS-2-Geldbußen, S. 225).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Obwohl der BGH noch nicht entschieden hat, ob Unternehmen ein (Kartell-)Bußgeld beim verantwortlichen Organmitglied regressieren können, haben die Ausführungen des BGH erhebliche Auswirkungen für die Praxis.
Der BGH geht grundsätzlich davon aus, dass Unternehmen erlittene Bußgelder nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG beim verantwortlichen Organmitglied regressieren können und dann – im Sinne der „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung – auch regressieren müssten (BGH, Urt. v. 21.04.1997 - II ZR 175/95 - NJW 1997, 1926, 1927 f.). Bis zur Entscheidung des EuGH sollten Unternehmen daher bereits jetzt den Regress von Bußgeldern sichern – insbesondere, wenn diese nicht aus Kartellverfahren herrühren (und somit die europarechtlichen Bedenken entfallen könnten).
Hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärungs- und Verteidigungskosten bejaht der BGH ungeachtet der Entscheidung des EuGH eine Regressierbarkeit. Konsequenterweise müssen somit Unternehmen bereits jetzt im Sinne der „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung Sachverhaltsaufklärungs- und Verteidigungskosten beim verantwortlichen Organmitglied regressieren.
Aufgrund der nun höchstrichterlich angedeuteten Haftungsgefahr rückt für Organmitglieder der D&O-Versicherungsschutz in den Vordergrund. Organmitglieder sollten dementsprechend aus Eigeninteresse und um den mittelbaren Bilanzschutz des Unternehmens zu ermöglichen, sicherstellen, dass die vorhandene D&O-Versicherung den Regress von Bußgeldern und von Sachverhaltsaufklärungs- und Verteidigungskosten abdeckt.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die Entscheidung zeigt auf, dass die D&O-Versicherer selten vollständig das gesamte Bußgeld übernehmen und damit die wirtschaftliche Last des Bußgelds tragen werden. Hierzu verweist der BGH neben der Versicherungssumme auch auf den Risikoausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung (Rn. 35, 2). Ob jedoch der Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung tatsächlich eine mittelbare Deckung des Bußgelds durch den D&O-Versicherer ausschließt, erscheint zweifelhaft. Meist wird neben dem wissentlich handelnden Organmitglied eine fahrlässige Pflichtverletzung eines weiteren Organmitglieds naheliegen. Dem fahrlässig handelnden Organ steht jedoch weiterhin der volle D&O-Versicherungsschutz zu (vgl. Lalani/Ulrich in: Gruber/Langheid, Rechtsfragen der Haftpflichtversicherung, 2024, S. 73, 87 ff.). Darüber hinaus ist stets zu prüfen, ob ein die Wissentlichkeit ausschließender Verbotsirrtum vorliegt (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.07.2023 - VI-6 U 1/22 (Kart) Rn. 106: vermeidbarer Verbotsirrtum stellt eine fahrlässige Pflichtverletzung dar).



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!