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Anmerkung zu:OLG Saarbrücken 3. Zivilsenat, Beschluss vom 01.10.2024 - 3 W 7/24
Autor:Dr. Benjamin Krenberger, Vors. RiLG
Erscheinungsdatum:16.07.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 91a ZPO, § 273 BGB, § 287 ZPO, § 119 VVG, § 93 ZPO
Fundstelle:jurisPR-VerkR 14/2025 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Krenberger, jurisPR-VerkR 14/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Fehlende Vorlage von Werkstattrechnungen und Klageanlass



Leitsatz

Ist ein Vorschaden während der Besitzzeit des Geschädigten eingetreten und verfügt dieser über entsprechende Werkstattrechnungen, aus denen der Vorschaden und dessen sach- und fachgerechte Behebung ohne weiteres nachvollzogen werden können, ist der Geschädigte eines Verkehrsunfalls nach § 119 Abs. 3 VVG dem gegnerischen Haftpflichtversicherer im Rahmen der Regulierung des Sachschadens nicht nur zur Auskunft bezüglich des Vorschadens, sondern auch zur Vorlage der entsprechenden Rechnungen verpflichtet. Kommt der Geschädigte dem nicht nach, fehlt es an einem Anlass zur Klageerhebung i.S.d. § 93 ZPO.



A.
Problemstellung
Das OLG Saarbrücken musste im Rahmen einer sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des Landgerichts prüfen, ob das Erstgericht zutreffend die Regelung des § 93 ZPO angewendet hat.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger hat erstinstanzlich den Zweitbeklagten als Fahrer sowie die Erstbeklagte als Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen. Bei dem Unfall wurde der Heckbereich des klägerischen Fahrzeugs beschädigt. Der Kläger holte zur Schadensermittlung ein Sachverständigengutachten ein. Die Zusammenfassung des Gutachtens enthält unter „Vorschäden“ den Eintrag „Heckschaden“. Der Sachverständige führte hierzu Folgendes aus: „Am Fahrzeug wurden Vorschäden festgestellt bzw. angegeben (siehe Zusammenfassung des Gutachtens). Die Instandsetzung der festgestellten Vorschäden erfolgte sach- und fachgerecht.“ Unter der Überschrift „Unreparierte Vorschäden“ findet sich der Eintrag: „Am Fahrzeug wurden keine unreparierten Vorschäden festgestellt.“
Nach Aufforderung zur Schadensregulierung verwies die Versicherung darauf, dass die eingereichten Unterlagen eine zuverlässige Ermittlung auch nur eines unfallbedingten Teilschadens nicht ermöglichten, da eine Überlagerung mehrerer Schadenereignisse nicht auszuschließen sei und eine sach- und fachgerechte Reparatur nicht dargelegt werde und stellte eine Erstattung von Reparaturkosten sowie entsprechender Folgekosten zunächst zurück. Kurz darauf teilte der Kläger mit, dass das Fahrzeug zwischenzeitlich instand gesetzt worden sei und forderte den Ausgleich der Reparaturkosten unter anderem. Die Versicherung leistete nur eine Teilzahlung. Mit der Klage forderte der Kläger den restlichen Schadensersatz. In seiner Replik auf den Klageabweisungsantrag ließ der Kläger daraufhin vortragen, sein Fahrzeug habe Ende 2016 einen Heckschaden erlitten, der durch eine Fachwerkstatt sach- und fachgerecht repariert worden sei. Er legte hierzu eine auf ihn ausgestellte Rechnung eines autorisierten Mercedes-Benz Servicebetriebs vom 08.02.2017 vor. Die Erstbeklagte regulierte unmittelbar darauf den Schaden des Klägers bis auf einen Teil der für die Beschädigung der Brille geltend gemachten Kosten. Die Parteien erklärten in der Folge den Rechtsstreit in Höhe des gezahlten Betrages übereinstimmend für erledigt.
Durch Urteil verurteilte das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung der Kosten für die beschädigte Brille und legte die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger zu 98% auf. Zur Begründung ihrer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO führte die Erstrichterin aus, in Anwendung der Rechtsgrundsätze des § 93 ZPO seien diese Kosten dem Kläger aufzuerlegen, weil der Kläger notwendige Angaben zur Darlegung des Schadens erst im Laufe des Rechtsstreits gemacht und die Beklagte die entsprechenden Schäden umgehend ausgeglichen habe.
Das OLG Saarbrücken hat die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die nach § 91a ZPO getroffene Kostenentscheidung des Landgerichts zurückgewiesen.
Die sofortige Beschwerde sei unbegründet. Zu Recht habe die Erstrichterin dem Kläger nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits auferlegt, soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Die Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung sei unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu treffen (§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es sei demnach vornehmlich darauf abzustellen, wer die Kosten hätte tragen müssen, wenn die Hauptsache nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden wäre. Trotz ursprünglicher Zulässigkeit und Begründetheit der Klage treffen den Kläger nach dem – auf der Billigkeitsebene zu berücksichtigenden – Rechtsgedanken des § 93 ZPO gleichwohl die Kosten, wenn der Beklagte keinen Anlass zur gerichtlichen Geltendmachung des Klageanspruchs gegeben habe.
Das ist hier der Fall. Es fehle regelmäßig an einem Anlass zur Klageerhebung, wenn es der bei einem Verkehrsunfall Geschädigte entgegen § 119 Abs. 3 VVG unterlasse, vom Versicherer berechtigterweise angeforderte Auskünfte zu erteilen oder Belege zur Verfügung zu stellen und der Versicherer seine Leistung aus diesem Grund verweigere. Mit Blick darauf, dass in dem vom Kläger eingeholten und an die Erstbeklagte übermittelten Schadensgutachten ausdrücklich auf einen Vorschaden im selben Schadensbereich („Heckbereich“) verwiesen und zugleich dessen sach- und fachgerechte Beseitigung behauptet worden sei, ohne dies zu erläutern oder durch Unterlagen zu stützen, sei die Erstbeklagte berechtigt gewesen, vom Kläger zunächst weitere Informationen und die Vorlage von Belegen hinsichtlich der Art des Vorschadens und seiner Behebung anzufordern. Dies habe die Erstbeklagte in hinreichender Weise getan. In einem Fall wie hier, in dem der Vorschaden während der Besitzzeit des Geschädigten eingetreten ist und der Geschädigte über entsprechende Werkstattrechnungen verfüge, aus denen der Vorschaden und dessen sach- und fachgerechte Behebung ohne Weiteres nachvollzogen werden können, sei der Geschädigte bezüglich eines solchen Vorschadens dem Versicherer des Unfallschädigers nach § 119 Abs. 3 VVG nicht nur zur Auskunft, sondern auch zur Vorlage der entsprechenden Rechnungen verpflichtet.
Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Kostenprivilegierung der Beklagten liegen vor. Denn die Erstbeklagte habe unstreitig den Anspruch des Klägers sofort nach Zustellung des Schriftsatzes erfüllt, in dem der Klägervertreter den Vorschaden erläutert und die entsprechende Werkstattrechnung vorgelegt hatte. Eines prozessualen Anerkenntnisses i.S.d. § 93 ZPO habe es insoweit nicht bedurft.


C.
Kontext der Entscheidung
Der erste Gedanke, der in dieser Beschwerdesituation erfolgen sollte, ist die Frage nach der Zulässigkeit einer isolierten Anfechtung des auf § 91a ZPO beruhenden Teils bei einer gemischten Kostenentscheidung. Dies kann jedoch im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH bejaht werden (Jaspersen in: BeckOK ZPO, § 91a Rn. 40; vgl. BGH, Urt. v. 18.11.1963 - VII ZR 182/62 - BGHZ 40, 265; BGH, Beschl. v. 29.07.2003 - VIII ZB 55/03; BGH, Beschl. v. 28.02.2007 - XII ZB 165/06).
Nach Klärung dieses Details geht es sodann um die Frage, inwieweit der Rechtsgedanke des § 93 ZPO in der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO Eingang finden kann. Denn die Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung wird nicht nach festen Strukturen, sondern nach billigem Ermessen getroffen. Wenn aber insoweit darauf abzustellen ist, wer die Kosten hätte tragen müssen, wenn die Hauptsache nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden wäre, kann trotz ursprünglicher Zulässigkeit und Begründetheit der Klage den Kläger nach dem – auf der Billigkeitsebene zu berücksichtigenden – Rechtsgedanken des § 93 ZPO (Jaspersen in: BeckOK ZPO, § 91a Rn. 31.2) gleichwohl die Kostenlast treffen, wenn der Beklagte keinen Anlass zur gerichtlichen Geltendmachung des Klageanspruchs gegeben hat (BGH, Beschl. v. 27.04.2021 - VIII ZB 44/20).
Für die Frage der Veranlassung zur Klageerhebung ist auf das Verhalten der Streitparteien vor dem Prozess abzustellen: Bietet die Anspruchssituation aus Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen? (vgl. BGH, Beschl. v. 27.04.2021 - VIII ZB 44/20; BGH, Beschl. v. 16.01.2020 - V ZB 93/18) Ein Anlass zur Klageerhebung fehlt hingegen in der Regel, wenn der Schuldner zu erkennen gibt, dass er die Leistung nur wegen eines Gegenanspruchs zurückhält und dieser Anspruch besteht (BGH, Beschl. v. 22.10.2015 - V ZB 93/13). Hält der Beklagte vorprozessual die gegnerische Forderung für teilweise oder insgesamt nicht schlüssig bzw. nicht nachvollziehbar, darf er nicht pauschal die Leistung verweigern, sondern hat deutlich zu machen, welche Angaben oder Unterlagen er benötigt (OLG Schleswig, Beschl. v. 30.05.2016 - 7 W 15/16 - NJW-RR 2016, 1536).
Nach diesen Grundsätzen fehlt es regelmäßig an einem Anlass zur Klageerhebung, wenn es der bei einem Verkehrsunfall Geschädigte entgegen § 119 Abs. 3 VVG unterlässt, vom Versicherer berechtigterweise angeforderte Auskünfte zu erteilen oder Belege zur Verfügung zu stellen und der Versicherer seine Leistung aus diesem Grund verweigert (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.12.2011 - 1 W 61/11; OLG Frankfurt, Beschl. v. 05.02.2020 - 22 W 4/20; OLG München, Urt. v. 08.07.2020 - 10 U 3947/19; OLG Stuttgart, Urt. v. 19.12.2023 - 12 U 17/23; OLG Stuttgart, Urt. v. 25.07.2024 - 2 U 26/23; Klimke in: Prölss/Martin, VVG, 32. Aufl., § 119 Rn. 19; Schneider in: MünchKomm VVG, 3. Aufl., § 119 Rn. 26; Freymann/Rüßmann in: jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB Rn. 302). Auf die Frage, ob § 119 Abs. 3 VVG ein echtes Zurückbehaltungsrecht i.S.d. § 273 BGB begründet (so etwa OLG Jena, Urt. v. 15.05.2012 - 4 U 661/11; OLG Stuttgart, Urt. v. 19.12.2023 - 12 U 17/23) oder lediglich eine Obliegenheit, deren Verletzung durch den Geschädigten bei wertender Betrachtung im Rahmen des § 93 ZPO sanktioniert wird (so OLG Stuttgart, Urt. v. 25.07.2024 - 2 U 26/23), kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
Die Pflicht zur Vorlage von Reparaturunterlagen gemäß § 119 Abs. 3 VVG ergibt sich hier zwanglos aus der Ersatzpflicht des Sachschadens i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG. Hier liegen Darlegungs- und Beweislast zunächst beim Kläger, und zwar auch dann, wenn Schädiger bzw. Haftpflichtversicherer den Umfang oder die Höhe des geltend gemachten Schadens mit der Behauptung bestreiten, es liege ein (unabtrennbarer) Vorschaden vor (BGH, Beschl. v. 15.10.2019 - VI ZR 377/18). Der Geschädigte muss dann darlegen und beweisen, welcher Schaden (abgrenzbar) auf das spätere Schadensereignis zurückzuführen ist. Das schließt je nach Lage des Falles die Notwendigkeit von Darlegungen dazu ein, dass und auf welche Weise ein Vorschaden beseitigt wurde. Sowohl die Darlegung als auch die Beweisführung werden dem Geschädigten im Prozess durch § 287 ZPO erleichtert (BGH, Beschl. v. 06.06.2023 - VI ZR 197/21). Danach genügt es für die Ersatzfähigkeit eines mit dem späteren Schadensereignis kompatiblen Schadens, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass dieser Schaden bereits durch das Vorschadensereignis entstanden ist (vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 03.05.2024 - 3 U 13/23; OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.03.2021 - 1 U 72/20). Hier hätte der Kläger daher schon vorprozessual die vorhandenen Reparaturunterlagen der Versicherung zur Verfügung stellen können und müssen.
Zur Anwendung des § 93 ZPO brauchte es hier schließlich keines konkreten prozessualen Anerkenntnisses. Denn der Rechtsgedanke des § 93 ZPO findet auch dann Anwendung, wenn der Beklagte die Klageforderung im Prozess sofort nach Behebung des Leistungshindernisses (hier: § 119 Abs. 3 VVG) erfüllt (vgl. BGH, Beschl. v. 27.04.2021 - VIII ZB 44/20) und so eine rechtzeitige abschließende Entscheidung über die Klageforderung trifft (vgl. BGH, Beschl. v. 09.02.2006 - IX ZB 160/04; vgl. LG Saarbrücken, Urt. v. 09.12.2016 - 13 S 132/16).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Natürlich gibt es in der Regulierungspraxis zahlreiche Konstellationen, in denen sich der Versicherer nicht auf den Rechtsgedanken des § 93 ZPO stützen kann. Zu denken ist etwa an den typischen Fall, dass der Haftpflichtversicherer nach einem Verkehrsunfall auf mehrere Anwaltsschreiben des Unfallgegners gar nicht reagiert (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.09.2019 - 9 W 37/19). Allerdings ist stets zu beachten, dass die Frage der Veranlassung zur Erhebung der Klage auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung bezogen ist und nicht erst nach demjenigen der Zustellung der Klageschrift oder aufgrund nachfolgenden prozessualen Verhaltens beurteilt werden kann (BGH, Urt. v. 27.06.1979 - VIII ZR 233/78 - NJW 1979, 2040; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 05.12.2016 - 4 W 19/16 - NJW-RR 2017, 697).



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