Zur Zulässigkeit einer Nachschärfung von Angebotsdetails im Offenen Verfahren mit Blick auf das Nachverhandlungsverbot gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV sowie zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Ausschlussgrunds i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWBLeitsätze 1. Erläutert ein Bieter im Zuge eines Aufklärungsersuchens bei einer funktional beschriebenen, täglich über mehrere Jahre zu erbringenden Leistung den vorgesehenen technischen Ablauf im Vorfeld der Anlieferung (hier: Produktion und Transport vom Speisen), rechtfertigen zwischenzeitliche Modifikationen im Konzept nicht ohne Weiteres einen Angebotsausschluss nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV oder § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob darin eine unzulässige nachträgliche Angebotsänderung zu sehen ist. 2. a) Die Vorgabe in der Leistungsbeschreibung, wonach der Bieter bei der Erbringung der Leistung alle einschlägigen DIN-Vorschriften und vergleichbaren Vorgaben einzuhalten und sicherzustellen hat, dass sich die eingesetzten Sachmittel in technisch einwandfreien Zustand befinden und einschlägigen Regelwerken entsprechen, verpflichtet die Vergabestelle nicht zu einer lückenlosen, jede Sachverhaltsvariante abdeckenden Überprüfung der Einhaltung aller nur denkbaren Normen und Vorschriften. b) Die Vergabestelle darf bei der Beurteilung, ob der Bieter sein Leistungsversprechen einhalten kann, dessen plausible Erläuterungen sowie Bescheinigungen bzw. Bestätigungen von Fachunternehmen und Behörden heranziehen, denen sie nicht grundlos misstrauen muss. 3. Ein innovatives Konzept eines Bieters muss im Nachprüfungsverfahren nicht in allen Einzelheiten offengelegt werden, nur weil der Zweitbieter bezweifelt, dass sein Konkurrent sämtliche in Betracht kommenden Vorschriften bzw. Normen einzuhalten vermag. Legt ein Bieter im Zuge einer Aufklärung Bescheinigungen von Fachunternehmen sowie Bestätigungen von Fachbehörden vor, wonach er sich regelkonform verhält, genügt nicht, dass ein Zweitbieter ohne konkrete Anhaltspunkte denkbare Normverstöße in den Raum stellt oder darauf verweist, dass eine noch genauere Prüfung möglich wäre, um die Notwendigkeit weiterer Aufklärung darzutun. 4. Auch die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen kann eine schwere berufliche Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB darstellen, wenn sie eine solche Intensität und Schwere aufweist, dass der öffentliche Auftraggeber berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln darf. 5. Ob im Zeitpunkt des Ausschlusses nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB nachweislich eine schwere berufliche Verfehlung vorlag, ist durch die Nachprüfungsinstanzen voll überprüfbar. Insoweit steht dem Auftraggeber (anders als bei der Prüfung mit prognostischem Charakter, ob die festgestellte schwere Verfehlung die Integrität des Bieters in Frage stellt und eine positive Vertragserfüllung zu erwarten ist) kein Beurteilungsspielraum zu. Zu überprüfen ist dabei, ob im Rahmen der auch dem Auftraggeber zumutbaren Aufklärung unter Berücksichtigung objektiver Anhaltspunkte wie schriftlich fixierter Zeugenaussagen, sonstiger Aufzeichnungen, Belege, Schriftstücke oder ähnlichem von einer nachweisbar schweren Verfehlung auszugehen ist. Regelmäßig sind aber weder der Auftraggeber noch die Nachprüfungsinstanzen verpflichtet, zur Abklärung, ob eine schwere Verfehlung nachweisbar ist, umfassende Beweisaufnahmen durch Zeugenvernehmungen oder Erholung von Sachverständigengutachten durchzuführen. 6. Ein Bieter kann auch dann nicht mehr wegen einer schweren beruflichen Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB ausgeschlossen werden, wenn die Frist des § 126 Nr. 2 GWB zwar nicht schon bei Angebotsabgabe verstrichen war, aber während des weiteren Vergabe- bzw. Nachprüfungsverfahrens abläuft. - A.
Problemstellung Die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) setzt sich intensiv mit den Grenzen einer zulässigen Nachschärfung von Angebotsdetails im Offenen Verfahren mit Blick auf das in § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV normierte Nachverhandlungsverbot auseinander. Darüber hinaus werden die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des fakultativen Ausschlussgrunds einer schweren Verfehlung i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB und die insofern maßgebliche zeitliche Obergrenze nach § 126 Nr. 2 GWB behandelt.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Antragsgegner schrieb einen Auftrag über das Catering für eine Anker-Einrichtung europaweit im Offenen Verfahren in mehreren Losen aus. Einziges Zuschlagskriterium war jeweils der Preis. In den Vergabeunterlagen waren gemäß Leistungsbeschreibung insbesondere zahlreiche Qualitätsvorgaben an die Dienstleistungen vorgesehen. Nach Ziff. 2 der Leistungsbeschreibung „Rechtliche Grundlagen“ wurde z.B. auf die Vorgaben des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB), des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), der Lebensmittelinformations-Verordnung (LMIV) sowie der Lebensmittelhygieneverordnung (LMHV) verwiesen. In Ziff. 8 der Leistungsbeschreibung „Qualität der Leistung“ war geregelt: „Der AN erbringt die geschuldeten Cateringleistungen entsprechend der Qualitätsvorgaben und Qualitätsmaßstäbe der für den Transport, die Zubereitung, die Lagerung und die Ausgabe von Lebensmitteln einschlägigen DIN-Vorschriften […]“. Im Leistungsverzeichnis wurde u.a. in Ziff. 3.5 bestimmt: „Der AN hat den ordnungsgemäßen Transport sicherzustellen, insb. unter Beachtung der gesetzlichen Regelungen zu Kühlketten oder Warmhaltezeiten. Der AN ist dafür verantwortlich, dass die eingesetzten Auslieferungsfahrzeuge den hygienischen, technischen und normierten Ansprüchen gerecht werden.“ Die Bieter hatten mit dem Angebot ein Konzept zur Leistungserbringung einzureichen. Die Beigeladene legte ein Konzept mit dem Titel: „Fahrzeit gleich Garzeit“ vor. Die Antragstellerin und die Beigeladene reichten fristgerecht Angebote einschließlich der geforderten Konzepte zur Leistungserbringung zu den streitgegenständlichen Losen 1 und 2 ein, wobei die Beigeladene zu beiden Losen das jeweils preisgünstigste Angebot abgab. In einem von der Antragstellerin eingeleiteten Nachprüfungsverfahren untersagte die VK München zunächst mit Beschluss vom 30.05.2022 dem Antragsgegner, in den Losen 1 und 2 den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Der Antragsgegner habe im Rahmen der Angebotsprüfung nicht hinreichend überprüft, ob das Angebot der Beigeladenen die Vorgaben der Vergabeunterlagen einhalte. Zwar bestehe keine umfassende Aufklärungspflicht mit Blick auf die Frage, ob die Beigeladene imstande sei, die Leistung gemäß sämtlichen einschlägigen DIN-Normen zu erbringen. Die Antragstellerin habe jedoch konkrete Zweifel bzgl. der Umsetzbarkeit des Konzepts „Fahrzeit gleich Garzeit“ vorgetragen (insbesondere bzgl. des errechneten Strombedarfs für die Regeneration der Mahlzeiten), denen der Antragsgegner zumindest weiter hätte nachgehen müssen. Die konkrete Aufklärung der Zweifel bleibe grundsätzlich dem Antragsgegner überlassen, das gewählte Mittel müsse jedoch geeignet sein und die Mittelauswahl frei von sachwidrigen Erwägungen erfolgen. Hierauf unternahm der Antragsgegner weitere intensive Angebotsaufklärungen gegenüber der Beigeladenen. In diesem Rahmen stellte sich insbesondere heraus, dass die Beigeladene nach eigenen Angaben ihr Konzept „Fahrzeit gleich Garzeit“ mittlerweile weiterentwickelt hatte. Schließlich informierte der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 11.11.2022, dass in den Losen 1 und 2 weiterhin beabsichtigt sei, den Zuschlag jeweils auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Die Antragstellerin rügte daraufhin, das Konzept „Fahrzeit gleich Garzeit“ lasse sich in tatsächlicher Hinsicht nicht unter Einhaltung der Vorgaben der Vergabeunterlagen und insbesondere der hygienerechtlichen Anforderungen für das Cook & Chill-Verfahren (DIN 10536) umsetzen. Darüber hinaus sei der Antragstellerin bekannt, dass die Beigeladene in mehreren öffentlichen Aufträgen lebensmittel- und hygienerechtliche Bestimmungen verletzt habe, was hier zu einem zwingenden Angebotsausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB führen müsse. Mangels Abhilfe hat die Antragstellerin daraufhin ein (weiteres) Nachprüfungsverfahren eingeleitet. Die VK München hat diesen Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Das Angebot der Beigeladenen sei trotz des mittlerweile in bestimmtem Umfang weiterentwickelten Konzepts nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV bzw. nach § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV auszuschließen, da alle in den Vergabeunterlagen vorgegebenen Leistungsanforderungen erfüllt würden. Der Antragsgegner habe das Angebot der Beigeladenen auch nicht aufgrund nachweislicher Verfehlungen bei der Durchführung anderer Aufträge gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB ausschließen müssen. Jedenfalls fehle es insoweit an einer Ermessensreduzierung auf null, die Ermessensentscheidung des Antragsgegners sei vielmehr rechtlich vertretbar. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde beim BayObLG blieb in der Sache ohne Erfolg. Der weitere Nachprüfungsantrag sei zwar zulässig. Insbesondere stehe der Zulässigkeit des Vergabenachprüfungsverfahrens nicht die bestandkräftige Entscheidung der Vergabekammer vom 30.05.2022 entgegen. Dies gelte selbst dann, wenn man annehme, dass die bestandskräftigen Entscheidungen der Vergabekammern eine umfassende Tatbestands- und Bindungswirkung in Bezug auf Tenor, tragende Entscheidungsgründe und tatsächliche Feststellungen entfalteten. Denn erstens habe die Beigeladene selbst eingeräumt, dass sie das angebotene Umsetzungskonzept mittlerweile weiterentwickelt habe. Zudem habe die VK München dem Auftraggeber gerade die Prüfung aufgegeben, inwiefern die Beigeladene mit ihrem beabsichtigten Konzept die Vorgaben der streitgegenständlichen Ausschreibung umsetze. Der Nachprüfungsantrag sei freilich unbegründet, da das Angebot der Beigeladenen weder zwingend nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV bzw. § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV auszuschließen gewesen sei noch Anlass bestanden habe, insofern korrigierend in das Vergabeverfahren einzugreifen. Betrachte man die Änderungen im Vorgehen, könne entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht festgestellt werden, dass die Beigeladene nunmehr „ein aliud“ anbiete, also eine vom ursprünglichen Angebot inhaltlich abweichende Leistung. Der Umstand, dass die Beigeladene technische Hilfsmittel durch neuere Gerätschaften ersetze, mit denen die Vorgaben der Leistungsbeschreibung ebenso eingehalten würden wie mit der ursprünglich vorgesehenen Ausstattung, rechtfertige nicht die Annahme einer unzulässigen Änderung des Angebotsinhalts. Weder die Art noch der Inhalt der Leistung ändere sich dadurch. Auch bei wertender Betrachtung seien die vorgesehenen Modifikationen in der technischen Umsetzung nicht von solchem Gewicht, dass sich das Konzept „Fahrzeit gleich Garzeit“ als ein anderes als das (von vornherein) angebotene Konzept darstelle. Das BayObLG erläutert die Grenze zur unzulässigen Nachverhandlung insbesondere vor dem Hintergrund der Zielsetzung einer Aufklärung i.S.v. § 56 VgV: Mit dem Mittel der Aufklärung sollten lediglich Unklarheiten bzw. Widersprüchlichkeiten im Angebot beseitigt werden. Stelle sich im Zuge der Aufklärung hingegen heraus, dass der Bieter tatsächlich nicht die geforderte Leistung angeboten habe, sei dieses Angebot nicht zuschlagsfähig. Grundsätzlich darf der öffentliche Auftraggeber nach Maßgabe des BayObLG ohne Widerspruch zu § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB davon ausgehen, dass ein Bieter seine vertraglichen Zusagen erfüllen werde. Erst wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dies zweifelhaft erscheint, ist der öffentliche Auftraggeber nach diesen Maßgaben gehalten, durch Einholung ergänzender Informationen die Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens bzw. die hinreichende Leistungsfähigkeit des Bieters zu prüfen. Bei der Überprüfung des Leistungsversprechens sei der öffentliche Auftraggeber in der Wahl seiner Mittel grundsätzlich frei. Für einen raschen Abschluss des Vergabeverfahrens und aus Gründen seiner begrenzten Ressourcen und administrativen Möglichkeiten sei er nicht zwingend auf eine bestimmte Methode oder bestimmte Mittel der fachlichen Prüfung festgelegt. Der öffentliche Auftraggeber sei nur dann auf ein ganz bestimmtes Mittel der Verifizierung zu verweisen, wenn dieses das einzige geeignete Mittel der Überprüfung der Bieterangaben darstelle. Das BayObLG prüft die zahlreichen und umfassenden Einwände der Antragstellerin sehr strukturiert. Zunächst konnten die grundsätzlichen Einwände gegen die Darlegungen der Beigeladenen nicht durchgreifen: Dass der Beigeladenen bestimmte Bescheinigungen von Unternehmen auf eigene Anfrage ausgestellt worden seien, mache diese weder unverwertbar noch lasse sich damit der pauschale Verdacht rechtfertigen, es handle sich um „Gefälligkeitsbestätigungen“ zugunsten der Beigeladenen. Grundsätzlich dürfe sich eine Vergabestelle auch auf die Beurteilung von Fachbehörden verlassen, es zähle insbesondere nicht zu ihren Aufgaben, erteilte Genehmigungen rechtlich in Frage zu stellen. Auch die im Einzelnen erhobenen technischen Einwände seien nicht begründet (Transport der Speisen in temperaturgesicherten und geschlossenen Transportsystemen; mangelnde Einhaltung der Kühltemperatur während des Transports). Allein der Umstand, dass die Antragstellerin das Vorbringen der Beigeladenen bestreite und anhand theoretischer Überlegungen Zweifel äußere, stehe der vom Antragsgegner gewonnenen Überzeugung nicht entgegen. Es bedürfe vor diesem Hintergrund weder einer zwingenden Beweisaufnahme noch einer ergänzenden Aufklärung zu Details der technischen Ausstattung der Beigeladenen. Nach Auffassung des BayObLG bestand hier auch keine Pflicht zum Ausschluss der Beigeladenen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB. Soweit überhaupt nachweisliche Verfehlungen vorlägen, sei jedenfalls die Einschätzung des Antragsgegners nicht zu beanstanden, es handle sich weder im Einzelnen noch in der Summe um schwere Verfehlungen, die die Integrität des Unternehmens in Frage stellten. „Schwere Verfehlungen“ i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB seien erhebliche Rechtsverstöße, die geeignet sind, die Zuverlässigkeit eines Bewerbers grundlegend in Frage zu stellen. Sie müssten nachweislich und schuldhaft begangen worden sein und derart erhebliche Auswirkungen haben, dass sie bei wertender Betrachtung vom Gewicht her den zwingenden Ausschlussgründen des § 123 GWB zumindest nahekämen. Auch die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen könne eine schwere Verfehlung darstellen, sofern diese Pflichtverletzung eine solche Intensität und Schwere aufwies, dass der öffentliche Auftraggeber berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln dürfe. Die schwere Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB sei nach der Gesetzessystematik nicht grundsätzlich durch § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB (schlechte Vorerfahrungen) verdrängt, da beide Tatbestände unterschiedliche Anwendungsvoraussetzungen und Zielrichtungen hätten. Ob im Zeitpunkt des Ausschlusses nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB nachweislich eine schwere berufliche Verfehlung vorgelegen habe, betreffe die Tatbestandsebene und sei durch die Nachprüfungsinstanzen voll überprüfbar. Zu überprüfen sei insofern, ob im Rahmen der auch dem Auftraggeber zumutbaren Aufklärung unter Berücksichtigung der aufgeführten objektiven Anhaltspunkte von einer nachweisbar schweren Verfehlung auszugehen sei. Im hiesigen Fall hätten im Ausgangspunkt durchaus bestimmte nachweisliche Verfehlungen vorgelegen: So rauchte etwa der Fahrer der Beigeladenen auf der Ladefläche des für den Transport von Lebensmitteln eingesetzten LKW, darüber hinaus kam es einmalig zu einer Ausgabe verschimmelten Brots durch einzelne Mitarbeiter am Leistungsort. Das BayObLG zweifelt insofern allerdings von vornherein an der Zurechnung, da das betreffende Personal selbst mangels Leitungsfunktion nicht als Verantwortlicher i.S.d. §§ 124 Abs. 1 Nr. 3, 123 Abs. 3 GWB gehandelt hat. Als rechtlichen Maßstab für die Zurechnung von vertraglichen Verfehlungen zieht das BayObLG alternativ auch die Anwendung von § 278 BGB in Betracht, da das Unternehmen als Vertragspartner nach Maßgabe dieser Vorschrift zivilrechtlich für Pflichtverletzungen seiner Mitarbeiter in Ausführung des Auftrags hafte. Auch im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB, in dem es um die mangelhafte Erfüllung vertraglicher Pflichten gehe, finde die besondere Maßgabe von § 123 Abs. 3 GWB nach der Gesetzeskonzeption keine Anwendung. Allerdings differenziere der Anwendungsbefehl in § 124 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 GWB an sich nicht danach, ob eine vertragliche Pflichtverletzung oder eine sonstige Verfehlung vorliege. Vielmehr sei insofern allgemein auf § 123 Abs. 3 GWB verwiesen. Letztlich scheiterte eine Zurechnung aber auch nach Maßgabe des § 278 BGB, weshalb das BayObLG diese Zurechnungsfrage offenlassen konnte. Darüber hinaus seien weitere, mehr als nur völlig unerhebliche Verfehlungen der Beigeladenen entweder nicht nachweisbar oder jedenfalls nach § 126 GWB nicht mehr zu berücksichtigen. Gemäß § 126 GWB betrage die Ausschlussfrist bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 GWB höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis. Für den Fristbeginn ließ das BayObLG offen, ob insoweit auf den Zeitpunkt der Beendigung der Tat oder die erstmalige Nachweisbarkeit des Ausschlussgrundes abzustellen sei. Mit Blick auf den Fristablauf bezieht das BayObLG jedoch Stellung: Es sei umstritten, ob der Fristablauf nach § 126 Nr. 2 GWB bereits im Zeitpunkt der Angebotsabgabe eingetreten sein müsse. Dafür spreche, dass betreffende Bieter andernfalls durch Rügen den Verfahrensablauf zu ihren Gunsten verzögern könnten, um von einem späteren Fristablauf während des Verfahrens zu profitieren. Das BayObLG folgt hingegen der in der rechtswissenschaftlichen Literatur wohl herrschenden Gegenauffassung: Maßgeblich sei der Zeitpunkt der Zuschlagsentscheidung. Soweit der Ausschluss mit einem Nachprüfungsantrag angefochten wurde, sei hingegen der Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Vergabesenat maßgeblich. Hierfür spreche insbesondere der Gleichklang des Fristablaufs in § 126 Nr. 2 GWB mit dem in § 124 Abs. 1 GWB. Der öffentliche Auftraggeber könne ein Unternehmen bei Vorliegen eines fakultativen Ausschlussgrunds „zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens“ ausschließen. Damit könnten erst während des Vergabeverfahrens und nach Angebotsabgabe entstandene oder bekannt gewordene Ausschlussgründe zulasten des Bieters berücksichtigt werden. Dies spreche umgekehrt dafür, auch zugunsten des Bieters den Ablauf der Dreijahresfrist nach Angebotsabgabe noch zu berücksichtigen.
- C.
Kontext der Entscheidung Zunächst dürfte es unstreitig zutreffen, dass Angebote, die mit ihrer Konzeptunterlage von zwingenden Vorgaben der Leistungsbeschreibung abweichen, gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen sind (svgletwa VK Lüneburg, Beschl. v. 21.08.2023 - VgK-18/2023 Rn. 130 ff.). Ein solcher Fall lag hier nach den Feststellungen des BayObLG jedoch nicht vor, da die Modifikationen im Konzept nicht zu einer Abweichung von eindeutigen und zwingenden Vorgaben der Vergabeunterlagen führten. Das BayObLG findet sodann einen pragmatischen Maßstab für die Grenzen einer „Nachschärfung“ von Konzeptunterlagen im Offenen Verfahren gemäß § 15 VgV: Ändert sich weder die Art noch der Inhalt der gemäß Angebotsunterlagen versprochenen Leistung, können gewisse Modifikationen im Konzept hingenommen werden, soweit aus vertragsrechtlicher Sicht kein aliud angeboten wird. Das erscheint insbesondere mit Blick auf Fälle sachgerecht, in denen sich bestimmte Modifikationen des Bieterkonzepts – wie hier – durch einen längeren Zeitablauf zwischen Angebotsabgabe und Aufklärungsverlangen der Vergabestelle begründen lassen. Das BayObLG hat diese Wertung in nachvollziehbarer Weise aus dem Zweck des Aufklärungsverlangens nach § 56 VgV hergeleitet. Zu entsprechenden Ergebnissen dürfte man gelangen, sofern die Grenze zulässiger Modifikationen des Konzepts aus dem Zweck des Nachverhandlungsverbots gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV hergeleitet wird: Die Gebote der Gleichbehandlung im Wettbewerb (§ 97 Abs. 2 GWB) und der Transparenz (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) sollen im Offenen Verfahren eine willkürlich getroffene Vergabeentscheidung verhindern und allen Bietern die gleichen Zuschlagschancen einräumen. Dies setzt voraus, dass allen potenziellen Bietern zu Beginn des Verfahrens ein einheitlicher Zeitraum zur Planung und Kalkulation eingeräumt wird und Änderungen der Angebote – und damit auch von Konzeptunterlagen – nach Ablauf der Angebotsfrist für jeden Bieter im Offenen Verfahren unzulässig sind. Die Unternehmen haben demnach Anspruch darauf, dass alle beteiligten Bieter ihren rechtsgeschäftlichen Antrag im Rahmen der Aufklärung nicht aufgrund eines geänderten rechtsgeschäftlichen Willens ergänzen oder gar verändern (vgl. ausführlich hierzu: Gerlach/Manzke in: VergabeR 2017, 11, 20). Demnach erscheint es überzeugend, dass kein automatischer Ausschluss erfolgen muss, soweit ein Bieter bestimmte – für den rechtsgeschäftlichen Antrag nicht maßgebliche – Modifikationen des Konzepts vornimmt, weil zwischenzeitlich neue technische Hilfsmittel verwendet bzw. bestimmte Arbeitsabläufe angepasst wurden. Ebenfalls dürfte es zulässig sein, wenn der Bieter im Aufklärungsgespräch – oder im Rahmen einer Präsentation des Konzepts im Offenen Verfahren – lediglich eine konkretisierende Erläuterung von bereits im Angebot enthaltenen Leistungsbestandteilen liefert. Demgegenüber prinzipiell unzulässig sind Modifikationen des Konzepts, die zu einer Angebotsänderung hinsichtlich zwingender Anforderungen gemäß Leistungsbeschreibung führen oder maßgebliche kalkulationsrelevante Leistungsteile betreffen. Das BayObLG begründet gut nachvollziehbar, dass der Auffangtatbestand der „nachweislich schweren beruflichen Verfehlung“ i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB auch mit Blick auf die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen Anwendung findet. § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB hat – gewissermaßen als Auffangtatbestand in § 124 GWB – abweichende Voraussetzungen: Er fordert – anders als § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB – keine konkret benannte zivilrechtliche Folge der Vertragsverletzung wie z.B. eine Kündigung oder Schadensersatz. Stattdessen muss hier aber eine besondere Intensität und Schwere der Verfehlung vorliegen. Nicht abschließend geklärt erscheint die vom BayObLG im Ergebnis offengelassene Frage der rechtlichen Zurechnung von schwerem Fehlverhalten des Leitungspersonals bzw. der Mitarbeiter des betreffenden Unternehmens. Im Rahmen des § 124 Abs. 1 GWB knüpfen die jeweiligen Ausschlusstatbestände an das „Unternehmen“ an. Insofern stellen sich regelmäßig generelle Zurechnungsfragen. Dem § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB liegt Art. 57 Abs. 4 Buchst. c der RL 2014/24/EU zugrunde. Dieser kennt – anders als § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB – keine Zurechnungsnorm für Leitungspersonal bzw. Mitarbeiter i.S.v. § 123 Abs. 3 GWB. Das BayObLG wirft die nachvollziehbare Frage auf, ob hinsichtlich vertragsrechtlicher Verstöße die entsprechende Anwendung des § 123 Abs. 3 GWB tatsächlich der sachgerechte Maßstab sein kann. Mit Blick auf strafrechtliche Verstöße erscheint eine entsprechende Anwendung des § 123 Abs. 3 GWB sinnvoll, da mangels Unternehmensstrafrechts eine strafrechtliche „Zurechnung“ der in § 123 Abs. 1 GWB genannten Verstöße allein über rechtskräftig verurteiltes Leitungspersonal erfolgen kann. Für entsprechende Verstöße des Unternehmens, die aus vertraglichen Pflichtverletzungen resultieren, erscheinen die Maßgaben des § 123 Abs. 3 GWB hingegen kaum passend. Deutlich naheliegender dürfte es insofern sein, auch im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB bei vertraglichen Verstößen durch das „Unternehmen“ die Zurechnungsnormen des allgemeinen Zivilrechts heranzuziehen. Demnach wäre insbesondere die Zurechnung des Verhaltens von Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) sowie von Organen (§ 31 BGB analog) des jeweiligen Unternehmens maßgeblich (ebenso: Friton in: BeckOK Vergaberecht, Stand: 01.05.2023, § 124 GWB Rn. 92; Opitz in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, § 124 GWB Rn. 41). Darüber hinaus enthält die Entscheidung – soweit ersichtlich – erstmals obergerichtliche Maßgaben für den Fristablauf gemäß § 126 Nr. 2 GWB. Aus dem Wortlaut des § 126 GWB ergibt sich nicht ausdrücklich, wie Fälle zu behandeln sind, bei denen der Fristablauf in ein laufendes Vergabeverfahren fällt. Das BayObLG stellt für den Fristablauf auf den Zeitpunkt der Zuschlagsentscheidung ab. Das erscheint überzeugend. Denn grundsätzlich gilt, dass die Eignung bis zum Abschluss des Vergabeverfahrens, d.h. im Zeitpunkt der Zuschlagsentscheidung, tatsächlich vorliegen muss (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.06.2019 - Verg 52/18 Rn. 47). Da die Ausschlussgründe gemäß § 124 GWB eng mit der Bietereignung verbunden sind, sprechen die besseren Gründe dafür, auf den Zeitpunkt der Vergabeentscheidung abzustellen (überzeugend Friton in: Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, BeckOK Vergaberecht, 32. Edition 2024, § 126 GWB Rn. 27b). Diese Auffassung führt im Übrigen auch zu einem Einklang mit den Maßgaben des Wettbewerbsregisters, in das rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen und Strafbefehle sowie rechtskräftige Bußgeldentscheidungen eingetragen werden, die im Rahmen zahlreicher Ausschlussgründe i.S.d. §§ 123, 124 GWB von Bedeutung sind. Die Abfrage des Wettbewerbsregisters hat nach § 6 Abs. 1 WRegG vor Erteilung des Zuschlags zu erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt muss der Auftraggeber die Eintragungen des Unternehmens aus dem Wettbewerbsregister abfragen und das Unternehmen ggf. noch ausschließen. Wenn zu diesem Zeitpunkt keine Eintragung mehr vorliegt, weil die gleichlaufende dreijährige Löschungsfrist nach § 7 Abs. 1 Satz 3 WRegG abgelaufen ist, darf der Auftraggeber das Unternehmen nicht mehr ausschließen. Dann ist es umgekehrt kaum einzusehen, warum ein früherer Ausschluss vom Vergabeverfahren erforderlich und gerechtfertigt sein sollte (vgl. Gerlach/Manzke in: Henn/Jahn, BeckOK LkSG, 6. Edition (Stand: 15.06.2024), § 22 Rn. 57).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung des BayObLG führt öffentlichen Auftraggebern vor Augen, dass im Offenen Verfahren nicht jede Konkretisierung des angebotenen Konzepts im Rahmen der nachträglichen Angebotsaufklärung bzw. Angebotspräsentation in der Sache einen vergaberechtlichen Ausschlussgrund begründet. Vielmehr ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, inwieweit der Bieter – über die bloße Konkretisierung der Modalitäten seiner versprochenen Leistungserbringung hinaus – ein zivilrechtliches „aliud“ anbietet, d.h. seinen rechtsgeschäftlichen Antrag nach Ablauf der Angebotsfrist ändert. Soweit eine Änderung der Vergabeunterlagen gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV infrage steht, ist genau zu überprüfen, ob ein Bieter durch die konkretisierenden Angaben zur Ausführung nunmehr – ggf. erstmalig erkennbar – von zwingenden Maßgaben der Leistungsbeschreibung abweicht. In diesem Falle muss ein Ausschluss erfolgen. Bieter sollten im Blick behalten, dass im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB auch schwerwiegende Vertragsverstöße zum Ausschluss führen können. Insofern besteht zumindest im Ausgangspunkt das Risiko, dass nicht nur schwere Verfehlungen des Leitungspersonals, sondern auch schwere Verfehlungen von Erfüllungsgehilfen über § 278 BGB dem Unternehmen zugerechnet werden könnten. Die zivilrechtliche Zurechnung von Fehlverhalten bestimmter Personen kann im Einzelfall weiter reichen als nach der – auf den ersten Blick – bezüglich § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB einschlägigen Zurechnungsregel gemäß § 123 Abs. 3 GWB. Im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ist die entsprechende Anwendung des § 123 Abs. 3 GWB von vornherein nicht vorgesehen, weshalb dort eine Anwendung der §§ 278, 31 BGB analog besonders naheliegend erscheint. Bieter sowie Auftraggeber sollten im Blick behalten, dass – jedenfalls nach Maßgabe des BayObLG – in Zweifelsfällen noch während eines laufenden Vergabeverfahrens ein Fristablauf nach § 126 Nr. 2 GWB eintreten kann, der die Berücksichtigungsfähigkeit von Verfehlungen nach § 124 GWB noch vor Zuschlagserteilung ausschließt. Demgemäß kann ein Ausschluss wegen des betreffenden Ereignisses auch noch nach Angebotsabgabe während des Vergabe(nachprüfungs)verfahrens unzulässig werden.
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