juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 1. Strafsenat, Beschluss vom 07.07.2025 - 1 StR 484/24
Autor:Leonard Held, Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Erscheinungsdatum:13.10.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 370 AO 1977, § 27 StGB, § 17 StGB, § 25 StGB, § 3 BRAO, Art 20 GG, § 185 StGB, Art 5 GG
Fundstelle:jurisPR-StrafR 20/2025 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Mayeul Hiéramente, RA und FA für Strafrecht
Zitiervorschlag:Held, jurisPR-StrafR 20/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Berufstypische Handlungen und die Strafbarkeit von Rechtsanwälten durch Rechtsgutachten



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Das Bewusstsein und der Wille eines Rechtsanwalts bei Erteilung eines Rechtsrats ist in der Regel darauf gerichtet, pflichtgemäß Rat zu erteilen, und nicht darauf, eine Straftat zu fördern.
2. Die in Rechtsgutachten geäußerten Rechtsauffassungen können wegen ihres normativen Charakters grundsätzlich nicht ohne Weiteres nach den Kategorien „richtig“ oder „falsch“ bewertet werden. Vielmehr steht es einem beratenden Rechtsanwalt frei, in einer streitigen Rechtsfrage zu einer von der überwiegenden oder sogar herrschenden Meinung abweichenden Rechtsauffassung zu gelangen, soweit diese rechtlich vertretbar ist.
3. Hiervon sind unrichtige deskriptive Aussagen über das Recht zu unterscheiden. Verschweigt ein Rechtsanwalt in seinem Rechtsgutachten etwa bewusst, dass es zu der von ihm begutachteten Rechtsfrage eine (beachtliche) Gegenauffassung oder gute Gegenargumente gibt, so kann er eine „falsche“ Rechtsauskunft geben.
4. Daneben kann eine Rechtsauskunft auch dann unrichtig sein, wenn der Begutachtung bewusst ein falscher oder unvollständiger Sachverhalt zugrunde gelegt wird, um zu dem gewünschten rechtlichen Ergebnis zu gelangen.



A.
Problemstellung
Große wirtschaftliche Vorgänge sind oft sehr komplex. Unternehmen und Privatpersonen müssen sich deshalb regelmäßig fachliche Unterstützung holen, meist durch spezialisierte Berater. Macht sich der Beratene strafbar, stellt sich die Frage ob und wie auch der Berater strafrechtlich dafür belangt werden kann.
In der Praxis handelt es sich oft um Rechtsberatung von Rechtsanwälten. In komplizierten Fällen erfolgt die Beratung in der Regel durch ein Rechtsgutachten. In der gegenständlichen Entscheidung des BGH geht es um die Strafbarkeit eines Rechtsanwalts, der mehrere Rechtsgutachten zur steuerlichen Rechtmäßigkeit von Cum-Ex-Geschäften erstellte.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Gegenstand des Beschlusses ist die Revision des Angeklagten gegen seine Verurteilung als Gehilfe zur Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1, 3 AO i.V.m. § 27 StGB. Hintergrund der Entscheidung war eine steuerrechtliche Beratung im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften. Der Angeklagte beriet im Rahmen seiner Beauftragung als Rechtsanwalt eine Bank, die Cum-Ex-Geschäfte ausführte. Dabei schrieb er mehrere Rechtsgutachten, in denen er zur steuerlichen Rechtmäßigkeit der Geschäfte gelangte.
Das LG Frankfurt ordnete die Beratung des Rechtsanwalts inklusive der Gutachten als „berufstypische Handlungen“ ein (LG Frankfurt, Urt. v. 30.01.2024 - 5/24 KLs 7480 Js 208433/21 Rn. 805). Die erhöhten Anforderungen an den Vorsatz bei berufstypischen Handlungen habe der Angeklagte erfüllt. Er habe mindestens ein hohes Risiko erkannt, dass die Verantwortlichen der Bank eine Straftat begehen würden, und hätte sich mit ihnen solidarisiert. Besonders deutlich werde dies daran, dass er zentrale Tatsachen wider besseres Wissen nicht (vollständig) dargestellt habe (LG Frankfurt, Urt. v. 30.01.2024 - 5/24 KLs 7480 Js 208433/21 Rn. 808 f.).
Der BGH bestätigt in diesem Beschluss die rechtliche Bewertung des Landgerichts und verwirft die Revision. Gleichzeitig präzisiert er seine Rechtsprechung zur Beihilfestrafbarkeit von Rechtsanwälten, die Rechtsgutachten erstellen.
Rechtsanwälte und Steuerberater könnten durch berufstypische Handlungen eine strafbare Beihilfe begehen. Ob eine berufstypische Handlung strafbar sei, müsse in einer wertenden Betrachtung des Einzelfalls entschieden werden. Nach Ansicht des BGH können Rechtsanwälte und Steuerberater auch durch berufstypische Handlungen eine strafbare Beihilfe leisten. Ob eine solche Handlung strafbar ist, müsse im Einzelfall wertend entschieden werden. Allerdings sei das Bewusstsein und der Wille eines Rechtsanwalts bei der Erteilung eines Rechtsrats in der Regel darauf gerichtet, pflichtgemäß Rat zu erteilen, und nicht darauf, eine Straftat zu fördern. Rechtsanwälte seien gemäß § 3 BRAO dazu berufen, unabhängig zu beraten und zu vertreten. Als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips müssen sie Bürgern die notwendigen Rechtskenntnisse zur Durchsetzung ihrer Rechte vermitteln (Rn. 4).
Aussagen über das Recht seien einteilbar in normative und deskriptive Aussagen. Normative Aussagen seien grundsätzlich nicht ohne Weiteres als „richtig“ oder „falsch“ zu bewerten. Rechtsanwälten stünde es frei, „sogar“ von einer herrschenden Meinung abzuweichen, soweit ihre Ansicht vertretbar sei. Rechtsauskünfte lege artis bewegten sich innerhalb des erlaubten Risikos.
Deskriptive Aussagen über das Recht könnten hingegen falsch sein, wenn eine „beachtliche“ Gegenauffassung oder „gute“ Gegenargumente verschwiegen würden. Zudem sei eine Rechtsauskunft auch dann falsch, wenn der Gutachter bewusst einen falschen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde legt, um zu dem gewünschten rechtlichen Ergebnis zu gelangen (Rn. 4 f.).
Im konkreten Fall habe der Angeklagte seine Rechtsgutachten vorsätzlich auf einen unzutreffenden Sachverhalt gestützt. Damit hat er sich nach Auffassung des BGH wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung strafbar gemacht (Rn. 6 f.).


C.
Kontext der Entscheidung
Grundsätzlich ist die Entscheidung des BGH zu begrüßen. Erstens konkretisiert die Rechtsprechung, inwiefern sich Rechtsanwälte durch das Erstellen von Rechtsgutachten strafbar machen können. Die Unterscheidung in normative und deskriptive Aussagen vermittelt den Eindruck einer einfacheren Handhabung. Zweitens ist es zu begrüßen, dass das Gericht die Strafbarkeit restriktiv auslegt und sich dabei auf das Berufsrecht sowie – wenn auch nur knapp – auf das Rechtsstaatsprinzip stützt.
Allerdings verbleiben erhebliche Unklarheiten, die ich nur überblicksartig andeuten möchte:
I. Dogmatik der berufstypischen Handlung
Im Lichte der bisherigen Rechtsprechung und der Entscheidung des LG Frankfurt wirft der BGH-Beschluss die Frage auf, wie sich die Figur der berufstypischen Handlung weiterentwickelt.
Zunächst zu den Grundlagen: Die in der Rechtsprechung geläufige Formulierung zur berufstypischen Handlung geht auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1999 (BGH, Beschl. v. 20.09.1999 - 5 StR 729/98 - NStZ 2000, 34) zurück, die letztlich an eine Entscheidung des RG von 1904 (RG, Urt. v. 17.11.1904 - 1178/04 - RGSt 37, 321) anknüpft (vgl. Kudlich in: BeckOK-StGB, 66. Ed. 2025, § 27 StGB Rn. 15.1). Danach gilt: „Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den 'Alltagscharakter'; es ist als 'Solidarisierung' mit dem Täter zu deuten und dann auch nicht mehr als 'sozialadäquat' anzusehen. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung 'die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein' ließ“ (BGH, Beschl. v. 20.09.1999 - 5 StR 729/98 - NStZ 2000, 34).Die Rechtsprechung verfolgt – in Anlehnung an Roxin – eine gemischt objektiv-subjektive Lösung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung (vgl. Kudlich in: BeckOK-StGB, 66. Ed. 2025, § 27 StGB Rn. 14; vgl. Roxin, StrafR AT/II, § 26 Rn. 218 ff.).
In diesem Beschluss differenziert der BGH jedoch maßgeblich in objektiver Hinsicht. Das Berufsrecht und das Rechtsstaatsprinzip erforderten – objektiv – eine Einschränkung der Strafbarkeit. Bei Rechtsgutachten könne – objektiv – zwischen normativen und deskriptiven Aussagen unterschieden werden. Ist eine Aussage normativ, soll – objektiv – beurteilt werden, ob diese de lege artis ausgeführt wurde. Ist eine Aussage deskriptiv, soll diese – objektiv – richtig oder falsch sein. Die übliche Formulierung der subjektiven Anforderungen greift der BGH nicht auf. Stattdessen begnügt er sich auf Definitionsebene mit dem Satz: „das Bewusstsein und der Wille eines Rechtsanwalts bei der Erteilung eines Rechtsrats in der Regel darauf gerichtet [sind], pflichtgemäß Rat zu erteilen, und nicht darauf, eine Straftat zu fördern“ (Rn. 4). Anders als das LG Frankfurt beschränkt sich der BGH auf der Subsumtionsebene auf eine allgemeine Vorsatzprüfung (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 30.01.2024 - 5/24 KLs 7480 Js 208433/21 Rn. 809). Er stellt lediglich fest, dass der Angeklagte bewusst einen unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt habe. Zudem habe er eine hohe Wahrscheinlichkeit erkannt, dass das Finanzamt die Steueranrechnung versagen würde, und sich mit diesem Risiko „abgefunden“ (Rn. 8). Spezifische Ausführungen zur Solidarisierung des Angeklagten mit dem Haupttäter nimmt der BGH dagegen nicht auf.
Der Beschluss lässt sich in zwei Richtungen deuten. Erstens könnte man annehmen, dass eine „falsche“ Rechtsauskunft gar keine berufstypische Handlung ist (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.2000 - 3 StR 454/99 Rn. 15). Das würde die objektive Abgrenzung erklären und auch die knappe Behandlung des Vorsatzes. Allerdings stünde der BGH dann ohne ausdrückliche Begründung im Widerspruch zum LG Frankfurt, das die Handlungen des Angeklagten ausdrücklich als berufstypisch eingeordnet und erhöhte Vorsatzanforderungen geprüft hatte. Zudem würde eine solche Sichtweise die Diskussion lediglich verlagern: Statt über die Folgen einer berufstypischen Handlung würde künftig über deren Anwendbarkeit gestritten.
Zweitens könnte man annehmen, dass zwar eine berufstypische Handlung vorliegt, sich jedoch die damit verknüpfte Rechtsfolge von der bisherigen Rechtsprechung unterscheidet. In diesem Fall stünden objektive und subjektive Gesichtspunkte nebeneinander. Die Strafbarkeit einer berufstypischen Handlung wäre dann nicht mehr zwingend durch eine Einschränkung auf der Vorsatzebene begrenzt. Das Ergebnis wäre eine Gesamtabwägung ohne klare Konturen. Dies birgt die Gefahr, dass der BGH je nach Fall mal objektive, mal subjektive Kriterien heranzieht, um eine Strafbarkeit zu bejahen oder zu verneinen. Die Vorhersehbarkeit wäre erheblich beeinträchtigt.
Unabhängig davon, welche Interpretation man zugrunde legt, führt der Beschluss im Kontext der bisherigen Rechtsprechung zur berufstypischen Handlung zu mehr Fragen als Antworten.
II. Beschränkung auf die Beihilfe
Darüber hinaus ist das „Vehikel“ der berufstypischen Handlung jedenfalls dann problematisch, wenn es nicht um eine Beihilfe geht, sondern um eine andere Beteiligungsform. Laut BGH findet sich der Grund der Einschränkung in § 3 BRAO und dem Rechtsstaatsprinzip. Diese Einschränkungen müssen jedoch auch dann gelten, wenn ein Rechtsanwalt sich durch seine Beratung täterschaftlich strafbar macht.
Eine täterschaftliche Begehungsform liegt aus zwei Gründen nahe (vgl. Krell, wistra 2020, 177, 181): Erstens korreliert eine Rechtsberatung in der Regel mit einem Verbotsirrtum des Beratenen. Durfte der Beratene auf die Beratung vertrauen, ist er regelmäßig gemäß § 17 StGB entschuldigt. Er handelt damit als defizitärer Vordermann. Eine Strafbarkeit des Beraters als mittelbarer Täter liegt nahe, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB. Zweitens wird der Beratene in der Regel die Beratung abwarten, bevor er handelt, und seine Entscheidung von der Stellungnahme des Beraters abhängig machen. Der Berater hat also eine Vertrauensstellung, die es ihm ermöglicht, das Verhalten des Beratenen einseitig aufzuhalten. Diese Stellung spricht ebenfalls für eine täterschaftliche Zurechnung (so auch LG Fulda, Urt. v. 30.04.2009 - 16 Js 1/08 - 1 Ks unter IV.2.a). Zudem ist sich der Berater dessen meist bewusst (bereits RG, Urt. v. 17.11.1904 - 1178/04 - RGSt 37, 321). Deshalb betonte auch das LG Frankfurt, dass die Tatbeiträge des Angeklagten erhebliches Gewicht hatten (LG Frankfurt, Urt. v. 30.01.2024 - 5/24 KLs 7480 Js 208433/21 Rn. 794).
Sind Rechtsberater also stärker im Lichte der täterschaftlichen Begehung zu sehen und ist die Strafbarkeit einer Rechtsberatung gemäß § 3 BRAO und Art. 20 Abs. 3 GG restriktiv zu gestalten, reicht eine Einschränkung im Rahmen der Beihilfe nicht, um dem Problem gerecht zu werden.
III. Differenzierung zwischen normativen und deskriptiven Aussagen
Interessant ist die Differenzierung in normative und deskriptive Rechtsaussagen in Anlehnung an Krell, Krell (wistra 2020, 177, 182 f.). Anders als der BGH äußert Krell jedoch gleichzeitig seine Bedenken zu dieser Einteilung.
Zwar gibt es eindeutige Fälle, in denen klar erkennbar ist, ob eine Aussage normativ oder deskriptiv ist. Allerdings bestehen Grenzfälle. Behauptet ein Rechtsanwalt beispielsweise, es gebe keine beachtliche Gegenauffassung zu einer Meinung, scheint das – laut BGH – eine deskriptive Aussage zu sein. Was „beachtlich“ ist, unterliegt scheinbar keiner Wertung. Eine solche Unterscheidung ist der Rechtswissenschaft jedoch nicht fremd. Im Rahmen der §§ 185 ff. StGB oder Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG stellen sich beispielsweise vergleichbare Fragen. Ob sich diese Ansätze auf Aussagen über das Recht übertragen lassen, bleibt zu prüfen.
Unklar ist zudem, was überhaupt Gegenstand der Unterscheidung sein soll. Nach dem BGH sind „Aussagen über das Recht“ deskriptiv, „Rechtsauffassungen“ hingegen normativ. In der (ausführlicheren) Literatur wird – wenn auch nicht einheitlich – meist zwischen Rechtsberatung, Rechtsauskunft, Rechtsrat und gestalterischer Tätigkeit unterschieden (vgl. etwa Busch, Rechtsauskunft und strafrechtlicher Verantwortungsausschluss, Tübingen 2020, S. 9 ff.). Auch die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit eine Unterscheidung angedeutet: So entschied der BGH im Jahr 1999, es käme nicht darauf an, dass der Angeklagte als Rechtsanwalt in der Regel pflichtgemäß Rechtsrat erteilen wolle, weil die Gestaltung einer Broschüre über eine Rechtsberatung hinausginge. Vielmehr seien die Grundsätze der berufstypischen Handlung anzuwenden (BGH, Beschl. v. 20.09.1999 - 5 StR 729/98 - NStZ 2000, 34). Eine solche Differenzierung greift der BGH in seiner aktuellen Entscheidung jedoch nicht mehr auf. Stattdessen vermengt er die Grundsätze der berufstypischen Handlung mit der durch das RG entwickelten Vorsatzeinschränkung bei einer Rechtsauskunft.
Die vom BGH gewählte Differenzierung zwischen normativen und deskriptiven Aussagen erscheint damit deutlich weniger trennscharf, als es zunächst den Anschein hat.
IV. Differenzierung zwischen richtigen und falschen Aussagen
Ähnliche Probleme ergeben sich bei der Kategorisierung von deskriptiven Aussagen in „richtig“ und „falsch“. Nach dem BGH ist eine Aussage falsch, wenn eine „(beachtliche) Gegenauffassung oder gute Gegenargumente“ verschwiegen werden. Doch bleibt unklar, wann eine Auffassung als „beachtlich“ oder ein Argument als „gut“ einzustufen ist.
Je weiter der Kreis der deskriptiven Aussagen gezogen wird, desto höher ist das Risiko, eine „falsche“ Aussage zu treffen. Dieses Risiko steigt zusätzlich, je großzügiger man Auffassungen als beachtlich oder Argumente als gut qualifiziert. Bestimmt der BGH welche Auffassungen beachtlich und vertretbar sind und welche Argumente gut sind, droht eine Einschränkung des rechtswissenschaftlichen Diskurses. Beachtliche Auffassungen und gute Argumente müssen aufgegriffen werden und werden dadurch gestärkt. Entwickelt jemand eine neue Auffassung und vertritt diese, droht eine Strafbarkeit, soweit der BGH diese als unvertretbar einstuft.
Die vom BGH gewählte Differenzierung liegt damit weitgehend im Belieben der Rechtsprechung. Um den wissenschaftlichen Diskurs zu schützen, sollte daher sowohl die Kategorie der normativen Aussagen als auch die der vertretbaren normativen Aussagen möglichst weit gefasst werden.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Praktisch verspricht der Beschluss zunächst eine bessere Verteidigungsposition. Die Objektivierung der Strafbarkeitsvoraussetzungen bei einem Rechtsgutachten bietet mehr Spielraum als eine Verteidigung, die sich nur auf den Vorsatz stützt. Auch der Restriktionsansatz über das Berufs- und Verfassungsrecht ist begrüßenswert.
Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einteilung in normative und deskriptive Aussagen, sowie richtige und falsche deskriptive Aussagen, mit sehr großen Unsicherheiten verbunden ist. Auch in Hinsicht auf die berufstypische Handlung wirf der Beschluss Fragen auf und wird einer umfassenden dogmatischen Lösung nicht gerecht. Letztlich spiegelt die vermeintlich einfache Lösung die komplexe Realität der Rechtsberatung nicht wider.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!