Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der 2016 geborene Versicherte leidet unter anderem an einer Entwicklungsstörung und bezieht vom Kläger Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten einer heilpädagogischen Tagesstätte. Am 15.01.2020 beantragten die Eltern des Versicherten bei der Beklagten die Versorgung ihres Kindes mit einem Kinderspezialkrankenbett inklusive Einlegerahmen mit Abpolsterung und Matratze sowie Inkontinenzbezug für insgesamt 9.786,19 Euro. Beigefügt war eine ärztliche Verordnung der Kinderärztin des versicherten Kindes, welche die Verordnung mit folgenden, bei dem Versicherten vorliegenden Diagnosen begründete: kein Gefahrenbewusstsein, angeborene Syndromerkrankung und kombinierte Entwicklungsstörungen. Die Beklagte leitete den Antrag unter Verweis auf § 14 SGB IX zunächst an den Landkreis A. weiter. Sie begründete die Weiterleitung damit, dass es sich bei dem beantragten Bett um ein sog. doppelfunktionales Hilfsmittel handle, welches sowohl der Krankenbehandlung als auch der Pflege dienen könne. Im Falle des Versicherten erfülle das beantragte Bett aber weder die Voraussetzungen für ein Hilfsmittel im Sinne des Krankenversicherungsrechts, noch handle es sich um ein notwendiges Pflegehilfsmittel. Das Bett werde vielmehr zur nächtlichen Beaufsichtigung benötigt und solle mithilfe von Bettgittern der Vermeidung von Stürzen und dem Verbleib des Kindes im Bett dienen. Letzteres sei nicht Aufgabe der Kranken- oder der Pflegeversicherung.
Der Landkreis A. leitete den Antrag zuständigkeitshalber mit dessen Einverständnis an den Kläger weiter. Dieser holte ein Gutachten des medizinischen Dienstes ein, der ausführte, dass die beantragte Versorgung medizinisch nicht notwendig sei. Das Kind sei nicht bettlägerig, sondern vielmehr hyperagil. Empfohlen werde ein möglichst niedriges Bett, Abpolsterung oder die Lagerung der Matzratze auf dem Boden. Pflegemaßnahmen, wie zum Beispiel das Anlegen der erforderlichen Orthesen oder das Wickeln, könnten in einem handelsüblichen Kinderbett, auf der Couch oder auch auf dem Boden vorgenommen werden. Ein Krankenpflegebett sei hierfür nicht zwingend erforderlich. Darüber hinaus diene das beantragte Bett auch nicht der Pflegeerleichterung.
Die Eltern trugen demgegenüber vor, dass es ihnen nicht zumutbar sei, sich zum Wickeln vornüberzubeugen oder in die Hocke zu gehen. Darüber hinaus diene das Bett der Gefahrenabwehr, da ihr Kind, das Bett nachts häufig verlasse und sich dann außerhalb des Bettes gefährden würde.
Mit Bescheid vom 07.05.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.08.2020 lehnte der Kläger den Antrag ab, da es sich bei dem Spezial-Krankenbett weder um ein Hilfsmittel im Sinne des Krankenversicherungsrechts noch um ein notwendiges Pflegehilfsmittel oder um eine notwendige Teilhabeleistung handle.
Am 14.08.2020 erhob der Versicherte, vertreten durch seine Eltern, Klage vor dem Sozialgericht München und stellte zugleich einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Begründet wurde der einstweilige Rechtsschutz mit einer akuten Gefährdungssituation. Aktuell erfolge nachts eine Notversorgung des Kindes mit Stofftieren zur Abpolsterung des Bettes, was jedoch im Hinblick auf die Atemwegserkrankung des Versicherten kontraindiziert sei.
Nach Verweis zum SG Augsburg wurde der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mangels Vorliegens einer Eilbedürftigkeit abgelehnt. Das LSG München verpflichtete auf die dagegen gerichtete Beschwerde den Kläger, den Versicherten vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit dem gewünschten Kinderpflegebett mit Abpolsterung und Inkontinenzbezug zu versorgen. Denn bei dem begehrten Kinderpflegebett handle es sich um ein Hilfsmittel i.S.d. § 33 SGB V, da es im Hinblick auf die in der ärztlichen Verordnung angegebenen Diagnosen „kein Gefahrbewusstsein, Syndromerkrankung, angeborene kombinierte Entwicklungsstörungen“ dem Ausgleich des Grundbedürfnisses „Schlafen“ diene. Aufgrund der Entwicklungsstörungen und des fehlenden Gefahrenbewusstseins drohen dem Versicherten gesundheitliche Beeinträchtigungen, wenn er nachts ungesichert sei. Dadurch werde sein Schlaf und in der Folge seine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gestört. Nicht in Betracht komme dagegen ein Anspruch gegen die Pflegeversicherung, da gegenüber dem Zweck „Sicherung des Grundbedürfnisses Schlaf“ der Aspekt der Pflegeerleichterung zurücktrete. Die Zuständigkeit des Klägers erfolge aus § 14 Abs. 3 SGB IX. Die fehlerhafte Weiterleitung an den Landkreis A. sei aufgrund des Einverständnisses des Klägers unbeachtlich.
Mit Bescheid vom 26.01.2021 nahm der Kläger daraufhin seinen ablehnenden Bescheid vom 07.05.2020 zurück und bewilligte die leihweise Versorgung des Kindes mit dem „Kinder-Spezialkrankenbett Typ Kayser Mod.Olaf 135“ inklusive Zubehör gemäß aktuellem Kostenvoranschlag zum Preis von 11.197,48 Euro inkl. Zubehör.
Im Hauptsacheverfahren gab der Kläger mit Schriftsatz vom 23.02.2021 ein Anerkenntnis ab.
Den Bewilligungsbescheid vom 26.01.2021 übersandte der Kläger der Beklagten und machte einen Erstattungsanspruch geltend. Die Beklagte wies den Anspruch zurück. Sie begründete ihre Ablehnung damit, dass ein „Grundbedürfnis Schlafen“ nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fiele.
Mit Klage vor dem SG Augsburg begehrte der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung eines Betrages i.H.v. 9.786,19 Euro zzgl. eines Verwaltungskostenzuschlags i.H.v. 489, 31 Euro. Er stützte sein Begehren auf § 105 Abs. 1 SGB X. Die Beklagte sei für die Versorgung mit dem Spezial-Kinderpflegebett zuständig gewesen. Dieses ergebe sich eindeutig aus dem Beschluss des LSG München im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Darin habe das LSG München festgestellt, dass die Versorgung mit dem Spezial-Pflegebett von der Beklagten zu erbringen gewesen sei. Die Beklagte vertrat die Auffassung, der Beschluss des LSG München stehe im Widerspruch zu der Rechtsprechung des BSG. Danach seien Betten grundsätzlich Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Im Übrigen diene das Bett nicht dem Behinderungsausgleich, sondern der Unfallverhütung. Die Versorgung mit Hilfsmitteln zur Unfallverhütung falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der GKV.
Das SG Augsburg wies die Klage ab. Ein Erstattungsanspruch nach § 105 Abs. 1 SGB X sei nicht gegeben. Denn bei dem streitigen Kinderkrankenbett handle es sich nicht um ein Hilfsmittel im Sinne des Krankenversicherungsrechts. Ein Hilfsmittel sei von der GKV nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen einer Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitige oder mildere und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betreffe. Der unbeeinträchtigte und ungefährdete Schlaf sei kein Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Gegenstände, die allein der Unfallverhütung dienen, seien nicht dem Ausgleich eines Grundbedürfnisses zuzuordnen.
Am 15.07.2022 legte der Kläger Berufung gegen das Urteil des SG Augsburg ein. Nach § 33 SGB V sei die Beklagte für die Leistungserbringung zuständig gewesen. Dagegen trug die Beklagte erneut vor, dass es nicht ihre Aufgabe sei, den ungestörten und unbeeinträchtigten Schlaf des versicherten Kindes zu schützen. Denn zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zähle nicht der unbeeinträchtigte und ungefährdete Schlaf. Da auch keine Pflegesituation bestehe, in welcher das Kind im Bett gepflegt werden müsse, sei auch ein Pflegehilfsmittel ausgeschlossen.
Das LSG München hat der Klage stattgegeben.
In seiner Begründung führte das LSG München aus, dass der Kläger einen Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X gegenüber der Beklagten gehabt habe, da die Beklagte für die Versorgung des Kindes mit dem Kinderkrankenbett zuständig gewesen sei. Rechtsgrundlage für die Versorgung sei § 42 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX i.V.m. § 47 SGB IX. Denn die Versorgung mit dem Spezial-Kinderbett diene im Rahmen der medizinischen Rehabilitation dem Behinderungsausgleich des versicherten Kindes. Die Versorgung mit dem speziellen Kinderbett sei erforderlich gewesen, um die Auswirkungen der Behinderung des Kindes im gesamten täglichen Leben zu mildern und betreffe ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Denn bei behinderten Kindern und Jugendlichen gehöre auch das Schlafen zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Durch das Kindertherapiebett werde das versicherte Kind in die Lage versetzt, ruhiger und ohne größere Störungen zu schlafen und damit auch im Alltag entspannter und weniger aggressiv zu sein. Bei Kindern und Jugendlichen, deren Schlafverhalten behinderungsbedingt gestört sei, fallen daher Maßnahmen, die erforderlich seien, um die Folgen des behinderungsbedingten gestörten Schlafverhaltens im Alltag auszugleichen oder abzumildern, in den Zuständigkeitsbereich der GKV.
Im Übrigen sei das streitige Bett auch gemäß § 40 SGB XI Pflegehilfsmittel, welches zur Erleichterung der Durchführung pflegerischer Maßnahmen erforderlich sei. Denn es erleichtere die pflegerische Versorgung des Kindes, indem es den Eltern als Pflegepersonen aufgrund der Höhenverstellbarkeit des Bettes das Wickeln, das Einführen von Klistieren und das Anlegen von Orthesen in Arbeitshöhe ermögliche, ohne dass die Gefahr bestünde, dass der Versicherte aufgrund seines Bewegungsdranges von einem Wickeltisch, wie er für jüngere Kinder vorgesehen ist, herunterfiele und sich verletzte.
Dienen Hilfsmittel sowohl den in § 33 SGB V als auch den in § 40 SGB XI genannten Zwecken, prüfe der Leistungsträger, bei dem die Leistung beantragt würde, ob ein Anspruch gegenüber der Krankenkasse oder der Pflegekasse bestehe und entscheide insgesamt über die Bewilligung der Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel.
Im Hinblick auf die Frage, ob Schlafen ein Grundbedürfnis im Sinne des mittelbaren Behinderungsausgleichs sein kann, hat das LSG München die Revision zugelassen.
Kontext der Entscheidung
Nach § 47 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX sind die Träger der medizinischen Rehabilitation für die Versorgung mit Hilfsmitteln zuständig, die erforderlich sind, um eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen. Zur Beurteilung, ob eine Versorgung mit einem Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung im Rahmen der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens dient, unterscheidet das BSG zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren Behinderungsausgleich (vgl. BSG, Urt. v. 14.06.2023 - B 3 KR 8/21 R Rn. 16 ff.).
Danach dient ein Hilfsmittel des unmittelbaren Behinderungsausgleichs dem Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, während es im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs die direkten oder indirekten Behinderungsfolgen im Rahmen der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens ausgleichen soll (vgl. Nellissen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., Stand 05.09.2025, § 47 Rn. 55 ff.). Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören nach ständiger Rechtsprechung des BSG (statt vieler BSG, Urt. v. 14.06.2023 - B 3 KR 8/21 R Rn. 16 ff. und BSG, Urt. v. 07.05.2020 - B 3 KR 7/19 R Rn. 27) das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Bei Kindern und Jugendlichen zählt im Rahmen des geistigen Freiraums auch die Schulbildung zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens (BSG, Urt. v. 03.11.2011 - B 3 KR 8/11 R Rn. 15).
Das LSG München hat den Katalog der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens – soweit es Kinder und Jugendliche betrifft – um das „Schlafen“ erweitert (so bereits das SG Berlin, Urt. v. 11.01.2018 - S 111 P 433/16 Rn. 24). Das LSG München sieht im Hinblick auf den Schlaf eines behinderten Kindes weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht einen Unterschied zu den anerkannten Grundbedürfnissen des täglichen Lebens und stellt den Schlaf eines Kindes oder Jugendlichen als weiteres Grundbedürfnis daneben. Auch wenn das Schlafen an sich keine Maßnahme der Teilhabe am täglichen Leben darstelle, sei der Schlaf vergleichbar mit anderen anerkannten Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. So stellten auch die Nahrungsaufnahme oder das Ausscheiden für sich genommen keine Maßnahmen der Teilhabe am täglichen Leben dar.
Die Ausführungen des LSG München überzeugen. Das Therapiebett verhilft betroffenen Kindern ruhiger und ohne große Störungen zu schlafen mit der Konsequenz, dass sie im Alltag entspannter und weniger aggressiv sind. Es mildert somit die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens.
Es bleibt abzuwarten, ob die Beklagte Revision gegen das Urteil einlegen wird, um eine Entscheidung des BSG herbeizuführen.