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Anmerkung zu:LSG Essen 10. Senat, Urteil vom 19.03.2025 - L 10 KR 9/24 KH
Autor:Ulrich Knispel, Vors. RiLSG a.D.
Erscheinungsdatum:26.06.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 275 SGB 5, § 2 SGB 5, § 301 SGB 5, § 275c SGB 5
Fundstelle:jurisPR-SozR 13/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Thomas Voelzke, Vizepräsident des BSG a.D.
Jutta Siefert, Ri'inBSG
Zitiervorschlag:Knispel, jurisPR-SozR 13/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Keine Informationsobliegenheit des Krankenhauses bei Abrechnung des Zusatzentgelts für Apherese-Thrombozytenkonzentrate



Orientierungssatz zur Anmerkung

Ein Krankenhaus ist nicht verpflichtet, außerhalb einer Abrechnungsprüfung durch den Medizinischen Dienst für die Abrechnung des Zusatzentgelts für Apherese-Thrombozytenkonzentrate (ATK) gegenüber der Krankenkasse eine Begründung abzugeben.



A.
Problemstellung
Werden bei einer stationären Behandlung im Krankenhaus Thrombozytenkonzentrate (TK) gegeben, kann das Krankenhaus hierfür ein Zusatzentgelt abrechnen. Thrombozytenkonzentrate können entweder aus Vollblutspenden, wofür 4 bis 6 Spenden zusammengeführt werden, oder mithilfe eines maschinellen Verfahrens (Apherese) von einem Spender gewonnen werden. Das Zusatzentgelt für die Apherese-TK (ATK) ist höher als das für die Pool-TK (PTK). Welche Folgen hat es, wenn das Krankenhaus das Zusatzentgelt für ATK abrechnet, die Krankenkasse aber nur das Zusatzentgelt für PTK bezahlt, ohne das Prüfverfahren durch den Medizinischen Dienst durchzuführen?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In dem von der klagenden Trägerin betriebenen Krankenhaus wurde ein bei der beklagten Krankenkasse Versicherter im August 2015 wegen einer infektiösen Endokarditis vollstationär behandelt, wobei unter anderem die Aortenklappe ersetzt wurde. In der Rechnung vom 25.08.2015 rechnete die Klägerin unter anderem das Zusatzentgelt für ATK ab. Die Beklagte kürzte die Rechnung und teilte der Klägerin mit, mangels einer Begründung für die Gabe von ATK habe man nur den Betrag für das Zusatzentgelt für PTK überwiesen. Man erwarte eine Begründung bis zum 14.09.2015. Diese erfolgte nicht; die Beklagte veranlasste keine Prüfung durch den (damaligen) Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK).
Zur Begründung ihrer im Februar 2019 erhobenen Klage trug die Klägerin vor, die Gabe von ATK sei nicht unwirtschaftlich, es gebe keine medizinischen Daten, dass ATK und PTK gleichwertig seien.
Das Sozialgericht verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung des Differenzbetrages von 369,66 Euro. Da die Beklagte eine Prüfung durch den MDK unterlassen habe, gelte ein beschränkter Maßstab für die gerichtliche Prüfung der Abrechnung. Die Beklagte sei zwar nicht mit ihren Einwendungen ausgeschlossen, jedoch dürfe für deren Prüfung nicht mehr auf die Unterlagen des Krankenhauses zurückgegriffen werden, sondern nur auf Beweismittel außerhalb der Patientendokumentation. Die Gleichwertigkeit von ATK und PTK sei in Abhängigkeit von der jeweils durchgeführten Behandlung zu betrachten. Entgegen der Ansicht der Beklagten könne auf der Grundlage der Daten nach § 301 SGB V nicht sicher ausgeschlossen werden, dass bei dem Versicherten Umstände vorgelegen hätten, die einen zwingenden Vorrang von ATK gegenüber PTK begründen könnten. Dieses Ergebnis gehe zulasten der Beklagten.
Die Beklagte begründete ihre Berufung damit, sie habe nicht den MDK beauftragen müssen, denn die Kläger sei aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots verpflichtet gewesen, im Rahmen der Daten nach § 301 SGB V anzugeben, warum ausnahmsweise die Gabe von ATK indiziert gewesen sei.
Das LSG Essen hat die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte sei zwar nicht zur Durchführung des Prüfverfahrens durch den MDK verpflichtet gewesen und sei auch nicht deswegen mit ihren Einwendungen ausgeschlossen. Jedoch sei in solchen Fällen die Amtsermittlungspflicht der Sozialgerichte beschränkt. Die Erhebung und Verwertung derjenigen Daten, die nur im Rahmen des Prüfverfahrens durch den MDK beim Krankenhaus hätten erhoben werden können, sei dem Gericht verwehrt. Ermittlungen des Gerichts seien nur angezeigt, wenn die Krankenkasse auf konkrete Beweismittel außerhalb der Behandlungsunterlagen des Krankenhauses Bezug nehme, aus denen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden können, die, wenn sie zutreffen, geeignet seien, den Vergütungsanspruch des Krankenhauses zu reduzieren oder gar auszuschließen. Die Kasse treffe eine gesteigerte Darlegungslast, sie müsse ihre Einwände gegen den Vergütungsanspruch des Krankenhauses auch ohne die Notwendigkeit der Datenerhebung beim Krankenhaus schlüssig vortragen.
„Nach diesen Maßstäben“ könne die Beklagte gegen den Vergütungsanspruch nicht einwenden, die Klägerin habe im Rahmen der Daten nach § 301 SGB V die Gabe der ATK nicht begründet.
Eine Verpflichtung zur Übermittlung einer Ausnahmeindikation lasse sich dem abschließenden Katalog des § 301 SGB V nicht entnehmen. Eine medizinische Begründung sei nach § 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V auf Verlangen nur bei Überschreiten der voraussichtlichen Dauer der Krankenhausbehandlung vorzulegen. Ebenso wenig ergebe sich ein solche Pflicht aus § 2 Abs. 1 Satz 2 des nordrhein-westfälischen Landesvertrages, der nur Notwendigkeit und Dauer der Behandlung betreffe.
Darüber hinaus widerspreche es der dargestellten Verteilung der Darlegungslast, wenn die Beklagte ihre Einwendungen darauf beschränken könne, dass sich ohne Begründung aus den Daten nach § 301 SGB V nicht das Vorliegen einer Ausnahmeindikation für die Gabe von ATK ergebe, weil damit doch wieder das Krankenhaus die Darlegungslast trage. Das Landessozialgericht meint ferner, mit der Rechtsauffassung der Beklagten werden systemwidrig innerhalb des dreistufigen Prüfungsschemas Prüfungsschritte der zweiten und dritten Prüfungsstufe auf die erste Stufe verlagert. Auf der ersten Stufe der Abrechnungsprüfung habe das Krankenhaus nur die Angaben nach § 301 SGB V zu machen. Die Mitarbeiter der Krankenkasse können dann auf der zweiten Stufe nach § 275 SGB V den Medizinischen Dienst befragen, wenn sich für sie aus diesen Angaben nicht die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder die Voraussetzungen für die Abrechnung ergeben. Der Medizinische Dienst habe dann auf der dritten Stufe die Möglichkeit, vom Krankenhaus die Behandlungsunterlagen anzufordern. Habe – wie hier – das Krankenhaus seine Informationspflichten nach § 301 SGB V vollständig erfüllt, sei kein Raum für die Forderung nach einer weitergehenden Informationsobliegenheit des Krankenhauses, denn zusätzliche Angaben zur Behandlung müsse das Krankenhaus erst auf der dritten Stufe gegenüber dem Medizinischen Dienst machen.
Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung des BSG vom 10.03.2015 (B 1 KR 2/15 R). Zwar habe dort das BSG entschieden, dass die Gabe von ATK nur indiziert sei, wenn in der Person des Patienten bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Das BSG sei dabei jedoch von den Feststellungen des Landessozialgerichts ausgegangen, an die es gebunden gewesen sei. Der Entscheidung lasse sich aber keine gesteigerten Anforderungen an die Informationspflicht des Krankenhauses entnehmen. Vielmehr sei die Notwendigkeit der Gabe von ATK jeweils im Einzelfall festzustellen.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Beklagte hatte in der mündlichen Verhandlung angegeben, sie bestreite nicht die Fälligkeit des Anspruchs, sondern dessen Bestehen. Vor dem Hintergrund ihrer Forderung nach einer Begründung für die Abrechnung der ATK, die sie auf eine „sehr strenge Auslegung“ des § 301 SGB V stützen will, ist diese Angabe nicht verständlich, denn wenn eine entsprechende Informationsobliegenheit besteht, ist ohne deren Erfüllung die Forderung noch nicht fällig (vgl. BSG, Urt. v. 28.05.2003 - B 3 KR 10/02 R). Mangels Fälligkeit läuft dann auch nicht die Prüffrist des § 275c Abs. 1 Satz 1 SGB V (bzw. hier des damals noch geltenden § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V a.F., vgl. BSG, Urt. v. 16.05.2012 - B 3 KR 14/11 R). Das LSG Essen hat zu Recht dem Verständnis der Erklärung der Beklagten keine entscheidende Bedeutung beigemessen, weil es für seine Ansicht letztlich irrelevant war, ob die Beklagte „nur“ die Fälligkeit oder das Bestehen des weiter gehenden Vergütungsanspruchs bestritt.
Der Umstand, dass die Beklagte keine Abrechnungsprüfung durch den (damaligen) MDK veranlasste, schließt sie mit ihrer Einwendung gegen die Berechtigung der Abrechnung des Zusatzentgeltes für ATK nicht aus, wie das BSG zuletzt nochmals klargestellt hat (BSG, Urt. v. 18.05.2021 - B 1 KR 39/20 R; BSG, Urt. v. 22.06.2022 - B 1 KR 19/21 R). Allerdings ist ohne MD-Prüfung der Zugriff auf die Behandlungsunterlagen sowohl für die Kasse als auch die Gerichte ausgeschlossen; die Krankenkasse kann sich nur auf andere Beweismittel stützen. Hier hatte die Beklagte geltend gemacht, dass ATK und PTK grundsätzlich gleichwertig seien und die Klägerin das Vorliegen einer Ausnahmeindikation, bei der die Gabe von ATK indiziert sei, nicht mitgeteilt habe; eine solche ergebe sich auch nicht aus den nach § 301 SGB V mitgeteilten Diagnosen.
Das LSG Essen hat sich nicht zu der umstrittenen Frage geäußert, ob ATK und PTK grundsätzlich gleichwertig sind und unter welchen Voraussetzungen nur die Gabe von ATK in Betracht kommt oder ob der Einsatz von ATK der „Goldstandard“ ist. Bei Gleichwertigkeit von ATK und PTK – von der die Beklagte ausgegangen ist – sind die Krankenhäuser nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet, die kostengünstigeren PTK einzusetzen; sie können sich auch nicht auf Versorgungsmängel hinsichtlich der PTK berufen, da sie das Risiko einer kostengünstigen Beschaffung tragen (BSG, Urt. v. 10.03.2015 - B 1 KR 2/15 R). Nimmt man an, dass nur in besonderen Fällen eine Indikation für die Gabe von ATK besteht, muss das Krankenhaus nach den allgemeinen Grundsätzen die Wirtschaftlichkeit seiner Behandlung und damit die Erforderlichkeit deren Einsatzes im Streitfall darlegen. Geht man dagegen davon aus, dass ATK überlegen sind, kann selbstverständlich deren Verwendung nicht unwirtschaftlich sein, weil sie allein geeignet und erforderlich sind.
Vereinzelt ist in der Rechtsprechung – gestützt auf im Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten – angenommen worden, dass ATK und PTK im operativen Bereich nicht gleichwertig seien und der Einsatz von ATK der „Goldstandard“ sei (SG Detmold, Urt. v. 01.09.2020 - S 2 KR 1333/19; SG Nürnberg, Urt. v. 15.06.2018 - S 21 KR 332/15). Diese Beurteilung der Sachverständigen wird aber allein damit begründet, dass es für PTK keine Nichtunterlegenheitsstudien gebe, geht also davon aus, dass „an sich“ ATK einzusetzen seien. Dabei wird aber ausgeblendet, dass genauso wenig eine Überlegenheit von ATK durch Studien belegt ist (vgl. SG Detmold, Urt. v. 27.07.2023 - S 23 KR 86/19). Der Arbeitskreis Blut des BMG hat in einer Stellungnahme vom 31.03.2015 festgestellt, dass keine klinischen Studien zu einer gleichwertigen oder unterschiedlichen therapeutischen Wirksamkeit von ATK und PTK vorliegen und hat auch unter Berücksichtigung des mathematisch höheren Infektionsrisikos bei PTK, die aber im Bereich der Schwankungsbreite von Infektionsrisiken bei Spenden humanen Ursprungs liegen, beide Produkte als wirksam und sicher eingeschätzt (Bundesgesundheitsbl. 2015, 58:1126). Die Bundesärztekammer (BÄK) zitiert in den Querschnitts-Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivate, Gesamtnovelle 2020, zur Auswahl der TK die Stellungnahme des Arbeitskreises Blut und weist darauf hin, dass keine Studien zur therapeutischen Unterschieden vorliegen und dass internationale Leitlinien bei nicht-immunisierten Patienten keinen Unterschied in der Anwendung zwischen ATK und PTK machen (S. 53 f; https://www.wbbaek.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/pdf-Ordner/MuE/Querschnitts-Leitlinien_BAEK_zur_Therapie_mit_Blutkomponenten_und_Plasmaderivaten-Gesamtnovelle_2020.pdf, zuletzt abgerufen am 24.06.2025). Auch das für die Zulassung von Blutprodukten zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) geht in seinen Stellungnahmen in Gerichtsverfahren davon aus, dass ATK und PTK sich hinsichtlich der Parameter Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit nicht unterscheiden (vgl. die Nachweise in SG Detmold, Urt. v. 27.07.2023 - S 23 KR 86/19).
Der Arbeitskreis Blut hat in seiner Stellungnahme allerdings ausgeführt, da beide Produkte nicht gleichartig seien, obliege dem behandelnden Arzt im Rahmen seiner Therapieverantwortung die Auswahl der entsprechend geeigneten Produkte. Ähnlich hat das PEI in seinen Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass der behandelnde Arzt das geeignete Produkt auf der Grundlage einer differenzierten Nutzen-Risiko-Abwägung im Einzelfall wählen müsse. Das bedeutet aber nicht, dass damit die Auswahl in das Belieben des behandelnden Arztes gestellt ist. Wenn es keinen generellen Vorrang von ATK gibt, ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot das Krankenhaus im Ausgangspunkt verpflichtet, die kostengünstigeren PTK einzusetzen. Nur dann, wenn aufgrund patientenindividueller Umstände ATK erforderlich sind, ist deren Gabe wirtschaftlich. In welchen Konstellationen die Indikation für ATK besteht, ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) zu beurteilen. Vereinfacht gesagt: Der Einsatz von PTK ist die Regel, der Einsatz von ATK die Ausnahme.
Bei dieser Ausgangslage obliegt es damit dem Krankenhaus, den Einsatz von ATK zu begründen (vgl. auch LSG Chemnitz, Urt. v. 18.12.2019 - L 1 KR 527/17). Da hier die Klägerin den noch nicht gezahlten Mehrbetrag für die ATK eingeklagt hatte, trug sie nach den allgemeinen Regeln die objektive Beweislast für die Erforderlichkeit von ATK (vgl. BSG, Urt. v. 30.06.2009 - B 1 KR 24/08 R; BSG, Urt. v. 22.06.2022 - B 1 KR 19/21 R), entsprechend musste sie auch die Gründe für den Einsatz darlegen. Die Erforderlichkeit kann sich selbstverständlich aus den nach § 301 SGB V mitgeteilten kodierten Diagnosen und sonstigen Maßnahmen ergeben. Hier hatte die Beklagte aber geltend gemacht, aus diesen Daten ergebe sich keine Ausnahmeindikation. Es war daher Sache der Klägerin entweder aufzuzeigen, aus welchen Gründen dies nicht zutraf bzw. welche nicht aus den Abrechnungsdaten ersichtlichen Umstände die Erforderlichkeit von ATK begründete.
Dem Tatbestand des Urteils lässt sich der Vortrag der Klägerin nicht im Einzelnen entnehmen. Wenn die Klage erstinstanzlich allein damit begründet wurde, es lägen keine Daten zur Gleichwertigkeit von ATK und PTK vor, deutet dies eher darauf hin, dass die Klägerin eine patientenindividuelle Begründung nicht für erforderlich hielt. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin wohl „ergänzend“ vorgetragen, gerade aus den nach § 301 SGB V übermittelten Daten ergeben sich konkret kodierte Umstände, die für eine Gabe von ATK anstelle von PTK sprechen. Das LSG Essen nimmt dazu nicht Stellung, es begründet auch nicht, weshalb es davon überzeugt ist, dass die Abrechnung von ATK hier wirtschaftlich war. Es führt zwar aus, es obliege den Sozialgerichten, die Notwendigkeit der Gabe von ATK im Einzelfall festzustellen, trifft dazu aber keine auf den konkreten Fall bezogene Feststellung. Es begnügt sich mit der Aussage, die Beklagte könne sich nicht gegen den Anspruch mit dem Hinweis verteidigen, die Klägerin habe mit den Daten nach § 301 SGB V eine Begründung für die Abrechnung von ATK mittteilen müssen. Damit vermischt es die Frage, ob schon bei der Abrechnung das Krankenhaus die Ausnahmeindikation darlegen muss (mit der Folge, dass nur dann die Forderung fällig ist und die Frist zur Abrechnungsprüfung zu laufen beginnt) mit der davon zu unterscheidenden Frage, ob im Streitfall das Krankenhaus die Indikation für die ATK darzulegen hat. Auch wenn keine Informationsobliegenheit nach § 301 SGB V bestand (dazu gleich), ändert dies nichts daran, dass der Anspruch auf das höhere Zusatzentgelt nur begründet war, wenn eine Ausnahmeindikation für den Einsatz von ATK bestand, für welche die Klägerin die objektive Beweislast trug.
Die Frage nach den Gründen für den Einsatz von ATK hat auch nichts damit zu tun, dass nur der Medizinische Dienst Zugriff auf die Behandlungsunterlagen des Krankenhauses nehmen darf. Das Krankenhaus muss nur darlegen, welche Gründe es zum Einsatz von ATK bewogen haben. Danach stellt sich die weitere Frage, ob diese Begründung plausibel ist und in den Behandlungsunterlagen eine Stütze finden können – und erst dann kann sich auch die unterbliebene Abrechnungsprüfung auswirken, wenn ohne diese Unterlagen die Indikation nicht abschließend beurteilt werden kann. Das LSG Essen hätte auf der Grundlage des Vortrags der Klägerin darlegen müssen, welche der nach § 301 SGB V mitgeteilten Daten die Erforderlichkeit von ATK begründen konnten (wozu es vermutlich sachverständiger Hilfe bedurft hätte) und ob deren inhaltliche Richtigkeit nur mit Hilfe der Behandlungsunterlagen überprüfbar war. Wenn es dagegen von der Beklagten verlangt hat, vorzutragen, aufgrund welcher Umstände die Gabe von ATK nicht notwendig gewesen bzw. die Gabe von PTK ausreichend gewesen wäre, unterstellt es die Richtigkeit der Abrechnung, die dann von der Beklagten zu entkräften war – was dem dargelegten Regel-Ausnahme-Verhältnis und der daraus folgenden Beweislast für die Erforderlichkeit von ATK widerspricht.
Von der Pflicht zur Darlegung einer Ausnahmeindikation im Verfahren zu unterscheiden ist die Frage, ob bereits bei der Abrechnung im Rahmen des § 301 SGB V eine Begründung erforderlich war. Wenn es nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot einen grundsätzlichen Vorrang des Einsatzes von PTK gibt, kann sich schon die Frage nach einer Informationsobliegenheit hinsichtlich der Verwendung von ATK stellen. Das LSG Essen hat nur relativ knapp festgestellt, dass der abschließende Katalog des § 301 Abs. 1 SGB V keine entsprechende Vorgabe enthalte, ohne sich mit der Rechtsprechung des BSG zum Umfang der Informationspflichten zu befassen. Das BSG hat zunächst bei Leistungen, die grundsätzlich ambulant erbracht werden können, eine Begründung für deren stationäre Durchführung gefordert (BSG, Urt. v. 16.05.2012 - B 3 KR 14/11 R; BSG, Urt. v. 21.03.2013 - B 3 KR 28/12 R). Darüber hinausgehend hat es in der weiteren Rechtsprechung verlangt, ein Krankenhaus müsse begründen, warum es eine Strahlentherapie als nachstationäre Behandlung erbracht habe und nicht als ambulante Behandlung im Rahmen der erteilten Ermächtigung (BSG, Urt. v. 17.09.2013 - B 1 KR 51/12 R), und es hat sogar gefordert, das Krankenhaus müsse die Gründe für eine abweichende oder umstrittene Auslegung von Abrechnungsvorschriften oder Kodierung darlegen (BSG, Urt. v. 13.11.2012 - B 1 KR 14/12 R; BSG, Urt. v. 01.07.2014 - B 1 KR 24/13 R). Es läge in der Logik dieser Rechtsprechung, entsprechend auch für den Einsatz von ATK statt der kostengünstigeren PTK eine (kurze) Begründung zu fordern. Hierfür spräche auch, dass mit einer solche Information vermutlich in vielen Fällen die für beide Seiten aufwändige Abrechnungsprüfung entfallen könnte, was gerade im Rahmen des von vertrauensvoller Zusammenarbeit und gegenseitiger Rücksichtnahme geprägten professionellen Kooperationsverhältnisses von Krankenkassen und Krankenhausträgern (vgl. dazu BSG, Urt. v. 16.07.2020 - B 1 KR 15/19 R) von Bedeutung wäre. Allerdings ist einzuräumen, dass zwar die geforderte Begründung für die stationäre Durchführung einer grundsätzlich ambulant möglichen Behandlung sich noch dem „Grund der Aufnahme“ (§ 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V) zuordnen lässt, für die weiter gehenden Informationspflichten ist eine entsprechende Zuordnung zu einer der Ziffern des Katalogs kaum möglich. Dass zu den „berechneten Entgelten“ (Nr. 9) auch zählen soll, warum eine bestimmte Abrechnung vorgenommen worden ist (so Scholz in: BeckOK Sozialrecht, 76. Ed. 01.03.2025, § 301 SGB V Rn. 2), ist schwer nachvollziehbar. Und keine Ziffer ist einschlägig für die Darlegung der Erbringung einer nachstationären Behandlung anstelle einer ambulanten. Ebenso wenig wäre die von der Beklagten geforderte Begründung unter die Nr. 6 zu fassen, die ja ausdrücklich nur Datum und Art der durchgeführten Maßnahmen fordert, aber nicht den medizinischen Grund für die Durchführung (LSG Chemnitz, Urt. v. 18.12.2019 - L 1 KR 527/17). Wenn der Katalog des § 301 Abs. 1 SGB V abschließend die zu übermittelnden Daten aufzählt, gibt es keinen Raum für die Forderung nach weiteren Informationen zur Abrechnung, mögen diese auch zur besseren Transparenz der Abrechnung beitragen (vgl. Knispel, GesR 2015, 200, 205).
Im Ergebnis ist daher dem LSG Essen zuzustimmen, dass keine Informationsobliegenheit der Klägerin hinsichtlich des Einsatzes von ATK bestand.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Bezweifelt eine Krankenkasse die Abrechnung von ATK, empfiehlt es sich, eine Abrechnungsprüfung durch den Medizinischen Dienst zu veranlassen. Das Krankenhaus ist nicht von sich aus verpflichtet, bereits bei der Abrechnung der ATK deren Einsatz zu begründen. Zwar kann die Kasse auch ohne Einschaltung des Medizinischen Dienstes die – angenommene – Unwirtschaftlichkeit rügen und das Krankenhaus hat auch, sofern nicht die Kasse bereits vorbehaltlos gezahlt hat, die Ordnungsgemäßheit seiner Abrechnung und damit auch die Wirtschaftlichkeit seiner Behandlung darzulegen. Das Krankenhaus muss aber seine Behandlungsunterlagen nicht herausgeben, für die Prüfung der Indikation für den Einsatz von ATK darf auf diese nur zurückgegriffen werden, wenn das Krankenhaus sie freiwillig zur Verfügung stellt. Der sich daraus ergebenden Beweisnot des Krankenhauses ist ggf. durch eine Beweislastumkehr Rechnung zu tragen (BSG, Urt. v. 22.06.2022 - B 1 KR 19/21 R). Das BSG weist zwar darauf hin, dass eine Überzeugungsbildung des Gerichts zugunsten der Krankenkasse nicht bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil sich aus den Behandlungsunterlagen etwas anderes ergeben könnte, wenn jedoch relevante Tatsachen unaufklärbar bleiben, geht diese zulasten der Kasse. Das kann sie nur vermeiden, wenn sie innerhalb der Frist des § 275c Abs. 1 Satz 1 SGB V eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst hat durchführen lassen.



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