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Anmerkung zu:BFH 10. Senat, Urteil vom 30.04.2025 - , X R 12-13/22, BFH 10. Senat, Urteil vom 30.04.2025 - , X R 12/22, BFH 10. Senat, Urteil vom 30.04.2025 - X R 13/22
Autor:Prof. Dr. Jens Reddig, RiBFH
Erscheinungsdatum:20.10.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 162 AO 1977, § 266 HGB, § 118 FGO, § 92 HGB, § 87a HGB, § 5 EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 42/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Reddig, jurisPR-SteuerR 42/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Aktivierung von Provisionsansprüchen bei Versicherungsvertretern



Leitsätze

1. Der Zeitpunkt, zu dem Provisionsansprüche von Versicherungsvertretern zu aktivieren sind, bestimmt sich nach der Vertragsgestaltung im jeweiligen Einzelfall. Diese kann an das in § 92 Abs. 4 des Handelsgesetzbuchs geregelte gesetzliche Leitbild anknüpfen, muss dies aber nicht.
2. Wenn sich aus der maßgeblichen Provisionsregelung ergibt, dass ein Provisionsanspruch für ein vermitteltes Geschäft noch nicht entstanden ist, handelt es sich bei gleichwohl vom Auftraggeber vorgenommenen Auszahlungen lediglich um Provisionsvorschüsse. Diese sind beim Versicherungsvertreter als erhaltene Anzahlungen zu passivieren und daher zunächst noch nicht gewinnrealisierend (Fortführung des Senatsurteils vom 17.03.2010 - X R 28/08 Rn. 13 f. - BFH/NV 2010, 2033).
3. Gegenstand einer Schätzung nach § 162 Abs. 1, 2 der Abgabenordnung können nur quantitative Größen sein, nicht aber qualitative Besteuerungsmerkmale wie ganze Sachverhalte oder Tatsachenfragen.



A.
Problemstellung
Der X. Senat des BFH hat in der Besprechungsentscheidung zum Zeitpunkt der Aktivierung von Provisionsansprüchen eines selbstständigen Versicherungsvertreters wegen der Vermittlung von Versicherungsverträgen entschieden.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der bilanzierende Kläger vermittelt als Handelsvertreter Versicherungsverträge für das Versicherungsunternehmen U. Der Vertrag mit U sieht vor, dass der Kläger für seine Vermittlungen eine ausschließlich erfolgsabhängige Vergütung gemäß § 92 HGB erhält. Für die Vermittlung einer Versicherung entsteht der Provisionsanspruch erst, wenn der geworbene Versicherungsnehmer die nach den Provisionsbedingungen vorgesehene Anzahl an Beiträgen entrichtet hat. Trotzdem leistet U auch vor dem rechtlichen Entstehen des Provisionsanspruchs freiwillig durch eine Vorfinanzierung Zahlungen, die allerdings laufzeitanteilig zurückzugewähren sind, wenn der vermittelte Vertrag vor Ablauf der Stornohaftungszeit aufgelöst wird. Zu seiner Sicherung nimmt U einen als „Rückstellung“ bezeichneten Einbehalt vor. Das Finanzamt ging davon aus, dass die von U sicherungseinbehaltenen Beträge bereits als Forderung des Klägers gewinnerhöhend zu aktivieren seien. Das Finanzgericht bestätigte diese Ansicht und wies die Klage ab. Der BFH gab der Revision statt. Er hob das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Sache zur weiteren Sachaufklärung und erneuten Entscheidung zurück. Zur streitentscheidenden Frage zeigte er folgende Rechtssätze auf:
I. Grundsätzliches: Bilanzierende Gewerbetreibende haben die GoB zu beachten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG). Nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB sind Gewinne nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind (Realisationsprinzip). Bei einer Forderung ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn sie entweder rechtlich bereits entstanden ist oder die für die Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt worden sind und der Kaufmann mit der künftigen Entstehung der Forderung fest rechnen kann. Die Fälligkeit der Forderung ist kein Bilanzierungserfordernis (BFH, Urt. v. 06.10.2009 - I R 36/07 - BFHE 226, 342 = BStBl II 2010, 232, unter II.2.b aa m.w.N.). Ein aufschiebend bedingter Anspruch darf dagegen nicht aktiviert werden (BFH, Urt. v. 28.10.2009 - I R 28/08 - BFH/NV 2010, 432, unter B.I.2.c bb bbb).
II. Im Besonderen: Ein Handelsvertreter hat nach § 87a Abs. 1 Satz 1 HGB Anspruch auf Provision, sobald und soweit der Unternehmer (der Prinzipal) das Geschäft ausgeführt hat. Für einen Versicherungsvertreter regelt § 92 Abs. 4 HGB, dass dessen Provisionsanspruch i.S.v. § 87a Abs. 1 HGB entsteht, sobald der Versicherungsnehmer die Prämie gezahlt hat. Hieraus folgt, dass das Versicherungsunternehmen und der Versicherungsvertreter es in der Hand haben, durch Anknüpfung an den Zeitpunkt/Zeitraum der Prämienzahlung(en) den Zeitpunkt des rechtlichen Entstehens des Provisionsanspruchs zu beeinflussen (das heißt ggf. auch hinauszuschieben).
Die BFH-Rechtsprechung knüpft für die bilanzsteuerrechtliche Beurteilung von Provisionszahlungen eines Handels-/Versicherungsvertreters an die handelsrechtlichen Regelungen bzw. an die vertragliche Vereinbarung zwischen dem Prinzipal und dem Vertreter an. Wenn sich hieraus ergibt, dass ein Provisionsanspruch für ein vermitteltes Geschäft noch nicht entstanden ist, handelt es sich bei einer dennoch vom Prinzipal/Versicherungsunternehmen vorgenommenen Zahlung lediglich um einen Vorschuss, der nach § 266 Abs. 3 Abschn. C.3 HGB gewinnneutral als „erhaltene Anzahlung“ zu passivieren ist (BFH, Urt. v. 17.03.2010 - X R 28/08 Rn. 13 f. - BFH/NV 2010, 2033). Das Handelsrecht lässt ebenfalls die Vereinbarung zu, dass der Provisionsanspruch ratierlich entsprechend den einzelnen Prämienzahlungen entsteht. Auch in diesem Fall ist im Umfang des rechtlich noch nicht entstandenen Provisionsanspruchs noch kein Gewinn realisiert; eine Forderung ist insoweit daher nicht zu aktivieren (BFH, Urt. v. 29.08.2018 - XI R 32/16 - BFH/NV 2019, 259 Rn. 9, 27). Erst recht ist in Bezug auf einen Provisionsanspruch, der mangels Ausführung des vermittelten Geschäfts bisher weder entstanden noch ausgezahlt worden ist, beim Handelsvertreter keine Forderung zu aktivieren und beim Versicherungsunternehmen kein Passivposten zu bilden (BFH, Urt. v. 28.10.2009 - I R 28/08 Rn. 42 - BFH/NV 2010, 432). Wenn im Provisionsvertrag zugunsten des Versicherungsvertreters vereinbart ist, dass der Provisionsanspruch bereits entsteht, wenn der vermittelte Versicherungsvertrag zustande gekommen ist, ist auch der Anspruch in diesem Zeitpunkt zu aktivieren. Ist eine Provision bereits verdient und daher ertragsteuerrechtlich realisiert, muss das Risiko ihres späteren Verlusts je nach den Umständen über die Bewertung der Forderung erfasst werden, oder es ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden (BFH, Urt. v. 09.10.2013 - I R 15/12 Rn. 16 - BFH/NV 2014, 907). Korrespondierend zur bilanzsteuerrechtlichen Situation des Versicherungsvertreters stellt beim Versicherungsunternehmen der gezahlte Provisionsvorschuss für eine noch rechtlich nicht entstandene Forderung noch keinen Aufwand dar, sondern ist als „geleistete Anzahlung“ zu aktivieren (BFH, Urt. v. 14.10.1999 - IV R 12/99 - BFHE 190, 349 = BStBl II 2000, 25, unter 2.).
III. Der Streitfall: Die vorgenannten Rechtsgrundsätze verhalfen dem BFH nicht, den Streit zwischen dem Kläger und dem Finanzamt abschließend zu entscheiden. Das Finanzgericht hatte zu der streiterheblichen Frage keine verwertbaren tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 118 Abs. 2 FGO getroffen. Dies wird es nun im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben. Die äußerst tiefgehende „Segelanweisung“ für den zweiten Rechtsgang mag hierfür als Richtschnur dienen. Das „rechtliche Arbeitsprogramm“ dürfte allerdings überschaubar sein. Das Finanzgericht wird in materieller Hinsicht im Kern zu prüfen haben, ob und – wenn ja – in welchem Umfang in den abrechnungstechnisch als „Rückstellungen“ ausgewiesenen Einbehalten bereits ertragsteuerlich realisierte Provisionsforderungen enthalten sind.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Verdienst der Besprechungsentscheidung ist es, die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage des Zeitpunkts der Aktivierung von Provisionsforderungen oder -zahlungen eines bilanzierenden Versicherungsvertreters komprimiert zusammenzufassen und praxistauglich aufbereitet darzustellen (vgl. auch Fischer, BB 2025, 1905; Kulosa, HFR 2025, 947). Die Entscheidung ist zwar speziell auf einen Versicherungsvertreter zugeschnitten. Allerdings finden die abstrakten bilanzsteuerrechtlichen Grundsätze bei allen Handelsvertretern, das heißt im gesamten Anwendungsbereich des § 87a Abs. 1 HGB Anwendung (vgl. BFH, Urt. v. 26.04.2018 - III R 5/16 Rn. 14 ff. - BFHE 261, 326 = BStBl II 2018, 536).
II. Die maßgeblichen Rechtsgrundsätze sind aus dem Realisationsprinzip (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG i.V.m. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) abzuleiten: Ein Provisionsanspruch ist gewinnerhöhend erst zu aktivieren, wenn er rechtlich entstanden ist und der Leistungsverpflichtete seine Verpflichtung wirtschaftlich erfüllt hat. Für das rechtliche Entstehen ist auf die handelsrechtlichen Regelungen bzw. auf die insoweit modifizierenden Vereinbarungen in den Provisionsverträgen abzustellen. Auf den Zeitpunkt der Fälligkeit und der tatsächlichen Auszahlung der Provisionsforderung kommt es für die Gewinnrealisierung nach allgemeingültigen bilanzsteuerrechtlichen Grundsätzen nicht an. Ein Provisionsanspruch ist daher bereits dann zu aktivieren, wenn die Vereinbarung mit dem Versicherungsunternehmen vorsieht, dass der Anspruch schon mit Zahlung des ersten Monatsbeitrags durch den Versicherungsnehmer in vollem Umfang entsteht, selbst wenn die Fälligkeit in Anknüpfung an weitere Beitragszahlungen des Versicherungsnehmers hinausgeschoben wird (BFH, Urt. v. 09.10.2013 - I R 15/12 Rn. 15 f. - BFH/NV 2014, 907). Ist die Provision für den Versicherungsvertreter i.S.d. §§ 92 Abs. 4, 87a Abs. 1 HGB rechtlich entstanden (das heißt verdient), unterliegt er aber gegenüber dem Versicherungsunternehmen einer Stornierungshaftung (wegen vorzeitiger Kündigung des Versicherungsunternehmers), hindert dies den bilanziellen Ausweis von Gewinn dem Grunde nach nicht. Allerdings ist das Risiko des Versicherungsvertreters, nicht die gesamte Provision zu erhalten oder behalten zu dürfen, durch eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 HGB abzubilden („Storno-Rückstellung“). Der BFH hat hierzu bereits entschieden, dass es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn ein mögliches Ausfallrisiko durch eine Rückstellung i.H.v. 5% der stornogefährdeten Provisionszahlungen berücksichtigt wird (vgl. BFH, Urt. v. 17.03.2010 - X R 28/08 Rn. 17 - BFH/NV 2010, 2033).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Besprechungsentscheidung verschafft insbesondere Klarheit dazu, dass Vorschusszahlungen auf Provisionsforderungen (auf beiden Seiten) gewinnneutral zu behandeln sind (vgl. auch Fischer, BB 2025, 1905). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das bilanzsteuerrechtliche Realisationsprinzip legitime Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet (vgl. hierzu Kulosa, HFR 2025, 947). Wenn die Provision bspw. erst mit vollständiger Zahlung der ersten Jahresprämie geschuldet ist und die Versicherungsprämien monatlich zu zahlen sind, hat der Versicherungsvertreter erst nach Zahlung der letzten Monatsrate für das erste Versicherungsjahr einen rechtlichen Anspruch auf die Provision. Endet das erste Versicherungsjahr nach Ablauf des Wirtschaftsjahres der Vermittlung des Vertrags, unterliegen zwischenzeitlich zugeflossene Vorschüsse auf die rechtlich erst künftig entstehende Provision in jenem Wirtschaftsjahr nicht der Besteuerung.



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