juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 11.07.2024 - VI R 35/21
Autor:Dr. Stephan Geserich, RiBFH
Erscheinungsdatum:14.10.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 38 EStG, § 41a EStG, § 1 EStG, § 19 EStG, Art 140 GG, Art 136 WRV, Art 139 WRV, Art 141 WRV, § 37 AO 1977, § 49 EStG, § 50d EStG, § 50c EStG, § 50 EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 41/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 41/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Steuerpflicht von Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse



Leitsätze

1. Eine inländische öffentliche Kasse ist die Kasse einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts, sowie jede Kasse, die einer Institution angehört, die der Dienstaufsicht und der Prüfung ihres Finanzgebarens durch die öffentliche Hand unterliegt.
2. Die Kasse einer inländischen, öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft ist eine öffentliche Kasse i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes.



A.
Problemstellung
Streitig ist, ob das Gehalt des Klägers von einer inländischen öffentlichen Kasse gezahlt wurde und der Arbeitslohn deshalb im Inland steuerbar ist.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger ist katholischer Priester und im Auftrag eines inländischen Bistums in Brasilien als Gemeindepfarrer tätig. Einen Wohnsitz in Deutschland hat er nicht. Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass der vom Bistum gezahlte Arbeitslohn des Klägers für dessen Tätigkeit in Brasilien ab dem 01.01.2006 dem Lohnsteuerabzug unterliege, weil das Doppelbesteuerungsabkommen mit Brasilien am 31.12.2005 außer Kraft getreten sei. Infolgedessen behielt das Bistum unter anderem in den Jahren 2011 bis 2016 (Streitzeitraum) vom Gehalt des Klägers Lohnsteuer und Nebenabgaben unter Berücksichtigung der Lohnsteuerklasse I ein und führte die einbehaltenen Beträge an das FA ab. Der Kläger legte gegen die Lohnsteuer-Anmeldungen des Bistums von Dezember 2010 bis Dezember 2016 jeweils – erfolglos – Einspruch ein. Der Kläger erhob hiergegen keine Klage.
Er begehrte vom FA allerdings die Erstattung der vom Bistum im Streitzeitraum von seinem Arbeitslohn einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer und Nebenabgaben. Das FA erließ daraufhin einen Abrechnungsbescheid, mit dem es den Erstattungsanspruch auf 0 Euro feststellte. Den Einspruch des Klägers wies das FA als unbegründet zurück.
Die Klage hatte ebenfalls keinen Erfolg (FG Düsseldorf, Urt. v. 11.03.2021 - 12 K 1516/17 AO - EFG 2021, 1127). Die Revision des Klägers hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen. Das FG habe zu Recht darauf erkannt, dass der angefochtene Abrechnungsbescheid rechtmäßig sei. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erstattung der abgeführten Lohnsteuern und Nebenabgaben. Denn der Kläger sei – wie das FG zutreffend entschieden habe – mit seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, die er im Streitzeitraum vom Bistum bezogen habe, jedenfalls gemäß § 1 Abs. 4 EStG und § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG beschränkt steuerpflichtig. Das Bistum war folglich gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG verpflichtet, Lohnsteuer (und Nebenabgaben) einzubehalten und an das FA abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 EStG).


C.
Kontext der Entscheidung
Natürliche Personen, die – wie der Kläger – im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind vorbehaltlich § 1 Abs. 2 und Abs. 3 EStG sowie § 1a EStG beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielen. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung sind inländische Einkünfte i.S.d. beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 EStG), die aus inländischen öffentlichen Kassen einschließlich der Kassen des Bundeseisenbahnvermögens und der Deutschen Bundesbank mit Rücksicht auf ein gegenwärtiges oder früheres Dienstverhältnis gewährt werden, ohne dass ein Zahlungsanspruch gegenüber der inländischen öffentlichen Kasse bestehen muss.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Vorliegend bezog der Kläger für seine Tätigkeit als Priester Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Die entsprechenden Lohnzahlungen wurden vom Bistum auch mit Rücksicht auf ein gegenwärtiges Dienstverhältnis gewährt. Denn der Kläger war in dessen Auftrag als Gemeindepfarrer in Brasilien tätig. Die Kasse des Bistums, die den Arbeitslohn des Klägers gezahlt hat, ist eine inländische öffentliche Kasse. Das Bistum ist als Untergliederung der römisch-katholischen Kirche eine inländische Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG i.V.m. den Art. 136 bis 139 und 141 WRV. Die Kassen des Bistums sind damit auch öffentliche Kassen i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG. Denn die Kassen der öffentlich-rechtlichen Körperschaften erlangen den Status einer öffentlichen Kasse i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG allein aufgrund der öffentlich-rechtlichen Verfasstheit ihrer Träger. Dies gilt auch für die Kassen der korporierten Religionsgesellschaften und ihrer rechtsfähigen Untergliederungen – hier des Bistums. Denn ihre Träger sind – wenn auch staatsfrei – öffentlich-rechtlich verfasst. Ein Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte, kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist durch die Einordnung einer kirchlichen Kasse als inländische öffentliche Kasse i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG nicht zu beklagen. Dadurch ist keine rein innere kirchliche Angelegenheit betroffen, bei der der Staat keinerlei Schranken in Gestalt allgemeiner Gesetze und deren Auslegung durch die dazu berufenen staatlichen Gerichte setzen könnte. Der inländischen Besteuerung steht im Streitfall zudem Abkommensrecht nicht entgegen. Im Streitzeitraum bestand kein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und Brasilien (mehr). Sollte es deshalb zu einer Doppelbesteuerung (mit inländischer Lohnsteuer und brasilianischer Einkommensteuer) kommen sollte, kommt allerdings ein Steuererlass wegen sachlicher Unbilligkeit in Betracht (BMF v. 13.11.2019 - BStBl I 2019, 1082, Rn. 19).


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Nach § 37 Abs. 2 AO setzt ein Steuererstattungsanspruch voraus, dass die Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden oder der Rechtsgrund für die Zahlung später weggefallen ist. Dies richtet sich regelmäßig nach den zugrunde liegenden Steuerbescheiden. Da die streitigen Lohnsteuern und Nebenabgaben vorliegend aufgrund der Lohnsteuer-Anmeldungen des Bistums und damit mit Rechtsgrund gezahlt wurden (vgl.a. Senatsurteil vom 28.04.2016 - VI R 18/15 Rn. 16 - BFHE 254, 26 = BStBl II 2016, 898), steht dem Kläger ein dahin gehender Erstattungsanspruch im Grunde nicht zu. Diese Steuerfestsetzungen sind auch nicht nachträglich entfallen. Sie sind – mangels Klage – vielmehr bestandskräftig geworden. Die dahin gehende „lohnsteuerliche Selbstverständlichkeit“ soll allerdings nicht gelten, wenn es um die Besteuerung von Arbeitseinkünften beschränkt Steuerpflichtiger geht. Nach der Rechtsprechung des I. Senats des BFH treten die Vorschriften über den Lohnsteuerabzug hinter die Regelungen über die beschränkte Steuerpflicht zurück. Deshalb sei Lohnsteuer, die über die Steuerpflicht von Einkünften nach Maßgabe des § 49 EStG hinausgehe, ohne materiell-rechtlichen Grund erhoben und deshalb entsprechend § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zu erstatten (BFH, Urt. v. 21.10.2009 - I R 70/08 - BStBl II 2012, 493; Heger, jurisPR-SteuerR 11/2010 Anm. 5). Ob sich der seit dem 01.01.2024 für die (DBA-)Besteuerung von Auslandseinkünften (beschränkt) steuerpflichtiger Arbeitnehmer zuständige (Lohn-)Senat des BFH der zum Abzug und die Bemessung von Kapitalertragsteuer ergangene und auf den Lohnsteuerabzug (ohne weitere Begründung) übertragende (ständige) Rechtsprechung des I. Senats des BFH anschließen (und damit auch fortführen) könnte, hat er in der Besprechungsentscheidung ausdrücklich offengelassen (und auch offenlassen können, da der Lohnsteuerabzug im Streitfall materiell zu Recht erfolgte). Denn sowohl die mittlerweile aufgehobenen Regelungen in § 50d Abs. 1 und Abs. 2 EStG, als auch deren „Neufassung“ in § 50c EStG durch das AbStEntModG im Jahr 2021 (BGBl I 2021, 1259) zielen auf die „Entlastung“ von Einkünften, die dem Kapitalertragssteuerabzug oder dem Steuerabzug nach § 50a unterliegen. Hieraus auch einen Lohnsteuererstattungsanspruch abzuleiten, erscheint zumindest nicht zwingend. Deshalb sollte sich der Steuerpflichtige mit grenzüberschreitenden Arbeitnehmereinkünften zukünftig (auch) gegen vermeintlich fehlerhafte Lohnsteueranmeldungen seines Arbeitgebers wenden. Diese kann er – soweit sie ihn betreffen – aus eigenem Recht anfechten (z.B. BFH, Urt. v. 20.07.2005 - VI R 165/01 - BStBl II 2005, 890 m.w.N.; Bergkemper, jurisPR-SteuerR 42/2005 Anm. 5).



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